25.07.2022 |

Deregulierung: Pläne der EU-Kommission für neues Gentechnikrecht werden konkreter

Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296 Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296

Die EU-Kommission lässt für ihre Regelungspläne zu neuen gentechnischen Verfahren (NGT) bereits eine Folgenabschätzung erarbeiten. Der Fragebogen dafür ging nur an ausgewählte Stakeholder und zeigt, dass die Pläne der Kommission weiter reichen könnten, als bisher von ihr behauptet. Die sieben abgefragten Szenarien umfassen eine komplette Deregulierung für NGT-Pflanzen, die „auch auf natürlichem Wege oder durch konventionelle Züchtung gewonnen werden können“. Erleichterungen könnte es auch für Pflanzen geben, die „erwünschte Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit“ haben. Zudem lässt der Fragebogen erkennen, wie sich die Kommission Details ihrer neuen Regelungen vorstellt.

Veröffentlicht hat den 53-seitigen Fragebogen die gentechnikkritische Plattform GMWatch. Die „zielgerichtete Befragung“ soll in eine Studie einfließen, die wiederum Grundlage für die Folgenabschätzung ist, die jeden Verordnungsvorschlag der EU-Kommission begleitet. Erarbeiten wird diese Studie ein „unabhängiges Konsortium von Forschungsinstituten unter der Leitung der Technopolis Group“, heißt es im Vorwort der Befragung. Grundlage sind sieben offensichtlich von der EU-Kommission, Generaldirektion Gesundheit, vorgegebene und erläuterte Szenarien. Die Befragten sollen einschätzen, welche Folgen sich daraus für den Zeitraum 2030 bis 2035 ergeben könnten, im Vergleich zu einem unveränderten EU-Gentechnikrecht. Aspekte dabei sind Kosten von Genehmigungsverfahren ebenso wie Koexistenz, Marktentwicklungen oder Erntemengen.

Für die Änderung des Gentechnikrechts beschreibt der Fragebogen zwei Szenarien: A1 entspricht in etwa dem, was hohe EU-Beamte bisher als offizielle Planung beschrieben haben. Es soll für NGT-Pflanzen, denen kein fremdes Erbgut eingefügt wird, eine dem jeweiligen Produkt angemessene Risikobewertung geben. Eine Nachweismethode für die Veränderung muss vorgelegt werden. Aber die Methode muss nicht belegen, ob es sich um eine gentechnische oder natürliche Veränderung handelt – sofern dies technisch unmöglich ist.

In den Erläuterungen zu A1 heißt es, dass die Verordnung selbst, der Basisrechtsakt, die allgemeinen Grundsätze für die Risikobewertung enthalten soll, sowie Kriterien, anhand derer Art und Umfang der für die Bewertung notwendigen Daten bestimmt würden. Spezifische Datenanforderungen für die verschiedenen Risikostufen sollen dann in untergeodneten Rechtsvorschriften und EFSA-Leitlinien festgelegt werden. Als angedachte Kriterien nennt der Fragebogen die Neuartigkeit der genetischen Veränderung, deren Ausmaß und die verwendete Technik. Relevant ist auch, ob im Endprodukt genetisches Material vorhanden ist, das außerhalb des Organismus hergestellt wurde. Berücksichtigt werden soll ebenso, ob die Pflanze neue Proteine bildet, bisher gebildete Proteine wegfallen oder sich die Pflanze optisch verändert.

Weiter geht die Kommission in ihrem Szenario A2: Darin werden NGT-Pflanzen, die „auch auf natürlichem Wege oder durch konventionelle Züchtung gewonnen werden können“, von jeder Risikobewertung und Nachweisregelung ausgenommen. Der Fragebogen nennt als „Arbeitsbasis für die Folgenabschätzung“ acht Kriterien, die eine NGT-Pflanze erfüllen müsste, um von allen Regelungen freigestellt zu werden. Dazu zählt der Nachweis, dass diese Veränderung tatsächlich in anderen Pflanzen der jeweiligen Art oder einer mit ihr kreuzbaren Art vorkommt. Sie darf nicht darauf abzielen, die Expression eines bestehenden Gens über die natürliche Variation hinaus zu verändern. Auch darf die Veränderung eine – nicht näher definierte – Zahl von Basenpaaren nicht überschreiten. Der Hersteller einer solchen Pflanze müsste sie vorab bei der EU-Lebensmittelbehörde EFSA anmelden. Diese soll prüfen, ob alle acht Kriterien eingehalten sind und die Kommisison würde in diesem Fall die Planze freigeben.

In den Szenarien B1 bis B3 führt die Kommission ein Nachhaltigkeitslabel für NGT-Pflanzen ein. Es soll jeweils deutlich machen, welchen Beitrag zur Nachhaltigkeit das geänderte Erbgut leistet. Als Beispiele nennt der Fragebogen Pflanzen, die weniger Pestizide oder Dünger brauchen, widerstandsfähiger gegen Trockenheit, Krankheiten oder Schädlinge sind oder ein verbessertes Nährstoffprofil aufweisen. Auch stabilere Ernten oder größere Früchte würden ausreichen, um als nachhaltig klassifiziert zu werden. Der Fragebogen lässt offen, ob die Klassifizierung dezentral durch nationale Behörden oder zentral über die EFSA geschehen soll.

Im Szenario B1 würde dieses Label die entsprechenden NGT-Pflanzen zusätzlich auszeichnen; an Gentechnikkennzeichnung und Nachweispflichten würde sich nichts ändern. In Szenario B2 würde die Gentechnikkennzeichnung wegfallen, die Pflanze müsste lediglich in ein öffentliches Register eingetragen werden. Die Nachweispflichten wären unverändert. Im Szenario B3 würde für die NGT-Pflanzen aus Szenario A2 ebenfalls jegliche Gentechnikkennzeichnung wegfallen und durch den Eintrag in ein öffentliches Register ersetzt – unabhängig davon, ob die Pflanze ein Nachhaltigkeitslabel trägt.

Das Szenario C1 sieht vor, dass nachhaltig eingestufte NGT-Pflanzen Vorteile im Prüfungsverfahren bekommen, etwa geringere Gebühren oder eine schnellere Verfahrensdauer. Szenario C2 schließt NGT-Pflanzen aus, deren Änderung Nachhaltigkeitszielen widersprechen. Herbizidtolerante Pflanzen werde nicht explizit genannt, lediglich Pflanzen, „die zu einem Mehrverbrauch an Pestiziden führen“.

