25.04.2024 |

EU-Parlament bestätigt Lockerungspläne bei neuer Gentechnik

Europäisches Parlament Europäisches Parlament / Foto: © European Union 2014 - European Parliament

Das Plenum des Europäischen Parlaments (EP) hat am Mittwoch seine Position zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zu neuen Gentechniken (NGT) bekräftigt. Es stimmte für eine weitgehende Deregulierung von NGT-Pflanzen, deren Produkte in den meisten Fällen ohne Risikoprüfung vermarktet werden dürften. Das EP hat damit die erste Lesung des Entwurfs abgeschlossen. Nach der Europawahl im Juni wird der Gesetzgebungsprozess fortgesetzt werden und irgendwann in einen Trilog zwischen EP, Rat der Mitgliedstaaten und EU-Kommission münden.

Mit 336 Pro-, 238 Gegenstimmen und 41 Enthaltungen bestätigten die Europaabgeordneten gestern ihre bereits am 7. Februar als Verhandlungsmandat beschlossene Position. Verglichen mit dem Votum vom Februar (307 Ja, 263 Nein und 41 Enthaltungen) hat die Zustimmung zum damals leicht abgeänderten Regelungsvorschlag der EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd etwas zugenommen. Ein Blick in die Abstimmungslisten zeigt, dass die Zustimmung vor allem bei Konservativen und Liberalen zunahm, während sich mehrere Abgeordnete von Sozialisten und Grünen enthielten, die im Februar den Bericht noch abgelehnt hatten.

Doch was ist dieser Beschluss noch wert, wenn nach der Europawahl im Juni das neue EU-Parlament in veränderter Konstellation seine Arbeit aufnimmt? Anders als einige Akteure annehmen, wird das neue EP an die gestrige Entscheidung des aktuellen nicht gebunden sein. Der Infodienst Gentechnik hat bei der Pressestelle des EP angefragt, ob das neugewählte Parlament den abgestimmten Vorschlag nochmal aufgreifen und abändern kann oder ob es mit dem jetzt abgestimmten Text in mögliche Trilogverhandlungen gehen muss. Die Antwort des EP-Sprechers lautete: „Das neue Parlament ist da ganz frei. Man kann mit dem Text weitermachen oder aber in zweiter Lesung noch Änderungsanträge einbringen.“
Fakt ist allerdings, dass es für eine Entscheidung, die Diskussion neu aufzurollen, eine Mehrheit im Parlament bräuchte. Wie es um eine solche Mehrheit bestellt sein wird, entscheiden im Juni die Wählerinnen und Wähler bei der Europawahl. Den Umfragen zufolge könnte die Wahl zu einem Rechtsruck im Parlament führen. Deshalb gibt es auch Befürchtungen, dass das neue Parlament einige am 7. Februar beschlossene Ergänzungen des Kommissionsvorschlags wieder rückgängig machen könnte. Das gilt insbesondere für die mit nur sehr knapper Mehrheit hinzugefügte Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitspflicht für alle Lebensmittel mit NGT. Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling mahnte deshalb: „Wer auch immer in Zukunft die Verhandlungen weiterführen wird, wird sich an der heute abgestimmten Position orientieren müssen. Hinter die heute eingetüteten Positionen kann und darf dann nicht zurückgefallen werden.“

Die Haltung des neuen Parlaments dürfte sich bereits im Juli zeigen. Dann wird im Umweltausschuss des EP die EU-Lebensmittelbehörde EFSA zur Kritik der französischen Lebensmittelbehörde Anses Stellung nehmen. Diese hatte die von der EFSA erarbeiteten Kriterien, nach denen NGT-Pflanzen von einer Regulierung ausgenommen werden sollen, als unwissenschaftlich bezeichnet. Parallel werden die Landwirtschaftsminister:innen der EU-Staaten weiter daran arbeiten, eine gemeinsame Position zu finden. Sie sollten sicherstellen, dass die Gesetzgebung in der Europäischen Union nicht nur die Interessen der großen Agrarkonzerne begünstigt, kommentierte Friends of the Earth Europe. Da im Juli das gentechnikkritische Ungarn die Ratspräsidentschaft übernimmt und Anfang 2025 das ebenfalls kritische Polen folgt, dürften die Kritiker des Kommissionsentwurfs im Ministerrat eher Aufwind bekommen.
Ebenfalls unverändert bleibt die Kritik von Bio- und Umweltverbänden an der geplanten Deregulierung für NGT-Pflanzen. „Die möglichen Auswirkungen dieser Verfahren auf Lebensmittel und Ökosysteme sind nach aktuellem Forschungsstand nicht absehbar“, sagte Florian Schöne, Geschäftsführer des Dachverbandes Deutscher Naturschutzring. Deshalb sollten auch für NGT-Pflanzen die bestehenden Regelungen aufrechterhalten werden. „Eine verbindliche Risikoprüfung, Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und damit Wahlfreiheit für Verbraucher:innen und Landwirt:innen müssen sichergestellt werden“, sagte Schöne. [lf]

23.04.2024 |

Gentechnik oder nicht? Rätsel um lila Tomate

Tomaten Lila Pressefoto Lila Gentechnik-Tomaten (Foto: John Innes Centre)

Prominent platzierte der US-amerikanische Saatguthändler Baker Creek die purpurfleischige Tomate auf der Titelseite seines Katalogs für 2024: Sie sei die erste gentechnikfreie, durchgehend lila gefärbte Tomate der Welt. Die Konkurrenz protestierte prompt: Das kalifornische Unternehmen Norfolk Healthy Produce warnte, sein Patent auf eine lila Gentechnik-Tomate könnte verletzt sein. Nach erneuten Tests verkaufte Baker Creek sein Tomatensaatgut nicht. Doch vieles an dem Fall bleibt rätselhaft.

Die Baker Creek Heirloom Seed Company ist ein alteingesessenes US-Unternehmen, das sich auf samenfeste, alte und damit gentechnikfreie Gemüsesorten spezialisiert hat. Schon Ende der 1990er Jahre hatte es sich einer Unternehmensinitiative angeschlossen, den Gemüseanbau in den USA gentechnikfrei zu halten. Auch aktuell spricht Baker Creek sich auf seiner Webseite für das Recht der Landwirte am eigenen Saatgut und gegen patentierte, hybridisierte oder gentechnisch veränderte Varianten aus. Die lila Tomate „Purple Galaxy“, die Bakers PR-Coup für 2024 werden sollte, sei in Europa konventionell gezüchtet worden, wo die Hürden für den Einsatz von Gentechnik hoch seien. Der Züchter sammle seit Jahrzehnten seltenes Tomatensaatgut und vermehre jährlich mehr als 1.000 Tomatensorten, schreibt Baker Creek. Sie hätten dessen Versuche, eine violette Fleischtomate zu züchten, über drei Jahre hinweg aktiv verfolgt. Den Namen des Züchters nennen sie nicht. Recherchen des Infodienst Gentechnik auf einschlägigen europäischen Webseiten führten zu keiner Tomate mit einem derart lila Fruchtfleisch.

