17.03.2024 |

EU gibt elf Millionen Euro für Nachweisforschung

Labor Genomsquenzierung Genomsequenzierung (Foto: Lawrence Berkeley Nat"l Lab - Roy Kaltschmidt, DNA sample picotiter plate preparation, bit.ly/24QkbyR, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0, flickr)

Die Europäische Union fördert erstmals über ihr Forschungsprogramm Horizon zwei Projekte, die Technologien entwickeln wollen, mit denen sich Eingriffe mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) in das Erbgut von Pflanzen nachweisen lassen. Die beiden mit insgesamt elf Millionen Euro unterstützen, internationalen Projekte mit zahlreichen Beteiligten laufen über vier Jahre bis 2027. Da die Mehrheit der Verbraucher:innen wie auch viele Landwirte Transparenz wünschen, hatte das Europaparlament bei der jüngsten Debatte um neue Regeln für NGT-Pflanzen verlangt, dass diese erkennbar sein müssen.

Eines der beiden Projekte, das vom norwegischen Forschungsinstitut Norce koordiniert wird und unter den Namen Darwin läuft, erhält von der EU fünf Millionen Euro. Zu den 14 Projektpartnern aus ganz Europa und Israel zählen der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), die Justus-Liebig-Universität Gießen und der Biodachverband Ifoam Organics Europe. Als Ziel nennt der Verbund auf seiner Webseite, er wolle „neun zuverlässige und bahnbrechende Nachweissysteme und vier digitale Lösungen entwickeln für Kennzeichnungskonzepte für die Agrar- und Ernährungswirtschaft“. Dazu zählen technische Verfahren wie eine Hochdurchsatz-Metagenomsequenzierung für das Screening und Datenlösungen wie Blockchains, um eine transparente und rückverfolgbare Erkennung entlang der Lebensmittelkette zu ermöglichen. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, genetische Fingerabdrücke für bestimmte Erbgutveränderungen durch NGT-Verfahren wie Crispr/Cas zu verwirklichen. Die gefundenen Verfahren sollen validiert und in drei „realistischen Szenarien zusammen mit der Industrie und den Strafverfolgungsbehörden getestet werden, um zweckmäßige Lösungen für eine Vielzahl von NGT-Organismen im Agrar- und Lebensmittelsektor darzustellen“, schreibt Norce in einer Mitteilung. Das Institut arbeitet bereits in dem bis Ende 2024 laufenden norwegischen Projekt Foodprints an NGT-Nachweismethoden am Modellorganismus Ackerschmalwand und hat schon erste Ergebnisse veröffentlicht.

Sechs Millionen Euro gehen an das Projekt Detective, das die Agrar-Universität SLU im schwedischen Uppsala koordiniert. Zu dem Verbund von 20 europäischen Organisationen gehören der Lobbyverband Euroseeds, die Universität Bayreuth und mehrere Behörden. „Ziel des Projekts sind die Entwicklung, Validierung und Förderung innovativer Nachweismethoden für pflanzliche und tierische Erzeugnisse, die mittels Neuen Genomischen Techniken (NGTs) wie Genome Editing und Cisgenese erzeugt wurden“, schreibt das beteiligte Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Solche effizienten und umfassenden Nachweissysteme seien notwendig für die Rückverfolgbarkeit von Lebens- und Futtermittel liefernden Pflanzen und Tieren und diese wiederum sei „wichtig für die Kennzeichnung der Produkte und die Wahlfreiheit der Verbraucher“. Dabei sollen die technischen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Bereich der Analysemethoden durch eine umfassende Untersuchung nichttechnischer Ansätze ergänzt werden. Zudem schreibt das BVL, Detective wolle die rechtlichen Entwicklungen aufmerksam verfolgen und „Analysen zu verschiedenen politischen Szenarien der EU durchführen, um die sozioökonomischen Auswirkungen sowohl auf EU- als auch auf internationaler Ebene zu identifizieren“.

Beide Projekte versprechen, Interessengruppen aktiv einzubeziehen. Es werde interessant sein zu sehen, „ob die beiden Projekte zu ähnlichen oder unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Machbarkeit des Nachweises von NGT kommen", schreibt die gentechnikkritische Plattform GMWatch. Sie ordnet Detective als eher industriefreundlich ein, da neben dem Lobbyverband Euroseeds weitere für ihre gentechnikfreundlichen Ansichten bekannten Institutionen vertreten seien. GMWatch wirft auch die Frage auf, wie die künftigen Nachweisverfahren dann kommerzialisiert und wem sie unter welchen Bedingungen zur Verfügung stehen werden.

Die mühselige Arbeit, neue Testmethoden zu entwickeln, ließe sich bedeutend erleichtern, schreiben Forschende des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Auch sie hatten nach Nachweismöglichkeiten für vier bereits zur Vermarktung anstehende NGT-Pflanzen gesucht: der Wachsmais von Corteva, die Gaba-Tomate von Sanatech, der herbizidresistente Cibus-Raps und die fettsäureveränderte Sojabohne von Calyxt. Ihr in der Fachzeitschrift Food Control veröffentlichtes Ergebnis: „Voraussetzung für die Entwicklung von Nachweismethoden für NGT-Pflanzen sind genaue Kenntnisse über den Ursprung und die Art des Ereignisses sowie geeignetes Referenzmaterial.“ Doch genau daran hapert es bisher. Auch im NGT-Verordnungsvorschlag der EU-Kommission fehlt eine entsprechende Verpflichtung für die Hersteller und das EU-Parlament hatte es im Februar abgelehnt, eine solche in den Entwurf hineinzuschreiben. Dabei ist sich nicht nur GMWatch sicher: „Die Patentinhaber der Gentech-Industrie verfügen zweifelsohne bereits über eigene Nachweismethoden für ihre patentierten neuen NGTs.“ [lf]

08.03.2024 |

Neue Gentechnik: Französische Behörde warnt vor Risiken

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

Die französische Behörde für Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit, Anses, kommt in einem umfangreichen Gutachten zu dem Schluss, dass mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) erzeugte Pflanzen relevante Risiken aufweisen können. Sie empfiehlt deshalb eine fallspezifische Risikobewertung und ein umfassendes Monitoring. Die französische Regierung hatte das bereits im Januar fertiggestellte Gutachten bis jetzt unter Verschluss gehalten.

Die französischen Expert:innen hatten sich im Auftrag der Regierung mit der Risikobewertung von NGT-Pflanzen befasst, deren Erbgut gezielt mit Hilfe des Verfahrens Crispr/Cas verändert wurde. Es ging im Wesentlichen um jene Pflanzen, die laut einem aktuellen Verordnungsvorschlag der EU-Kommission künftig ohne Risikoüberprüfung und Zulassung auf den Markt kommen sollen. Die Anses-Fachleute lehnen einen solchen Freifahrtschein ab. Sie kommen zu dem Schluss, dass bei NGT-Eingriffen ins Erbgut „unerwartete Auswirkungen auf den Phänotyp und die agronomischen Eigenschaften von Pflanzen immer möglich sind, und dass unerwartete Veränderungen der Zusammensetzung der Pflanze oder der daraus hergestellten Lebensmittel ebenfalls möglich sein könnten“. Auch könnten solche Eingriffe die Allergenität einer Pflanze verändern. Deshalb seien die üblichen 90-tägigen Fütterungsstudien „nach wie vor unerlässlich, um ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier im Zusammenhang mit dem Verzehr der gentechnisch veränderten Pflanze oder daraus hergestellter Produkte zu erkennen“.
Zu den Umweltrisiken schrieben die Expert:innen, dass deren Bewertung, wie sie in den derzeitigen Leitlinien vorgeschrieben sei, auch für NGT-Pflanzen relevant bleibe. Zudem müssten die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt werden, wenn mehr Anbauflächen für NGT-Pflanzen zugelassen werden sollten. Um die Risiken angemessen zu berücksichtigen, empfiehlt Anses, die Gesundheits- und Umweltrisiken jeder neuen NGT-Pflanze individuell zu prüfen. Dafür hat sie in ihrem Gutachten einen Entscheidungsbaum erarbeitet. Ist eine Pflanze zugelassen, brauche es einen Monitoringplan, um die Umweltrisiken über die gesamte Dauer der Zulassung zu überwachen. Dabei müssten auch die kumulativen Auswirkungen des Anbaus verschiedener Sorten mit demselben veränderten Merkmal, sowie die Auswirkungen auf die Anbaupraxis berücksichtigt werden, heißt es in dem Gutachten.

