23.10.2024 | permalink
Bio-Basmatireis aus Pakistan, der über die Niederlande nach Deutschland kam, war mit Spuren von gentechnisch verändertem (gv) Reis verunreinigt. Die hessische Lebensmittelüberwachung hatte dies schon 2023 festgestellt. Doch im Schnellwarnsystem RASFF der EU tauchte der Fall erst im August dieses Jahres auf - ohne die Information, dass die Spuren vermutlich von einem vor mehr als 20 Jahren einmalig in Pakistan zu Forschungszwecken freigesetzten Basmatireis B-307 stammen.
Am 2. August 2024 meldete Deutschland im RASFF den Fund einer nicht zugelassenen gentechnischen Verunreinigung in Bio-Basmatireis aus Pakistan. Die Reisprobe war laut Schnellwarnsystem bereits am 31. Juli 2023 genommen worden. Anders als viele ausländische Medien mutmaßten, liegt hier kein Irrtum bei der Jahreszahl vor, erfuhr der Informationsdienst Gentechnik auf Nachfrage. In der RASFF-Meldung vermerkten die deutschen Behörden, es seien inzwischen keine Vorräte der beprobten Reischarge mehr vorhanden („no stocks left“). Die Niederländer teilten mit, man habe den pakistanischen Exporteur des Reises informiert. Mehr lässt sich aus der öffentlichen Meldung nicht entnehmen.
Die Recherche bei beteiligten Behörden ergab folgenden Ablauf: Die Lebensmittelüberwachung des hessischen Landkreises Marburg hatte in einem Geschäft vier Einzelhandelspackungen Bio-Basmatireis derselben Charge gekauft und zur Prüfung an den Landesbetrieb Hessisches Landeslabor (LHL) geschickt. Dort wurde der Reis in vier Proben aufgeteilt und durchlief zuerst ein Screening. Dieses ergab Hinweise auf einen nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Reis. „Die sich dann daran anschließenden Untersuchungen ergaben ... den Nachweis einer Konstrukt-spezifischen DNA-Sequenz“, teilte das LHL dem Infodienst Gentechnik mit. Erst der konkrete Fund dieser Sequenz habe den Schluss zugelassen, „dass in einer der vier Teilproben nicht zugelassener gentechnisch veränderter Reis in Spuren vorhanden war“.
Diese Spuren allerdings hatten es in sich. Denn sie glichen denen, die deutsche Behörden - unter ihnen die Hessen - 2012 schon einmal gefunden und in einem internationalen Fachmagazin beschrieben hatten. Damals kamen die Expert:innen zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Verunreinigungsfälle vermutlich auf frühere Feldversuche pakistanischer Forscher mit gv-Varianten der Basmatisorte B-370 aus den Jahren 2001 und 2002 zurückgingen. Dass sich das Erbgut dieser gv-Pflanzen immer noch nachweisen lässt, wirft Fragen auf: Wie sicher arbeiten Gentechniker:innen und die sie überwachenden Behörden in Ländern wie Pakistan? Welche Auswirkungen haben die Funde auf die pakistanischen Basmati-Exporte? Pakistan liefert jährlich etwa 250.000 Tonnen Basmati-Reis in die EU, davon 40.000 Tonnen in Bio-Qualität. Auch in den USA ist vor Jahren einmal ein nicht zugelassener gv-Reis bei Feldversuchen entkommen: LL601 von Bayer. Er verunreinigte noch Jahre später die US-Reisernte und verursachte einen Schaden von mehr als einer Milliarde Euro.
Das Hessische Landeslabor hatte seit 2012 keine weitere Probe mit einem B-307-Event mehr und sprach von einem seltenen Fund. „Die Bearbeitung einer derart außergewöhnlichen Probe stellt keine Routine-Untersuchung dar", so dass dafür eine entsprechende Zeit erforderlich sei, begründete das Labor, warum es seine Untersuchungen erst im November 2023 beendete. Zur Absicherung ihrer Ergebnisse sandten die Hessen die Probe an das Landesamt für Verbraucherschutz in Halle. Das dortige Labor setzte zwei weitere konstruktspezifische Verfahren ein und konnte damit die Verunreinigung einer Teilprobe bestätigen. Insgesamt wurden damit nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in der Probe „folgende Gentechnik-relevante Parameter nachgewiesen: P35S, T-nos, cry1Ab/Ac, P-ubi-cry und cry1Ab/Ac-Tnos“.
Der Bericht aus Halle ging Ende Februar 2024 zurück nach Wiesbaden. Einen Monat später erstellte das LHL dort „nach intensiver interner Diskussion“ seinen abschließenden Prüfbericht. Da es sich um eine „sehr geringfügige“ Verunreinigung handelte, die zudem nur in einer von vier Proben nachweisbar war, verzichtete das Landeslabor darauf, die Probe formell zu beanstanden und eine Schnellwarnung zu versenden. Es beschränkte sich auf den Hinweis, dass „durch den Inverkehrbringer bzw. Hersteller weitere Nachforschungen und Eigenkontrollen angestoßen werden sollten“, und schickte den Bericht an die Lebensmittelkontrolleure in Marburg.
Diese wiederum informierten die niedersächsische Lebensmittelbehörde, da die bundesweit aktive Einzelhandelskette, in deren Geschäft der Basmatireis in Marburg gekauft worden war, ihren Sitz in Niedersachsen hat. Wie das BVL mitteilte, ließ dieses Unternehmen umgehend den Bio-Basmatireis einer neuen Charge desselben Lieferanten, die zu der Zeit verkauft wurde, von einem Labor auf gentechnische Verunreinigungen untersuchen. Das Ergebnis dieser Eigenuntersuchung wurde nicht veröffentlicht. Gleichzeitig nahm die Kette offenbar Kontakt mit dem niederländischen Unternehmen auf. „Nach hier vorliegenden Informationen wurde dann auf Verlangen der niederländischen Behörden am 22.07.2024 durch die Behörden in Niedersachsen eine Schnellwarnung erstellt und Anfang August veröffentlicht“, schrieb das LHL dem Infodienst.
In Pakistan schlug die Notiz im RASFF hohe Wellen. Das pakistanische Ernährungsministerium kündigte laut einem Bericht in der Tageszeitung The News direkt nach Bekanntwerden des Vorfalls eine Untersuchung an. Über deren Ergebnisse ist bisher nichts bekannt. Im selben Artikel wies der Verband der pakistanischen Reisexporteure die RASFF-Meldung zurück und äußerte den Verdacht einer Verschwörung, an der Indien beteiligt sei. Die verfeindeten Nachbarn Pakistan und Indien reklamieren beide Basmati Reis als ihre nationale Spezialität. Indien hat bereits 2018 eine entsprechende Anerkennung in der EU beantragt, die Gespräche laufen. Pakistan zog Anfang 2024 nach. The News und Pakistan Today thematisierten in ihren Berichten auch die Schwächen der pakistanischen Lebensmittelüberwachung und der für Gentechnik zuständigen Behörden.
Industrie-Insider wiesen darauf hin, dass der Basmatireis gentechnisch verunreinigt worden sein könnte, wenn er auf Feldern wuchs, auf denen im Jahr zuvor gentechnisch verunreinigtes Saatgut aus China angebaut wurde. Handelskreise erinnerten die indische Zeitung The Hindu an Lieferungen von Hybridreissaatgut aus China nach Pakistan im Jahr 2018, in denen gentechnische Verunreinigungen gefunden wurden. Zwar seien diese Lieferungen zurückgewiesen worden, aber vielleicht nicht alle Verunreinigungen entdeckt worden. 2023 habe China Reissaatgut für die Provinz Belutschistan gespendet. Auch dieses könnte verunreinigt gewesen sein. Ein Aufsatz aus dem bekannten Analyselabor Eurofins aus dem Jahr 2023 nannte ebenfalls chinesisches Hybridsaatgut als mögliche Quelle von Verunreinigungen, erwähnte aber auch die Verunreinigungsfälle aus den Jahren 2011 und 2012, die nun wieder aktuell wurden.