Auf Nachfragen verunsicherter Kunden, denen die Ähnlichkeit mit der Gentechnik-Tomate von Norfolk aufgefallen war, teilte Baker Creek mit, ein renommiertes europäisches Labor habe die Samen auf zwei Markergene getestet und als gentechnikfrei befunden. Auch dieses Labor wird öffentlich nicht konkret benannt. Norfolk hat das offenbar nicht überzeugt. Nachdem der Katalog erschienen war, hatte das Unternehmen den Händler kontaktiert, die Sorge geäußert, dass die "Purple Galaxy" von ihrer patentierten gentechnisch veränderten (gv) Tomate abstammen könnte und weitere Gentests vorgeschlagen. Was bei den von Baker Creek beauftragten Tests herauskam, stellen die beiden Unternehmen unterschiedlich dar: Laut Baker hätten sie „keine schlüssige Verbindung“ zwischen der "Purple Galaxy" und der gv-Tomate von Norfolk ergeben. Die Tests hätten aber auch nicht schlüssig bewiesen, dass die "Purple Galaxy" wirklich frei von gentechnisch verändertem Material sei. Deshalb habe man sich entschieden, das Saatgut nicht anzubieten und dessen Produktion einzustellen.

Norfolk Healthy Produce dagegen schreibt auf seiner Webseite: „Uns wurde mitgeteilt, dass bei Labortests festgestellt wurde, dass es sich tatsächlich um eine gentechnisch veränderte Sorte (GVO) handelt.“ Dies unterstreiche die Tatsache, dass die einzige bekannte Möglichkeit, eine violettfleischige Tomate zu züchten, die patentierte Technologie von Norfolk sei. Das wiederum ist die PR-Botschaft des Unternehmens Norfolk. Es wurde von Cathie Martin, die die lila Gentechnik-Tomate im britischen John Innes Centre entwickelt hatte, speziell zu dem Zweck mitgegründet, diese zu vermarkten (der Infodienst Gentechnik berichtete). Da weder Baker Creek noch Norfolk Testergebnisse veröffentlichten, ist es für Außenstehende nicht möglich festzustellen, ob "Purple Galaxy" tatsächlich eine gv-Tomate, eine kontaminierte oder doch eine gentechnikfreie Züchtung ist. Warum Baker Creek nicht einmal den ersten Test publiziert, der dem Händler eine gentechnikfreie Tomate bescheinigt haben soll, bleibt unklar.

Sollten also tatsächlich Spuren von Gentechnik in „Purple Galaxy“ gefunden worden sein, wäre die nächste Frage: Wie sind sie dort hineingekommen? Und wer wusste davon? Baker Creek äußerte in einem Facebook-Thread des US-Gentechniklobbyverbandes AgBioWorld die Vermutung, dass es sich „um eine unbeabsichtigte Kontamination“ beim europäischen Züchter gehandelt haben könnte. Damit demonstrieren sie ihr Vertrauen in den Züchter und schützen ihren eigenen Ruf als Spezialisten für alte, gentechnikfreie Sorten. Sollte es der Wahrheit entsprechen, zeigt es erneut, wie schnell Anbieter gentechnikfreier Produkte durch Gentechnik-Patente in Schwierigkeiten kommen können.

Die Intransparenz der beiden Unternehmen sei bedauerlich und widerspreche den Interessen der Züchter, der GVO-Entwickler und der Öffentlichkeit gleichermaßen, kommentierte das gentechnikkritische Portal GMWatch. Sollte es sich bei „Purple Galaxy“ um eine europäische Tomate mit Erbgut der Norfolk-Tomate handeln, hätte das Unternehmen gegen europäische Biosicherheitsregeln verstoßen, argumentiert GMWatch. Denn Norfolk habe die Tomate in Europa nur unter Sicherheitsbedingungen im John Innes Centre in Großbritannien anbauen dürfen. Ansonsten sieht GMWatch zwei Möglichkeiten. Entweder habe Baker Creek sich das gv-Saatgut besorgt und als eigenes Produkt ausgegeben. Oder aber die Anschuldigung von Norfolk sei falsch, aber wirkungsvoll gewesen. „Nimmt man die Behauptung von Norfolk für bare Münze, so bedeutet dies, dass niemand mehr seine eigene lilafleischige Tomate züchten kann, ohne befürchten zu müssen, dass das Unternehmen ihn wegen Patentverletzung verklagen wird“, warnt GMWatch.

Das könnte sich möglicherweise bald an neuen Streitfällen zeigen. Denn die jüngste Initiative von Norfolk, ihr Saatgut für gv-Tomaten an Hobbygärtner in den USA zu verkaufen, fand großen Zuspruch. Wie das John Innes Centre mitteilte, waren allein in der ersten Woche der Aktion im Februar rund 10.000 Packungen des Tomatensaatguts mit je zehn Samen zum Preis von 20 US-Dollar verkauft worden. Dem Vernehmen nach sind die gv-Samen inzwischen ausverkauft. Der Großteil davon wird vermutlich in Tausenden amerikanischen Kleingärten eingepflanzt - nicht weit entfernt von konventionellen Tomaten, die sich naturgemäß mit den neuen Nachbarn kreuzen werden. Als „Streubombe“ bezeichnete das US-amerikanische Non-gmo-project daher auch diese Initiative, die das genetische Material der Norfolk-Tomate über die ganzen Vereinigten Staaten hinweg verbreiten wird – mit unabsehbaren Folgen. [lf/vef]

16.04.2024 |

Erster Feldversuch mit Crispr-Reis in Italien

Reis Foto: bxd / stock.xchng

Das italienische Umweltministerium hat einen Freilandversuch mit einem gentechnisch veränderten Risotto-Reis erlaubt. Er soll resistent gegen die Pilzkrankheit Reisbrand sein. Auch Crispr-Bäume, Mais und Kartoffeln werden in der Europäischen Union dieses Jahr versuchsweise unter freiem Himmel angebaut.

Entwickelt hat die gentechnisch veränderte (gv) Reislinie namens Telemaco RIS8imo ein Team um Professorin Vittoria Brambilla von der Universität Mailand. Die Forschenden haben dazu mithilfe von Crispr/Cas9 drei nahe zusammenliegende Gene abgeschaltet, von denen angenommen wird, dass sie die Anfälligkeit von Reispflanzen gegenüber dem Reisbrandpilz Pyricularia oryzae erhöhen. Im Gewächshaus zeigte sich der Crispr-Reis weitgehend resistent gegen die Krankheit. Nun sollen 200 Setzlinge des Crispr-Reises auf einem Hof mitten im Reisanbaugebiet der Lombardei ausgepflanzt werden, auf 28 Quadratmetern inmitten eines 400 Quadratmeter großen Reisfeldes, das als Puffer Auskreuzungen vermeiden soll. Möglich wurde dieser erste Feldversuch seit 20 Jahren, nachdem das Parlament im vergangenen Jahr das Gentechnikgesetz geändert und Anbauversuche mit Pflanzen erlaubt hatte, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) verändert wurden.

Das Institut Testbiotech kritisierte, dass der Versuch mitten in einem kommerziellen Reisanbaugebiet stattfindet. Trotz Sicherheitsvorkehrungen könnten die neuen Genkombinationen in ausgewilderten Reis gelangen. „In Populationen von unkrautartigem Reis könnten die neuen Genkombinationen überdauern und andere, überraschende Wirkungen zeigen als in den Kulturpflanzen, zudem könnten die Gene so auch auf umliegende Felder gelangen“, schreibt Testbiotech. Das Institut weist darauf hin, dass die abgeschalteten Gene vielfältige Funktionen in der Pflanze hätten. So sei ein Gen deaktiviert worden, das die Resistenz gegen andere Pflanzenkrankheiten verstärken könne. „Unklar ist ebenfalls, ob sich die Wechselwirkungen zwischen den NGT-Pflanzen und mit ihnen assoziierten Bodenorganismen verändern“, schrieb Testbiotech. Das Institut wies darauf hin, dass die neue Genkombination mit herkömmlicher Züchtung „kaum erreichbar“ sei.

