15.11.2023 |

Glyphosat: Zulassung trotz Leukämieverdachts?

Glyphosat Herbizid Herbizid im Einsatz (Foto: Chafer Machinery / flickr, Chafer Sentry, Applying Defy at 250l/ha on wheat land in Lincolnshire, bit.ly/29E6Sk4, creativecommons.org/licenses/by/2.0)

+++UPDATE+++ Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) werden wohl morgen, am 16.11., darüber entscheiden, ob der Unkrautvernichter Glyphosat weitere zehn Jahre auf hiesigen Äckern versprüht werden darf. In einer aktuellen Langzeitstudie mit Ratten haben Herbizide mit diesem Wirkstoff in mehreren Fällen Leukämie ausgelöst. Und zwar in Dosierungen, die bisher von den Genehmigungsbehörden für unbedenklich gehalten wurden. Grund genug, die Notbremse zu ziehen?

Seit mehreren Jahren arbeitet das italienische Ramazzini Institut zusammen mit mehreren internationalen Forschungseinrichtungen an einer umfassenden Glyphosat-Studie, der Global Glyphosate Study (GGS). Auf einer Tagung präsentierten die Forschenden nun erste Ergebnisse. Sie zeigen, dass glyphosathaltige Unkrautvernichter Leukämie auslösen können – zumindest bei Ratten. Die Tiere erhielten zwei Jahre lang täglich entweder den reinen Wirkstoff oder ein glyphosathaltiges Herbizid. Verwendet wurden dabei das in Europa zugelassene Spritzmittel Roundup BioFlow oder das in den USA eingesetzte Ranger Pro. Verschiedene Tiergruppen erhielten von den Substanzen über das Trinkwasser jeweils 0,5, 5 oder 50 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag. Die Menge von 50 Milligramm entspricht der Konzentration, bei der nach Angaben der EU-Lebensmittelbehörde EFSA in Tierversuchen mit Glyphosat bisher keine negativen Effekte beobachtet wurden. Abgeleitet davon gilt in der EU die Menge von 0,5 Milligramm Glyphosat je Kilogramm Körpergewicht als akzeptable tägliche Aufnahme durch den Menschen.
In der Studie erkrankten in der Versuchsgruppe, die 0,5 Milligramm reines Glyphosat pro Kilo Gewicht erhielt, zwei von 102 Tieren an Leukämie. In den Gruppen mit 5,0 und 50 Milligramm war es jeweils eins von 102 Tieren. Beim Spritzmittel Ranger Pro waren es in den drei Gruppen eins, zwei und vier Tiere; bei Roundup traten in der 50 Milligramm-Gruppe drei Leukämiefälle auf. Als besonders bedenklich bezeichnete es Studienkoordinator Daniele Mandrioli, dass bei der höchsten Dosierung die meisten Fälle schon im ersten Lebensjahr der Tiere auftraten. „Diese Ergebnisse sind von so großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, dass wir beschlossen haben, sie jetzt … zu präsentieren. Die vollständigen Daten werden in den kommenden Wochen öffentlich zugänglich gemacht und zur Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht“, sagte Mandrioli.

Einfließen könnten diese Ergebnisse in die anstehende Entscheidung über die erneute Zulassung von Glyphosat in der EU. Am 16. November stimmen die EU-Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss über den Vorschlag der EU-Kommission ab, das Totalherbizid für weitere zehn Jahre zu erlauben. Dieser Termin wurde notwendig, weil es im Oktober im zuständigen Ausschuss (ScoPAFF) keine qualifizierte Mehrheit für diesen Vorschlag gab. In einer Zusammenfassung der damaligen Diskussion schreibt die EU-Kommission, die meisten Mitgliedstaaten hätten sich eine Neuzulassung sogar für 15 Jahre gewünscht. Doch eine qualifizierte Mehrheit, bestehend aus 55 Prozent der Mitgliedsstaaten die gleichzeitig 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, kam nicht einmal für den Zehn-Jahres-Vorschlag zustande. Wie berichtet hatten Österreich, Luxemburg und Kroatien dagegen gestimmt; Frankreich und Deutschland sowie Bulgarien, Belgien, Malta und die Niederlande hatten sich enthalten.
Ob diese blockierende Minderheit erhalten bleiben wird, wird wesentlich vom Abstimmungsverhalten Frankreichs abhängen. Das Land hatte seine Enthaltung im Oktober damit begründet, dass Glyphosat nur in Fällen angewendet werden sollte, in denen es keine Alternativen gebe. Diese Regelung dürfe die Kommission nicht auf die Mitgliedstaaten verlagern. Wie topagrar berichtet, soll der Kommissionsvorschlag morgen unverändert abgestimmt werden. In diesem Fall, so sagte der französische Agrarminister heute dem Sender "France info", gebe es für Frankreich auch keinen Grund, anders abzustimmen als beim ersten Mal.
Deutschland wird einer weiteren Zulassung nach Angaben einer Sprecherin wieder nicht zustimmen. Angesichts des anhaltenden Dissenses in der Ampelkoalition zu dem Thema dürfte es also erneut auf eine Enthaltung hinauslaufen. Das trug dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bereits reichlich Kritik ein, zuletzt vom Bio-Dachverband BÖLW. Auf einer Branchentagung vergangene Woche forderte die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres das Ministerium auf, bei wichtigen Themen wie Glyphosat und Gentechnik auf europäischer Ebene nicht stumm zu bleiben, sondern Haltung zu zeigen.