Zusätzlich befasste sich das Anses-Gutachten mit den sozioökonomischen Auswirkungen von NGT-Pflanzen. Es verweist dabei unter anderem auf die Koexistenzprobleme zwischen NGT-Pflanzen und gentechnikfreier konventioneller oder ökologischer Land- und Lebensmittelwirtschaft. Anses geht ferner auf die Transparenz ein, die die Verbraucherer:innen erwarten: Der Einsatz von gv-Pflanzen könne besser zurückverfolgt werden, wenn die Antragsteller bei einer Zulassung verpflichtet würden, eine Nachweismethode anzugeben. Die Patentierung von NGT-Pflanzen bezeichnet das Gutachten als sehr wichtigen Aspekt. Zwar sei es offen, ob NGT-Pflanzen zu mehr Konzentration auf dem Saatgutmarkt führen oder kleineren Unternehmen helfen würden. Doch sollten die Behörden wachsam sein, damit kein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erlangen und missbrauchen kann. Als Fazit schreibt Anses, die Kontroverse um NGT-Pflanzen gehe über die wissenschaftlichen und technischen Fragen hinaus. Sie beziehe sich auf ein viel breiteres Spektrum von Bedenken im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Produktionsmodellen und dem Stellenwert der Gentechnik in einem agrarökologischen Übergang. Deshalb brauche es eine breite gesellschaftliche Debatte.

Die Anses-Expert:innen stellten ihren Bericht im Dezember 2023 fertig. Anses-Generaldirektor Benoît Vallet unterzeichnete das formelle Dokument am 22. Januar und leitete es an die Regierung weiter. Die Anses hatte geplant, den Bericht und die Stellungnahme Anfang Februar zu veröffentlichen, doch sei die Veröffentlichung auf „politischen Druck“ hin blockiert wurde. So berichtete es die französische Tageszeitung Le Monde am 5. März unter Berufung auf eine „mit dem Dossier vertraute Quelle“. Den Grund sieht Le Monde in den Abstimmungen über die geplante NGT-Verordnung, die im Februar in Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat anstanden: „Die Stellungnahme der Anses, die Le Monde einsehen konnte, steht in frontalem Gegensatz zu der Position, die Frankreich in Brüssel zu diesem Thema vertritt, sowie zu der mehrheitlich von den Renew-Abgeordneten im Europäischen Parlament vertretenen Position“, schrieb das Blatt. Zur liberalen europäischen Parteienfamilie Renew gehört auch Renaissance, die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Einen Tag nachdem Le Monde ausführlich aus dem Gutachten zitiert hatte, wurde es auf der Webseite von Anses veröffentlicht.

Bereits im November 2023 hatte Anses die Kriterien bewertet, nach denen in der geplanten NGT-Verordnung die meisten Pflanzen in die weitgehend regelungsfreie Kategorie 1 einsortiert werden sollten (der Infodienst berichtete). Dabei war sie zu dem Schluss gekommen, diese Kriterien seien wissenschaftlich nicht fundiert. Zusammen mit der nun veröffentlichten ausführlichen Risikobetrachtung liegt damit eine weitere, gewichtige, wissenschaftlich fundierte behördliche Position vor, die dem seit Jahren von interessierten Kreisen publizierten Narrativ vom wissenschaftlichen Konsens, dass NGT-Pflanzen so harmlos wie herkömmliche Züchtung seien, massiv widerspricht. Welche Rolle spielt das jetzt in den laufenden Diskussionen über neue Regeln für NGT-Pflanzen in den europäischen Gremien?

Da die beschriebene zweite Stellungnahme der Anses erst vor zwei Tagen veröffentlicht wurde, beziehen sich die politischen Reaktionen bislang nur auf den ersten Teil. So hat Roberta Metsola, die Präsidentin des Europäischen Parlaments, die EU-Lebensmittelbehörde EFSA am 22. Februar darum gebeten, zur Kritik der Anses an den Gleichwertigkeitskriterien der NGT-Kategorie eins bis Ende Juli 2024 Stellung zu nehmen. Bereits am 15. Januar hatte der französische Abgeordnete Christophe Clergeau die EU-Kommission schriftlich gefragt, ob sie die EFSA angesichts der Anses-Kritik damit beauftragen könne, neue Kriterien zu erarbeiten, wann gentechnisch veränderte und herkömmlich gezüchtete Pflanzen gleichwertig sein sollen. Die zuständige EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat darauf gestern geantwortet: „Die von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien stehen im Einklang mit den wissenschaftlichen Gutachten der EFSA und berücksichtigen diese. In diesem Zusammenhang hält es die Kommission nicht für erforderlich, die EFSA mit der Festlegung neuer Gleichwertigkeitskriterien zu beauftragen." [lf/vef]

05.03.2024 |

US-Firma will Hobbygärtner mit lila Gentech-Tomaten locken

Tomaten Lila Pressefoto Lila Gentechnik-Tomaten (Foto: John Innes Centre)

Konventionell gezüchtete lila Tomaten gibt es schon lange. Ihre Früchte enthalten besonders viele Anthocyane, das sind blaue Farbstoffe, die antioxidativ wirken und deshalb als gesund gelten. In den USA können Hobbygärtner nun erstmals die Samen einer gentechnisch veränderten (gv) lila Tomate kaufen. Sie sollen der Gentechnikindustrie als Türöffner dienen.

Auf der Webseite der kalifornischen Firma Norfolk Healthy Produce können Hobbygärtner:innen seit Anfang Februar Saatgut der lila gv-Tomate des Unternehmens kaufen - für zwei US-Dollar je Samen. Die transgene Pflanze wurde von der US-Lebensmittelbehörde FDA im Sommer 2023 für die Vermarktung als Lebensmittel freigegeben. Dabei stützte sich die Behörde nur auf Unterlagen des Herstellers und betonte ausdrücklich, dass dieser für die Sicherheit seines Produktes selbst verantwortlich sei. In das Erbgut seiner gv-Tomate hat er zwei Gene des Löwenmäulchens eingebaut, die die Anthocyan-Herstellung der Tomate quasi anschalten sollen. Zudem enthält sie Resistenzgene gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin, wie sie in vielen Produkten der klassischen alten Gentechnik vorkommen. Denn die lila Tomate ist keine mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellte Pflanze, sondern ein Dinosaurier, der es nach zwanzig Jahren geschafft hat, zumindest in den USA auf den Markt zu kommen.

Entwickelt wurde die Pflanze von Cathie Martin vom britischen Forschungsinstitut John Innes Centre und Jonathan Jones vom Sainsbury Laboratory. Sie gründeten bereits 2007 Norfolk Plant Sciences, um die Tomate weiter zu entwickeln und kommerziell zu vermarkten. Deren US-Tochter Norfolk Healthy Produce soll die lila Tomate in den USA unter die Leute bringen. Die gentechnikkritische Plattform GMWatch wies darauf hin, dass das John Innes Centre die Tomate bereits 2008 als Lebensmittel zur Krebsvorbeugung positionierte. Die darin enthaltenen Anthocyane wirkten antioxidativ und könnten damit Zellschäden verhindern, die zu Krebs führen könnten, lautete die Argumentation des Herstellers. Er verwies auf einen Fütterungsversuch, bei dem krebsempfindliche Mäuse mit lila Tomaten im Futter nach seinen Angaben länger lebten als die Kontrollgruppe. GMWatch berichtete, wie Lebensmittelbehörden und Krebsforscher diese Behauptungen damals zurückwiesen. Allerdings würden „einige Leute in der GVO-Industrielobby das trügerische Narrativ 'Krebsbekämpfung' immer noch aufrechterhalten“, schrieb die Plattform.