Tatsächlich geht herkömmliche Züchtung andere Wege. Sie kreuzt Reissorten ein, die von Natur aus gegen Reisbrand resistent sind. So hat das internationale Reisforschungsinstitut IRRI schon zahlreiche reisbrandresistente Sorten entwickelt. Veröffentlichungen des italienischen Agrarforschungszentrums CREA zeigen, dass es auch unter den in Italien üblichen konventionellen Sorten mehrere gibt, die Reisbrand überleben können.

Aus Sicht von Stefan Mori von der italienischen Umweltorganisation Centro Internazionale Crocevia ist die gentechnische Reisbrandresistenz nur ein Vehikel: „Die Feldversuche werden durchgeführt, um eine patentierte Kulturpflanze zu produzieren, weil diese Technologie einem industriellen Agrarmodell dient, das Patente zum Erkennungsmerkmal macht“, sagte er der Zeitung L'Indipendente. Zusammen mit zahlreichen anderen Organisationen ruft Centro Internazionale Crocevia von 20. bis 28. April zu einer nationalen Aktionswoche gegen NGT auf.

Der Crispr-Risottoreis ist nicht die einzige NGT-Pflanze, die in diesem Jahr erstmals auf europäischen Feldern versuchsweise angebaut wird. Im EU-Register finden sich noch zwei belgische Versuche: einer mit Pappeln, die einen veränderten Ligningehalt aufweisen, und einer mit Mais, der besser verdaulich sein soll. In Dänemark testet die Genossenschaft der Kartoffelbauern eine laut Labor gegen Krautfäule resistente gv-Knolle im Freien und die schwedische Landwirtschaftsuniversität will diverse Crispr-Espen ausbringen. In Großbritannien sollen laut einem Artikel in der Times auf bis zu 25 Farmen eine Gerste mit verändertem Fettgehalt und zwei Weizensorten getestet werden - eine mit weniger Asparagin und eine mit etwas größeren Körnern. [lf]

13.04.2024 |

EU-Kommission weist französische Kritik am Gentechnik-Entwurf zurück

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

UPDATE +++ Die Europäische Kommission hat die Kritik der französischen Umwelt- und Lebensmittelbehörde Anses an ihrem Regelungsentwurf für Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT) diese Woche im Europaparlament zurückgewiesen. Zuvor hatte ein Anses-Vertreter die Vorwürfe aus einem Behördenbericht vom März im Umweltausschuss mündlich erneuert. Die amtierende belgische Ratspräsidentschaft räumte unterdessen ein, dass das umstrittene Gesetzgebungsvorhaben vor der Europawahl im Juni nicht mehr umgesetzt werden kann.

Klaus Berend von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der EU-Kommission lobte im Ausschuss zunächst die EU-Lebensmittelbehörde EFSA, die die EU-Kommission bei dem NGT-Entwurf umfangreich wissenschaftlich beraten habe. Dabei habe sie sich auch mit nationalen Behörden wie der Anses regelmäßig ausgetauscht. Die Kritik von Anses an den Kriterien zur Gleichwertigkeit von Pflanzen aus neuer Gentechnik mit solchen aus herkömmlicher Züchtung wies er zurück: Man habe Sicherheitsbetrachtungen angestellt und sei zu dem wissenschaftlich untermauerten Ergebnis gekommen, dass eine Risikobewertung nicht notwendig sei. Berend wandte sich deutlich gegen die von Anses und dem EU-Parlament verlangte Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit aller NGT-Pflanzen. Schließlich verwies er auf ein Schreiben von 37 Nobelpreisträger:innen und 1500 Wissenschaftler:innen vom Januar, in dem diese das Europäische Parlament aufgefordert hatten, „die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen, die NGTs unterstützen“ und „die Dunkelheit der wissenschaftsfeindlichen Panikmache zurückzuweisen“.

Zuvor hatte der Abteilungsleiter für wissenschaftliche Beratung der Anses vor den EU-Abgeordneten die Kritik aus dem schriftlichen Bericht der Behörde erneuert, der Kommissionsentwurf regele die Gleichwertigkeit von NGT-Pflanzen mit solchen aus konventioneller Züchtung nicht nach wissenschaftlichen Kriterien (der Infodienst berichtete). Eine Kategorisierung nach der Anzahl der Genveränderungen, wie sie die EU-Kommission in ihrem Entwurf plane, ersetze keine Risikobetrachtung, mahnte Matthieu Schuler. Anstelle der pauschalen Deregulierung für NGT-Pflanzen mit wenigen Genveränderungen plädierte er für einen risikoorientierten Ansatz, begleitet durch ein langfristiges Monitoring einmal freigesetzter NGT-Pflanzen. Doch diese Vorschläge wurden im Umweltausschuss nicht ernsthaft diskutiert.

Jessica Polfjärd, die NGT-Berichterstatterin der Europäischen Volkspartei, verteidigte den Kommissionsvorschlag als wissenschaftlich gut begründet und verwies auf die positiven Stellungnahmen nicht nur der EU-Lebensmittelbehörde EFSA, sondern auch der niederländischen und belgischen Behörden sowie der deutschen ZKBS (Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit). Ihr Kollege Alexandr Vondra von der konservativen EKR bezeichnete das Anses-Gutachten als Minderheitsposition und warf der Behörde ebenso wie sein liberaler Kollege Jan Huitema vor, die Risiken konventioneller Züchtung mit zufälliger Mutagenese durch Strahlung oder Chemikalien nicht behandelt zu haben. Die Abgeordneten von Sozialisten, Grünen und Linken (Christophe Clergeau, Martin Häusling und Anja Hazekamp) werteten das Anses-Gutachten als Bestätigung ihrer Kritik an dem NGT-Vorschlag. Damit sei die vorzeitig beendete Debatte wiedereröffnet, sagte Clergeau.

Genau das ist aber offenbar die Sorge der Befürworter:innen des Kommissionsentwurfs: dass die Diskussion über Privilegien für NGT-Pflanzen in der nächsten Legislaturperiode wieder ganz von vorn beginnen könnte. Um das zu verhindern und die erste Lesung des Entwurfs im Europäischen Parlament (EP) abzuschließen, wurde für dessen letzte Sitzung am 24. April noch eine Abstimmung dazu im Plenum angesetzt. Grundlage ist die am 7. Februar mit Änderungen verabschiedete Vorlage von Berichterstatterin Jessica Polfjärd (der Infodienst berichtete). Zu den damals angestrebten Trilogverhandlungen mit den anderen EU-Gremien wird es in dieser Legislatur nun nicht mehr kommen. Nach der Europawahl kann das neue EP nach Auskunft eines Sprechers dann selbst frei entscheiden, ob es in der zweiten Lesung des Entwurfs noch Änderungsanträge einbringen oder mit der bereits verabschiedeten Entwurfsfassung in die Trilogverhandlungen mit Rat und EU-Kommission gehen will.
Nicht nur der deutsche Agrarminister, auch gentechnikkritische Organisationen weisen gebetsmühlenartig darauf hin, dass wesentliche Fachfragen zu NGT wie deren künftige Patentierung weiterhin ungeklärt sind. Der europäische Kleinbauernverband Via Campesina hob außerdem hervor, dass die EU-Kommission gerade erst ein Forschungsprojekt zum Nachweis von NGT-Pflanzen gestartet hat, das bis Ende 2027 laufen soll. Wenn das EU-Parlament seinen Standpunkt zum jetzigen Zeitpunkt bestätige, stelle es seine Integrität ernsthaft in Frage, warnte Via Campesina.