GMWatch wies darauf hin, dass die Szenarien A2 und B3 dem entsprächen, was Gentechkonzerne fordern und was derzeit in Großbritannien schon als Gesetzesvorschlag auf dem Tisch liege. Für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft seien die Pläne der Kommission eine Katastrophe, sagte gegenüber GMWatch Heike Moldenhauer, Geschäftsführerin von ENGA, dem europäischen Verband der gentechnikfreien Lebensmittelwirtschaft. Ungeprüfte und unsichtbare gentechnisch veränderte Organismen würden „ihren Weg auf die europäischen Felder, in die Supermarktregale und auf die Teller der Verbraucher finden – unwiderruflich“. Die Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament erinnerte die Kommission in einem Schreiben an das Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Demnach dürften neue Gentechniken nicht aus dem EU-Gentechnikrecht ausgeschlossen werden, bevor sie nicht eine Reihe von Anwendungen durchlaufen und ihre Sicherheit unter Beweis gestellt hätten. [lf]

20.07.2022 |

Bericht empfiehlt robuste Nachweismethoden für neue Gentechnik

Wie wird das europäische Parlament neue Gentechnik-Verfahren bewerten? (Foto: CCO, Pixabay) Wie wird das europäische Parlament neue Gentechnik-Verfahren bewerten? (Foto: CCO, Pixabay)

Ein Gremium des EU-Parlaments hat einen Bericht zu neuen gentechnischen Verfahren (NGT) vorgelegt. Präsentiert wird er als tiefschürfende Analyse mit dem Logo des Parlaments. Verfasst haben den Bericht zwei bekannte NGT-Befürworter, entsprechend einseitig ist die Darstellung. Dennoch enthält das Papier einige interessante Ausführungen, etwa zum Thema Nachweisbarkeit.

Der Bericht „Genom-editierte Nutzpflanzen und die Herausforderungen des Ernährungssystems im 21. Jahrhundert“ beschreibt den Nachweis von NGT-Eingriffen ins Erbgut als sehr schwierig, aber machbar. Dies erfordere die Entwicklung robuster Nachweismethoden, um die Rückverfolgbarkeit – auch im Hinblick auf Patentstreitigkeiten – zu sichern. Würden NGT-Pflanzen unentdeckt in zertifizierte Lebensmittel gelangen, die keine GVO enthalten dürfen, könnte dies „die Wahlfreiheit der Verbraucher und die gesellschaftliche Akzeptanz der Technologie beeinträchtigen“.

Die EU-Kommission hat mehrfach versichert, dass sie bei ihren Deregulierungsplänen Wahlfreiheit und Koexistenz gewährleisten will. Zuletzt hatte dies Klaus Berend, Geschäftsführender Direktor der EU-Generaldirektion Gesundheit, auf einer Web-Diskussion von Europe Calling betont. Gleichzeitig machte eine Anhörung im Europaparlament im April deutlich, dass die EU-Kommission bisher kein Engagement gezeigt hat, robuste Nachweismethoden für NGT zu entwickeln – obwohl dies aus Sicht der befragten Experten möglich wäre. Es sei eine Frage des politischen Willens, betonten im April die Abgeordneten, die die Anhörung initiiert hatten. Womöglich fördert es den Willen der Kommission, dass in dem jetzt vorgestellten Bericht zwei ausgewiesene NGT-Befürworter robuste Nachweismethoden empfehlen.

Verfasst haben den Bericht René Custers und Oana Dima. Custers arbeitet laut seinem Linkedin-Eintrag am Vlaams Instituut voor Biotechnologie (VIB) als Regulatory & Responsible Research Manager und führt nebenbei die Geschäfte der European BioSafety Association. Oana Dima arbeitet laut Linkedin am VIB als Science Policy Manager und betreut das Netzwerk European Sustainable Agriculture through Genome Editing (EU-SAGE). Bestellt beim VIB hatte den Bericht das Panel for the Future of Science and Technology (STOA). Es ist ein offizielles Gremium des Europäischen Parlaments und mit 25 Abgeordneten aus unterschiedlichen Auschüssen besetzt. Seine Aufgabe ist es, die Auswirkungen neuer Technologien sachkundig und unabhängig zu bewerten und daraus Empfehlungen für das Parlament abzuleiten. Beim Thema NGT fiel STOA bereits im April 2021 als wenig ausgewogen auf. Damals organisierte das Gremium eine Anhörung über neue Gentechnikverfahren bei Pflanzen, die deutlich kritisiert wurde, da das Podium einseitig mit Befürwortern besetzt war.

Auch der jetzt bestellte Bericht ist einseitig und erzählt die bekannte Geschichte: Gegen Krankheiten, Schädlinge oder Trockenstress resistente NGT-Pflanzen könnten die Landwirtschaft nachhaltiger machen. Zudem ließen sich mit Crispr/Cas solche Pflanzen schneller entwickeln als mit herkömmlicher Züchtung. Dass die Forschungspipelines kaum marktfähige Pflanzen enthalten, begründen die Autoren des Berichts mit „regulatorischen Unsicherheiten in mehreren Ländern“ und damit, dass Crispr/Cas eine neue Entdeckung sei. Doch sei zu erwarten „dass in Zukunft viele weitere Anwendungen auftauchen und schließlich auf den Markt kommen werden“. Dass Eingriffe mit Crispr/Cas zu ungewollten Nebenwirkungen führen, räumt der Bericht ein. Diese ließen sich durch das Design des Eingriffes verringern. Zudem würde, behaupten die Autoren, konventionelle Züchtung in jeder Pflanzengeneration zu weitaus mehr spontanen Mutationen führen. [lf]

15.07.2022 |

Frankreich: Wer ließ eine Agentur Stimmung für Glyphosat machen?

Lobby Lobbyismus Gentechnik Lobbyismus (Foto: Gerd Altmann / AllSilhouettes.com / pixelio)

Ein französischer Journalist hatte 2016 und 2017 für eine Agentur Texte verfasst, die Stimmung für Glyphosat und gegen die Krebsforschungsagentur IARC machen sollten. Die Agentur ist inzwischen bekannt, der damalige Auftraggeber nicht. Die französische Internetzeitung Mediapart schrieb, dass Bayer derzeit zu den Kunden dieser Agentur zählt. Der Konzern dementierte das.