Da es damit im Berufungsausschuss wohl weder für noch gegen den Plan der EU-Kommission eine qualifizierte Mehrheit geben wird, wird diese Glyphosat voraussichtlich alleine bis 2033 zulassen. Bis zum 15. Dezember muss eine Entscheidung fallen, da dann die geltende Zulassung ausläuft. Das EU-Parlament (EP) kann dazu nur Empfehlungen aussprechen und ist zudem selber uneins. Im Umweltausschuss des EP scheiterten im Oktober sowohl eine Resolution, die die Kommission aufforderte, Glyphosat weiter zu genehmigen, als auch eine, die verlangte, es nicht erneut zuzulassen. Das europäische Pestizidaktionsnetzwerk PAN und andere Umweltorganisationen forderten die EU-Kommission auf, angesichts der vorgelegten Leukämie-Studie ihren Zulassungsvorschlag zurückzuziehen. „Diese qualitativ hochwertige Studie bedarf der vollen Aufmerksamkeit der europäischen Behörden, da sie alarmierende neue Beweise liefert, die frühere Erkenntnisse über die krebserregende Wirkung von Glyphosat im Lymphsystem bestätigen, die in Studien an Mäusen und in epidemiologischen Studien am Menschen festgestellt wurden“, sagte der Toxikologe Peter Clausing für PAN. [lf/vef]

Update: aktuelles Statement Frankreichs

09.11.2023 |

Handelskonzerne gespalten bei neuer Gentechnik

Verbraucher Fleisch Supermarkt Kennzeichnung Stephen Ausmus / USDA, https://www.flickr.com/photos/usdagov/8411827143, creativecommons.org/licenses/by/2.0