Dabei ist, wer sich gesund mit lila Tomaten ernähren will, nicht auf die nun angebotene Gentech-Variante angewiesen. Schon seit Jahren gibt es gentechnikfreie lila Tomatensorten mit einem hohen Gehalt an Anthocyanen nicht nur in der Schale, sondern auch im Fruchtfleisch. Der US-Radiosender NPR berichtete, dass der Pflanzenzucht-Professor Jim Myers an der Oregon State University schon 2011 die Sorte Indigo Rose vorstellte. Gezüchtet hatte er sie ganz traditionell durch das Einkreuzen von lila Wildtomaten. Weitere Indigo-Sorten folgten in den nächsten Jahren. „Myers weist darauf hin, dass er und die Erfinder der lila gv-Tomate etwa zur gleichen Zeit mit der Arbeit an diesen Tomaten begannen und dass es inzwischen mehr als 50 Sorten der Indigos gibt, die weltweit angebaut und gezüchtet werden, sowohl von kleinen Betrieben als auch von großen Unternehmen“, heißt es bei NPR.

Der Sender liefert auch eine Erklärung, warum die gv-Tomate jetzt dennoch mit viel Verspätung und ohne Bedarf auf den Markt gebracht wird: Die Schöpfer der lila Tomate hofften, dass ihre Freigabe für Gärtner die mangelnde Akzeptanz einer vor allem mit Herbizidresistenzen und Konzerngewinnen verbundenen Gentechnik verändern könnte. Gegenüber NPR bezeichnete der Gentechniklobbyist Mark Lynas die Vermarktung von Norfolk Healthy Produce an die Verbraucher als „Geniestreich“, der die Technologie entmystifizieren könnte. Norfolks Geschäftsführer Nathan Pumplin bestätigte gegenüber NPR diesen Ansatz. Würde eine große Zahl von Verbrauchern die Vorteile der neuen Tomate annehmen, werde „die negative Wahrnehmung von GVO abgebaut und es können andere Produkte auf den Markt kommen, die wirklich solide Vorteile bieten“, beschrieb er dem Sender seine strategische Hoffnung. [lf]

26.02.2024 |

Uruguay erforscht Gene Drive-Fliegen

Die Neuwelt-Schraubenwurmfliege Foto: The Mexican-American Commission for the Eradication of the Screwworm, https://bit.ly/2ueFxg4,  Lizenz: US Copyright Office, Public Domain Die Neuwelt-Schraubenwurmfliege-+-Foto: The Mexican-American Commission for the Eradication of the Screwworm, https://bit.ly/2ueFxg4, -+-Lizenz: US Copyright Office, Public Domain

Das südamerikanische Land Uruguay will einen Tierparasiten gentechnisch mit Hilfe eines Vererbungsturbos (Gene Drive) ausrotten. Zunächst müssen aber Laborversuche bestätigen, dass das bei der Schraubenwurmfliege, die der örtlichen Rinderzucht massive Schäden zufügt, überhaupt funktionieren würde. Die staatlichen Agrarforscher hoffen, die Gene Drive-Fliegen in etwa drei Jahren im Freien testen zu können. Die USA haben den Schädling bereits ohne Gentechnik ausgerottet.

Die Neuwelt-Schraubenwurmfliege ist ein gefürchteter Tierparasit. Die Schmeißfliegenart legt ihre Eier in Wunden und Schleimhäute. Die daraus schlüpfenden Larven fressen sich ins Fleisch der Tiere und verursachen tiefe Geschwüre. Schon seit Jahren versuchen Gentechniker:innen der Universität von North Carolina, diesen Schädling mit gentechnischen Methoden zu bekämpfen. Dazu wollen sie dessen Erbgut so verändern, dass es sterile Weibchen erzeugt. Dieses Erbgut soll auf Männchen übertragen werden, die diese Eigenschaft dann mit Hilfe eines Gene Drives dominant innerhalb einer Population vererben. So entstünden immer mehr sterile Weibchen und die Population wäre nach wenigen Generationen ausgerottet. Dass dieses Konzept im Prinzip funktioniert, haben die US-Forschenden an der Kirschessigfliege bereits gezeigt. Nun wollen sie es zusammen mit dem staatlichen Agrarforschungsinstitut in Uruguay (INIA, Instituto Nacional de Investigación Agropecuaria) auf die Neuwelt-Schraubenwurmfliege übertragen.

In dem südamerikanischen Staat sind Rinder ein wichtiges Agrarerzeugnis und die Schäden durch die Fliegenlarven werden auf 37 bis 138 Millionen Euro pro Jahr beziffert, was zwei bis acht Prozent des Marktwertes der Rinderproduktion entspricht. Deshalb hat das Land bereits 2020 beschlossen, neben den herkömmlichen Bekämpfungsmethoden (siehe unten), auch auf Gentechnik zu setzen. Über den Stand der Entwicklung informierte kürzlich die MIT Technology Review, deren Artikel Heise.de ins Deutsche übertrug. Demnach experimentieren die INIA-Forschenden „im Labor mit verschiedenen Komponenten der Gene Drives in geneditierten Schraubenwurmfliegen“. Die Entwicklung einer Population männlicher Schraubenwurmfliegen mit den veränderten Genen sei „geplant“, heißt es im Text, eine nächste Stufe von Käfigversuchen im Labor stünde kurz bevor. Doch könnte der Aufbau des Gene Drives, seine Erprobung und die Erteilung von Genehmigungen für die Freisetzung im Freiland viele Jahre dauern, zitiert der Text einen an der Arbeit nicht beteiligten Forscher. Dies sei „keine leichte Aufgabe; es gab schon viele gescheiterte Versuche mit Gene Drives“. Die INIA-Forschenden gehen davon aus, dass sie zwei bis drei Jahre brauchen, das System in die Fliegen zu integrieren und die Technik zu validieren. Parallel wollen sie versuchen, eine Genehmigung für Versuche im Freien zu erhalten.

So lange will das Landwirtschaftsministerium in Uruguay nicht warten. Es hat 2020 damit begonnen, die Schraubenwurmfliege mit der herkömmlichen Sterile-Insekten-Technik (SIT) zu bekämpfen. Bei der SIT werden die Schadinsekten im Labor gezüchtet, mittels radioaktiver Strahlung oder Chemikalien sterilisiert und in großen Mengen freigesetzt. Die sterilen Männchen und Weibchen paaren sich mit ihren Artgenossen und sorgen so dafür, dass weniger Nachkommen entstehen und die Population langsam abnimmt. Auf diese Weise ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, den Parasiten in den USA und Mexiko ganz und in Panama weitgehend auszurotten. Doch diese Technik ist aufwändig und teuer.

Das Konzept mit den sterilen Weibchen ist übrigens schon der zweite Versuch der Wissenschaftler:innen an der Universität von North Carolina, schädlichen Insekten mit Hilfe der Gentechnik den Garaus zu machen. Ursprünglich setzten sie bei ihren Gene Drive Ideen auf eine Gentechnikentwicklung der britischen Firma Oxitec. Diese hatte Insekten so verändert, dass nur ihre männlichen Nachkommen überlebten, während die Weibchen im Larvenstadium starben. Doch diese Technik hatte eine unappetitliche Folge. Sowohl bei der Schraubenwurmfliege als auch bei der Kirschessigfliege wären die abgestorbenen Larven im Lebensmittel, also dem Fleisch oder dem befallenen Obst geblieben. Aus diesem Grund landete diese Idee schnell im Abfalleimer der Gentechnik-Entwicklungen, während bei anderen Insekten wie Moskitos weiterhin daran geforscht wird. [lf]

19.02.2024 |

Schweiz genehmigt Berliner Crispr-Gerste frische Luft

Pflanzen der Braugerstensorte «Golden Promise», bei der Forschende mit der Technik Crispr/Cas9 Gene verändert haben. Foto: FU Berlin Pflanzen der Braugerstensorte «Golden Promise», bei der Forschende mit der Technik Crispr/Cas9 Gene verändert haben. Foto: FU Berlin

Forschende der Freien Universität Berlin haben eine Braugerste mit Hilfe des neuen gentechnischen Verfahrens Crispr/Cas9 so verändert, dass sie im Labor höhere Erträge lieferte. Diese Gerste darf nun für drei Jahre versuchsweise in der Schweiz im Freien angebaut werden. Auf den Markt kommen wird sie so schnell nicht. Denn was wie eine mögliche Lösung für die Welternährung klingt, ist erst mal Grundlagenforschung – und von Patenten bedroht.