Am 20. September 2016 erschien auf der Webseite der französischen Wirtschaftszeitschrift Le Journal Economique ein Artikel über das Herbizid Glyphosat und dessen Einstufung als wahrscheinlich krebserregend durch die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation. In dem immer noch abrufbaren Text heißt es, die IARC werde „regelmäßig für ihre Panikmache kritisiert, da sie zweifelhafte Informationen verbreitet, die auf bruchstückhaften Ergebnissen beruhen“. Der Artikel betont die angeblichen Vorteile von Glyphosat und zitiert einen kandischen Landwirt und Autor mit den Worten: „Selbst Bio-Bauernhöfe verwenden dieses Herbizid“. Gekennzeichnet ist der Text als Beitrag der Redaktion, der von einem „Jean-Louis Philip, ingénieur“ vorgeschlagen worden sei.

Doch diesen Herrn gibt es nicht. Ein freier Journalist mit dem Pseudonym Julien Fomenta Rosat hat enthüllt, dass dieser Text von ihm stammt und im Auftrag einer Agentur verfasst wurde. Diese sorgte dafür, das dieser und andere Artikel von Rosat auf den Portalen bekannter französischer Medien wie Mediapart, L'Express, Huffington Post oder Les Échos veröffentlicht wurden. Als Autoren wurden meist fiktive Personen mit einer erfundenen und zu dem Thema passenden Biografie angegeben. Zweck der Veröffentlichungen war es, die öffentliche Meinung im Sinne des jeweiligen Kunden zu beeinflussen. Rosat schrieb nach eigenen Angaben von 2017 bis 2021 rund 600 Artikel im Auftrag der Agentur, nicht nur über Glyphosat, sondern auch über afrikanische Politiker oder die sicheren französischen Atomkraftwerke.

Die Enthüllungen des Journalisten erschienen im Mai 2022 in der Zeitschrift Fakir und gingen Ende Juni online. Rosat fand im Zuge seiner Recherchen heraus, dass sich hinter seinem Auftraggeber, den er nie zu Gesicht bekam, die Agenturen iStrat und später Maelstrom Media verbargen. Deren Führungskräfte, so schreibt Rosat, hätten auch Avisa Partners gegründet. Dieses „Unternehmen für Wirtschaftsintelligenz, internationale Geschäfte und Cybersicherheit“ ist bekannt. Es bietet seit 2010 seine Dienste als Lobbyist an und ist in den Lobbyregistern der EU-Kommisison und des Bundestages eingetragen.

Besonders betroffen von den gefälschten Artikeln war der Debattierclub der renommierten französischen Internetzeitung Mediapart. Sie stellte bei ihrer Aufarbeitung fest, dass über 100 falsche Nutzeridentitäten mit 634 Beiträge Avisa Partners zuzuordnen seien und löschte die Beiträge. In einem Artikel über den Betrug listet die Redaktion aktuelle Kunden von Avisa Partners auf und beruft sich dabei auf „interne Dokumente von Avisa, die Mediapart erhalten hat“. Einer dieser Kunden sei das Pharma- und Agrochemieunternehmen Bayer. Es habe Avisa Partners beauftragt, in sozialen Medien gegen Anti-Gentechnik-Aktivisten vorzugehen. Im aktuellen Eintrag im EU-Transparenzregister ist Bayer für 2021 und 2022 nicht als Kunde von Avisa Partners erwähnt. Bayer selbst antwortete auf Nachfrage: „Bayer hat in den Jahren 2016 und 2017 mit Avisa Partners ausschließlich im Bereich Tiergesundheit zusammengearbeitet.“ Über eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Monsanto und Avisa in der Vergangenheit lägen keine Informationen vor. Bekannt ist, dass Monsanto 2016 und 2017 Listen von Glyphosatkritikern anlegen ließ und dafür in Frankreich zu einem Bußgeld verurteilt wurde.

Auf die Fragen nach einer aktuellen Zusammenarbeit mit Avisa Partners und ob auch in Deutschland Artikel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Auftrag gegeben worden seien, antwortete ein Sprecher des Konzerns: „Jede Form verdeckter PR lehnen wir strikt ab“. Man setze in der Kommunikation mit allen Stakeholdern auf Transparenz und einen offenen und unvoreingenommenen Dialog. Avisa Partners antwortete nicht auf Fragen zu der von Mediapart beschriebenen Zusammenarbeit mit Bayer. [lf]

13.07.2022 |

Argentinien: Provinzrichter verbietet den Anbau von Gentech-Weizen

Weizen Foto: Alexander Schimmeck / flickr, -+-Weizen - Wheat, bit.ly/2acvv7R, Lizenz: creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0

Ein Richter hat den Anbau von gentechnisch verändertem HB4-Weizen der Firma Bioceres in der argentinischen Provinz Buenos Aires vorerst verboten. Zuerst müsse eine Kommission gebildet werden, die mögliche Auswirkungen des Anbaus untersucht, verlangte er in seiner Entscheidung. Derweil versucht das Unternehmen, für seinen Weizen in weiteren südamerikanischen Ländern eine Anbauzulassung zu bekommen.

Landwirte, soziale Organisationen und Vertreter indigener Völker hatten vor einem Gericht in Mar del Plata gegen den Anbau des "dürretoleranten" HB4-Weizens geklagt. Der Richter Néstor Adrián Salas verbot daraufhin in einer einstweiligen Verfügung den Anbau. Er begründete dies damit, dass der Anbau des Weizens „schwere und irreversible Schäden“ für die Umwelt und die menschliche Gesundheit verursachen könnte. Dabei bezog er sich sowohl auf die Gefahr von Auskreuzungen als auch darauf, dass HB4 resistent gegen das giftige und in der Europäischen Union verbotene Herbizid Glufosinat ist.

Wie die argentinische Nachrichtenagentur Tierra Viva erläuterte, stützte sich die Entscheidung des Richters auf das im allgemeinen Umweltrecht verankerte Vorsorgeprinzip und auf die Aufgabenteilung zwischen Zentralregierung und Provinzen: Die Zentrale genehmige die Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) und lasse Pestizide zu. Doch müssten die Provinzen den Einsatz von GVO und Pestiziden auf ihrem Gebiet erlauben. Denn sie seien laut Verfassung für den Schutz ihrer natürlichen Ressourcen zuständig.