Vor diesem Hintergrund fragte der Informationsdienst Gentechnik die EU-Kommission, ob sie angesichts immer wieder auftauchender gentechnischer Verunreinigungen in Reis und Reisprodukten aus China, Vietnam, Indien und Pakistan standardmäßige Analysen beim Import in die EU in Betracht ziehe. In ihrer Antwort sieht die Kommission die Mitgliedstaaten in der Pflicht, deren zuständige Behörden ihre Einfuhrkontrollen auf die im RASFF verfügbaren Informationen stützen sollten. Darüber hinaus schreibe eine Schutzmaßnahme (2011/884/EU) für Reiserzeugnisse mit Ursprung in China eine systematische Probenahme und Analyse der betroffenen Waren vor. [lf/vef]
14.10.2024 | permalink
Im Ernährungsreport 2024 der Bundesregierung lehnten 70 Prozent der Befragten den Anbau gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen ab. Bei den unter 30-Jährigen will dagegen die Hälfte gv-Pflanzen auf deutsche Äcker lassen, ergab die Forsa-Studie, die das Agrarministerium Ende September vorstellte. Auch eine Kennzeichnung gentechnikfreier Lebensmittel ist jungen Menschen weniger wichtig als älteren. Insgesamt jedoch blieb die Ablehnung der Agro-Gentechnik und der Wunsch nach einer klaren Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte stabil.
Für den Ernährungsreport hatte das Institut Forsa im Mai 2024 1000 repräsentativ ausgewählte Menschen ab 14 Jahre in Deutschland befragt. Dabei wollten die Meinungsforscher:innen auch wissen, ob die Menschen bestimmten „Maßnahmen im Zusammenhang mit Lebensmitteln“ zustimmen. Eine der abgefragten Maßnahmen war die „Zulassung des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen“. Neun Prozent stimmten dem „voll und ganz“ zu, weitere 19 Prozent „eher“, was eine Zustimmungsquote von 28 Prozent ergab. Dagegen stimmten 33 Prozent „eher nicht“ und 37 Prozent „gar nicht“ zu. Im Vergleich zum Vorjahr mit 27 Prozent Zustimmungsquote gab es keine große Änderung. In einer Forsa-Umfrage vom September 2021 für das Umweltinstitut München stimmten ebenfalls nur 28 Prozent der Befragten der Aussage zu: „Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen sollte in Deutschland erlaubt werden“.
Der Aussage im aktuellen Ernährungsreport, dass der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zugelassen werden sollte, stimmten Frauen deutlich seltener als Männer zu (anteilig 19 und 38 Prozent) und Ostdeutsche seltener als Westdeutsche (23 zu 30 Prozent). Deutliche Unterschiede ergaben sich bei der Aufschlüsselung nach dem Alter: Bei den 14 bis 29-jährigen wollten 53 Prozent den Anbau von Gentech-Pflanzen erlauben, bei den 30 bis 44-jährigen waren es 28 Prozent und bei den 45 bis 59-jährigen nur 17 Prozent. Bei Menschen mit 60 und mehr Jahren lag die Zustimmung mit 23 Prozent ebenfalls unter dem Durchschnitt.
Forsa wollte von den Menschen auch wissen, wie wichtig ihnen bestimmte „gesetzlich nicht vorgeschriebene Angaben auf Lebensmittelverpackungen“ sind. Ein „klarer Hinweis, ob ein Lebensmittel gentechnikfrei ist oder nicht“ war 64 Prozent der Befragten „wichtig“ oder „sehr wichtig“. Auch hier war Frauen und älteren Menschen der Hinweis wichtiger als den Jungen mit 50 Prozent. Die Frage nach dem Hinweis auf Gentechnik in Lebensmitteln hatte Forsa bereits seit 2015 jedes Jahr gestellt. Dabei sank die 'Ist mir wichtig'-Quote kontinuierlich von 83 Prozent in 2015 auf 64 Prozent in 2024. Damit ist die Angabe der Gentechnikfreiheit den Menschen allerdings immer noch wichtiger als Nährwertangaben (61 Prozent) oder Hinweise auf Stoffe, die Allergien oder Unverträglichkeiten auslösen können (60 Prozent).
Bei der Interpretation ist zu beachten, dass Forsa hier gezielt nach der Bedeutung einer freiwilligen Gentechnikfrei-Kennzeichnung gefragt hatte. Ein deutlich anderes Ergebnis ergab sich, als Forsa vor einem Jahr im Auftrag der Verbraucherorganisation Foodwatch den zu Befragenden das Statement präsentierte: „Lebensmittel, die gentechnisch verändert wurden, müssen gekennzeichnet werden. Unabhängig davon, ob neue gentechnische Verfahren oder klassische Gentechnik angewendet wurde“. Diese klare politische Aussage erhielt eine Zustimmungsquote von 92 Prozent, davon stimmten 68 Prozent „voll und ganz“ zu, 24 Prozent „eher“. Eine ähnlich hohe Zustimmung erzielte das Meinungsforschungsinstitut Civey im Juni dieses Jahres in einer Befragung für den Verband Lebensmittel ohne Gentechnik. Der Aussage „Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Zutaten sollten immer gekennzeichnet werden, egal ob mit alter oder neuer Gentechnik hergestellt“ stimmten dabei 84 Prozent aller Befragten zu. Diese Zahlen lassen den Schluss zu, dass auch viele der Menschen, die einem Anbau von Gentechnik-Pflanzen eher positiv gegenüberstehen, sich dennoch eine klare Kennzeichnung der damit hergestellten Lebensmittel wünschen. [lf]
07.10.2024 | permalink
Medienrecherchen haben enthüllt, dass das PR-Unternehmen eines ehemaligen Monsanto-Managers ein privates Internetportal mit Hunderten Profilen von Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen sowie Tausenden Organisationen aus der ganzen Welt angelegt hat, die sich kritisch mit Pestiziden und Agrogentechnik auseinandersetzen. Zugang zu der Plattform haben Regierungsbeamte ebenso wie die großen Agrarchemiekonzerne. Den Recherchen zufolge war das Unternehmen auch an Kampagnen beteiligt, Pestizidrisiken zu verharmlosen.
Aufgedeckt hatte dieses Vorgehen das investigative Rechercheportal Lighthouse Reports zusammen mit den Tageszeitungen Le Monde, The Guardian und weiteren Medienpartnern. Demnach habe das US-Unternehmen v-Fluence rund 500 Profile von Forschenden, Journalist:innen und Aktivist:innen sowie 3000 Profile von Organisationen weltweit erstellt, die sich kritisch zu Pestiziden und Agro-Gentechnik äußern. Diese wurden in einem privaten Netzwerkportal namens Bonus Eventus veröffentlicht, das 1.000 Personen privilegierten Zugang gewährt. Die Mitgliederliste des Netzwerks sei „ein Who is Who der agrochemischen Industrie und ihrer Freunde, darunter Führungskräfte einiger der weltweit größten Pestizidunternehmen sowie Regierungsbeamte aus mehreren Ländern“, schrieb Lighthouse Reports. 2002 gegründet und bis heute geführt wird v-Fluence von Jay Byrne, der von 1997 bis 2001 Kommunikationschef der heutigen Bayer-Tochter Monsanto war.