Auch das EP selbst hat bereits einen Arbeitsauftrag erteilt, dessen Ergebnis erst im Juli vorliegen wird: Die EFSA wird zur Kritik von Anses an den Kriterien für die NGT-Kategorien im Kommissionsentwurf Stellung nehmen. Eine kurze Zuschaltung von Ana Alfonso, der Gentechnik-Koordinatorin der EFSA, diese Woche im Umweltausschuss lässt allerdings vermuten, dass auch die EFSA ihr Konzept kaum hinterfragen wird. Die einschlägigen EFSA-Stellungnahmen von 2020 und 2022 blieben die wissenschaftliche Grundlage der Arbeit, sagte Alfonso. Als sie erstellt wurden, seien die Ergebnisse der öffentlichen Konsultationen mit berücksichtigt worden.

Auch deutsche Wissenschaftsgesellschaften wollen trotz der wissenschaftlichen Kritik der Anses an ihrer These festhalten, von NGT-Pflanzen gingen keine größeren Risiken aus als von konventionell gezüchteten. Der Informationsdienst Gentechnik hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, gefragt, ob es angesichts mehrerer Veröffentlichungen von Wissenschaftsorganisationen und Behörden (Bundesamt für Naturschutz, Gesellschaft für Ökologie, Ensser, Anses) noch korrekt sei, in Bezug auf die Risikobewertung von NGT-Pflanzen von einem Konsens der Wissenschaft zu sprechen. Die DFG antwortete, man könne „weiterhin von einem klaren wissenschaftlichen Konsens hinsichtlich der biologischen Risikoeinschätzung von NGT-1-Pflanzen ausgehen“. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe der DFG-Leopoldina hätten die genannten Papiere diskutiert und bisher keinen Anlass gesehen, ihre Stellungnahmen von 2019 und vom Oktober 2023 zu aktualisieren. Die Leopoldina beschränkt den Konsens auf diejenigen Wissenschaftler:innen, die mit NGT-Pflanzen arbeiten: „Sollten grundlegende neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Überarbeitung der Stellungnahme oder die Publikation einer neuen Stellungnahme erforderlich machen“, würde dies aus eigener Initiative der zuständigen Kommissionen erfolgen. Man könne „weiterhin von einem klaren Konsens der Wissenschaften mit direktem Bezug zur Molekularbiologie hinsichtlich der Risikoeinschätzung von NGT-1-Pflanzen ausgehen“. [lf/vef]

Update: Details zum weiteren Prozedere im EP ergänzt.

07.04.2024 |

USA: Gentech-Kastanie floppt im Feldversuch

American Chestnut   Foto: DM, https://bit.ly/3Gbe991, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/ American Chestnut Foto: DM, https://bit.ly/3Gbe991, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Seit über zwanzig Jahren soll die Agro-Gentechnik die vom Aussterben bedrohte Amerikanische Esskastanie retten. Doch in Anbauversuchen waren die Gentech-Kastanien nicht so pilzresistent und gesund wie erwartet. Die Ursachenforschung zeigte exemplarisch, was bei gentechnischen Eingriffen alles schiefgehen kann.

Im Dezember 2023 teilte die Stiftung zur Rettung der Amerikanischen Kastanie (The American Chestnut Foundation, TACF) mit, dass sie die Entwicklung der gentechnisch veränderten (gv) Amerikanischen Kastanie Darling 58 einstellen werde. Aufgrund erheblicher Leistungseinschränkungen sei sie nicht geeignet, die amerikanischen Kastanienwälder wiederherzustellen. Das anhängige Zulassungsverfahren für das Auspflanzen von Darling 58 in die freie Natur würde von ihr nicht mehr unterstützt, teilte TACF mit. Der Grund für die überraschende Mitteilung: Im Laufe des Jahres 2023 häuften sich „enttäuschende Leistungsergebnisse aus breit angelegten Feld- und Gewächshaustests von Darling-Bäumen der neuesten Generation an verschiedenen geografischen Standorten in externen Testeinrichtungen“, schrieb die Stiftung.

Damit endet vorerst das Versprechen, mit gentechnischer Hilfe die amerikanische Esskastanie zu retten. Dieser für Nordamerika typische Baum wurde von einem Anfang des 20. Jahrhunderts aus Japan eingeschleppten Pilz befallen, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte die riesigen Bestände zerstörte. Forscher der Universität von New York (SUNY) begannen Anfang der 1990er Jahre mit der Suche nach einer gentechnischen Lösung. Sie fügten ein Weizengen namens OxO in das Erbgut der Kastanie ein. Dieses Gen sorgt dafür, dass die Pflanze ein Enzym bildet, das Oxalsäure neutralisiert. Der Pilz produziert diese Säure in großen Mengen und löst damit den für die Bäume tödlichen Rindenkrebs aus. 2006 wurden die ersten Bäume ausgesetzt. Dabei erwies sich eine Linie, Darling 58 genannt, als besonders aussichtsreich.

In den nun ausgewerteten Anbauversuchen wurden Kreuzungen von Darling 58-Bäumen mit herkömmlichen Amerikanischen Kastanien getestet. Die Anbauversuche simulierten also in gewisser Weise, was passieren würde, wenn sich ausgesetzte gv-Kastanien mit den letzten verbliebenen wilden Amerikanischen Kastanien vermischen. Da sich das OxO-Gen bei der Kreuzung nicht an alle Nachkommen vererbt, gab es in den Tests neben Bäumchen mit OxO-Gen auch Kontrollgruppen ohne das Gen. Diese Bäumchen wuchsen im Schnitt schneller und waren, jenseits der Pilzanfälligkeit, auch vitaler. So lebten in einem Versuch nach fünf Jahren noch 19 der 24 Bäumchen ohne OxO-Gen. Von den 24 Bäumen mit OxO-Gen waren nur noch fünf am Leben. Zudem zeigten sich bei den getesteten Bäumen mit OxO-Gen auffällige Schwankungen in der Resistenz gegenüber dem Schlauchpilz. Längst nicht alle waren so resistent wie gedacht.

Für das gentechnikkritische Canadian Biotechnology Action Network (CBAN) kam das nicht überraschend. Ein einzelnes Gen könne mehr als ein Merkmal eines Organismus beeinflussen, schrieb CBAN: „In diesem Fall scheint die Einfügung des OxO-Gens das Wachstum des Baumes aus noch unbekannten Gründen zu behindern.“ Womöglich spielt es dabei auch eine Rolle, an welcher Stelle im Erbgut das neu eingefügte Gen genau sitzt. Denn die Ursachenforschung, die nach den miserablen Testergebnissen begann, brachte Folgendes ans Licht: Die SUNY-Wissenschaftler:innen, die an diversen gv-Kastanienlinien arbeiten, hatten vor Jahren ihr gv-Saatgut falsch deklariert und dadurch zwei Linien, Darling 54 und Darling 58, vermischt. Bei Darling 54 sitzt das OxO-Gen in einem anderen Bereich. Womöglich konnte es dort nicht so gut abgelesen werden. Das würde die verminderte Pilzresistenz erklären. Oder es sitzt in direkter Nähe von Genen, die zu Wachstum und Robustheit des Baums beitragen und behindert deren Expression. So erklärt zumindest der Gentechniker Wolfgang Nellen auf BioWissKomm die möglichen Auswirkungen.