Für den Einsatz von GVO ist diese Zweiteilung laut Tierra Viva in einem zwanzig Jahre alten Provinzgesetz niedergelegt. Es schreibt vor, dass die Provinz Buenos Aires eine Kommission für landwirtschaftliche Biotechnologie und biologische Sicherheit einrichten müsse. Deren Aufgabe sei es zu prüfen, wie sich GVO auf die natürlichen Ressourcen, die Gesundheit und die Vermarktung auswirken, falls sie freigesetzt werden. Bisher, so Tierra Viva, habe die Provinzverwaltung keine solche Kommission eingerichtet. Sie müsse das nun nachholen, forderte der Richter und gab der zu gründenden Kommission einige Fragen mit auf den Weg: So soll sie ermitteln, ob der HB4-Weizen ausreichend getestet wurde, auch im Hinblick darauf, wie er sich auf die Gesundheit von Mensch und Tier auswirkt. Ebenfalls geklärt haben will der Richter, ob obligatorisch die Umweltverträglichkeit geprüft werden muss, wenn ein GVO freigesetzt wird.

Die Provinz rund um die Hauptstadt Buenos Aires gehört zu den wichtigsten Weizenanbaugebieten Argentiniens. Im Erntejahr 2021/22 befand sich dort etwa die Hälfte der Anbaufläche des HB4-Weizens. TierraViva zitierte einen der Klägeranwälte mit der Überlegung, auch in anderen Provinzen vor Gericht zu ziehen. Am Obersten Gerichtshof hat bereits ein Bundesstaatsanwalt beantragt, die Zulassung des HB4-Weizens wegen der „irreparablen Schäden“, die er der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung zufügen könnte, umgehend auszusetzen. Bioceres hat zu dem gerichtlichen Anbauverbot nicht öffentlich Stellung bezogen. Das Unternehmen beschleunige Verhandlungen, um den Anbau seines Weizens in Uruguay, Paraguay und Bolivien genehmigt zu bekommen. Auch mit Mexiko seien Gespräche am Laufen, heißt es in einem Bericht der Zeitung Sudestada. Ebenso stünden Chile und Ecuador auf der Liste der Länder, für die Bioceres möglichst schnell Importgenehmigungen erhalten will. [lf]

08.07.2022 |

Patentrecht: Wem gehören natürlich entstandene Gene?

Tomate: Auf mich gibt´s kein Patent Tomate: Auf mich gibt´s kein Patent (Foto: Keine Patente auf Saatgut!)

Gentechnik-Konzerne lassen sich nicht nur gentechnisch veränderte Pflanzen patentieren, sondern auch zufällig durch Mutation entstandene Gen-Varianten natürlicher Pflanzen. Das belegt ein Bericht des Bündnisses Keine Patente auf Saatgut!. Dadurch würden Gene, die etwa die Widerstandskraft von Pflanzen gegenüber Krankheiten oder Trockenstress stärken, in den Besitz der Konzerne übergehen, warnte das Bündnis. Andere Züchter könnten dann mit diesen Genen nicht mehr frei arbeiten.

Ein Beispiel aus dem Bericht: Im April 2021 erteilte das Europäische Patentamt EPA dem zum BASF-Konzern gehörenden Gemüsezüchter Nunhems ein Patent auf Tomatenpflanzen mit einer verbesserten Toleranz gegenüber Trockenheit. Die Züchter hatten in wilden Verwandten der Tomate bestimmte Gene für deren Trockenheitstoleranz identifiziert und diese durch herkömmliche Züchtung in handelsübliche Tomatensorten eingekreuzt. Das Patent umfasst nun alle Tomatenpflanzen, die diese Gene enthalten. Will ein anderer Züchter – egal ob konventionell oder mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren – ebenfalls mit dem Erbgut dieser wilden Tomatenverwandten arbeiten, würde er das Patent von Nunhems verletzen. Also bräuchte er für seine Züchtung deren Erlaubnis und müsste dafür Lizenzgebühren zahlen. „Der Zugang zur biologischen Vielfalt, die für die zukünftige Züchtung benötigt wird, darf nicht durch Patente kontrolliert, behindert oder blockiert werden“, heißt es im Bericht von No Patents on Seed. Und weiter: „Solche Patente bedrohen unsere Lebensgrundlagen“.

Der Bericht listet weitere Beispiele auf: Etwa die Gene einer wilden Salatpflanzenart, die gegen Mehltau resistent ist. Sie gehören aufgrund eines im April 2022 vom EPA erteilten Patents jetzt dem niederländischen Gemüsezüchter Bejo Zaden. Im Juni dieses Jahres gewährte das EPA dem deutschen Saatgutkonzern KWS ein Patent auf Mais mit einer erhöhten Verdaulichkeit. Die dafür verantwortliche Genvariante fanden die Forscher in konventionell gezüchteten Mais. KWS könne nun mit dem Patent andere Züchter daran hindern, diese natürlich vorkommenden Gene in der konventionellen Pflanzenzüchtung zu verwenden, heißt es im Bericht.

„Bisher konnten im Rahmen des Sortenschutzes alle konventionell gezüchteten Sorten frei genutzt werden, um neue und noch bessere Sorten auf den Markt zu bringen“, erläuterte Johanna Eckhardt von Keine Patente auf Saatgut!. „Wenn die europäischen Regierungen jetzt nicht aktiv werden, wird diese Freiheit der ZüchterInnen in einem Patent-Dschungel erstickt“, warnte Eckhardt. Das Bündnis forderte deshalb die europäischen Staaten, die das EPA tragen, auf, aktiv zu werden und die längst bestehenden Verbote solcher Patente auf konventionelle Pflanzen und Züchtungen endlich durchzusetzen. „Wenn die notwendigen politischen Entscheidungen nicht getroffen werden, ist das das Ende der Pflanzenzucht, so wie wir sie kennen“, warnte Verena Schmitt vom Umweltinstitut München. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat das Bündnis bereits mehr als 200.000 Unterschriften gesammelt. [lf]

06.07.2022 |

Glyphosat im Honig: Landwirt muss Imker entschädigen

Bienen Aktion Kanzleramt Pestizide Demonstranten in Schutzanzügen "sprühen" Pestizide auf Bienen - Theater vor dem Kanzleramt(Foto: Volker Gehrmann)

###UPDATE### Das Landgericht Frankfurt/Oder hat ein Agrar-Unternehmen dazu verurteilt, Schadensersatz an einen Imker zu zahlen. Das von dem Unternehmen eingesetzte Herbizid Glyphosat hatte den Honig des Imkers belastet und unverkäuflich gemacht. Das Urteil sei ein „richtungsweisendes Signal für die Landwirtschaft und Politik“, schrieb die Aurelia-Stiftung, die den klagenden Imker unterstützt hatte. Inzwischen ist die Entscheidung rechtskräftig.