Die Profile auf Bonus Eventus enthalten laut Medienberichten persönliche Details wie Privatadressen, Telefonnummern und Angaben über Familienmitglieder der Betroffenen und listen Kritikpunkte auf, die deren Arbeit herabsetzen sollen. „Anwälte haben uns mitgeteilt, dass dies gegen die Datenschutzgesetze in mehreren Ländern verstößt“, schrieb Lighthouse Reports. Der Guardian erwähnt Profile, in denen außereheliche Affären, der Wert von Häusern, Verkehrsverstöße oder Parteispenden aufgelistet seien. Le Monde schreibt über das Profil einer pestizidkritischen US-Professorin, der Eintrag enthalte „bösartige Gerüchte über ihre wissenschaftliche Integrität …, die meisten davon aus Blogs und vertraulichen Webseiten“. In der französischen Zeitung erklärte der britische Insektenforscher Dave Goulson, er sei nicht überrascht, dass es in Bonus Eventus ein Profil von ihm gebe. Es gehöre „zum bekannten Vorgehen der Hersteller von Pestiziden, Kohlenwasserstoffen oder Tabak zu versuchen, die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern zu untergraben, die ihnen im Weg stehen“. In seinem Fall handle es sich um Material aus „Blogs von Personen, die direkt oder indirekt von Monsanto, heute Bayer, oder anderen Giganten der Agrarindustrie finanziert werden.“ Solche Aussagen würden in sozialen Netzwerken geteilt und verstärkt. „Es gibt keine Beweise oder wissenschaftlichen Argumente, es handelt sich einfach um Hetzkampagnen“, die den Ruf ruinieren sollen, sagte Goulson.
Die Art der gesammelten Informationen lasse wenig Zweifel an der Absicht, die Zielpersonen zu diskreditieren oder zu destabilisieren, schrieb Le Monde und erwähnte die Karteikarte eines britischen Toxikologen, der zahlreiche Arbeiten über die gesundheitlichen Auswirkungen von Pestiziden veröffentlich hat. Das Profil informiert darüber, dass eine Angehörige mehr als 20 Jahre lang an psychiatrischen Erkrankungen litt und sich das Leben nahm. Anscheinend seien die Profile weitaus detaillierter und ätzender als die Monsanto-Akte, hieß es in Le Monde. In dieser Akte hatte die heutige Bayer-Tochter in den Jahren 2015 und 2016 Informationen über Kritiker:innen von Chemikalien und gentechnisch veränderten Pflanzen sammeln lassen. Le Monde veröffentlichte den Vorgang 2019. Zwei Jahre später wurde Bayer in Frankreich zu einer Strafe von 400.000 Euro wegen Verstoßes gegen den Datenschutz verurteilt.
In den Medienberichten geht es nicht nur um die Profile, sondern auch um gezielte Versuche, mit Hilfe von v-Fluence Politik zu machen. So soll das Unternehmen 2019 versucht haben, eine Landwirtschaftskonferenz in der kenianischen Hauptstadt zu verhindern, weil dort auch Pestizidkritiker:innen zu Wort kamen. Berichtet wird ferner über einen Prozess in den USA, bei dem der Pestizidhersteller Syngenta verklagt wurde, weil sein Pestizid Paraquat bei den Kläger:innen Parkinson verursacht haben soll. Laut Guardian wird v-Fluence in der Klage vorgeworfen, Syngenta bei der Erstellung falscher oder irreführender Online-Inhalte zu Paraquat unterstützt zu haben. Auch soll das Unternehmen Suchmaschinenoptimierung eingesetzt haben, um negative Informationen über Paraquat in der Internetsuche zu unterdrücken. Zudem habe es die Social-Media-Seiten von Opfern untersucht, die der Krisenhotline von Syngenta Verletzungen gemeldet hatten.
Jay Byrne wies in einer Stellungnahme diese und andere Vorwürfe zurück. Sein Unternehmen berichte über globale Aktivitäten und Trends in den Bereichen Pflanzenzucht und Pflanzenschutz und liefere über seinen Newsletter ergänzende Analysen und Kontextinformationen über Interessengruppen und Themen. Es gebe „keine unethischen, illegalen oder anderweitig unangemessenen Aktivitäten unserer Organisation in Öffentlichkeitsarbeit, Lobbying und verwandten Bereichen“. [lf]
30.09.2024 | permalink
Viele Gentechnik-Expert:innen der EU-Lebensmittelbehörde EFSA haben enge Verbindungen zur Gentechnik-Industrie. Dies belegt eine Untersuchung der Organisation Testbiotech, die Alarm schlägt. Denn eigentlich sollen diese Expert:innen das Risiko von Gentech-Pflanzen neutral bewerten – schließlich verlässt sich die EU-Kommission bei ihren Entscheidungen auf diese Bewertungen.
Sie sollen „unabhängigen wissenschaftlichen Rat liefern, um Verbraucher:innen, Tiere und die Umwelt in der EU zu schützen“. Das schrieb die EU-Lebensmittelbehörde EFSA Anfang Juli, als sie die Neubesetzung ihrer zahlreichen Expert:innen-Gremien bekannt gab. Insgesamt berief die Behörde 180 Fachleute, die sie die nächsten fünf Jahre in diversen Fragen beraten sollen. 16 von ihnen bilden das für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zuständige Gremium (auf Englisch: GMO Panel). Sie alle haben eine Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten ausgefüllt (Declaration of Interest, DOI). Testbiotech hat diese Erklärungen und weitere öffentlich zugängliche Informationen ausgewertet.
Demnach entwickeln sieben der 16 Mitglieder des Panels hauptberuflich Gentech-Pflanzen. Fünf der sieben arbeiten dabei in Projekten, die von der Industrie mitfinanziert werden, darunter Konzerne wie Syngenta, Corteva und Limagrain. Zudem halten fünf der sieben Patente im Bereich der Gentechnik-Pflanzen und haben damit finanzielle Interessen. Bei ihnen könnte sich die Frage, wie neue gentechnische Verfahren (NGT) reguliert werden, direkt auf den Geldbeutel auswirken. Der Vorsitzende des Gentechnik-Panels berät die Industrie zu Themen, die die Risikobewertung der EFSA betreffen. Sechs dieser sieben hauptberuflichen Gentechniker:innen engagieren sich in Lobbyverbänden, die sich vor allem dafür einsetzen, dass NGT-Pflanzen keine Zulassung brauchen. Teilweise hätten sie diese Aktivitäten in ihren Erklärungen nicht angegeben, kritisiert Testbiotech. Das widerspreche den Regeln der EFSA.
Insgesamt hätten „Anwender:innen und Pro-Gentechnik-Aktivist:innen einen erheblichen Einfluss auf die Risikoprüfung von Gentechnik-Organismen in der EU erlangt“, zog Testbiotech Bilanz. Obwohl Fachkenntnisse über die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen für deren Risikobewertung durchaus relevant sind, sei das Gentechnik-Panel in der bisherigen Geschichte der EFSA noch nie so einseitig mit Gentechnik-Anwender:innen besetzt worden. Im Gegenzug sei der Anteil an Sachverständigen mit Expertise in wichtigen Gebieten wie der Ökologie gesunken, bemängelte Testbiotech. Unter diesen Bedingungen scheine „für die kommenden Jahre eine unabhängige Bewertung von Zulassungsanträgen und eine angemessene Weiterentwicklung von Prüfrichtlinien durch die Behörde kaum realisierbar“. Der Vorgang werfe weitreichende Fragen in Bezug auf den Auswahlprozess und die Unabhängigkeitspolitik der Behörde einschließlich deren Leitung auf, schrieb Testbiotech und zielte damit auf den scheidenden EFSA-Direktor Bernhard Url. Bei der Neubesetzung dieser Leitungsposition müsse deswegen strikt auf Kompetenz und Unabhängigkeit geachtet werden, folgerte Testbiotech. Zudem müsse die Zusammensetzung des GMO Panels dringend korrigiert werden.