Würden die Regeln für Produkte neuer gentechnischer Verfahren (NGT) gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission gelockert, könnten Verbraucher:innen in vielen Fällen nicht mehr feststellen, ob ein Lebensmittel gentechnisch veränderte Zutaten enthält. Das bemängelten die Handelskonzerne ALDI Nord, ALDI Süd und REWE auf Anfragen gentechnikkritischer Organisationen. Mehrheitlich begrüßte der Handelsverband Lebensmittel (BVLH) jedoch die Pläne der EU-Kommission, bestimmte NGT-Pflanzen von den Prüf- und Kennzeichnungsvorschriften des Gentechnikrechts auszunehmen.
Auf Anfrage der Aurelia-Stiftung sprachen sich ALDI Nord und ALDI Süd dafür aus, NGT-Produkte auch weiterhin als solche zu kennzeichnen, um den Kund:innen die Wahl zu lassen, ob sie Lebensmittel mit oder ohne Gentechnik kaufen wollen. Neben einer Transparenz entlang der Lieferkette spreche das Vorsorgeprinzip für eine angemessene Risikobewertung solcher Produkte, so der Discounter. „Dass mit ALDI einer der weltweit größten Discounter für Wahlfreiheit und Risikoprüfung bei Neuer Gentechnik eintritt, ist eine gute Nachricht für Menschen, Artenvielfalt und stabile Ökosysteme“, lobte Bernd Rodekohr von der Aurelia-Stiftung für die Biene. „Denn ohne einzelfallbezogene, wissenschaftsbasierte Risikoprüfung lassen sich schädliche Auswirkungen von NGT-Pflanzen mit neuen Eigenschaften für das Ökosystem nicht sicher ausschließen.“
Ähnlich hatte sich bereits im Oktober eine Vertreterin der REWE Group positioniert: „Es ist aus Sicht der REWE Group auch im Bereich der neuen gentechnischen Verfahren erforderlich, unter Verwendung dieser Techniken hergestellte Produkte einem Zulassungsverfahren einschließlich einer Risikoprüfung zu unterwerfen und die Prinzipien Rückverfolgbarkeit, Vorsorge und Kennzeichnung weiterhin zu berücksichtigen“, sagte Vorstandsmitglied Daniela Büchel anlässlich der Messe Anuga. Rechtssicherheit und Transparenz hätten oberste Priorität für ihr Unternehmen, das sowohl im BVLH auch im Vorstand des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) vertreten ist. Dessen Geschäftsführer Alexander Hissting meint, EU-Kommission und Europaparlament könnten diese wichtigen Signale der drei großen Lebensmittelhandelsunternehmen im Sinne des Verbraucherschutzes nicht ignorieren. Entgegen den Zielen der EU-Kommission im laufenden Gesetzgebungsverfahren müsse diese dafür sorgen, dass auch künftig alle Arten neuer Gentechnik umfassend gekennzeichnet werden. Der VLOG vergibt ein freiwilliges Ohne-Gentechnik-Siegel für tierische Lebensmittel, die ohne gentechnisch verändertes Futter erzeugt wurden – ein Markt mit einem Jahresumsatz von rund 16 Milliarden Euro.
Edeka und die Schwarz Gruppe (Lidl) hätten sich in der Umfrage der Aurelia-Stiftung dagegen ausgesprochen, nur minimal veränderte NGT-Pflanzen verpflichtend zu kennzeichnen und ihre Risiken für Gesundheit und Umwelt zu prüfen, bedauerte Rodekohr. Die Unternehmen beriefen sich dabei auf ein Gentechnik-Positionspapier des Branchenverbandes BVLH, das den EU-Kommissionsvorschlag unterstützt, die Regeln für NGT-Produkte zu lockern. Der Handel befürworte mit großer Mehrheit den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, der die rechtlichen Regeln für NGT-Produkte an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen soll, heißt es in dem Papier von Ende Oktober. Denn die wachsende Weltbevölkerung müsse ernährt werden. Die Verbraucher:innen hätten genug Wahlfreiheit, wenn – wie von der Kommission geplant – nur Produkte mit mehr als 20 gentechnischen Veränderungen gekennzeichnet würden. Skeptisch sieht der Handel jedoch, dass der Entwurf der EU-Kommission erlauben will, weitere Details dieser privilegierten Kategorie in sogenannten „delegierten Rechtsakten“, also ohne das übliche europäische Gesetzgebungsverfahren festzulegen. Das sieht nämlich vor, dass sich – wie es derzeit geschieht - Europäisches Parlament und Rat eine Meinung zu einem Vorschlag bilden, bevor sie sich im Trilog mit EU-Kommission auf eine Regelung einigen.
Kritisch sieht der Handelsverband Lebensmittel ferner den Punkt Koexistenz: Nach dem Entwurf müssen die EU-Mitgliedstaaten regeln, dass NGT-Pflanzen nicht unbeabsichtigt in den ökologischen oder gentechnikfreien konventionellen Anbau geraten. Hier „bedarf es praxistauglicher Regeln zur Koexistenz, damit Unternehmen, die weiterhin gentechnikfrei wirtschaften wollen, hierzu auch künftig in der Lage sind“, so der BVLH. „Ob die hierfür bereits vorgesehenen Regelungselemente ausreichen, muss angezweifelt werden.“ Der Verband vermisst ferner Reglungen zum Patentrecht, die verhindern, dass NGT-Pflanzen patentiert werden können. Anderenfalls könnte „die Vielfalt und Unabhängigkeit durch das Verhalten einzelner Patentrechtsinhaberinnen und -inhaber eingeschränkt werden“. [vef]

31.10.2023 |

Crispr-Hühner: Pandemierisiko statt Gripperesistenz

Huhn Foto: Christoph Aron / pixelio.de

Britische Forschende wollten Legehennen mit Hilfe des neuen gentechnischen Verfahrens Crispr/Cas resistent gegen einen Stamm des Vogelgrippevirus machen, berichteten sie kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications. Doch die Viren überwanden die Resistenz schnell und mutierten so, dass sie perspektivisch auch Menschen gefährlich werden könnten. Für die Studienautoren ist damit klar, dass diese Hühner für die Landwirtschaft nicht geeignet sind. Ein unbeteiligter Wissenschaftler nannte die Versuche eine „akademische Fingerübung“.