Der Brandenburger Imker Sebastian Seusing hatte ein Bienenhaus direkt neben einer großen Fläche der Stadtgüter Berlin Nord KG. Auf dieser wuchsen im April 2019 Luzerne und Löwenzahn. Ende April spritzte die KG die blühenden Pflanzen mit einem glyphosathaltigen Herbizid tot, um auf der Fläche Mais anzubauen. Seusings Bienen sammelten von den sterbenden Pflanzen weiterhin Nektar und Pollen und brachten dadurch das Glyphosat in die Bienenkästen. Als der Imker den Pestizideinsatz bemerkte, ließ er den Honig untersuchen. Da der Honig den Grenzwert für Glyphosat um das 150-fache überschritt, musste er vernichtet werden. Den dadurch entstandenen Schaden von gut 14.000 Euro klagte Seusing ein.

Das Landgericht gab dem Imker in vollem Umfang recht. Das beklagte Unternehmen habe widerrechtlich und fahrlässig gehandelt, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Richterin argumentierte, dass der Einsatz von Pestiziden mit Gefahren für die Rechtsgüter Dritter verbunden sei. Ein Landwirt müsse deshalb die erforderlichen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um die Schädigung Dritter möglichst zu verhindern. Die Richterin verwies dabei auf eine Pflanzenschutzinformation des Landesamts für ländliche Entwicklung Brandenburg (LELF), in der es hieß: „Zur Vermeidung von Rückständen im Honig sollte auch der Einsatz glyphosathaltiger Herbizide auf blühende Pflanzen unterbleiben“. Das Agrar-Unternehmen hätte den Bewuchs auf dem Acker zur Vorbereitung der Maissaat auch mechanisch durch Umpflügen beseitigen können, steht im Urteil. In einer aktuelleren Fassung seiner Pflanzenschutzinformationen vom Mai 2020 formuliert das LELF übrigens noch deutlicher: „Das Abspritzen von blühenden Kulturbeständen mit Glyphosat-haltigen Mitteln entspricht nicht der guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz!“

„Das Gericht hat klargestellt, dass diejenigen, die Pestizide einsetzen, dafür sorgen müssen, dass dadurch kein Schaden entsteht“, kommentierte Seusings Anwalt Georg Buchholz die Entscheidung. „Die Tatsache, dass Landwirt*innen für Schäden durch Pestizide zur Haftung herangezogen werden können, hilft hoffentlich dabei, dass derartige Schäden seltener auftreten“, sagte Thomas Radetzki, Vorstand der Aurelia Stiftung. Die Stiftung hatte Seusing unterstützt und mitgeholfen, den Prozess über Spenden zu finanzieren.

Ganz glücklich ist Radetzki mit dem Urteil nicht, weil es sehr auf die Umstände des Einzelfalls abhebt und grundsätzliche Fragen offenlässt. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Richterin in ihrer Begründung schreibt, dass Bienen zur Landwirtschaft dazugehören und der Landwirt immer damit rechnen muss, dass das, was er spritzt, Bienen erreicht“, sagte Radetzki der Agentur dpa.

Schließlich fliegen Bienen mehrere Kilometer weit. In einem Bienenstand Seusings, der drei Kilometer vom besprühten Feld entfernt lag, betrug die Glyphosatbelastung immer noch das Zehnfache des Erlaubten. Zwei Monate später musste der Imker eineinhalb Tonnen Kornblumenhonig vernichten. Er war mit Glyphosat belastet, das vermutlich aus einem der umliegenden Getreidefelder stammte. Das Getreide war totgespritzt worden, um die Ernte zu erleichtern. Sikkation heißt diese Praxis, die erst 2021 verboten wurde. Aufgrund der vielen Rückschläge gab Bioland-Imker Seusing 2020 seinen Betrieb auf. Den Prozess führte er dennoch weiter. [lf]

Update vom 19.08.22: Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

30.06.2022 |

Ukrainekrieg: Argentinien hofft auf Markt für Gentechnik-Weizen

Weizen Foto: Inopinatus, https://bit.ly/3I934EF, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/ Weizen Foto: Inopinatus, https://bit.ly/3I934EF, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Der angeblich dürretolerante HB4-Weizen des globalen Agrarunternehmens Bioceres darf in seinem Stammland Argentinien nun ohne Einschränkungen angebaut und vermarktet werden. Den Import des herbizidtoleranten Getreides erlauben nach Brasilien jetzt auch Kolumbien, Neuseeland und Australien. Die argentinische Regierung und der Saatguthersteller setzen darauf, dass Ernteausfälle und Transportprobleme durch den Krieg im Weizenexportland Ukraine die Nachfrage nach Gentechnik-Weizen beflügeln könnten.

Das argentinische Landwirtschaftsministerium hat am 11. Mai die bisherigen Einschränkungen für Anbau und Verarbeitung von HB4-Weizen aufgehoben. Es begründete den Schritt damit, dass Brasilien als wichtigster Abnehmer von argentinischem Weizen es erlaubt habe, das mit einem Sonnenblumengen ergänzte Getreide einzuführen. Nun hofft man, dass der weltweit erste Gentechnik-Weizen, den in Argentinien vorerst nur 250 lizensierte Betriebe anpflanzen, auch verkauft werden kann. Nach Kolumbien, Neuseeland und Australien dürfen die Körner seit Neustem ebenfalls importiert und dort verarbeitet werden. Und die US-Lebensmittelbehörde FDA hat laut Bioceres Ende Juni mitgeteilt, dass sie nach Prüfung der Unterlagen keine weiteren Fragen zur Sicherheit von HB4-Weizen habe. Dies sei „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Marktzulassung in den Vereinigten Staaten, die noch vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) erteilt werden muss“, schrieb Bioceres.