„Wir bewerten die Interessen aller unserer Experten sorgfältig gemäß unserer Unabhängigkeitspolitik, die als eine der strengsten aller öffentlichen Einrichtungen in Europa anerkannt ist“, antwortete die EFSA gegenüber der französischen Zeitung Le Monde. Werde ein potenzieller Interessenkonflikt festgestellt, „wenden wir strenge Maßnahmen an, um den Experten von allen damit zusammenhängenden wissenschaftlichen Arbeiten auszuschließen“, hieß es weiter in dem EFSA-Statement. Die Behörde betonte, ein vorhandenes Interesse bedeute nicht zwangsläufig, dass ein Interessenkonflikt bestehe. Auch sei es unrealistisch, sich nur auf Experten zu verlassen, die nicht wüssten, wie Gentech-Pflanzen entwickelt und genutzt würden.
Für solche Fälle gäbe es eine einfache Lösung, schrieb das Portal GMWatch. Die EFSA müsste nur so vorgehen wie die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation. Dort könnten Expert:innen der Industrie Informationen und Belege zur potenziellen Karzinogenität von Industrieprodukten liefern. Doch wegen der bestehenden Interessenkonflikte dürften sie nicht über die Einstufung der untersuchten Substanz abstimmen oder den Bericht über die Substanz schreiben. „Personen mit Interessenkonflikten werden einfach von jeglicher Entscheidungsfunktion ausgeschlossen und diesem Modell sollte die EFSA folgen, wenn sie die Risiken von gentechnisch veränderten Organismen bewertet, schrieb GMWatch. [lf]
23.09.2024 | permalink
Das US-Landwirtschaftsministerium hat den gentechnisch veränderten Weizen HB4 für den kommerziellen Anbau freigegeben. In Großbritannien hat das John Innes Centre seine ersten Feldversuche mit Crispr-Weizen abgeerntet. Und in der Schweiz wollen Wissenschaftler:innen des staatlichen Agrarforschungszentrums Agroscope im Herbst einen selbst entwickelten Gentech-Weizen versuchsweise anbauen. Der Streit um mögliche Interessenkonflikte der Projektbeteiligten und verdeckte staatliche Subventionen für ein ausgegründetes privates Unternehmen erreichte vergangene Woche das Schweizer Parlament.
Der Gentech-Weizen HB4 der argentinischen Firma Bioceres Crop Solution ist noch ein Produkt der klassischen Gentechnik und enthält ein Gen der Sonnenblume. Es soll den Weizen tolerant gegen Dürre machen. Nach Firmenangaben soll HB4 bei Wassermangel 20 Prozent höhere Erträge als herkömmlicher Weizen liefern. Zusätzlich ist HB4 resistent gegen das Herbizid Glufosinat, das in der EU wegen seiner Giftigkeit verboten ist. Um den HB4-Weizen zu vermarkten, hatten die Argentinier schon 2013 mit dem französischen Pflanzenzüchter Florimond Desprez das Unternehmen Trigall Genetics gegründet.
Bisher erlauben es Argentinien, Brasilien und Paraguay, den Weizen kommerziell anzubauen. Nun kommen die USA dazu. Deren Gentechnikbehörde APHIS hat entschieden, dass der Weizen kein Risiko für andere Pflanzen darstellt und deshalb ohne weiteres Verfahren angebaut werden darf. Die Zulassung von HB4 als Lebens- und Futtermittel hatte die dafür zuständige US-Behörde FDA schon 2022 erteilt. Bioceres schätzt, dass in den USA rund vier Millionen Hektar als Anbaufläche für HB4-Weizen in Frage kommen. Man arbeite mit dem Weizenforschungszentrum Colorado Wheat Research Foundation zusammen, um lokal angepasste HB4-Hartweizensorten zu entwickeln, teilte das Unternehmen mit. Weitere Kooperationen seien geplant.
Das US-Landwirtschaftsportal Agdaily bezweifelt, dass HB4 in den USA ein Erfolg wird. Wichtige internationale Abnehmer von US-Weizen, darunter Mexiko, die Philippinen und Japan, hätten HB4-Weizen bisher nicht als Lebensmittel zugelassen. Das gebe Anlass zur Sorge über die Marktakzeptanz, schrieb Agdaily und erinnerte an eine Situation von vor zwei Jahrzehnten. Damals hatte Monsanto die Entwicklung eines glyphosatresistenten Weizens eingestellt, nachdem internationale Käufer mit Boykott gedroht hatten. Als Lebensmittel zugelassen ist HB4-Weizen nach Angaben von Bioceres derzeit in Australien, Neuseeland, Südafrika, Nigeria, Thailand, Indonesien, Kolumbien und Chile.
Während der klassische Gentech-Weizen HB4 sich, zumindest regulatorisch, langsam ausbreitet, verändern in mehreren Ländern Forschende Weizen mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT). Das britische John Innes Centre hat einen NGT-Weizen mit größeren Körnern entwickelt und in Feldversuchen angebaut. Die jetzt abgeernteten Körner werden nächstes Jahr als Saatgut vermehrt und sollen dann 2026 von Farmern in großen Praxisversuchen angebaut und nach der Ernte für Testzwecke zu Lebensmitteln verarbeitet werden. Gleiches soll mit einem Weizen mit verbesserten Backeigenschaften passieren, den Rothamsted Research derzeit testet und vermehrt. Probity nennt sich dieses vom britischen Landwirtschaftsministerium geförderte Projekt, das möglichst schnell NGT-Pflanzen auf den Markt bringen will.
Die britischen Forschenden nutzten für ihren NGT-Weizen Crispr/Cas als Werkzeug. Wissenschaftler der Eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope haben ein neues Mutageneseverfahren namens TEgenesis entwickelt. Es mobilisiert mit Hilfe von zwei Chemikalien in der Pflanze vorkommende sogenannte springende Gene (Transposons) und soll dadurch die Anpassung der Pflanze an Stressbedingungen beschleunigen. Einen entsprechend mit TEgenesis behandelten Winterweizen will Agroscope ab Herbst auf seinem Versuchsgelände anbauen und auf krankheitsresistente Linien selektieren. Noch steht dafür die Genehmigung des Schweizer Bundesamtes für Umwelt aus. Die Schweizer Allianz Gentechfrei kritisierte in ihrer Stellungnahme neben fachlichen Mängeln des Antrags auch mögliche Interessenkonflikte, da der Versuchsleiter die patentierte Methode mit erfunden und eine Firma für deren exklusive Vermarktung mitgegründet habe. 16 Abgeordnete des Schweizer Parlaments reichten vergangene Woche eine Anfrage dazu beim Nationalrat ein.
Bis diese Crispr- oder TEgenesis-Weizen tatsächlich auf den Markt kommen, wird es noch einige Jahre dauern. Chinesische Forschende sind da schon weiter. Sie wollen Weizen mit dem älteren Talen-Verfahren resistent gegen echten Mehltau gemacht haben. Anschließend übertrugen sie die geänderten Resistenz-Gene mit Hilfe von Crispr/Cas in Winterweizen-Elitesorten. Für diese bekamen sie im Mai dieses Jahres vom chinesischen Landwirtschaftsministerium ein Sicherheitszertifikat. Für den kommerziellen Anbau brauchen die beteiligten Unternehmen nur noch eine Sortenregistrierung für ihr Saatgut und eine Lizenz für die Saatguterzeugung. [lf/vef]
10.09.2024 | permalink
Der Schweizer Verein für gentechnikfreie Lebensmittel hat die eidgenössische Volksinitiative „Für gentechnikfreie Lebensmittel (Lebensmittelschutz-Initiative)“ gestartet. Sie fordert strikte Regeln für den Einsatz neuer gentechnischer Verfahren (NGT) in der Schweizer Landwirtschaft, um Mensch, Tier und Umwelt zu schützen. Die Schweizer Regierung dagegen will eher dem Beispiel der EU-Kommission folgen. Wie die Schweiz NGT regeln wird, darüber wird am Ende des nun in Gang gesetzten Verfahrens das Volk entscheiden.