Um sich zu vermehren nutzt der Vogelgrippevirus in den Tieren ein Protein mit der Bezeichnung ANP32A. Die Forschenden des Edinburgher Roslin Institute und des Imperial College London änderten mit Crispr/Cas das für die Produktion von ANP32A verantwortliche Gen. Das danach produzierte ANP32A-Protein enthielt zwei andere Aminosäuren und konnte so von den Viren nicht mehr missbraucht werden, um sich zu vermehren. In Versuchen mit diesen Crispr-Hühnern zeigte sich, dass sich bei geringer Viruslast neun von zehn Hühnern nicht infizierten. Wurde die Viruslast des H2N9-Stamms auf das 1000-fache erhöht, erkrankte jedoch die Hälfte der Tiere. Ein Teil der Viren war mutiert und hatte gelernt, die verwandten Proteine ANP32B und ANP32E für ihre Vermehrung zu nutzen. Im Labor stellten die Forschenden zudem fest, dass diese Mutanten sich „unerwartet“ auch in Zellen der menschlichen Atemwege vermehren konnten und dazu die kürzeren menschlichen ANP32-Proteine nutzten.

„Das bedeutet jedoch nicht, dass veränderte Vogelgrippeviren entstanden sind, die eine neue Pandemie auslösen können“, erläuterte die Berichterstatterin der Neue Zürcher Zeitung, die selbst Molekularbiologin ist. „Sollten die veränderten Viren jedoch weiter existieren und sich in der echten Welt verbreiten, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass sie weiter mutieren – und dann irgendwann doch ein Pandemievirus entsteht.“ Auf ähnliche Weise sei vor 100 Jahren die Spanische Grippe entstanden. Den Forschenden sei dieses Risiko bewusst, schrieb NZZ-Autorin Stephanie Lahrtz. Deshalb hätten sie vor Journalisten betont, es sei ausgeschlossen, dass die von ihnen hergestellten Crispr-Hühner je in Agrarbetrieben zum Einsatz kämen.

Um das Pandemierisiko auszuschließen, schufen die Forschenden im nächsten Schritt Hühner, die gar kein ANP32A mehr bildeten, doch das schränkte die mutierten Viren nur geringfügig ein. Schließlich erzeugten sie für Laborversuche Hühnerzellen, denen alle drei ANP32-Proteine fehlten. In diesen Zellen vermehrten sich weder der ursprüngliche Virus noch die Mutationen. Auch sei es zu keinen Durchbruchsinfektionen gekommen, schrieben die Forschenden, räumten aber ein, „dass diese Kombination von Knockouts für die Gesundheit der Tiere schädlich“ sein dürfte und nichts gewonnen wäre, „wenn die erhöhte Resistenz gegen die Vogelgrippe mit einem Verlust an Fitness der Vögel einhergeht“. Um das zu überprüfen, wollen sie nach diesen Zellversuchen nun lebende Hühner ohne ANP32-Proteine entwickeln.

Timm Harder, Vogelgrippe-Experte am staatlichen Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, erläuterte dem Science Media Center die rechtliche Situation, falls solche Gentechnik-Tiere tatsächlich eingesetzt werden sollten: Nach europäischem Recht seien die Hühner, deren Genom mittels Crispr/Cas verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen zu betrachten. „Ihre Nutzung bedürfte also einer gentechnischen Genehmigung und die Haltung wäre nach aktuellem Recht nur in einer gentechnischen Anlage möglich. Freilandhaltung wäre dann einem Freisetzungsvorhaben gleichzustellen.“ Für eine Massennutzung müssten deshalb die Gesetze entsprechend angepasst werden. Doch zuerst müssten Langzeitversuche aufzeigen, welche Effekte die abgeschalteten Gene auf die Hühner hätten. Abzuwarten bleibe zudem, „wie sich diese Hühner gegenüber den wesentlich aggressiveren, hochpathogenen aviären Influenzaviren wie H5N1 verhalten; diese wurden hier nicht getestet“. H5N1 ist der derzeit grassierende Vogelgrippe-Virus, die britischen Forschende verwendeten die weniger aggressive Variante H2N9.