Doch das Unternehmen denkt schon weiter: Wie es der Nachrichtenagentur Reuters sagte, plane es in Australien zusammen mit einem Weizenzüchter Feldversuche und wolle dort im kommenden Jahr eine Anbaugenehmigung für seinen HB4-Weizen beantragen. Das vom Klimawandel besonders betroffene Land ist für Bioceres als Markt sehr interessant. In Brasilien hat die staatliche Forschungseinrichtung Embrapa nach Angaben von Reuters bereits im März Feldversuche mit dem Gentechnikgetreide begonnen. Bioceres-Vorstand Federico Trucco sagte Reuters, der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe den Weizen in den Mittelpunkt gerückt und stärke die Argumente für seine gentechnisch veränderten Pflanzen. Die Zeitung La Nuevaer zitierte den argentinischen Landwirtschaftsminister Julián Domínguez, er wolle den Weizenanbau in seinem Land mit Hilfe der Gentechnik ausweiten und die Erträge steigern. Und sein Staatssekretär Matías Lestani ergänzte gegenüber der Tageszeitung taz: „Unser Ziel ist, die Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem internationalen Szenario ergibt, da der Krieg in der Ukraine schon jetzt die gesamte globale Verwertungskette in Schach hält.“

Diese Rechnung hat die Regierung aber offenbar ohne die argentinische Agrarwirtschaft gemacht: Fernando Rivara, Präsident des Verbandes der Getreideerzeuger, hat große Bedenken gegen HB4. „Die Angst vor einer Weizenkontamination behindert den Zugang unserer Produkte zu den anspruchsvollsten Märkten“, zitierte ihn La Nueva. Noch deutlicher drückte sich der Präsident des Getreideexportzentrums CIARA-CEC, Gustavo Idígoras, gegenüber dem Magazin Infobae aus: „Wir werden kein einziges Körnchen HB4-Weizen in Lieferungen akzeptieren, denn das ist eine absolute Absage an jeden Markt“. Um diese Vorbehalte abzubauen, sagte Bioceres zu, die gesamte HB4-Ernte 2022/23 aufzukaufen und das Getreide, das nicht als Saatgut gebraucht werde, in Eigenregie zu verarbeiten. Dazu sei man mit einer Brauerei und einem Futtermittelhersteller im Gespräch. Bioceres hofft, dass die Widerstände schwinden, sobald der HB4-Weizen in weiteren Ländern zugelassen ist. Auch in der Europäischen Union (EU) hat das Unternehmen eine Importzulassung beantragt.

Während die an sich gentechnikfreundlichen Vertreter der Weizenindustrie um ihre Märkte fürchten, stören sich Umweltgruppen vor allem daran, dass der HB4-Weizen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium resistent ist. Sie fürchten, dass mit einem verstärkten HB4-Anbau auch dieses Pflanzengift deutlich mehr versprüht wird. In der EU ist es seit 2018 verboten, weil es die Gesundheit gefährdet. Dennoch wird es vom deutschen Pestizidhersteller BASF weiter in Länder wie Argentinien exportiert. Die Kritiker verweisen auch auf die bekannten negativen Auswirkungen des Anbaus von Gen-Soja, die sich nun bei Weizen wiederholen könnten: riesige Monokulturen, die aus der Luft mit Herbiziden besprüht werden, zerstörte artenreiche Agrarökosysteme sowie eine zunehmende Konzentration des Reichtums. Und sie wehren sich: Bio-Bauern wollen gegen die unbeschränkte Zulassung von HB4-Weizen klagen, da sie Sorge haben, dass ihre gentechnikfreien Bio-Weizenfelder damit verunreinigt werden. Ein Bundesrichter hatte die Regierung bereits vergangenen November aufgefordert, die Bürger am Zulassungsverfahren zu beteiligen. Der Oberste Gerichtshof Argentiniens muss jetzt über einen Antrag von Bundesanwaltschaft und Betroffenen entscheiden, die Zulassung von HB4 auszusetzen, berichtete die Agentur Tierra Viva. [lf/vef]

27.06.2022 |

Bayer verliert: Oberstes US-Gericht weist Glyphosatklagen ab

RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, http://bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/) RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Wie erwartet ist auch der zweite Versuch des Agrarchemiekonzerns Bayer gescheitert, die Welle Zehntausender Produkthaftungsklagen wegen seines glyphosathaltigen Unkrautvernichters „Round Up“ vom obersten Gericht der USA stoppen zu lassen. Der Supreme Court wies nach Medienberichten heute die Beschwerde des Konzerns gegen einen Schadenersatzanspruch des Rentnerehepaars Pilliod ab. Doch Bayer will es weiter versuchen.
„Wir sind mit der Entscheidung des Supreme Courts nicht einverstanden, sie kommt nach der Ablehnung des Falls Hardeman vor nur einer Woche aber auch nicht überraschend“, teilte Bayer mit. „Es kann künftig weitere Fälle geben – auch zu Roundup – in denen der Supreme Court mit Fragen des Vorrangs von Bundesrecht konfrontiert wird.“ Wie der Konzern bereits vorige Woche ausgeführt hatte, setzt er nun auf das Verfahren des Klägers John Carson aus dem Bundesstaat Georgia, der nach Glyphosatgebrauch an einem bösartigen Weichteiltumor erkrankt war. Hier hatte ein Bundesgericht den Schadenersatzanspruch abgelehnt mit dem Argument, dass Klagen aufgrund fehlender Warnhinweise auf der Gebrauchsanleitung der Spritzmittel in einzelnen Bundesstaaten durch Bundesrecht ausgeschlossen seien.
Weil Bayer hofft, dass der Supreme Court diese Frage ähnlich beantworten und damit den Glyphosatklägern ein wichtiges Argument rauben würde, will der Spritzmittelhersteller unbedingt, dass die obersten Richter über eine der Klagen entscheiden. Auf das Carson-Verfahren setzen die Bayer-Juristen nun auch deshalb ihre Hoffnung, weil hier ein Untergericht anders als bei Hardeman und Pilliod einen Schadenersatzanspruch abgelehnt hat. Und wenn verschiedene Berufungsgerichte unterschiedlich urteilen, könnte das für den Supreme Court ein Grund sein, für eine einheitliche Rechtsauslegung zu sorgen, erläutert der Chemiekonzern auf seiner Webseite. Das habe auch die Regierungsanwältin, die bisher gegen eine Entscheidung des Supreme Court votierte, in ihrer Stellungnahme ausgeführt.
Damit der Carson-Prozess bis zum Supreme Court vordringt, müsste John Carson aber gegen seine Niederlage Rechtsmittel einlegen. Wie eine Anwältin im Interview mit der Wirtschaftswoche aufdeckte, habe der Bayerkonzern Carson Finanzmittel für ein Berufungsverfahren zur Verfügung gestellt. Aimee Wagstaff, die neben Edwin Hardeman zahlreiche weitere Glyphosatgeschädigte vor Gericht vertritt, rechnet trotzdem nicht damit, dass der Supreme Court im Sinne Bayers entscheiden wird. Bayer stecke „in enormen Schwierigkeiten“, meinte Wagstaff, vor allem nachdem ein Bundesgericht kürzlich entschieden habe, dass die US-Umweltbehörde EPA die Risiken von Glyphosat für den Menschen erneut überprüfen muss. Ihre Kanzlei werde jedenfalls weiter prozessieren.
Das Rentnerehepaar Alva und Alberta Pilliod, beide an Lymphdrüsenkrebs erkrankt, ist jetzt jedenfalls um fast 90 Millionen Dollar Schadenersatz reicher. Sie hatten Monsantos (inzwischen Bayers) Unkrautvernichter Round Up jahrelang in ihrem Garten im US-Bundesstaat Kalifornien eingesetzt. [vef]