Die Initiative will den Artikel 120 der Eidgenössischen Verfassung, der sich mit „Gentechnik im Außerhumanbereich“ befasst, um einige Regeln ergänzen. Sie stellen klar, dass neue gentechnische Verfahren (NGT) gleich zu behandeln sind wie die bisherige klassische Gentechnik. Auch sie sollen einem Bewilligungsverfahren unterliegen, in welchem die Risiken zu prüfen sind. Wer die damit hergestellten gentechnisch veränderten Organismen (GVO) vermarkten will, muss sie „zur Gewährleistung der Wahlfreiheit und der Rückverfolgbarkeit sowie zur Verhinderung von Täuschungen als solche kennzeichnen“. Der Bund muss mit einem Regelwerk sicherstellen, dass eine gentechnikfreie Landwirtschaft weiter stattfinden kann. Die Kosten der dafür notwendigen Koexistenzmaßnahmen tragen diejenigen, die solche GVO in Verkehr bringen. Außerdem dürfen Patente für NGT nicht auf Pflanzen und Tiere aus gentechnikfreier Züchtung ausgedehnt werden.
Diese Grundregeln für den Umgang mit NGT stehen im Prinzip so im derzeitigen Schweizer Gentechnikgesetz (GTG). Dort ist auch das 2005 vom Volk beschlossene Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft verankert. Das wurde bisher von der Bundesversammlung, dem Schweizer Parlament, alle fünf Jahre verlängert. Bei der jüngsten Verlängerung hat das Parlament den Bundesrat, die Schweizer Regierung, jedoch mit einer Liberalisierung des Gentechnikgesetzes für NGT beauftragt, die mit dem Auslaufen des Moratoriums Ende 2025 in Kraft treten soll. Den Gesetzentwurf dafür sollte der Bundesrat bis Mitte 2024 vorlegen, ist damit aber im Verzug. Die Lebensmittelschutz-Initiative will verhindern, dass NGT zukünftig ohne Risikoüberprüfung und Kennzeichnung auf den Markt kommen können – so wie die EU-Kommission das für die EU gerne hätte. Deshalb will sie mit ihrer Volksinitiative dafür sorgen, dass die wichtigsten Grundsätze des bestehenden Gentechnikgesetzes Verfassungsrang bekommen und auch für NGT gelten. Dann könnte das Parlament nicht mehr mit einer einfachen Gesetzesänderung Sonderregelungen für NGT erlassen.
Weil das Moratorium voraussichtlich ausläuft, bevor die geänderten Gesetze und Verordnungen zur Koexistenz, zur Risikoprüfung, zur Kennzeichnung und zu den Nachweisverfahren vorliegen, sieht die Volksinitiative eine Übergangsregelung vor. Mindestens bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen zu den neu aufgenommenen Verfassungsartikeln „dürfen keine gentechnisch veränderten Organismen, die zu landwirtschaftlichen, gartenbaulichen oder forstwirtschaftlichen Zwecken bestimmt sind, in Verkehr gebracht werden“. Damit ist sichergestellt, dass das Moratorium so lange in Kraft bleibt, bis Regierung und Parlament ihre Hausaufgaben gemacht haben. Und durch das Wort „mindestens“ könnte das Parlament das Moratorium sogar weiter verlängern, wenn sich dafür eine Mehrheit findet.
Einen Tag nach der Vorstellung der Volksinitiative teilte der Bundesrat mit, dass er bis Ende 2024 ein Spezialgesetz für NGT vorlegen will, so wie es die EU-Kommission für die EU plant. Allerdings wolle man in Abweichung zum EU-Entwurf stärkere Kontrollmechanismen einbauen, um den Bedenken der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Die Schweizer Allianz Gentechfrei nannte die Kommunikation des Bundesrats „besorgniserregend“. Sie kritisierte, dass die Regierung neue Gentechnik jetzt als neue Züchtungsmethoden bezeichnet und als Ziel angibt, Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU vermeiden zu wollen.
Am Freitag den 6. September verabschiedete die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates eine parlamentarische Initiative, mit der das Gentechnikmoratorium bis Ende 2027 verlängert werden soll. Der Nationalrat ist die erste Kammer des Schweizer Parlaments, der Ständerat die zweite. Beide Kammern müssten der Initiative zustimmen, damit sie Gesetz wird. Die Kommission begründete ihren Vorstoß mit der Regelungslücke, die durch die verspätete Vorlage des Gesetzentwurfs des Bundesrates entstehen würde. Martin Bossard, Co-Präsident des Vereins für gentechnikfreie Lebensmittel, warnte: „Was die nationalrätliche Kommission als Moratoriumsverlängerung verkauft, soll als politische Schlaftablette wirken, während mit einem Spezialgesetz die Verfassung ausgehebelt wird und Landwirte und Konsumentinnen schon bald vor vollendete Tatsachen gestellt werden“.
„Das Risiko der neuen Gentechnik ist real. Es braucht deshalb klare Regeln, um Mensch, Tier und Umwelt vor Missbräuchen und gefährlichen Auswirkungen der Gentechnik zu schützen, wenn das Moratorium Ende 2025 zu Ende geht“, sagte Martina Munz, Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG). Die SAG gehört zu den 28 Organisationen, die die Volksinitiative unterstützen. Mit im Boot sind auch der Biodachverband Bio Suisse und andere Bio-Organisationen, die Kleinbauernvereinigung, mehrere Saatgutzüchter, die Hilfsorganisation Swissaid und Greenpeace. Sie alle haben ab jetzt 18 Monate Zeit, 100.000 Unterschriften für ihre Volksinitiative zu sammeln und sie von den jeweiligen Wohnortgemeinden der Unterzeichnenden bestätigen zu lassen. Mit einer erfolgreichen Initiative befasst sich laut Gesetz zuerst der Bundesrat. Er empfiehlt dem Parlament, ob es die Initiative annehmen oder ablehnen soll und kann auch einen Gegenentwurf mit in die parlamentarische Beratung geben. Deren Ergebnis ist eine Abstimmungsempfehlung (mit einem möglichen Gegenvorschlag) für die daran anschließende Volksabstimmung. Das ganze Prozedere kann sich, wenn Bundesrat und Bundesversammlung die gesetzlichen Fristen voll ausschöpfen, über mehrere Jahre hinziehen. Am Ende steht dann die Volksabstimmung, bei der die Volksinitiative angenommen ist, wenn sie sowohl schweizweit die Mehrheit der gültigen Stimmen bekommt als auch eine Mehrheit der gültigen Stimmen in einer Mehrheit der Kantone.
Doch auch wenn die Volksabstimmung noch weit weg ist: Mit der Lebensmittelschutz-Initiative haben die gentechnikkritischen Organisationen in der Schweiz ihre Positionen auf die politische Agenda gesetzt und damit auch die Messlatte für den noch ausstehenden Gesetzesvorschlag des Bundesrates gelegt. Mit der in den nächsten Monaten anstehenden Unterschriftensammlung haben sie zudem ein Vehikel für die Öffentlichkeitsarbeit geschaffen und einen Strick, an dem alle gemeinsam ziehen. Für die anstehende NGT-Debatte in der Schweiz sind sie damit gut aufgestellt. [lf]
05.09.2024 | permalink
376 Unternehmen der Lebensmittelbranche aus 16 EU-Ländern haben in einem offenen Brief gefordert, neue Gentechnik über die gesamte Lebensmittelkette hinweg konsequent zu kennzeichnen. Der aktuelle EU-Ratsvorsitzende für Landwirtschaft und Fischerei, Ungarns Landwirtschaftsminister István Nagy, nahm den Brief am Dienstag entgegen und sicherte den Unternehmen zu, ihre Anliegen zu unterstützen. Parallel wurde der Brief an die übrigen EU-Agrarminister:innen versandt.