Der Virologe Stephan Ludwig von der Universität Münster bezeichnete die „elegante Arbeit“ gegenüber dem Science Media Center als „Proof-of-Concept“, also als Machbarkeitsstudie, die gezeigt habe, „dass eine Gene-Editing-Strategie geeignet sein kann, um eine robuste Resistenz gegen Infektion zu erreichen“. Gleichzeitig sei aber die enorme Anpassungsfähigkeit der Viren deutlich geworden, „die bei hohen Viruslasten schon in diesen ersten Experimenten zu Durchbruchsinfektionen geführt hat“. Neben der schnellen Anpassung der Viren sieht Ludwig ebenfalls „rechtliche und ethische Hürden“ sowie das Problem einer mangelnden Akzeptanz. „Insofern ist die Arbeit zunächst einmal eine elegante akademische Fingerübung und noch weit weg von einer tatsächlichen Anwendung“, lautete sein Fazit. [lf]

25.10.2023 |

Europas Volkspartei will Gentechnik im Ökolandbau

Europäisches Parlament Europäisches Parlament / Foto: © European Union 2014 - European Parliament

Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, will mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellte Pflanzen im Ökolandbau erlauben. Die EVP geht damit noch über Pläne der Europäischen Kommission hinaus, die zwar die Regeln für NGT insgesamt lockern, sie auf Wunsch der Biobranche für diese aber weiter verbieten will. Bioverbände protestieren gegen den EVP-Vorstoß und fordern die Europaabgeordneten auf, ihn abzulehnen. Unterdessen wird unter enormem Zeitdruck versucht, europäisches Parlament, Rat und Kommission bis Frühjahr 2024 zu einer Einigung über die neuen NGT-Regeln zu führen.

In ihrem Entschließungsantrag vom 16. Oktober schlägt die zuständige Berichterstatterin Jessica Polfjärd den Europaabgeordneten vor, NGT-Pflanzen ohne Fremdgene, für die es nach den Plänen der EU-Kommission künftig keine Risikobewertung und Kennzeichnung mehr geben soll, auch für den Ökolandbau zuzulassen. Der Verordnungsentwurf der Kommission sieht dagegen ein Verbot vor, weil die Bio-Branche Gentechnik-Pflanzen einhellig ablehnt. Eine entsprechende Resolution hatten die Delegierten des Bio-Dachverbandes Ifoam Organics Europe im Juni 2023 mit einer Mehrheit von 98 Prozent verabschiedet. Auch nach der geltenden EU-Öko-Verordnung ist Gentechnik in Bioprodukten verboten.

Kippen will die Schwedin Polfjärd auch die Vorgabe der Kommission, dass NGT-Saatgut gekennzeichnet werden muss, um Landwirt:innen die Wahl zu lassen, ob sie es anbauen wollen. Eine solche Kennzeichnung sei „diskriminierend“, heißt es zur Begründung. Schließlich will die Berichterstatterin die Regeln ändern, nach denen geprüft wird, ob es sich um eine NGT-Pflanze handelt, die vom Gentechnikrecht ausgenommen ist. Ziel ist, die Mitsprache der EU-Mitgliedstaaten zu beschränken. Auch soll die Definition von dieser Pflanzen-Kategorie so geändert werden, dass noch mehr NGT-Pflanzen darunterfallen.

Beim Thema Patente sieht die EVP dagegen keinen Handlungsbedarf. Ihr reicht es, wenn die EU-Kommission wie geplant 2026 prüft, ob zusätzliche Regelungen nötig sind. Viele dieser Punkte dürften im Sinne derer sein, die laut Resolutionsentwurf zu diesem beigetragen haben: der deutsche Saatgutkonzern KWS, der Lobbyverband Euroseeds und die schwedische Öko-Kontrollstelle Krav. Der Entwurf wird federführend im Umweltausschuss debattiert und abgestimmt, bevor er im Plenum des Europäischen Parlaments behandelt wird.

Die Biobranche ist empört über den EVP-Vorstoß: Er missachte die Sichtweise einer ganzen Bewegung und eines ganzen Wirtschaftssektors, kommentierte Jan Plagge, Präsident von Ifoam Organics Europe. Der Bio-Sektor stehe geschlossen hinter der Forderung, dass der ökologische Produktionsprozess frei von Gentechnik bleiben müsse und zwar von neuer wie alter. „Denn mit dem Vorsorgeprinzip und den Grundsätzen des ökologischen Landbaus ist diese Hochrisiko-Technologie nicht vereinbar“, sagte Plagge. Tina Andres, Vorsitzende des deutschen Biodachverbandes BÖLW mahnte, im Europaparlament werde über „die Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern, Bauernhöfen und Unternehmen verhandelt, künftig selbst über ihr Essen oder ihre Produktion entscheiden zu können.“
Barbara Riegler, Obfrau des österreichischen Verbandes Bio Austria, sprach von einem „skandalösen Vorhaben“ und einem „Angriff auf die Bio-Landwirtschaft in Europa sowie auf den Grundsatz der Wahlfreiheit“. Alle Verbände fordern die Europaabgeordneten auf, den Vorschlag abzulehnen. Stattdessen sollten die Parlamentarier:innen sicherstellen, dass Bio gentechnikfrei bleibe und Produkte aus NGT weiterhin kontrolliert und gekennzeichnet werden sowie rückverfolgt werden können. Der Biobauer und grüne Europaabgeordnete Martin Häusling geht von harten Verhandlungen aus. Denn es gebe im Parlament keine gentechnikkritische Mehrheit, die den Vorschlag der EU-Kommission in Gänze ablehnen würde.