Die Pflanzengenetiker:innen der Freien Universität Berlin beschäftigen sich mit Cytokininen. Das sind Pflanzenhormone, die vielfältige Wachstumsprozesse beeinflussen. Die Konzentration der Cytokinine regeln Enzyme (die Cytokinin-Oxidasen), die diese abbauen. Die Produktion dieser Enzyme wiederum steuert eine Gruppe von Genen, die mit CKX abgekürzt werden. Aus der Forschung an Reis ist bekannt, dass sich dort ein runtergeregeltes CKX2-Gen positiv auf den Ertrag auswirkt. In der Gerste fanden die Forschenden zwei leicht unterschiedliche Varianten von CKX2 und haben diese Gene mit Crispr/Cas9 abgeschaltet.
Die so entstandenen Pflanzen „bildeten im Gewächshaus mehr Körner pro Ähre“, heißt es in der Mitteilung der Schweizer Bundesforschungsanstalt Agroscope. Sie verfügt in Zürich über ein Hochsicherheitsgelände (Protected Site genannt) für Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Dort darf nun im Frühjahr die Crispr-Gerste ausgesät werden, zusammen mit unveränderten Pflanzen der gleichen Sorte. Maximal 7.000 Quadratmeter Platz stehen dafür zur Verfügung, heißt es in der Genehmigung, die das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) am 15. Februar erteilt hat. Um ein unkontrolliertes Auskreuzen der Gentechnik-Pflanzen zu verhindern, müssen landwirtschaftliche Gerstenäcker mindestens 60 Meter Abstand halten, so eine der Auflagen.

Laut Agroscope stehen drei Fragen im Mittelpunkt des dreijährigen Versuchs: Er soll zeigen, ob die Pflanzen auch unter Feldbedingungen mehr Körner pro Ähre bilden und ob daraus tatsächlich ein höherer Ertrag resultiert. Die Forschenden wollen auch herausfinden, ob beide CKX2-Varianten ausgeschaltet werden müssen oder ob eine reicht. Und sie müssen prüfen, ob das Ausschalten einer oder beider Gen-Varianten noch weitere Eigenschaften der Gerste ändert. Denn die Cytokinine sind an verschiedenen Entwicklungsschritten der Pflanzen und an ihren Stressreaktionen beteiligt.
Aber selbst wenn Ende 2026 alle Fragen zur Zufriedenheit der Forschenden beantwortet sein sollten, käme die getestete Crispr-Gerste nicht auf den Markt. Denn es handelt sich um die alte Braugerstensorte „Golden Promise“, die heute nur noch in Forschungslabors verwendet wird, weil sie sich vergleichsweise einfach gentechnisch verändern lässt. Da sie sehr mehltauanfällig ist, würden Landwirte sie nicht anbauen, merkt die Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) an. „Das gewonnene Wissen kann aber auch bei modernen Gerstensorten und mit guten Erfolgsaussichten auch bei weiteren Getreidearten wie Weizen oder Dinkel angewendet werden“, hält Agroscope entgegen. Allerdings müsste dazu weiter geforscht und im Feldversuch gepflanzt werden. Es dürfte also noch dauern mit den versprochenen höheren Erträgen.

Etwas weiter als mit der Gerste sind die Berliner Forschenden beim Raps. Bereits 2021 berichteten sie, dass durch Ausschaltung von CKX-Genen Raps im Labor mehr Blüten und mehr Samenschoten ansetzte. An dem Projekt namens SEEDS war eine Abteilung von Bayer Crop Science beteiligt, die inzwischen an BASF verkauft wurde. Diese hat nach Angaben der SAG „ein Patent auf Pflanzen der Gattung Brassica – zu der auch der im SEEDS-Projekt verwendete Raps gehört – mit funktionell eingeschränkter Expression der Cytokinin-Oxidasen eingereicht“. Der Raps ist bisher, zumindest in der EU, noch nicht in einem Feldversuch überprüft worden. Die SAG will nicht ausschließen, dass es nach Abschluss der Gerstenversuche ebenfalls zu Patentanmeldungen kommt. Generell profitierten von den Ergebnissen des bewilligten Versuches hauptsächlich das Forschungsteam und seine Partner aus der Industrie. Deshalb stellt die SAG auch die Frage, ob die „für den Versuch eingesetzten staatlichen Mittel – jährlich werden etwa 750 000 Schweizer Franken von der öffentlichen Hand für die Protected Site ausgegeben – nicht sinnvoller eingesetzt werden könnten“. [lf]

13.02.2024 |

Südafrika: Neue Gentechnik bleibt Gentechnik

Die südafrikanische Agrarministerin Thoko Didiza 2019 bei einer Pressekonferenz. Foto: GCIS https://lmy.de/OcLx, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/ Die südafrikanische Agrarministerin Thoko Didiza 2019 bei einer Pressekonferenz. Foto: GCIS https://lmy.de/OcLx, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Die südafrikanische Landwirtschaftsministerin Thoko Didiza hat entschieden, dass neue gentechnische Verfahren (NGT) in der heimischen Landwirtschaft weiterhin dem Gentechnikrecht und seinen Zulassungsregeln unterliegen. Wie erst jetzt bekannt wurde, wies sie damit vor sechs Monaten Beschwerden der Agrarindustrielobby gegen eine frühere Entscheidung ihrer Gentechnikbehörde zurück. Für das afrikanische Zentrum für Biodiversität (ACB) ist das ein Wendepunkt für den ganzen Kontinent.

Der Einsatz von NGT bei Nutzpflanzen ist nicht nur in Europa ein Thema. Auch in Afrika drängen die Lobbyisten der Gentechnikkonzerne auf Gesetzesänderungen, damit NGT-Pflanzen ohne Zulassung und Risikoprüfung auf den Markt kommen können. Eine bedeutende Rolle kommt dabei Südafrika zu, weil das Land schon früh den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zuließ. Deshalb waren die NGT-Lobbyisten enttäuscht, als die südafrikanische Gentechnikbehörde Biosafety South Africa im Oktober 2021 eine Entscheidung verkündete: Der bestehende rechtliche Rahmen für die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen gilt auch für NGT. Einen Monat später legte ein Konsortium von Verbänden der Agrarindustrie, angeführt vom Agrardachverband AGBIZ (Agricultural Business Chamber of South Africa), Widerspruch gegen diese Entscheidung ein. Ein Berufungsausschuss gab den Beschwerdeführenden Recht und die Angelegenheit landete auf dem Schreibtisch von Landwirtschaftsministerin Thoko Didiza. Diese wies die Beschwerde abschließend zurück und bestätigte die Entscheidung ihrer Behörde.