In dem Schreiben begrüßten die Unternehmen das Votum des Europaparlaments, alle aus NGT-Pflanzen hergestellte Produkte lückenlos zu kennzeichnen. Sie forderten den EU-Agrarministerrat auf, sich dieser Position anzuschließen und sich darüber hinaus für faire Wettbewerbsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzusetzen. Dazu zählen die Unterzeichner:innen neben Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Gentechnik-Produkten auch verlässliche Nachweismethoden, EU-weit verbindliche, national und regional angepasste Koexistenz-Maßnahmen, Haftungsregeln gemäß dem Verursacherprinzip und einen Entschädigungsfonds für unvermeidbare Kontaminationen. Unterschrieben haben diese Forderungen neben namhaften Bio-Unternehmen auch die Rewe-Gruppe und die dm Drogeriemärkte.
Er könne die Bedenken nachvollziehen und stehe voll und ganz hinter den Forderungen, sagte Minister Nagy nach Angaben des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) in einem halbstündigen Gespräch nach der Übergabe. Bereits vergangene Woche hatte der VLOG mitgeteilt, Nagy werde „als Vertreter der ungarischen Ratspräsidentschaft“ am 8. Oktober auf dem „International Non-GMO Summit 2024“ in Frankfurt am Main eine Grußbotschaft sprechen. Dieser Internationale Ohne Gentechnik-Gipfel gilt als wichtigstes Branchentreffen der Ohne Gentechnik-Wirtschaft. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wird daran nicht teilnehmen, sondern lässt sich von seiner Staatssekretärin Silvia Bender vertreten.
Dass Nagy als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender für Landwirtschaft und Fischerei mit seiner Teilnahme klar Position bezieht, stieß beim Nachrichtenportal Euractiv auf Kritik. Nagy stelle damit „seine Neutralität als ‚ehrlicher‘ Vermittler infrage“, hieß es in einem Artikel. Schließlich solle er als Ratsvorsitzender die Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten über die neuen Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) neutral leiten. Deshalb werde die Teilnahme an der Konferenz wahrscheinlich zu Reibereien innerhalb des Rates führen, mutmaßte Euractiv. Doch die gibt es längst.
Bereits Anfang Juli, mit der Übernahme der Ratspräsidentschaft, listeten die Ungarn in einer inoffiziellen Mitteilung die einzelnen Punkte des NGT-Vorschlags der Kommission auf, die aus Sicht der Ungarn strittig sind, und baten die Mitgliedstaaten, Position zu beziehen. Der Bitte kamen bisher 16 der 27 Staaten nach. Die NGT-Befürworter unter ihnen äußerten teilweise sehr deutlich ihr Unverständnis darüber, dass die Ungarn die Debatte grundsätzlich neu beginnen. Sie wollen mit dem Verhandlungsstand weitermachen, der unter spanischer und belgischer Ratspräsidentschaft bis Februar 2024 erreicht worden war. Damals sprachen sich 17 Mitgliedstaaten für die vorgelegte Ratsposition aus. Doch sie verfehlten die notwendige qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Österreich, Griechenland, Rumänien, Kroatien und die Slowakei stellten sich in ihren Stellungnahmen hinter Ungarn und kritisierten den NGT-Vorschlag grundsätzlich. Deutschland enthielt sich in seinem Schreiben jeder klaren Äußerung.
Angesichts der festgefahrenen Verhältnisse im Rat gilt es als wahrscheinlich, dass sich beim NGT-Vorschlag in diesem Jahr nichts mehr bewegen wird. Eine für 10. September geplante Sitzung der zuständigen Arbeitsgruppe wurde abgesagt, der nächste geplante Termin wäre erst Mitte November. Für den 8. bis 10. September hat Nagy seine Kolleg:innen zu einer informellen Sitzung des Agrarrates nach Budapest eingeladen. Es werden einige Stühle leerbleiben, schrieb agrarheute. Sowohl EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski aus Polen als auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir würden sich durch Beamte vertreten lassen. Der Grund dafür ist allerdings nicht die ungarische Haltung zum NGT-Vorschlag der Kommission, sondern die zahlreichen Alleingänge der ungarischen Ratspräsidentschaft und wiederholte Verstöße der ungarischen Regierung gegen EU-Vorgaben. Offiziell treffen sich die Agrarminister:inen der Mitgliedstaaten das nächste Mal an 23. September in Brüssel. Die Tagesordnung ist noch nicht bekannt. Der NGT-Vorschlag wird voraussichtlich nicht darauf stehen. [lf]
28.08.2024 | permalink
Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA hat einen Bericht über die Anwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion veröffentlicht. Sie sieht darin kein neues Risiko und hält es für ausreichend, die bestehenden Leitlinien für die Risikobewertung anzupassen. Diese Einschätzung halten gentechnikkritische Organisationen und einige Behörden von Mitgliedstaaten für falsch.
Gentechnisch veränderte Mikroorganismen (GMM) wie Bakterien, Hefen und Mikroalgen sind seit Jahrzehnten im Einsatz. Eingeschlossen in Fermentern produzieren sie in ihrer Nährlösung Enzyme, Vitamine, Proteine oder Fettsäuren. Aufgereinigt werden diese Erzeugnisse als Industrierohstoff und ungekennzeichnet als Verarbeitungshilfsstoffe oder Zusatzstoffe in der Lebensmittelherstellung eingesetzt. Wer sie vermeiden will, muss zu Bio-Lebensmitteln oder solchen mit Ohne Gentechnik-Siegel greifen. Weiße Gentechnik nennt sich dieser Einsatzbereich. Doch mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) wie Crispr/Cas entwickeln immer mehr Unternehmen GMM, die nicht für den Fermenter gedacht sind, sondern in die Umwelt freigesetzt werden sollen.
Ein Beispiel dafür ist das Bodenbakterium Klebsiella variicola. Es kann für seinen Stoffwechsel Stickstoff aus der Luft fixieren. Die US-Firma Pivot Bio hat das Bakterium gentechnisch so verändert, dass es einen Teil dieses Stickstoffs als Ammonium an Pflanzen abgibt und vermarktet es als Zusatz, der helfen soll, Kunstdünger einzusparen. Nach Firmenangaben wird es in den USA auf zwei Millionen Hektar Ackerland eingesetzt. Da Pivot Bio keine Fremdgene eingefügt, sondern nur ein Gen im Erbgut des Bakteriums stillgelegt hat, gilt das Produkt in den USA als gentechnikfrei. Auch die brasilianische Gentechnikbehörde CTN Bio bewertete es so. Allerdings sind viele Klebsiella-Stämme auch hochinfektiöse Krankheitserreger. Deshalb ging CTN Bio in ihrer Stellungnahme davon aus, „dass das Bakterium Klebsiella variicola ein nicht zu vernachlässigendes Risiko der Übertragung aus der Umwelt und von Pflanzen auf Menschen und Tiere aufweist, weshalb bei künftigen Bewertungen seiner kommerziellen Anwendung Vorsicht geboten ist“. Die Gentechnik-Expert:innen der EFSA haben in ihrem Bericht die Pivot Bio-Klebsiellen als eines von 13 Fallbeispielen genauer betrachtet. Sie kommen zu dem Schluss, der Wissensstand belege die Sicherheit des Stickstoff fixierenden Bakteriums in Getreidekulturen. Die Übertragung in die Lebens- und Futtermittelkette könne vernachlässigt werden.