Parallel zur Diskussion im Parlament versucht der Europäische Rat, also die EU-Mitgliedstaaten, eine gemeinsame Position zu den NGT-Plänen der EU-Kommission zu erarbeiten. Da Befürworter wie Gegner noch zahlreiche Kritikpunkte haben, hat die spanische Ratspräsidentschaft Anfang Oktober einen Kompromissvorschlag für die Reglungspunkte eins bis elf vorgelegt. Dieser hält an einem NGT-Verbot für den Ökolandbau ebenso fest wie an einer Kennzeichnung von Saatgut der privilegierten Kategorie 1. Nur dort, wo geprüft wird, ob eine NGT-Pflanze in diese Kategorie fällt, will die Ratspräsidentschaft das Verfahren vereinfachen - allerdings nicht so weitgehend wie die EVP. Weil die Spanier unbedingt bis zum Ende ihrer Präsidentschaft im Dezember einen Ratsbeschluss erreichen wollen, stressen sie die Mitgliedstaaten mit zahlreichen, eng getakteten Arbeitsgruppensitzungen. Zur nächsten Sitzung der Agrarminister am 20. und 21. November soll auch ein Kompromissvorschlag für den Rest der Verordnung fertig sein.

Im Europaparlament will morgen der Agrarausschuss über den NGT-Entwurf der EU-Kommission debattieren. Berichterstatterin ist die tschechische Abgeordnete Veronika Vrecionová von den Europäischen Konservativen und Reformisten, deren Beschlussvorschlag dem Vernehmen nach aus Zeitgründen noch nicht schriftlich vorliegt und daher mündlich vorgetragen wird. Eine Abstimmung in diesem Ausschuss wird am 11. oder 14. Dezember erwartet. Im federführenden Umweltausschuss wird Polfjärd ihren Resolutionsentwurf voraussichtlich am 7. November vorstellen. Den Abgeordneten soll dann bis zum 15. November Zeit bleiben, Änderungsanträge einzureichen. Zusammen mit den Anmerkungen des Agrarausschusses könnte die Endfassung im Januar 2024 im Umweltausschuss abgestimmt werden. Sofern nichts dazwischen kommt, könnten nach einem Beschluss des Parlamentsplenums dann im Februar die Trilogverhandlungen mit Kommission und Rat starten - wenn letzterer bis dahin eine Position abgestimmt hat. Ziel der Befürworter:innen neuer Gentechnik ist es, die neue Verordnung zu beschließen, bevor im April 2024 der Wahlkampf fürs nächste Europaparlament beginnt. [lf/vef]

20.10.2023 |

Bundesrat bleibt bei Kennzeichnung neuer Gentechnik vage

bundesrat Bundesratsgebäude in Berlin

Die Bundesländer haben heute im Bundesrat den Vorschlag der EU-Kommission zur Regelung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) begrüßt und nur wenig Kritisches angemahnt. Klare Ausschussempfehlungen etwa zur Kennzeichnung oder zur Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten den NGT-Anbau verbieten können, fanden im Plenum keine Mehrheit. Das lässt der Bundesregierung viel Freiheit für ihre Verhandlungen in Brüssel.

Der Bundesrat betonte das Potential von NGT-Pflanzen für Forschung und Pflanzenzüchtung und lobte die EU-Kommission dafür, dass sie eine Regulierung anstrebe, „um die mit der Entwicklung und dem Anbau von NGT-Pflanzen verbundenen Chancen für eine nachhaltige Landwirtschaft auch in der EU nutzen zu können“. Doch werfe der Vorschlag „noch Fragen hinsichtlich Transparenz, Wahlfreiheit, Koexistenz sowie des Vorsorgeprinzips auf“.