Dieses Ergebnis vom August 2023 wurde erst öffentlich bekannt, als das African Centre for Biodiversity (ACB) durch eine Protokollnotiz auf den Vorgang aufmerksam wurde, nachhakte und die Entscheidung schließlich veröffentlichte. ACB-Geschäftsführerin Mariam Mayet lobte das Vorgehen der Ministerin als einen vorsorgeorientierten Ansatz und sah darin einen „Wendepunkt für den Kontinent, der mit einem starken Druck zur Einführung neuartiger Gentechniken konfrontiert ist“. Kenia, Ghana, Malawi und Nigeria hätten bereits Maßnahmen ergriffen, um diese Technologien nicht durch Gesetze zur biologischen Sicherheit zu regulieren. Die südafrikanische Entscheidung werde den Widerstand der dortigen Zivilgesellschaften gegen die Deregulierung stärken, argumentierte Mayet. In ihren Augen dienen NGT-Pflanzen als „koloniale Mechanismen, um Agrar- und Lebensmittelsysteme zu unterwandern und neue Märkte für industriell hergestelltes Saatgut in Konzernbesitz zu sichern und zu erobern“.

Afrika ist für Gentechnikkonzerne ein interessanter Markt. Bisher werden gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen dort in elf Ländern angebaut. Nur sieben Staaten haben Gentechnikgesetze erlassen, um Importe und Anbau von gv-Pflanzen zu regulieren. Der gesetzliche Rahmen sei für die weitere Entwicklung der Technologien von entscheidender Bedeutung, hieß es auf einer Tagung, zu der die Gentechnik-Lobbyisten der Alliance for Science im August 2023 nach Kenia eingeladen hatten. Dort wurde die Regelung von Argentinien, das NGT von Gentechnikzulassungen ausgenommen hat, als Blaupause für afrikanische Länder vorgestellt. Die Teilnehmenden beklagten „Fehlinformationen“ der Öffentlichkeit und besprachen, wie ihr Anliegen am besten kommuniziert werden könne. Dazu sollten Informationen über die Vorteile der neuen Technologien immer auch mit passenden Ansätzen für die Regulierung verbunden werden, empfahl etwa Roy Mugiira, Leiter der kenianischen Gentechnikbehörde NBA. [lf]

07.02.2024 |

Neue Gentechnik: EU-Staaten bremsen Blitzreform aus

Europaflagge, Foto: Greg Montani https://pixabay.com/de/photos/europa-flagge-sterne-fahne-1395913/ Europaflagge, Foto: Greg Montani https://pixabay.com/de/photos/europa-flagge-sterne-fahne-1395913/

Das europäische Parlament (EP) hat heute dem Verordnungsentwurf der EU-Kommission zum Einsatz neuer gentechnischer Verfahren (NGT) bei Nutzpflanzen mit zahlreichen Änderungen mehrheitlich zugestimmt. So plädierten die Abgeordneten etwa dafür, Erzeugnisse zu kennzeichnen, die NGT-Pflanzen enthalten. Unter den EU-Mitgliedstaaten dagegen fand sich bei einem Treffen ihrer ständigen Vertreter erneut keine qualifizierte Mehrheit für eine gemeinsame Position. Damit scheint einzutreten, was der spanische Agrarminister im Januar prophezeite: Die geplante NGT-Verordnung kann vor der Europawahl im Juni nicht mehr verabschiedet werden.

Grundlage der Abstimmung im EP war eine Vorlage der konservativen Berichterstatterin Jessica Polfjärd, die der federführende Umweltausschuss am 24. Januar beschlossen hatte. Anders als darin vorgeschlagen, nahm das Parlament auf Antrag von Sozialdemokraten und Grünen mit 317 zu 302 Stimmen eine Kennzeichnungspflicht für sämtliche NGT-Pflanzen in den Verordnungstext auf. Demnach muss bei NGT-Pflanzen der privilegierten Kategorie 1 nicht nur das Saatgut gekennzeichnet werden, sondern auch die Pflanzen selbst sowie Erzeugnisse, die NGT 1 Pflanzen enthalten oder aus ihnen bestehen. „Neuartige genomische Verfahren“ soll dann auf dem Etikett stehen. Die Informationen dazu sind entlang der Produktionskette zu speichern und zu übermitteln. Damit berücksichtigte das Parlament eine Kernforderung zahlreicher Lebensmittelunternehmen, Umwelt-, Agrar- und Verbraucherverbände, die eine Kennzeichnung als Voraussetzung für die Wahlfreiheit von Verbraucher:innen wie (Land)Wirtschaftsbetrieben gefordert hatten.

Positiv bewerten dürften die Verbände auch die neue Möglichkeit, eine einmal ausgesprochene Anerkennung als NGT 1-Pflanze zu widerrufen, wenn sich die Datenlage ändert und sich unerwartete Risiken zeigen. Das war bislang nicht vorgesehen. Paradoxerweise haben die Parlamentarier aber gleichzeitig die Risikoprüfung eingeschränkt: Während der Umweltausschuss des EP beschlossen hatte, dass NGT 1-Pflanzen vor ihrer Anerkennung einen Sicherheitscheck im Labor durchlaufen müssen, lehnte das Plenum diese Regelung mehrheitlich ab. Knapp scheiterte mit 302 zu 306 Stimmen auch ein Antrag, der die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet hätte, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, „um das unbeabsichtigte Vorhandensein von (sämtlichen, Anm.d.Red.) NGT-Pflanzen und Teilen oder Rückständen davon in anderen Kulturen und Erzeugnissen zu vermeiden“. Damit greift wieder die von der EU-Kommission vorgeschlagene Regelung, bei NGT-Pflanzen der Kategorie 2 „sollen“ die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen für eine unbeschadete Koexistenz mit gentechnikfreiem Anbau treffen. Auch der Vorschlag, die Hersteller von NGT zu einem Entschädigungsfonds zu verpflichten, blieb ohne Mehrheit.

Das umstrittene Thema der Patentierung von NGT-Pflanzen fand sich in einigen angenommenen Anträgen wieder. So sollen Formulierungen die Biopatentrichtlinie 98/44/EG ergänzen, wonach NGT-Patente nicht für natürliche Pflanzen mit den gleichen genetischen Eigenschaften gelten. In Fällen, wo sich patentierbare NGT-Pflanzen nicht von natürlichen unterscheiden lassen, soll kein Patentanspruch bestehen. Dazu passend sollen Hersteller, die eine Pflanze für die privilegierte Kategorie 1 anmelden wollen, auch Informationen über anhängige Patentverfahren oder erteilte Patente vorlegen. Ebenso sollen die Anmeldeunterlagen nun einen „Plan zur Überwachung von Umweltauswirkungen“ enthalten. Insgesamt stimmte das EP-Plenum heute mehr als 300 Änderungsanträge zum NGT-Vorschlag der EU-Kommission ab, teils erneut solche, die in den Ausschüssen für Umwelt und Agrar bereits abgelehnt worden waren. Der so abgeänderte Entwurf der Berichterstatterin wurde am Ende mit 307 Ja, 263 Nein und 41 Enthaltungen verabschiedet. Zugleich erteilte das Parlament das Mandat, mit Ministerrat und EU-Kommission Trilog-Verhandlungen aufzunehmen, um zu einem endgültigen Kompromiss aller Beteiligten Organe zu kommen.

Die Trilog-Verhandlungen können jedoch erst starten, wenn auch der Ministerrat der EU-Staaten eine gemeinsame Position gefunden hat. Dafür hatte die spanische Ratspräsidentschaft im Dezember einen Kompromissvorschlag vorgelegt, den jedoch keine qualifizierte Mehrheit der Staaten unterstützte. Der seit Januar amtierende belgische Ratspräsident hat den Vorschlag nur unwesentlich ergänzt: Um die umstrittene Patentfrage soll sich eine Expertengruppe kümmern und die Bitte von Staaten mit kleinen Inseln um eine Opt out-Möglichkeit wurde in den Erwägungsgründen berücksichtigt. Das war offenbar zu wenig. Denn bei ihrem heutigen Treffen signalisierten die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit für diesen Kompromiss. Das bestätigte eine EU-Quelle dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Dem Vernehmen nach sprachen sich 16 EU-Staaten für den Kompromiss aus, darunter Frankreich. Diese repräsentierten jedoch weniger als 60 Prozent der EU-Bevölkerung statt der nötigen 65 Prozent. „Der Ratsvorsitz wird die Situation prüfen und in den nächsten Tagen entscheiden, wie die Arbeit fortgesetzt werden kann“, schrieb eine EU-Mitarbeiterin dem Infodienst. Beobachter gehen davon aus, dass es nun schon rein zeitlich nicht mehr möglich sein wird, den Trilog bis Ende Februar abzuschließen. Und das wäre laut EU-Quelle nötig, um die NGT-Verordnung noch bis zur letzten EP-Sitzung dieser Legislatur verabschieden zu können.

Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling nannte die Entscheidung des Parlaments einen „politischen Offenbarungseid“. Im Interesse der Agrarindustrie sei im Hauruck-Verfahren der Weg frei gemacht worden für höchst bedenkliche Regelungen und einen fahrlässigen Umgang mit Neuer Gentechnik. „Die Konservativen (um CDU/CSU) und Liberalen haben heute mehrheitlich das Vorsorgeprinzip mit Füßen getreten“, sagte die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl. Mit den verabschiedeten Vorschlägen käme ein Großteil der genmanipulierten und potentiell umweltschädlichen Pflanzen bald ohne Risikoprüfung auf die Teller der Verbraucherinnen und Verbraucher. Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir, der sich im Agrarrat bislang enthalten hatte, sieht sich in seiner Linie bestätigt: „Die sich widersprechenden Abstimmungsergebnisse zum Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen zeigen: Es liegt noch kein tragfähiger Vorschlag vor, der den Interessen von Landwirtschaft, Verbraucherinnen und Verbrauchern und Lebensmittelwirtschaft gerecht wird“, so der Grünen-Politiker. „Weiterhin sind viele zentrale Fragen ungeklärt: Stichworte Koexistenz, Wahlfreiheit, Patente. Es ist wichtig, dass wir uns jetzt in Ruhe mit diesen komplexen Fragen auseinandersetzen. Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit." [lf/vef]

06.02.2024 |

Neue Gentechnik: Fällt der Startschuss für den Trilog?

AbL-Vertreter:innen übergeben eine Petition gegen neue Gentechnik an Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Foto: Volling/AbL AbL-Vertreter:innen übergeben eine Petition gegen neue Gentechnik an Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Foto: Volling/AbL

Im Gesetzgebungsverfahren für gelockerte Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) in der Landwirtschaft werden in Brüssel und Straßburg morgen zwei wichtige Entscheidungen erwartet: Das Europäische Parlament (EP) wird am Mittag über eine Vorlage seines Umweltausschusses entscheiden, die NGT noch mehr freigeben will als die Europäische Kommission. Auch beim Treffen der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten steht das Thema auf der Tagesordnung. Ziel beider Organe ist, schnellstmöglich den Auftrag für einen Trilog von Rat, EP und EU-Kommission zu erteilen. Ob die nötigen Mehrheiten erreicht werden, wird sich zeigen müssen.
Die Abgeordneten des EP diskutierten bereits heute über den Verordnungsentwurf der konservativen Berichterstatterin Jessica Pölfjard (EVP), den der Umweltausschuss Ende Januar nur wenig verändert verabschiedet hatte (der Infodienst berichtete). Liberale, Konservative und rechte Europaabgeordnete befürworteten erneut, NGT-Pflanzen denen aus herkömmlicher Zucht nahezu gleichzustellen, um die europäische Landwirtschaft wettbewerbsfähig zu halten und wissenschaftliche Innovation zu fördern. Und obwohl es, wie der grüne Martin Häusling betonte, bislang faktisch nur eine NGT-Pflanze mit Klimabezug gibt, behaupteten mehrere Parlamentarier:innen unverdrossen, Techniken wie Crispr/Cas könnten Pflanzen besser an den Klimawandel anpassen und außerdem Pestizide einsparen.
Dabei scheint fraglich, ob die konservativ-liberale Mehrheit im EP geschlossen für eine derart weitgehende Lockerung der NGT-Vorschriften stimmen wird. Zum einen kann sie wohl nicht auf die Abgeordneten gentechnikkritscher EU-Staaten wie der Slovakei oder Ungarn zählen. Zum anderen wies vergangene Woche in München das Bündnis für eine gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft in Bayern, dem 30 Organisationen angehören, auf einen parteiinternen Widerspruch hin: Einerseits muss das CSU-regierte Bundesland qua Gesetz und Koalitionsvertrag gentechnikfrei sein. Zugleich setzt sich der CSU-Abgeordnete und EVP-Fraktionschef Manfred Weber im EP für einen Entwurf ein, der die bayrische Regelung verbieten würde. Die bayrischen CSU-Granden müssten ihre EU-Kolleg:innen zur Raison rufen, forderte das Bündnis bei der Übergabe einer Petition gegen die Deregulierungspläne der EU-Kommission in München. Sämtliche Bio-Bauern und sehr viele ihrer konventionellen Kollegen in Bayern wollten auch künftig gentechnikfrei wirtschaften.
Außerdem haben 270 deutsche und internationale Unternehmen der Lebensmittelbranche einen offenen Brief an den EVP-Fraktionschef Weber unterzeichnet. Sie fordern unter anderem, die Gentechnik-Kennzeichnung in der Zutatenliste von Lebensmitteln zu erhalten, die der Parlaments-, wie der Kommissionsentwurf abschaffen wollen. Für gentechnikfreie Fütterung gibt es zusätzlich ein freiwilliges Siegel: „Schon seit 2010 füttern alle Landwirt:innen garantiert ohne Gentechnik und wir kennzeichnen die Milch … mit dem VLOG zertifizierten Label ‚Ohne Gentechnik‘“, erläutert etwa Bernhard Pointner, Geschäftsführer der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land. „Dass das so bleibt, dafür setzen wir uns ein.“
Dass die geplanten Regeln auch für den Biolandbau eine „Katastrophe“ wären, davor warnten heute grüne Abgeordnete im EP. Vertreter von Ungarn und der Slovakei kritisierten ferner, es sei ein Eingriff der EU in die nationale Souveränität, wenn die EU-Mitglieder NGT-Pflanzen auf ihrem Staatsgebiet nicht verbieten dürften. Und wenn die EU-Entwürfe suggerierten, sie könnten Patente auf angeblich naturidentische NGT-Pflanzen verhindern, streuten sie den Bürgern Sand in die Augen, ergänzte der Grüne Martin Häusling. Vor allem grüne und linke Abgeordnete haben mehr als 300 Änderungsanträge zum vom Umweltausschuss beschlossenen Regelungsentwurf gestellt, die morgen abgestimmt werden müssen. Für die EU-Kommission wies Gleichstellungskommissarin Helena Dalli alle Kritik zurück. Ihr Entwurf sei ein ausgewogenes Regelwerk, das den Bedarf der Gesellschaft ebenso wie die Sicherheit berücksichtige.
Vermisst wurde im EP ein interessierter Zuhörer der belgischen Ratspräsidentschaft. Die will nach Angaben einer EU-Quelle morgen versuchen, vom Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (ASTV) ein Mandat für den Start von Trilogverhandlungen über eine neue NGT-Regelung zu erhalten. Dafür müsste der ASTV mit qualifizierter Mehrheit den spanischen Kompromissvorschlag vom Dezember verabschieden, den die belgische Ratspräsidentschaft dem Vernehmen nach nur minimal verändert hat. Von daher erscheint es fraglich, dass Länder der bisherigen gentechnikkritischen Sperrminorität ins Lager der Befürworter wechseln. Käme die qualifizierte Mehrheit jedoch zustande, könnten die Botschafter bei der EU nach Angaben der Quelle ein Mandat erteilen, da diese im Auftrag ihrer Regierungen abstimmen. „Das AStV-Verhandlungsmandat würde als gemeinsamer Standpunkt des Rates dienen“, erläutert die EU-Mitarbeiterin. Habe auch das EP ein entsprechendes Mandat erteilt, könnte der Trilog direkt beginnen. Wegen der anstehenden Europawahl im Juni müsste er bis Ende Februar abgeschlossen sein.
Bauern-, Verbraucher- und Umweltorganisationen sind entsetzt: Ein gutes Dutzend von ihnen, vorwiegend aus Frankreich und Deutschland, forderten heute vor dem Europaparlament in Straßburg, die geplante NGT-Verordnung abzulehnen. „Die Kriterien, nach denen festgestellt wird, ob eine NTG-Pflanze einer konventionellen gleichwertig ist, entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage“, monieren die Franzosen, deren staatliche Behörde für Lebensmittelsicherheit (Anses) die europäischen Pläne wie berichtet im Dezember massiv kritisierte. Diese Pläne könnten „zu einer Flut von gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa führen, ohne Risikobewertung, ohne die Verbraucher zu informieren, und würden unser Landwirtschaftsmodell weiter in eine Sackgasse führen“, warnen die 13 französischen Organisationen.
Auch die Allgäuer Biobäuerin Barbara Endraß nimmt die Europaparlamentarier in die Pflicht: „Sichern Sie die aktuellen Wettbewerbsvorteile europäischer Bäuer:innen, die sich gentechnikfreie Märkte aufgebaut haben, die den klaren Wünsche der europäischen Verbraucher:innen nach gentechnikfreien Produkten nachkommen“, fordert sie bei der Übergabe der von ihr initiierten Petition „Kennzeichnung und Regulierung aller Gentechnikpflanzen erhalten!“ in Straßburg. Fast 93.000 Menschen haben inzwischen unterschrieben. Fast 130000 verlangten von den EP-Abgeordneten via Email, eine weitgehende Freigabe von NGT-Pflanzen zu verhindern. „Im Vorfeld der Europawahlen fordere ich Sie auf, sich für das Recht der Verbraucher einzusetzen und die Kennzeichnung und Risikoprüfung neuer Gentechnik beizubehalten“, heißt es in den Schreiben, deren Flut Abgeordnete des EP heute mehrfach erwähnten. Es sei absurd, sagte der französische Sozialist Christophe Clergeau bei der Sitzung, über eine Verordnung abzustimmen, wenn die Umstände noch so kontrovers diskutiert werden. Und er erinnerte seine Parlamentskolleg:innen daran, dass sie bei der Europawahl am 9. Juni zur Rechenschaft gezogen werden. [vef]