Laut EFSA gibt es sieben weitere GMM, die bereits in mindestens einem Land eingesetzt werden. In einem Fall handelt es sich um ein E. Coli Bakterium das als Futtermittelzusatz verkauft wird. Es wurde so verändert, dass es im Verdauungstrakt der gefütterten Tiere Salmonellen ausschalten kann. Entwickelt haben Gentechniker:innen auch eine Bierhefe, die selbst Hopfenaromen erzeugt. Neun weitere GMMs sind laut EFSA bereits patentiert und sollen bald vermarktet werden. Andere Mikroorganismen sind über das Labor noch nicht hinausgekommen. Insgesamt kommt die EFSA auf 35 GMM, die als lebende oder abgetötete Organismen in den nächsten zehn Jahren auf den Markt und in die Umwelt gelangen sollen - die meisten von ihnen als Düngerzusätze oder Pflanzenschutzmittel. Grundsätzlich sehen die EFSA-Expertinnen in diesen mit NGT hergestellten GMM keine neuen Risiken, verglichen mit natürlich mutierten oder mit klassischer Gentechnik veränderten Mikroorganismen. Wahrscheinlich würden, weil die neuen Verfahren zielgenauer seien, sogar weniger Gefahren auftreten. Die bisherigen Leitlinien für die Risikobewertung von Mikroorganismen sollten überarbeitet werden und dann einheitlich für alle Stämme/Produkte, die von Mikroorganismen stammen, angewandt werden, egal ob neue oder alte Gentechnik oder konventionelle Mutagenese, etwa durch Strahlung.
Damit argumentiert die EFSA ähnlich wie schon bei NGT-Pflanzen. Die Risiken von herkömmlichen Mutationen und NGT-Eingriffen seien vergleichbar und sollten einheitlich geregelt werden. Umweltbehörden aus Deutschland, Österreich und Dänemark kritisierten in ihren Stellungnahmen zu dem EFSA-Bericht diese Schlussfolgerung als nicht hinreichend belegt. Mit Hilfe von NGT könnten hochkomplexe Mutationen erzielt werden. Der Vergleich mit natürlich vorkommenden Mutationen verharmlose das Potential von NGT und sei irreführend, schrieb etwa das deutsche Bundesamt für Naturschutz. Es verlangte von der EFSA klarzustellen, dass die Risikobewertung des Gentechnikrechts auch für NGT-GMM gelten müsse. Das österreichische Umweltbundesamt betonte, dass durch das Ausbringen von GMM in die Umwelt neue Übertragungswege und damit Risiken entstünden, die bisher nicht beachtet würden – ganz unabhängig davon, ob es sich um neue oder alte Gentechnik handle. Die gentechnikkritische Organisation Testbiotech warnte, dass sich die Risiken einer Freisetzung von Gentechnik-Bakterien oft nur unzureichend abschätzen ließen und forderte die Stärkung des Vorsorgeprinzips. Der gen-ethische Informationsdienst wies Anfang des Jahres darauf hin, dass die Gentechnik-Lobbyorganisation EuropaBio darauf hinarbeite, dass die EU vor allem für gv-Mikroben ohne Fremd-DNA die Sicherheitsregeln lockere. Das Ziel sei, dass diese so behandelt würden wie herkömmliche Mikroorganismen im Dünge- und Pflanzenschutzrecht. [lf]
21.08.2024 | permalink
Wissenschaftler:innen aus Brasilien, Neuseeland und Norwegen haben mit Computermodellen abgeschätzt, welche unerwünschten Nebenwirkungen sogenannte RNAi-Pestizide haben können, die doppelsträngige Ribonukleinsäure (dsRNA) als Wirkstoff verwenden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass diese Wirkstoffe – offen ausgebracht – nicht nur Insekten und Säugetiere, sondern vor allem Menschen gefährden können. Ihr Fazit: Äußerste Vorsicht.
Ausbringen läst sich dsRNA auf verschiedene Weise. In ihrer Studie analysierten die Forschenden, was passieren kann, wenn mit dsRNA Felder bewässert, Vorräte begast oder sie als Pellets in den Bodeneingearbeitet werden. Entsprechend wählten sie den Maiswurzelbohrer, den Reismehlkäfer und den Weißfäulepilz als Schadorganismen, die durch dsRNA bekämpft werden sollen. Sie schätzten das Risiko ab, dass andere Organismen als die jeweiligen Schädlinge mit der dsRNA in Berührung kommen. Mit Computermodellen suchten sie im Erbgut solcher Nichtziel-Organismen nach Gensequenzen, die denen glichen, die von der dsRNA angegriffen würden. Dabei wurden sie reichlich fündig, vor allem im menschlichen Erbgut. Hier fanden sie 24 Gensequenzen, an denen die für den Maiswurzelbohrer tödliche dsRNA andocken und dort das Erbgut ändern könnte. Bei der Mehlkäfer-dsRNA waren es 36 Andockstellen, bei der Schimmelpilz-dsRNA nur fünf. Die Forschenden schätzten auch die möglichen Erbgutänderungen beim Menschen ab und stellten fest, dass vor allem Stoffwechselvorgänge in Zusammenhang mit Krebs und hormonellen Wirkungen betroffen seien. Sie empfahlen für das Ausbringen solche gentechnischer Reagenzien wie dsRNA eine rechtlich verpflichtende Risikobewertung, da es neu auftretender Kontaminanten mit potenziellen Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Umwelt seien.
Bei dieser Studie handelt es sich um eine computergestützte Abschätzung von Risiken und noch nicht um reale Versuche. Genau diese sind jedoch nach Ansicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) erforderlich. Sie schreibt in einer Betrachtung zu den gesundheitlichen Risiken von RNAi-Pestiziden, dass es beim Menschen und anderen Wirbeltieren erhebliche physiologische und biochemische Barrieren gebe, die es erschweren, dass Fremd-RNA in den Körper aufgenommen und dort verteilt wird – etwa zersetzende Enzyme im Speichel oder die Magensäure. Jedoch würden die Hersteller in vielen Fällen durch spezifische Produktformulierungen ihre dsRNA widerstandsfähig und stabil gegen Umwelteinflüsse machen. Deshalb seien Studien über die Persistenz in der Umwelt und die systemische Aufnahme und Toxizität solcher spezifischer dsRNA-Formulierung erforderlich.
Dabei gelten RNAi-Pestizide immer noch als risikoärmere Alternative zu konventionellen Pestiziden, da die dafür verwendete Ribonukleinsäure (RNA) und der Wirkmechanismus, die RNA-Interferenz (RNAi), in der Natur vorkommen. Die RNA ist ähnlich wie das Erbgut, die DNA (Desoxyribonukleinsäure), aus vier organischen Basen aufgebaut. Im Gegensatz zur DNA besteht RNA jedoch nicht aus zwei miteinander verwundenen Strängen, sondern üblicherweise nur aus einem einzigen Strang. Allerdings bildet bei vielen Viren die RNA selbst das Erbgut – und kommt zweisträngig vor (dsRNA). Eine solche dsRNA lässt sich auch künstlich herstellen, und zwar mit der jeweils gewünschten Reihenfolgen der Basen. Gelangt eine solche künstliche dsRNA über das Verdauungssystem in die Zelle eines Schädlings, etwa eines Kartoffelkäfers, glaubt diese, ein Virus vor sich zu haben. Enzyme in der Zelle zerschneiden die dsRNA und nehmen diese Schnipsel als Vorlage, um alles abzubauen, was ebenso aufgebaut ist wie diese Schnipsel. Gleichen sie einem Gen des Käfers, so wird auch dieses zerstört – selbst wenn es lebenswichtig ist. RNA-Interferenz, kurz RNAi, nennt sich dieser Effekt, mit dem die RNA genutzt werden kann, um ein Gen stillzulegen.