22.06.2022 |

Urteil: US-Umweltbehörde muss Glyphosat-Risiken neu bewerten

Gericht Justiz Foto: Morgan4uall / pixabay, CC0 Public Domain

Schlechte Zeiten für die Bayer AG: Ein amerikanisches Berufungsgericht hat am Freitag eine vorläufige Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat durch die US-Umweltbehörde EPA wegen "gravierender Fehler" teilweise annulliert. Gestern hat das oberste Gericht der USA, der Supreme Court, dann eine Beschwerde des Chemiekonzerns gegen ein Schadenersatzurteil für einen krebskranken Glyphosat-Nutzer abgewiesen. Beides Gift für die Aktien der Monsanto-Mutter, die sich aber noch nicht geschlagen geben will.
Das Bundesberufungsgericht in Kalifornien kam zu dem Ergebnis, die EPA habe schwerwiegende Fehler gemacht, als sie die Risiken von Glyphosat für die menschliche Gesundheit bewertete. Das gelte vor allem für Krebserkrankungen, schrieb Richterin Michelle Friedland im Urteil. Obwohl die EPA selbst festgestellt hatte, dass sich bestimmte Krebsrisiken anhand der ihr vorliegenden Daten nicht abschließend bewerten ließen, hatte die US-Behörde 2020 entschieden, dass Glyphosat „wahrscheinlich nicht krebserregend“ sei. Das sei mit dieser Begründung nicht haltbar, entschieden die insgesamt drei Richter einstimmig. Geklagt hatten das Pestizid-Aktionsnetzwerk Nordamerika und andere Nichtregierungsorganisationen.
Sie hatten ferner moniert, die EPA habe nicht ausreichend untersucht, wie sich das Pflanzengift auf bedrohte Arten auswirke. Hier vermissten die Richter die nach dem Artenschutzrecht vorgeschriebenen Folgenabschätzungen. Wie eine Sprecherin der Nachrichtenagentur dpa sagte, werde die EPA ihre Glyphosat-Entscheidung überprüfen. Sie hat dafür noch bis 1. Oktober 2022 Zeit. Der Bayerkonzern ist nach dpa-Informationen zuversichtlich, dass die EPA wieder genauso entscheiden wird. Für den Chemieriesen ist das auch deshalb bedeutsam, weil er in den USA noch mindestens 30.000 Schadenersatzklagen krebskranker Glyphosatnutzer parieren muss (der Infodienst berichtete). Dabei argumentierten seine Anwälte regelmäßig damit, dass die EPA und andere Behörden das Pflanzengift nicht für krebserregend halten.
Um die Klageflut zu stoppen, will der Bayerkonzern das oberste US-Gericht bewegen, Schadenersatzurteile der unteren Instanzen zu kippen. Deshalb hat er gegen bisher zwei der Glyphosaturteile beim Supreme Court Beschwerde eingereicht. Im Fall des krebskranken Rentners Edwin Hardeman hat es das Gericht gestern abgelehnt, die nach Bayers Argumentation übergeordnete Rechtsfrage zu klären, ob das nationale Recht dem Konzern möglicherweise verbietet, auf seinen Spritzmitteln vor einer Krebsgefahr zu warnen. Hardeman sind seine gut 25 Millionen Dollar Schadenersatz jetzt sicher. Die Entscheidung hatte sich bereits abgezeichnet, da die Anwältin der US-Regierung (Solicitor General) dem obersten Gericht auf Anfrage empfohlen hatte, nicht über die Bayer-Beschwerde zu entscheiden. Damit hatte sich die Regierung Biden deutlich von Vorgänger Trump abgesetzt.
„Wir fühlen uns durch den intensiven Zuspruch von Amtsträgern, Landwirtschaftsverbänden und anderen Interessensgruppen nach der rechtlichen Kehrtwende der US-Regierung bestärkt“, insistierte Bayer nach dem Urteil. Zuvor hatten führende Republikaner aus Repräsentantenhaus und Senat die Regierungsanwältin aufgefordert, ihre Empfehlung zurückzuziehen, berichtete das Portal E&E News. Da das Agrarministerium nicht in die Entscheidung einbezogen gewesen sei, wollte das "House Oversight and Reform Committee", eine Art ständiger Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses, den Vorgang prüfen - offenbar ohne Erfolg. Dass der Supreme Court sich noch mit dem Schadenersatzurteil zugunsten des Ehepaars Pilliod befassen wird, das Bayer ebenfalls eingereicht hat, halten Experten für unwahrscheinlich. Bekanntgegeben wird die Entscheidung voraussichtlich in der kommenden Woche.
Einstweilen verweist der Monsanto-Mutterkonzern darauf, dass er die jüngsten vier Gerichtsprozesse zu seinem glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup™ (Kläger waren Clark, Stephens, Shelton und Johnson) gewonnen hat. Im Übrigen sei das Unternehmen dank seines vor einem Jahr vorgestellten 5-Punkte-Plans auf alle Eventualitäten vorbereitet. So hat Bayer 6,5 Milliarden US-Dollar beiseitegelegt, um sich mit künftigen Klägern außergerichtlich zu einigen, wo das dem Konzern aussichtsreich erscheint. Außerdem will er ab 2023 Privatanwendern, die die große Mehrheit der Klagenden ausmachen, keine Unkrautvernichtungsmittel mit dem Wirkstoff Glyphosat mehr verkaufen. Das boomende Geschäft mit den Landwirten will Bayer sich aber auch künftig nicht entgehen lassen. [vef]