Aus Sicht der TAFC hat die Vermischung der SUNY-Wissenschaftler:innen die Arbeit der letzten Jahre zunichte gemacht. Doch der Bruch geht tiefer: „Es geht nicht darum, dass der Fehler gemacht wurde, es geht darum, dass man uns nicht darüber informiert hat“, zitierte die Washington Post eine Mitarbeiterin von TACF. Die Stiftung hatte von anderen Forschungspartnern von der Vermischung erfahren. Eine Entschuldigung dafür findet sich auf der Projektseite der SUNY nicht, dafür aber die Mitteilung, dass man den laufenden von der SUNY gestellten Zulassungsantrag für Darling 58 nicht zurückziehen werde. Stattdessen würden Unterlagen zur Sicherheit von Darling 54 nachgereicht. Das für die Zulassung zuständige Landwirtschaftsministerium (USDA) wolle mit der weiteren Bearbeitung solange warten, teilte die gentechnikkritische Organisation Global Justice Ecology Project mit. Deren Geschäftsführerin Anne Petermann forderte das USDA auf, den Zulassungsantrag zurückzuweisen. Dass SUNY die Deregulierung der fehlerhaften gv-Kastanie weiter verfolge, sei eine Missachtung der Wissenschaft und zeige, wie notwendig es sei, das gesamte Kastanienprojekt unabhängig zu untersuchen. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Forscher der SUNY wussten, wann sie es wussten und warum sie die Forschungsgemeinschaft und die Aufsichtsbehörden nicht über diesen kritischen Fehler in ihrer Forschung informierten“, sagte Petermann. Denn dieser Fehler hätte tragische Auswirkungen haben können, wenn die gv-Kastanie zugelassen worden wäre. [lf]

28.03.2024 |

Ohne Gentechnik-Umsätze erreichen neuen Höchstwert

Verbraucherausgaben für Lebensmittel mit "Ohne-GenTechnik"-Siegel, Grafik: VLOG Verbraucherausgaben für Lebensmittel mit "Ohne-GenTechnik"-Siegel, Grafik: VLOG

Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) meldete für das Jahr 2023 einen um 8,8 Prozent auf 17,4 Milliarden Euro gestiegenen Umsatz mit gelabelten ,Ohne GenTechnik‘-Produkten. Auch sei die Versorgung mit gentechnikfreiem Futter gesichert. Der Verband plädierte für eine klare Kennzeichnung auch für Produkte von neuen gentechnischen Verfahren. Dies hatten die derzeitigen Europaabgeordneten von CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Den größten Teil der 17,4 Milliarden Euro gaben Verbraucher:innen für gelabelte Milch und Milchprodukte aus. Auf sie entfielen 11,9 Milliarden Euro (68 Prozent), während Geflügelfleischprodukte auf 3,4 Milliarden Euro (20 Prozent) und Eier auf 1,5 Milliarden Euro (neun Prozent) kamen. Alle weiteren ,Ohne GenTechnik‘-Lebensmittel erzielten einen Umsatz von 0,5 Milliarden Euro (3 Prozent). Die Zahlen beruhen auf Auskünften der Lizenznehmer des ,Ohne GenTechnik‘-Siegels zuzüglich pauschaler Handelsspanne und Mehrwertsteuer.

Das ,Ohne GenTechnik‘-Siegel kennzeichnet vor allem tierische Lebensmittel und stellt sicher, dass bei diesen Tieren keine gentechnisch veränderten Pflanzen im Futtertrog landen. Die dafür notwendigen Mengen an gentechnikfreien Futtermitteln seien kein Problem. Dank guter Ernten im Vorjahr könne die 2024 erwartete Nachfrage nach gentechnikfreiem Mais, Soja und Raps problemlos gedeckt werden, heißt es in einem Marktbericht des europäischen Verbandes für Lebensmittel ohne Gentechnik, ENGA. Demnach gab es 2023 eine Rekordernte von drei Millionen Tonnen gentechnikfreien europäischen Sojabohnen. Hinzu kämen noch 2,3 Millionen Tonnen zertifizierter gentechnikfreier Soja aus Brasilien. Auch bei Mais werde aufgrund der guten europäischen Ernte kein Angebotsmangel erwartet. Der EU-Markt sei aktuell auch gut mit gentechnikfreiem Raps versorgt. Laut Marktbericht lasse sich das auf die Rekordernte in der Ukraine im vergangenen Jahr zurückführen.

„Von Null auf über 17 Milliarden in 15 Jahren: ,Ohne GenTechnik‘ ist eine echte Erfolgsgeschichte!“, kommentierte VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting die Zahlen. Er schlug bei deren Präsentation den Bogen zu den Plänen der EU-Kommission, Transparenz und Wahlfreiheit bei Lebensmitteln aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) einzuschränken. „Mit ‚Ohne GenTechnik‘ und dem ebenfalls gentechnikfreien Bio-Sektor wären alleine in Deutschland rund 32,5 Milliarden Euro Umsatz durch eine Aufweichung der Gentechnik-Regeln akut bedroht“, sagte Hissting. Zur anstehenden Europawahl müssten alle Parteien und Kandidat:innen dazu Farbe bekennen. Besonders im Blick hat Hissting dabei die CSU. Denn deren damalige Agrarministerin Ilsi Aigner hatte vor 15 Jahren das ,Ohne GenTechnik‘-Siegel aus der Taufe gehoben. Es sei eine spannende Frage, wie sich die CSU 2024 positionieren werde, sagte Hissting.

Für die zu Ende gehende Legislaturperiode lässt sich die Frage beantworten. Als am 7. Februar das Europaparlament seine Position zum NGT-Verordnungsvorschlag der EU-Kommission festlegte, stimmten 317 Abgeordnete für eine durchgehende Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit für NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Produkte. 302 Abgeordnete waren dagegen, darunter fünf der CSU. Ein sechster Abgeordneter stimmte nicht mit ab. Von den 23 CDU-Abgeordneten stimmten 20 dagegen und drei fehlten. Ebenfalls gegen eine Kennzeichnung waren alle fünf FDP-Europaabgeordneten. Die anwesenden Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken stimmten für eine Kennzeichnung, zwei grüne Abgeordnete fehlten. [lf]

25.03.2024 |

So schnell welkt Crispr-Salat

Brassica juncea Foto: By Judgefloro - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38177154 Brassica juncea Foto: By Judgefloro - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38177154

Im letzten Jahr hatte die US-Firma Pairwise mit viel Tamtam ihren gentechnisch entbitterten Salat aus Senfblättern auf den Markt gebracht. Jetzt will sie diesen Teil ihres Geschäfts wieder loswerden und sich auf lukrativere neue Entwicklungen konzentrieren. Pairwise ist nicht das erste Unternehmen, das feststellen musste, dass sich Crispr-Lebensmittel womöglich schnell entwickeln aber nicht so einfach verkaufen lassen.