Eingesetzt wird dieses Wirkprinzip bereits in gentechnisch veränderten Pflanzen wie dem Mais Smart Stax pro von Bayer. Er produziert eine dsRNA, die ein Gen des Maiswurzelbohrers ausschalten und die Raupe dadurch töten soll. Mehrere Forschungsinstitute und Unternehmen entwickeln derzeit Pestizide, die mit dsRNA arbeiten. Eine Übersicht bietet der Kritische Agrarbericht von 2022, inzwischen dürften noch einige dazugekommen sein. So arbeitet etwa das bundeseigene Julius Kühn-Institut zusammen mit einem Fraunhofer-Institut in dem vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Projekt ViVe_Beet an einer dsRNA, die Zuckerrüben vor Vergilbungsviren schützen soll. Ein erstes RNAi-Pestizid ist bereits auf dem Markt: Im Dezember 2023 hat die US-Umweltbehörde EPA den dsRNA-Wirkstoff Ledprona gegen den Kartoffelkäfer für vorerst drei Jahre zugelassen.
Gentechnikkritiker:innen warnen schon länger vor dieser Entwicklung. „Unabhängige Studien zum Umweltverhalten der dsRNA in den Sprays gibt es bisher kaum“, schrieb das Gen-ethische Netzwerk schon 2021. Die französische Organisation Pollinis berichtete 2023 über Feldversuche mit RNAi-Pestiziden ohne jede Risikoabschätzung. In einer Analyse hatte sie – ähnlich dem Vorgehen in der oben genannten Studie – für 26 in der Entwicklung befindliche RNAi-Wirkstoffe die Gensequenzen von Schadinsekten mit denen von Nicht-Zielarten verglichen und kam zu der Schlussfolgerung, dass über die Hälfte der Produkte tödliche Auswirkungen auf bis zu 136 bestäubende Insektenarten haben könnten. Pollinis forderte deshalb eine „drastische und strenge Risikobewertung von RNAi-Pestiziden durch eine unabhängige Agentur“. Alle laufenden Freilandversuche in Europa sollten ausgesetzt werden, bis diese Bewertung durchgeführt worden ist. [lf]
13.08.2024 | permalink
Das westafrikanische Ghana hat einer gentechnisch veränderten Augenbohne die letzte noch ausstehende Genehmigung für den kommerziellen Anbau erteilt. Auch ansonsten setzt das Land auf Agro-Gentechnik, gegen starken Widerstand aus der Bevölkerung. Der führte immerhin zu einer gerichtlich verordneten Kennzeichnungspflicht.
Augenbohnen (englisch Cowpeas) zählen zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln in Westafrika. Entwickelt hat die gentechnisch veränderte (gv) Bohne das staatliche Savannah Agricultural Research Institute (SARI). Es verwendete dafür Fremd-DNA des Bayer-Konzerns, mit deren Hilfe die Bohnen ein insektengiftiges Protein, das Bt-Toxin, bilden können. Es soll die Raupen eines tropischen Schmetterlings, des Bohnen-Zünslers, abtöten. Die Nationale Biosicherheitsbehörde NBA hatte die Bt-Bohnen bereits im Sommer 2022 für Anbauversuche in größerem Umfang zugelassen. Nachdem diese anscheinend zur Zufriedenheit der Behörde ausgefallen waren, erteilte sie nun die endgültige Anbauerlaubnis. Gleichzeitig wurde die Gentech-Bohne in den nationalen Sortenkatalog aufgenommen. Damit ist Ghana nach Nigeria das zweite Land, in dem Bt-Bohnen kommerziell angebaut werden dürfen. Die Befürworter:innen versprechen sich davon bessere Erträge und mehr Ernährungssicherheit. Kritiker:innen wie die Peasant Farmers Association of Ghana (PFAG) dagegen fürchten negative Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt und warnen vor steigenden Saatgutkosten und der Abhängigkeit von internationalen Saatgutkonzernen.
Große Hoffnungen hatten die Kritiker:innen auf eine Klage vor dem ghanaischen Gerichtshof für Menschenrechte gesetzt. Doch das Gericht wies am 24. Mai 2024 die Einsprüche gegen den kommerziellen Anbau der gv-Bohnen als nicht überzeugend zurück. Allerdings verfügte die Richterin Barbara Tetteh-Charway, die NBA müsse dafür sorgen, dass alle gentechnisch veränderten Organismen (GVO), die auf den Markt kommen, gekennzeichnet sind. Auch habe die Behörde alle Daten, die ihr zu den verschiedenen GVO vorliegen, zu veröffentlichen. Die ghanaische Umweltorganisation CCCFS (Centre for Climate Change and Food Security) feierte diesen Teil der Entscheidung als „Sieg“ und „Meilenstein im Kampf gegen GVOs“. Dabei bezog sie sich nicht nur auf die gv-Bohnen, sondern auch auf eine Entscheidung der NBA vom Februar 2024. Da hatte die Behörde die Einfuhr von 14 Sorten gv-Mais und gv-Soja als Lebens- und Futtermittel und für die Verarbeitung freigegeben, nicht aber für den Anbau. Die meisten dieser Sorten kommen aus dem Hause Bayer. Auch diese Freigabe wurde von zahlreichen Organisationen kritisiert. Sie warnten vor möglichen Gesundheits- und Umweltrisiken, vor einer Kontamination der Lebensmittelkette sowie vor negativen Auswirkungen auf die traditionelle Landwirtschaft. Die PFAG kritisierte, die ghanaische Regierung fördere „die Agenda der multinationalen Saatgutunternehmen“. Die Organisation ActionAid Ghana forderte, die Regierung solle auf Agrarökologie statt GVO setzen. Die Freigabe der GVO-Importe berge „erhebliche Risiken für die Ernährungssicherheit, die biologische Vielfalt und das Wohlergehen gefährdeter Gemeinschaften“.
Sorgen machen sich auch die ghanaischen Landwirt:innen, die gentechnikfreie Sojabohnen anbauen. Sie fürchten sich vor Verunreinigungen durch die Importe und davor, dass die Regierung bald auch den Anbau freigibt. Der Verband der Sojaanbauer und -verarbeiter warnte davor, dass der Exportmarkt für gentechnikfreie Sojabohnen wegbrechen könne, ebenso wie der Inlandsabsatz, da die Verbraucher:innen gv-Soja ablehnten. In der öffentlichen Diskussion in Ghana nehmen die möglichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen von GVO immer mehr Raum ein, stellte eine von einer Gentechnik-Lobbyorganisation unterstützte Studie fest. Sie wertete die zwischen Januar 2021 und Dezember 2023 auf den drei wichtigsten ghanaischen Newsportalen erschienenen Artikel mit GVO-Bezug aus. Dabei zeigte sich, dass mit der Zeit Umwelt- und Gesundheitsthemen in den Hintergrund traten und stärker die sozioökonomischen Aspekte thematisiert wurden.
Noch vor wenigen Jahren fanden in Ghana auch Feldversuche mit gv-Süßkartoffeln, gv-Baumwolle und gv-Reis statt. Sie wurden nicht fortgesetzt, weil dem staatlichen Forschungsinstitut das Geld dafür ausging. Weitermachen wollen die Forscher:innen mit den Augenbohnen. Sie arbeiten daran, die Bohne so zu verändern, dass sie ein zweites Bt-Toxin produzieren kann. Falls der Bohnen-Zünsler gegen das erste Bt-Toxin resistent werden sollte – was angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Bt-Pflanzen zu erwarten ist. [lf]
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