In der Beschlussvorlage hatten seine Ausschüsse dem Bundesrat deutliche Worte empfohlen, etwa: „Eine Kennzeichnungspflicht aller NGT-Pflanzen und daraus hergestellten Produkte ist durchgängig auf allen Stufen vom Erzeuger bis zum Verbraucher zu gewährleisten“. Oder: „Die Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher ist nach Auffassung des Bundesrates ein sehr hohes Gut und schafft Vertrauen“. Diese Formulierungen fanden in der Plenarabstimmung keine Mehrheit und verschwinden damit aus dem Text. Ebenso gestrichen wurde die Bitte an die Bundesregierung, „sich dafür einzusetzen, dass es Mitgliedstaaten weiterhin ermöglicht wird, regional begrenzte Opt-Out Regelungen für den Anbau von NGT-Pflanzen zu nutzen“. Eine solche Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten den Anbau von NGT-Pflanzen aus Koexistenzgründen verbieten können, hatte die EU-Kommission in ihrem Vorschlag explizit ausgeschlossen.

Erhalten blieb die Formulierung, dass der Bundesrat die Auswirkungen des Verordnungsvorschlags auf den Ökolandbau „mit großer Sorge“ betrachte. Er will deshalb erreichen, dass Maßnahmen wie Abstandsregelungen und Mitteilungspflichten gegenüber den Nachbarn für den Anbau von NGT-Pflanzen weiterhin vorgeschrieben werden. Außerdem seien Öko-Erzeuger und -Verarbeiter „bei festgestellter unbeabsichtigter Beimischung oder Verunreinigung von einer Haftung zu befreien“.

Beim Thema Patente blieb es beim ursprünglichen Text. Damit Züchter ungehindert mit NGT-Pflanzen arbeiten können, soll die Bundesregierung die weiteren Verhandlungen im EU-Ministerrat daran koppeln, „dass parallel seitens der Kommission geprüft wird, welche Auswirkungen Patente auf NGT-Pflanzen auf den Saatgutmarkt hätten und ob eine Änderung des Patentrechts erforderlich ist“. Außerdem „sollte klargestellt werden, dass die Verwendung von zufälligen Mutationen und natürlichen Genvarianten im Rahmen der konventionellen Züchtung nicht durch Patente eingeschränkt werden darf“.

Keine Mehrheit gab es in der Länderkammer für die abschließende Bemerkung „Im Übrigen bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, das Vorsorgeprinzip zu wahren, da es sich bei NGT um eine Technologie mit hoher Eingriffstiefe und mangelnder Umkehrbarkeit aus den Öko-Systemen handelt.“ Wie die einzelnen Bundesländer abgestimmt haben, teilt der Bundesrat grundsätzlich nicht mit.

Im Vorfeld hatten Verbände der konventionellen und ökologischen Agrarwirtschaft eindringlich an die Länderkammer appelliert, sich gegen die Pläne der EU-Kommission zu wenden, die Regeln für neue gentechnische Verfahren zu lockern. „Der Gesetzentwurf der EU-Kommission zielt auf eine radikale Abschaffung von Risikoprüfung und Kennzeichnung ab, für fast alle mit neuen Gentechniken entwickelten Pflanzen“, warnte etwa die Vorsitzende des Bundes ökologische Landwirtschaft, Tina Andres. Damit rolle die EU-Kommission „der Konzern-Lobby den roten Teppich aus – obwohl deren absurde Heilsversprechen für NGT-Pflanzen bisher überhaupt nicht belegt sind“. Das stehe im Widerspruch zum „klaren Wunsch einer überwältigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, der landwirtschaftlichen Betriebe und Lebensmittelunternehmen …, die auch künftig ohne Gentechnik-Zwang produzieren und essen wollen“.

Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisierte, dass der Verordnungsentwurf vor allem Konzerninteressen diene. Die gentechnikfreien Märkte in Deutschland und Europa seien ein Wettbewerbsvorteil, der diesen Interessen nicht geopfert werden dürfe, mahnte AbL-Expertin Annemarie Volling. Sie erinnerte die Ländervertreter:innen daran, dass sie dafür verantwortlich sind, Agrarprodukte auf unzulässige Gentechnikbestandteile zu kontrollieren. „Selbstredend brauchen wir Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Lebensmittelkette, verpflichtende Nachweisverfahren und Referenzmaterial sowie Rückverfolgbarkeit und Rückholbarkeit“, so Volling.