Das Unternehmen habe erkannt, dass es nicht über die Ressourcen verfüge, um die Salat-Packungen effektiv zu vermarkten und weiterhin gentechnisch veränderte Produkte zu entwickeln, sagte Pairwise-Geschäftsführer Tom Adams dem Portal FoodNavigator USA: „Jeder Dollar, den wir für Marketing ausgeben, ist ein Dollar, den wir nicht ausgeben können, um das nächste interessante Produkt zu entwickeln“. Deshalb habe man beschlossen, die Vermarktung der Salate nicht zu forcieren, sondern nach einem Partner zu suchen, der in der Salatbranche besser etabliert sei, sagte Adams gegenüber FoodNavigator. In der eigenen Mitteilung spricht Pairwise von einer „Lizenzierung der neu entwickelten Blattgrünsorten an Industriepartner, die über die bestehende Infrastruktur für den Anbau und Vertrieb des Saatguts und der Salatprodukte verfügen.“

Pairwise ist ein Startup, zu dessen Mitgründern Feng Zhang und David Liu gehören, die am Broad Institute im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts das Crispr/Cas-Verfahren mit entwickelt haben. Mit einem eigenen Verfahren, Crispr/Cas 12a, gelang es Pairwise, im braunen Senf (Brassica juncea) die Gene abzuschalten, die für die Bildung der scharfen Senföle verantwortlich sind. Dadurch würden die nährstoffreicheren Senfblätter so mild schmecken wie grüner Salat, versprach das Unternehmen. Es ernannte drei neue Vizepräsident:innen eigens für die Vermarktung und verkaufte das frisch geschnittene und abgepackte Blattgrün unter dem Markenname Conscious Greens seit Mai 2023 an Restaurants und seit August 2023 zusammen mit einem Frischegroßhändler auch an Supermärkte in 20 US-Staaten. Laut Pairwise sei das erste Crispr-Lebensmittel der USA bei den Verbraucher:innen gut angekommen. Gegenüber FoodNavigator sprach Adams von „sehr, sehr positiven Rückmeldungen“ der Verbraucher:innen. Die Markteinführung habe gezeigt, „dass wir mit Crispr ein wohlschmeckendes Produkt entwickeln und vermarkten können, das die Menschen kaufen wollen - das ist ein großer Erfolg“, sagte er in der unternehmenseigenen Mitteilung. Wie gut sich der Crispr-Salat tatsächlich verkaufte ist nicht bekannt. Die öffentliche Suche nach einem Lizenzpartner, der statt Pairwise ins Risiko geht, läßt darauf schließen, dass sich der bisherige Erfolg in Grenzen hielt. Das Problem dürfte sich in ähnlicher Form bald auch für die nächsten Produkte in der Pairwise-Pipeline wie samenlose Brombeeren und Himbeeren stellen.

Pairwise ist nicht das einzige Gentech-Startup, das Schwierigkeiten hat, seine gentechnisch veränderten Lebensmittel zu vermarkten. Das US-Unternehmen Calyxt hatte mit der Genschere Talen eine Sojabohne mit verändertem Fettsäureprofil entwickelt. Es war 2019 das erste Saatgut aus Neuer Gentechnik auf dem US-Markt. Weil die Erträge zu gering waren, verloren die Landwirte schnell das Interesse an der Calyxt-Bohne und das Unternehmen trennte sich von dem Geschäftszweig. Inzwischen musste es wegen finanzieller Probleme mit dem Mitbewerber Cibus fusionieren. Mehrere andere Crispr-Pflanzen wie der nicht-bräunende Romana-Salat von Green Venus stehen seit Jahren kurz vor der Markteinführung, schaffen es aber dann doch nicht in die Regale des US-Einzelhandels. Spitzenreiter ist der von der Universität des US-Staates Pennsylvania entwickelte nicht-bräunende Champignon. Seine Entwickler:innen erhielten bereits 2016 vom US-Landwirtschaftsministerium die Mitteilung, dass ihr Produkt keine Gentechnikzulassung brauche. Zu kaufen gibt es die Pilze dennoch bis heute nicht. [lf]

19.03.2024 |

Seit 20 Jahren soll Gentechnik die Banane retten

Banane Foto: mrsmarshah / freeimages

Die australische Lebensmittelbehörde hat eine mit klassischer Gentechnik veränderte Banane als Lebensmittel zugelassen. Sie ist gegen den Pilz TR4 resistent, der weltweit die Bananenproduktion bedroht. Doch vermarktet werden soll die Gentech-Banane nicht. Statt dessen wird weiter geforscht – nun mit neuer Gentechnik. Doch es gibt auch gentechnikfreie Züchtungserfolge.

Vor 20 Jahren erhielt die Technische Universität von Queensland (QUT) in Australien die erste Förderung für ihre Arbeit an Gentech-Bananen. Das Team um James Dale setzte in die gängige Cavendish-Banane ein Resistenzgen aus einer Wildbanane ein, führte jahrelang Feldversuche durch, ließ sich die Pflanze in den USA patentieren und beantragte schließlich im vergangenen Jahr eine Zulassung als Lebensmittel, die nun erteilt wurde. Die Universität feierte die Zulassung als „Meilenstein“ und teilte gleichzeitig ohne weitere Begründung mit: „Derzeit gibt es keine Pläne, QCAV-4-Bananen in Australien anzubauen oder an Verbraucher zu verkaufen“. Es wird also noch dauern mit der Rettung der Bananen. Statt dessen heißt es auf einer Projektwebseite der Universität: „Wir sind jetzt in Phase 2 unseres TR4-Resistenzprogramms für Cavendish-Sorten eingetreten. In Zusammenarbeit mit Fresh Del Monte und Hort Innovation setzen wir Gen-Editing (CRISPR-Cas9) ein, um Cavendish mit Resistenz gegen TR4 zu erzeugen, und wir erwarten, dass die ersten dieser Linien ab 2023 in Feldversuchen eingesetzt werden“. Ein solcher Feldversuch ist allerdings in Australien bisher nicht registriert.

Damit begeben sich die QUT-Forschenden in ein Rennen mit anderen Gentechnik-Unternehmen, die ebenfalls mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) an TR4-resistenten Bananen arbeiten. Denn es winkt ein Milliarden-Geschäft. Fast alle für den Export angebauten Bananen gehören zur Sorte Cavendish, werden über Setzlinge vermehrt, sind also genetisch identisch und besonders anfällig gegen den Pilz TR4. Nachdem der Pilz Plantagen in Asien und Afrika befallen hatte, ist er seit einigen Jahren auch in Südamerika aktiv, wo die meisten Exportbananen für die USA und die EU wachsen. Die Angst vor einem Zusammenbruch dieser Plantagen ist groß, da sich TR4 nicht durch Pestizide bekämpfen lässt. Wer hier als erstes erfolgreich eine TR4-resistente Crispr-Banane platziert, kann mit den Lizenzgebühren für Patente ein Vermögen verdienen.

Das versucht etwa das US-Unternehmen Elo Life Systems. Es hat gen-editierte Bananen entwickelt, die sich im Gewächshaus als resistent gegen TR4 erwiesen haben sollen. „Wir schicken diese Pflanzen jetzt an Dole für Feldversuche in Mittelamerika“, sagte Elo Geschäftsführer Todd Rands im Februar 2023 der Plattform Agfundernews. Da die Pflanzen erst nach neuen Monate beginnen, Früchte zu tragen, rechnete er mit ersten Ergebnissen nach der Saison 2024. Nach Angaben von The News&Observer soll Dole die Pflanzen auf einer infizierten Plantage in Kolumbien eingepflanzt haben. Wenn die Feldversuche erfolgreich verlaufen, werde wahrscheinlich ein Lizenzierungsmodell folgen, sagte Todd Rands Agfundernews im Januar 2024: „Dole ist unser kommerzieller Partner und würde das Produkt vermarkten und dafür sorgen, dass die Lösung auf breiter Basis zur Verfügung steht.“

Das britische Unternehmen Tropic Bioscience schreibt auf seiner Webseite, es habe mit seiner Genome-Editing-Plattform GeiGS TR4-resistente Bananen entwickelt und berichtet von Feldversuchen, die 2023 ausgeweitet würden. Neueres ist dort nicht zu lesen. Ein Report des US- Landwirtschaftsministeriums listet auf, dass Honduras dem Unternehmen 2022 einen Feldversuch genehmigt hat, ebenso der Standard Fruit Company (Dole).