18.06.2022 |

Versuchsanbau von Vitamin D-Tomate in England

Die fünf Tomaten rechts sind mittels Gentechnik mit Vitamin D angereichert. Foto: John Innes Centre Die fünf Tomaten rechts sind mittels Gentechnik mit Vitamin D angereichert. Foto: John Innes Centre

Wissenschaftler des britischen John Innes Centre haben Tomaten mit dem gentechnischen Verfahren Crispr/Cas9 so verändert, dass sie in Früchten und Blättern Vitamin D anreichern. Im Juni starten erste Freilandversuche. Lockern die Briten wie geplant die Regeln für neue Gentechnik, könnten die Tomaten bald auf den Markt kommen. Gentechnikkritiker bezweifeln, dass sie die Menschen wirklich mit Vitamin D versorgen können.

Tomaten enthalten von Natur aus sehr geringe Mengen an 7-Dehydrocholesterin. Die Substanz wird auch Provitamin D3 genannt, weil sich daraus Vitamin D3 entwickelt, wenn sie ultraviolettes Licht bestrahlt. Bei der Erforschung der Stoffwechselvorgänge in der Tomate entdeckten Wissenschaftler, dass ein Enzym das 7-Dehydrocholesterin zu anderen Pflanzenstoffen, den Esculeosiden, umbaut. Sie helfen der Tomate dabei, Schädlinge und Krankheitserreger abzuwehren. Das Team des John Innes Centre (JIC) unter Leitung der Professorin Cathie Martin hat nun mit Hilfe von Crispr/Cas9 das Gen stillgelegt, das dieses Enzym produziert. Daraufhin reicherte sich das 7-Dehydrocholesterin in den Blättern und Früchten der manipulierten Tomatenstauden an – während der Gehalt an Esculeosiden deutlich zurückging.

Wurden die so veränderten Tomaten mit UV-Licht bestrahlt (was im Freiland die Sonne erledigen muss), wandelte sich das 7-Dehydrocholesterin in den Früchten in Vitamin D3 um. Mit einer solchen Tomate würde man ebenso viel Vitamin D zu sich nehmen wie beim Verzehr von zwei Eiern oder 28 Gramm Thunfisch, rechneten die Forschenden des JIC in ihrer in der Fachzeitschrift Nature Plants veröffentlichten Arbeit vor. Darüber hinaus könnte das Vitamin D3 in den Blättern zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet werden. Die Tomate sei also geeignet, eine schlechte Vitamin D-Versorgung auszugleichen, unter der laut der Studie eine Milliarde Menschen litten. Auch bei anderen eng verwandten Pflanzen wie Auberginen, Kartoffeln und Pfeffer, die den gleichen Stoffwechselweg haben, könnte mit dieser Methode bewirkt werden, dass sie Vitamin D anreichern, heißt es in der Presseinformation des JIC. Gerade während der Corona-Pandemie sei deutlich geworden, wie wichtig ein guter Vitamin D-Spiegel für die Gesundheit ist.

Das Abschalten des Gens habe sich nicht negativ auf Wachstum, Entwicklung und Ertrag der Pflanzen ausgewirkt, so die Studienerfahrungen im Gewächshaus. Ob das auch auf dem Acker gilt, wird sich jetzt erweisen müssen. Das Münchner Institut Testbiotech warnt, dass der gentechnische Eingriff in ihren Schutzmechanismus die Tomate anfälliger machen könnte für Krankheiten und Schädlingsbefall. Auch andere Wechselwirkungen mit der Umwelt müssten untersucht werden. Bei den Tomaten selbst wäre zu prüfen, ob der Eingriff Inhaltsstoffe ungewollt verändert oder andere Stoffwechselwege gestört hat. Schließlich gibt Testbiotech zu bedenken, dass die Vitamin D-Konzentration in den Tomaten je nach Sorte und Umweltbedingungen sehr unterschiedlich sein kann. In der Zeitschrift Nature kommentieren Wissenschaftler, dass noch erforscht werden müsse, wie stabil das Vitamin in der Tomate sei, wenn sie gelagert oder verarbeitet wird. Geklärt werden müsse auch, wie gut der menschliche Körper das Vitamin aus den Tomaten aufnehmen kann. Es auf diesem Weg verlässlich zu dosieren sei unmöglich, schreibt Testbiotech.

Um mögliche Gefahren für Gesundheit oder Umwelt frühzeitig zu erkennen, fordert das Institut, die Risiken auch bei diesen genomeditierten Pflanzen eingehend zu prüfen. Liz O'Neill, Geschäftsführerin der gentechnikkritischen Organisation GM Freeze, hält die neue Tomate schlicht für überflüssig: „Die Regale in den Supermärkten sind bereits voll mit ausgezeichneten Vitamin-D-Quellen: von fettem Fisch, Eiern und rotem Fleisch bis hin zu angereicherten Getreidesorten und einer Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln“. Eine „obskure Tomate“ hinzuzufügen werde das Problem des Vitamin-D-Mangels nicht lösen, denn schlechte Ernährung sei eine Folge von Armut und einem kaputten Lebensmittelsystem. „Wir brauchen einen Systemwandel, keinen gentechnisch veränderten Ketchup“, sagte O'Neill. [lf/vef]

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