29.01.2024 |

Glyphosat: Umweltorganisationen klagen gegen Zulassung

Gericht Justiz Foto: Morgan4uall / pixabay, CC0 Public Domain

Die erneute Zulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat durch die Europäische Kommission wird beim Europäischen Gericht landen. Gleich zwei Bündnisse haben sich auf den Klageweg gemacht und im ersten Schritt bei der EU-Kommission beantragt, die Glyphosat-Genehmigung aufzuheben. Tut sie das – wie zu erwarten – nicht, folgt die Klage vor dem Europäischen Gericht. Derweil macht eine neue Studie deutlich, wie problematisch der Wirkstoff tatsächlich ist.
Die Aurelia Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe – unterstützt von der Berliner Anwaltskanzlei GGSC – forderten die EU-Kommission vergangene Woche auf, ihre Zulassung zu überprüfen. Die beiden Organisationen argumentieren dabei mit den Auswirkungen von Glyphosat-Herbiziden auf die Umwelt. Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA hatte hier zahlreiche Datenlücken festgestellt, aber dennoch empfohlen, den Wirkstoff weiter zuzulassen. Dies sei ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip und gegen maßgebliche Regelungen zur Risikoprüfung und zur Erneuerung von Zulassungen, heißt es in dem Anwaltsschreiben an die EU-Kommission, das zu folgendem Fazit kommt: „Jede dieser Datenlücken steht der Genehmigungserneuerung entgegen.“

EFSA und die EU-Kommission hatten bei der Auswirkung von Glyphosat auf die Biodiversität und bei weiteren Aspekten argumentiert, dass diese Risiken nicht bewertet werden könnten, weil dazu entsprechende Leitlinien fehlten. Gleichzeitig eröffnete die Kommission in ihrer Genehmigung des Wirkstoffes den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei der Zulassung der gebrauchsfertigen Glyphosat-Spritzmittel Auflagen zum Schutz der Umwelt und Artenvielfalt zu erlassen. Die klagenden Organisationen sehen darin ein „unzulässiges Abwälzen der Risikobewertung auf die Mitgliedstaaten“. Die wirkstoffbezogene Risikobewertung sei eine der zentralen Bewertungsaufgaben auf EU-Ebene. Deshalb sei es die Aufgabe der EU-Kommission, Leitlinien zu entwickeln und diese Umweltrisiken zu prüfen, argumentieren sie. Fehlen diese Leitlinien und damit die Überprüfung, dann sei „mangels tragfähiger Bewertungsmethoden der erforderliche wissenschaftliche Nachweis, dass der Wirkstoff die Genehmigungskriterien erfülle, nicht erbracht“. Von der Aurelia Stiftung liegt übrigens bereits eine Klage beim Europäischen Gericht. Sie hat dort die Verordnung angegriffen, mit der die EU-Kommission im Herbst 2022 die Genehmigung von Glyphosat bis 15.12.2023 verlängert hatte, um das neue Zulassungsverfahren zum Abschluss bringen zu können.

Post hat die EU-Kommission auch von einem europäischen Bündnis an Initiativen bekommen: Das Pestizid Aktionsnetzwerk PAN, Global 2000, Générations Futures und Client Earth haben ebenfalls eine Überprüfung der Zulassung gefordert. Ihre Argumente gehen zusätzlich noch auf den Zulassungsprozess und die gesundheitlichen Risiken von Glyphosat ein. Die Organisationen kritisieren, dass sich die amtlichen Bewertungen auf Herstellerstudien stützten und andere Studien systematisch ausgeschlossen worden seien. Deshalb hätten die Behörden sowohl die erbgutschädigende Wirkung von Glyphosat als auch dessen Krebsrisiko falsch bewertet.
„Die EU-Behörden haben unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Anforderungen die Beweise für die krebserregende Wirkung von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend“, sagte der Toxikologe Peter Clausing für PAN. Helmut Burtscher-Schaden von Global2000 erinnerte an die „in den US-Gerichtsverfahren aufgedeckten Beweise für Monsantos Bemühungen, frühere EU-Zulassungsverfahren zu beeinflussen“. Er hätte erwartet, dass die Behörden die Studien der Glyphosathersteller diesmal besonders genau unter die Lupe nehmen würden. Doch sie hätten „die Schlussfolgerungen früherer Genehmigungsverfahren in Copy-and-Paste-Manier wiederholt“, obwohl „diese veralteten Herstellerstudien inzwischen allgemein als inakzeptabel gelten“.

Die EU-Kommission hat nun 16 Wochen Zeit, auf die beiden Schreiben zu reagieren. Sie könnte diese Zeit auch dazu nutzen, eine neue Studie zu Glyphosat zu lesen. Die staatlichen Gesundheitsforschenden der USA (US National Institutes of Health) haben in einer epidemiologischen Studie mit Menschen neue Belege für die erbgutschädigende Wirkung des Totalherbizids gefunden. Sie untersuchten Blut, Urin und Zellen aus dem Mund von Landwirten aus den US-Bundesstaaten Iowa und North Carolina. Die Ergebnisse zeigten, dass mit zunehmender Nutzungsintensität von Glyphosat in den Blutzellen der Farmer eine bestimmte Erbgutschädigung auftrat. Diese Schädigung, bei der das Y-Chromosom in den Zellen verschwindet, erhöht massiv das Risiko, an Blutkrebs zu erkranken.
Zu dieser Krebsart zählt auch das Non Hodgkins Lymphom, an dem Zehntausende Menschen leiden, die in den USA Schadenersatz vom Glyphosathersteller Bayer einklagen. Erst vor wenigen Tagen hat ein Geschworenengericht in Philadelphia den Bayer-Konzern zu einem Rekordschadenersatz von 2,2 Milliarden US-Dollar verurteilt, was Bayer anfechten will. „Unsere Ergebnisse liefern neue Belege für das krebserregende Potenzial von Glyphosat“, bestätigt auch die US-Studie. Für Aufsehen sorgte in den USA ferner ein Bericht des Verbands der Kinderärzte (American Academy of Pediatrics, AAP). Die Organisation bewertet Glyphosat als vermutlich krebserregend und womöglich hormonell wirksam. Sie rät ihren Mitgliedern, sich mit dem Thema vertraut zu machen, sich über Kennzeichnung sowie gentechnikfreie und biologisch angebaute Lebensmittel zu informieren und Familien entsprechend zu beraten. [lf]