Das niederländische Unternehmen KeyGene forscht zusammen mit dem Bananenmulti Chiquita in dessen Projekt Yelloway an TR4-reistenten Bananen. Ob die Pflanzen dabei gentechnisch verändert werden, ist unklar aber wahrscheinlich. Zwar schreibt Chiquita: „All dies geschieht durch traditionelle Pflanzenzüchtung, die durch modernste Technologie unterstützt wird“. Allerdings wird Genome Editing in den USA oft als gentechnikfrei bezeichnet, solange kein artfremdes Erbgut eingeführt wird. In einem Artikel auf Fruitnet sagte ein KeyGene-Forscher, dass Fortschritte bei den Genom Editing-Werkzeugen dazu beigetragen hätten, den Prozess erheblich zu beschleunigen. Dennoch sei eine neue Banane vom Cavendish-Typ noch sechs bis zehn Jahre entfernt. Chiquita schreibt, erste Yelloway-Bananen würden derzeit auf den Philippinen in Feldversuchen getestet. Stark engagiert in der Entwicklung gentechnisch veränderter Bananen ist auch das Internationale Institut für tropische Landwirtschaft in Nairobi, Kenia (IITA).

Dass es auch ohne Crispr/Cas geht, zeigt das französische Forschungsinstitut CIRAD mit der World Musa Alliance. Dessen Ziel ist es, sechs multiresistente Hybriden auf den Markt zu bringen, die gegen die Pilzkrankheiten Black Sigatoka, TR1 und TR4 resistent sind. Die ersten Kandidaten sollen von Anfang 2024 bis Mitte 2025 getestet werden. Ab Mitte 2025 sollen dann weitere große Feldversuche starten, deren Bananen von den Partnern der Allianz schon vermarktet werden könnten, sagte Carolina Dawson von Cirad auf einem Webinar der Welternährungsorganisation FAO. [lf]

17.03.2024 |

EU gibt elf Millionen Euro für Nachweisforschung

Labor Genomsquenzierung Genomsequenzierung (Foto: Lawrence Berkeley Nat"l Lab - Roy Kaltschmidt, DNA sample picotiter plate preparation, bit.ly/24QkbyR, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0, flickr)

Die Europäische Union fördert erstmals über ihr Forschungsprogramm Horizon zwei Projekte, die Technologien entwickeln wollen, mit denen sich Eingriffe mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) in das Erbgut von Pflanzen nachweisen lassen. Die beiden mit insgesamt elf Millionen Euro unterstützen, internationalen Projekte mit zahlreichen Beteiligten laufen über vier Jahre bis 2027. Da die Mehrheit der Verbraucher:innen wie auch viele Landwirte Transparenz wünschen, hatte das Europaparlament bei der jüngsten Debatte um neue Regeln für NGT-Pflanzen verlangt, dass diese erkennbar sein müssen.

Eines der beiden Projekte, das vom norwegischen Forschungsinstitut Norce koordiniert wird und unter den Namen Darwin läuft, erhält von der EU fünf Millionen Euro. Zu den 14 Projektpartnern aus ganz Europa und Israel zählen der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), die Justus-Liebig-Universität Gießen und der Biodachverband Ifoam Organics Europe. Als Ziel nennt der Verbund auf seiner Webseite, er wolle „neun zuverlässige und bahnbrechende Nachweissysteme und vier digitale Lösungen entwickeln für Kennzeichnungskonzepte für die Agrar- und Ernährungswirtschaft“. Dazu zählen technische Verfahren wie eine Hochdurchsatz-Metagenomsequenzierung für das Screening und Datenlösungen wie Blockchains, um eine transparente und rückverfolgbare Erkennung entlang der Lebensmittelkette zu ermöglichen. Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, genetische Fingerabdrücke für bestimmte Erbgutveränderungen durch NGT-Verfahren wie Crispr/Cas zu verwirklichen. Die gefundenen Verfahren sollen validiert und in drei „realistischen Szenarien zusammen mit der Industrie und den Strafverfolgungsbehörden getestet werden, um zweckmäßige Lösungen für eine Vielzahl von NGT-Organismen im Agrar- und Lebensmittelsektor darzustellen“, schreibt Norce in einer Mitteilung. Das Institut arbeitet bereits in dem bis Ende 2024 laufenden norwegischen Projekt Foodprints an NGT-Nachweismethoden am Modellorganismus Ackerschmalwand und hat schon erste Ergebnisse veröffentlicht.

Sechs Millionen Euro gehen an das Projekt Detective, das die Agrar-Universität SLU im schwedischen Uppsala koordiniert. Zu dem Verbund von 20 europäischen Organisationen gehören der Lobbyverband Euroseeds, die Universität Bayreuth und mehrere Behörden. „Ziel des Projekts sind die Entwicklung, Validierung und Förderung innovativer Nachweismethoden für pflanzliche und tierische Erzeugnisse, die mittels Neuen Genomischen Techniken (NGTs) wie Genome Editing und Cisgenese erzeugt wurden“, schreibt das beteiligte Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Solche effizienten und umfassenden Nachweissysteme seien notwendig für die Rückverfolgbarkeit von Lebens- und Futtermittel liefernden Pflanzen und Tieren und diese wiederum sei „wichtig für die Kennzeichnung der Produkte und die Wahlfreiheit der Verbraucher“. Dabei sollen die technischen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Bereich der Analysemethoden durch eine umfassende Untersuchung nichttechnischer Ansätze ergänzt werden. Zudem schreibt das BVL, Detective wolle die rechtlichen Entwicklungen aufmerksam verfolgen und „Analysen zu verschiedenen politischen Szenarien der EU durchführen, um die sozioökonomischen Auswirkungen sowohl auf EU- als auch auf internationaler Ebene zu identifizieren“.

Beide Projekte versprechen, Interessengruppen aktiv einzubeziehen. Es werde interessant sein zu sehen, „ob die beiden Projekte zu ähnlichen oder unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Machbarkeit des Nachweises von NGT kommen", schreibt die gentechnikkritische Plattform GMWatch. Sie ordnet Detective als eher industriefreundlich ein, da neben dem Lobbyverband Euroseeds weitere für ihre gentechnikfreundlichen Ansichten bekannten Institutionen vertreten seien. GMWatch wirft auch die Frage auf, wie die künftigen Nachweisverfahren dann kommerzialisiert und wem sie unter welchen Bedingungen zur Verfügung stehen werden.

Die mühselige Arbeit, neue Testmethoden zu entwickeln, ließe sich bedeutend erleichtern, schreiben Forschende des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Auch sie hatten nach Nachweismöglichkeiten für vier bereits zur Vermarktung anstehende NGT-Pflanzen gesucht: der Wachsmais von Corteva, die Gaba-Tomate von Sanatech, der herbizidresistente Cibus-Raps und die fettsäureveränderte Sojabohne von Calyxt. Ihr in der Fachzeitschrift Food Control veröffentlichtes Ergebnis: „Voraussetzung für die Entwicklung von Nachweismethoden für NGT-Pflanzen sind genaue Kenntnisse über den Ursprung und die Art des Ereignisses sowie geeignetes Referenzmaterial.“ Doch genau daran hapert es bisher. Auch im NGT-Verordnungsvorschlag der EU-Kommission fehlt eine entsprechende Verpflichtung für die Hersteller und das EU-Parlament hatte es im Februar abgelehnt, eine solche in den Entwurf hineinzuschreiben. Dabei ist sich nicht nur GMWatch sicher: „Die Patentinhaber der Gentech-Industrie verfügen zweifelsohne bereits über eigene Nachweismethoden für ihre patentierten neuen NGTs.“ [lf]

08.03.2024 |

Neue Gentechnik: Französische Behörde warnt vor Risiken

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

Die französische Behörde für Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit, Anses, kommt in einem umfangreichen Gutachten zu dem Schluss, dass mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) erzeugte Pflanzen relevante Risiken aufweisen können. Sie empfiehlt deshalb eine fallspezifische Risikobewertung und ein umfassendes Monitoring. Die französische Regierung hatte das bereits im Januar fertiggestellte Gutachten bis jetzt unter Verschluss gehalten.