24.01.2024 |

Neue Gentechnik: Umweltauschuss lehnt Transparenz und Wahlfreiheit ab

Europäisches Parlament, Foto: https://flic.kr/p/bCXLTT Europäisches Parlament, Foto: https://flic.kr/p/bCXLTT

Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat heute seinen Bericht zum Verordnungsvorschlag der Kommission zu neuen getechnischen Verfahren (NGT) beschlossen. Er hat dabei alle Vorstöße für eine Kennzeichnung von NGT-Produkten, für Koexistenz- und Haftungsregelungen sowie nationale Ausnahmen abgelehnt. Bio bleibt zumindest für die nächsten Jahre NGT-frei. Nun muss Anfang Februar das Plenum des Parlaments über die Position abstimmen.

Im Vorfeld der Ausschusssitzung hatten sich die Fraktionen von Rechten, Konservativen und Liberalen auf Kompromisstexte zu wichtigen Punkten des Entwurfs geeinigt, die sie bei den Einzelabstimmungen mit ihrer Mehrheit durchsetzten. So scheiterte ein Vorstoß von Sozialisten und Grünen, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung für Lebensmittel aus NGT-Pflanzen der Kategorie 1 in der Verordnung zu verankern mit 36 zu 49 Stimmen. Ein Antrag, mit dem Sozialisten, Grüne und Linke die EU und die Mitgliedsstaaten zu Koexistenzmaßnahmen bei allen NGT-Pflanzen verpflichten wollten, wurde mit 40 zu 45 Stimmen abgelehnt. Keine Mehrheit erhielten die drei Fraktionen für den Antrag, einen von den NGT-Anbietern zu füllenden Entschädigungsfonds für Verunreinigungen einzuführen (36 zu 50 Stimmen). Ebenso scheiterte der Vorschlag, nationale Verbote (Opt-out) zuzulassen, wie sie für den Anbau alter Gentechnikpflanzen möglich sind (37 zu 48 Stimmen).

Heiß diskutiert wurde im Vorfeld der Sitzung der Vorschlag der federführenden Berichterstatterin Jessica Polfjärd von der Europäischen Volkspartei (EVP), NGT auch für den Ökolandbau zuzulassen. Hier einigte sich die EVP mit Rechten und Liberalen darauf, das von der Kommission vorgesehene NGT-Verbot für den Ökolandbau zu belassen. Allerdings ergänzten sie es um einen Auftrag an die EU-Kommission. Sie soll in sieben Jahren berichten, wie sich die Wahrnehmung der Verbraucher und der Hersteller entwickelt hat und gegebenfalls einen Vorschlag vorlegen, um die Verordnung in diesem Punkt zu ändern. Ebenfalls neu in die Verordnung soll ein Zusatz, wonach unabsichtliche oder technisch unvermeidbare NGT-Verunreinigungen in Bio-Lebensmitteln nicht als Verstoß gegen die EU-Ökoverordnung gewertet werden. Diese Regelung ist zwiespältig: Sie gibt Ökobetrieben eine gewisse Sicherheit, da sich angesichts fehlender Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit NGT-Verunreinigungen kaum vermeiden lassen. Gleichzeitig werden NGT-Verunreinigungen in Bio-Lebensmittel damit ein Normalfall ohne weitere Konsequenzen, was die Glaubwürdigkeit gefährdet. Angenommen mit 47 zu 35 Stimmen.

Beim ebenfalls umstrittenen Thema NGT-Patente stimmte eine große Koalition ohne die Grünen mit 70 zu 13 für einen zusätzlichen Verordnungsartikel, der erklärt, dass NGT-Pflanzen nicht patentierbar seien. Gleichzeitig soll diese Regelung auch in der Biopatente-Richtlinie der EU verankert werden. Verabschiedet wurden von der Ausschussmehrheit auch zahlreiche Einzelregelungen, die NGT-Pflanzen noch stärker deregulieren, als es die Kommission vorschlägt. Abschließend wurde der Bericht von 47 Abgeordneten beschlossen, bei 31 Gegenstimmen und vier Enthaltungen.

„Das Ergebnis ist eine mittlere Katastrophe für Umwelt und Verbraucherschutz. Wenn bei der Plenarabstimmung in zwei Wochen das Ergebnis genauso aussehen wird, sehe ich schwarz für einen regulierten Umgang mit der Neuen Gentechnik in der Landwirtschaft“, kommentierte der grüne Europaabgeordnete und Biobauer Martin Häusling die Abstimmung. Auch sei die Patentfrage mit dem abgestimmten Text keinesfalls gelöst. „Der Text ist eine bloße Positionierung, die, wenn auch gut, rechtlich nicht bindend ist“. Nun wird, derzeit geplant für Mittwoch, den 7. Februar, das Plenum des Parlaments über diese Vorlage entscheiden.

Das Ergebnis der Abstimmung im Ausschuss habe gezeigt, dass die wichtigsten Bedenken zu diesem umstrittenen Legislativvorschlag unbeantwortet blieben. Die sei die unvermeidliche Folge eines übereilten Gesetzgebungsverfahrens, schrieb der Bio-Dachverband Ifoam Europe Organics und drängte darauf, die Abstimmung im Plenum zu verschieben. „Ein längerer Zeitraum ist wichtig, um entpolitisierte, parteiübergreifende Diskussionen zu fördern, die die Bedenken in Bezug auf Biosicherheit, Patente und die Schaffung eines soliden Rahmens, der die Wahlfreiheit für Erzeuger und Verbraucher unterstützt, angemessen berücksichtigen“, heißt es in der Ifoam-Mitteilung.

Das Votum des Ausschusses sei noch längst keine endgültige Entscheidung, kommentierte der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). Die Europaabgeordneten „sollten sich von diesem Votum nicht beirren lassen und sich zur Abstimmung im Februar ihre eigene Meinung bilden“, sagte VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. Er kritisierte den EVP-Fraktionschef Manfred Weber von der CSU, der ein Gespräch mit der vom VLOG initiierten Unternehmensinitiative für Wahlfreiheit bei Gentechnik im Essen bisher abgelehnt hatte. Es sei enttäuschend, dass „die bayerischen CSU-Europaabgeordneten gegen Kennzeichnung, Risikoprüfung und Koexistenzregeln gestimmt haben – während ihre Partei sich in Bayern wie eh und je als Vorkämpferin der Gentechnikfreiheit inszeniert“, sagte Hissting. Er ist weiterhin optimistisch: „Die Mehrheit im Umweltausschuss war nicht überwältigend. Unter den Mitgliedsstaaten ist der Widerstand gegen die Abschaffung von Gentechnik-Kennzeichnung und Koexistenzmaßnahmen weiter stabil“.

Im Agrarrat stemmt sich eine Sperrminorität der Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, gegen den Kommissionsvorschlag. Der belgischen Ratspräsidentschaft ist es bisher nicht gelungen, diese Länder zu überzeugen. Bei der gestrigen Sitzung der Agrarminister stand das Thema gar nicht erst auf der Tagesordnung. Im Arbeitsprogramm, das der belgische Landwirtschaftsminister David Clarinval gestern seinen Kolleg:innen vorstellte, heißt es zurückhaltend: „Die Präsidentschaft wird die Diskussionen über neue Gentechnologien fortführen“. [lf]

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