Die französischen Expert:innen hatten sich im Auftrag der Regierung mit der Risikobewertung von NGT-Pflanzen befasst, deren Erbgut gezielt mit Hilfe des Verfahrens Crispr/Cas verändert wurde. Es ging im Wesentlichen um jene Pflanzen, die laut einem aktuellen Verordnungsvorschlag der EU-Kommission künftig ohne Risikoüberprüfung und Zulassung auf den Markt kommen sollen. Die Anses-Fachleute lehnen einen solchen Freifahrtschein ab. Sie kommen zu dem Schluss, dass bei NGT-Eingriffen ins Erbgut „unerwartete Auswirkungen auf den Phänotyp und die agronomischen Eigenschaften von Pflanzen immer möglich sind, und dass unerwartete Veränderungen der Zusammensetzung der Pflanze oder der daraus hergestellten Lebensmittel ebenfalls möglich sein könnten“. Auch könnten solche Eingriffe die Allergenität einer Pflanze verändern. Deshalb seien die üblichen 90-tägigen Fütterungsstudien „nach wie vor unerlässlich, um ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier im Zusammenhang mit dem Verzehr der gentechnisch veränderten Pflanze oder daraus hergestellter Produkte zu erkennen“.
Zu den Umweltrisiken schrieben die Expert:innen, dass deren Bewertung, wie sie in den derzeitigen Leitlinien vorgeschrieben sei, auch für NGT-Pflanzen relevant bleibe. Zudem müssten die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt werden, wenn mehr Anbauflächen für NGT-Pflanzen zugelassen werden sollten. Um die Risiken angemessen zu berücksichtigen, empfiehlt Anses, die Gesundheits- und Umweltrisiken jeder neuen NGT-Pflanze individuell zu prüfen. Dafür hat sie in ihrem Gutachten einen Entscheidungsbaum erarbeitet. Ist eine Pflanze zugelassen, brauche es einen Monitoringplan, um die Umweltrisiken über die gesamte Dauer der Zulassung zu überwachen. Dabei müssten auch die kumulativen Auswirkungen des Anbaus verschiedener Sorten mit demselben veränderten Merkmal, sowie die Auswirkungen auf die Anbaupraxis berücksichtigt werden, heißt es in dem Gutachten.

Zusätzlich befasste sich das Anses-Gutachten mit den sozioökonomischen Auswirkungen von NGT-Pflanzen. Es verweist dabei unter anderem auf die Koexistenzprobleme zwischen NGT-Pflanzen und gentechnikfreier konventioneller oder ökologischer Land- und Lebensmittelwirtschaft. Anses geht ferner auf die Transparenz ein, die die Verbraucherer:innen erwarten: Der Einsatz von gv-Pflanzen könne besser zurückverfolgt werden, wenn die Antragsteller bei einer Zulassung verpflichtet würden, eine Nachweismethode anzugeben. Die Patentierung von NGT-Pflanzen bezeichnet das Gutachten als sehr wichtigen Aspekt. Zwar sei es offen, ob NGT-Pflanzen zu mehr Konzentration auf dem Saatgutmarkt führen oder kleineren Unternehmen helfen würden. Doch sollten die Behörden wachsam sein, damit kein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erlangen und missbrauchen kann. Als Fazit schreibt Anses, die Kontroverse um NGT-Pflanzen gehe über die wissenschaftlichen und technischen Fragen hinaus. Sie beziehe sich auf ein viel breiteres Spektrum von Bedenken im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Produktionsmodellen und dem Stellenwert der Gentechnik in einem agrarökologischen Übergang. Deshalb brauche es eine breite gesellschaftliche Debatte.

Die Anses-Expert:innen stellten ihren Bericht im Dezember 2023 fertig. Anses-Generaldirektor Benoît Vallet unterzeichnete das formelle Dokument am 22. Januar und leitete es an die Regierung weiter. Die Anses hatte geplant, den Bericht und die Stellungnahme Anfang Februar zu veröffentlichen, doch sei die Veröffentlichung auf „politischen Druck“ hin blockiert wurde. So berichtete es die französische Tageszeitung Le Monde am 5. März unter Berufung auf eine „mit dem Dossier vertraute Quelle“. Den Grund sieht Le Monde in den Abstimmungen über die geplante NGT-Verordnung, die im Februar in Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat anstanden: „Die Stellungnahme der Anses, die Le Monde einsehen konnte, steht in frontalem Gegensatz zu der Position, die Frankreich in Brüssel zu diesem Thema vertritt, sowie zu der mehrheitlich von den Renew-Abgeordneten im Europäischen Parlament vertretenen Position“, schrieb das Blatt. Zur liberalen europäischen Parteienfamilie Renew gehört auch Renaissance, die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Einen Tag nachdem Le Monde ausführlich aus dem Gutachten zitiert hatte, wurde es auf der Webseite von Anses veröffentlicht.

Bereits im November 2023 hatte Anses die Kriterien bewertet, nach denen in der geplanten NGT-Verordnung die meisten Pflanzen in die weitgehend regelungsfreie Kategorie 1 einsortiert werden sollten (der Infodienst berichtete). Dabei war sie zu dem Schluss gekommen, diese Kriterien seien wissenschaftlich nicht fundiert. Zusammen mit der nun veröffentlichten ausführlichen Risikobetrachtung liegt damit eine weitere, gewichtige, wissenschaftlich fundierte behördliche Position vor, die dem seit Jahren von interessierten Kreisen publizierten Narrativ vom wissenschaftlichen Konsens, dass NGT-Pflanzen so harmlos wie herkömmliche Züchtung seien, massiv widerspricht. Welche Rolle spielt das jetzt in den laufenden Diskussionen über neue Regeln für NGT-Pflanzen in den europäischen Gremien?

Da die beschriebene zweite Stellungnahme der Anses erst vor zwei Tagen veröffentlicht wurde, beziehen sich die politischen Reaktionen bislang nur auf den ersten Teil. So hat Roberta Metsola, die Präsidentin des Europäischen Parlaments, die EU-Lebensmittelbehörde EFSA am 22. Februar darum gebeten, zur Kritik der Anses an den Gleichwertigkeitskriterien der NGT-Kategorie eins bis Ende Juli 2024 Stellung zu nehmen. Bereits am 15. Januar hatte der französische Abgeordnete Christophe Clergeau die EU-Kommission schriftlich gefragt, ob sie die EFSA angesichts der Anses-Kritik damit beauftragen könne, neue Kriterien zu erarbeiten, wann gentechnisch veränderte und herkömmlich gezüchtete Pflanzen gleichwertig sein sollen. Die zuständige EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat darauf gestern geantwortet: „Die von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien stehen im Einklang mit den wissenschaftlichen Gutachten der EFSA und berücksichtigen diese. In diesem Zusammenhang hält es die Kommission nicht für erforderlich, die EFSA mit der Festlegung neuer Gleichwertigkeitskriterien zu beauftragen." [lf/vef]

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