Einige Verbände hatten vorab auch Beschlussempfehlungen an die Mitglieder des Bundesrats versandt. So hatte die Aurelia-Stiftung sich - erfolgreich - dafür eingesetzt, dass der Bundesrat sich für einen Haftungsausschluss ausspricht, wenn fremde Gentechnikpflanzen Honig oder andere Produkte der gentechnikfreien Landwirtschaft unbeabsichtigt verunreinigen. Am liebsten wäre es den Bienenschützern aber gewesen, die Länderkammer hätte den kompletten Verordnungsentwurf abgelehnt. [lf/vef]

18.10.2023 |

Etappensieg Rutos: Gericht in Kenia erlaubt Gentechnikpflanzen

Feldversuch mit Gentech-Mais in Kenia Foto: AATF Feldversuch mit Gentech-Mais in Kenia Foto: AATF

Vor einem Jahr hat Kenias Präsident ein zehnjähriges Moratorium beendet und per Dekret erlaubt, gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen zu importieren und anzubauen. Da diese Entscheidung Umwelt und Gesundheit gefährde und die kenianische Verfassung verletze, klagten Agrar- und Juristenverbände dagegen vor verschiedenen Gerichten. Das Umweltgericht Nairobi gab der Regierung Ruto vergangene Woche recht. Das endgültige Urteil des Hohen Gerichtshofs (High Court) steht aber noch aus.

Bei einem Gericht für Land- und Umweltfragen (Environment and Land Court) hatte die Anwaltsvereinigung LSK (Law Society of Kenya) im Januar Klage gegen den Kabinettsbeschluss vom 3. Oktober 2022 eingereicht, das Verbot des Anbaus und der Einfuhr von gv-Mais aufzuheben. Sie verwies auf die Risiken, die gv-Pflanzen wie herbizidresistenter Mais für Gesundheit und Umwelt darstellen würden. Auch die Ernährungskultur und die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Kenia sah die LSK dadurch in Gefahr, da gentechnisch veränderte Pflanzen sich unbemerkt in heimische Sorten einkreuzen könnten. Aus diesen Gründen hätten vor der Entscheidung, das Gentechnik-Moratorium aufzuheben, ihre ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen abgeschätzt und die Öffentlichkeit beteiligt werden müssen, argumentierte die Vereinigung.

Richter Oscar Angote sah das anders. Ihm sei kein Gesetz genannt worden, das eine öffentliche Beteiligung bei einem solchen Regierungsbeschluss verlangen würde, schrieb er in seinem Urteil. Auch 2012 seien Import und Anbau von gv-Pflanzen verboten worden, ohne dass die Öffentlichkeit gefragt worden sei. Für die behaupteten Gefahren für Umwelt und Gesundheit hätten die Kläger keine Belege vorgelegt. Auch müssten die Menschen in Kenia vor solchen Risiken keine Angst haben. Es gebe „einen rechtlichen und institutionellen Rahmen, der für eine strenge Bewertung von GVO (gentechnisch veränderten Organismen, Anm. d. Red.) geschaffen worden sei“, begründete das Angote.
Die nationale Behörde für biologische Sicherheit sei in der Lage, riskante Lebensmittel zu identifizieren und ihre Sicherheit angemessen zu bewerten. Die Umweltbehörde NEMA prüfe die Umweltauswirkungen von gv-Pflanzen, die freigesetzt werden sollen. Es sei nicht wahr, dass die zuständigen Behörden sich verschworen hätten, um die Bevölkerung den in der Klage erwähnten Katastrophen auszusetzen, heißt es im Urteil. Die betroffenen Kleinbauern sehen das anders: Den Behörden sei nicht zu trauen, sagte Cidy Otieno der „Voice of America“. Der nationale Koordinator des Kleinbauernverbandes Kenya Peasants League erinnerte an ein gv-Produkt aus Südafrika, das länger als ein Jahr ohne Zulassung illegal in Kenia verkauft worden sei. Die Kenianer seien gegen gv-Produkte schlecht geschützt.

Deshalb wollte die Anwaltsvereinigung LSK mit ihrer Klage auch Pläne der Regierung stoppen, tonnenweise gentechnisch veränderten Bt-Mais als Saatgut an Kenias Bauern zu verteilen. LSK argumentierte vor dem Umweltgericht, dass staatliche Stellen dieses Saatgut ohne die notwendigen Risikobewertungen und Zulassungen in Verkehr bringen würden. Dass der Staat das tun wolle, hätten ihm die Kläger aber nicht belegen können, monierte Richter Angote und wies die Klage in diesem Punkt als „verfrüht“ zurück. Diese Passage aus dem Urteil lässt sich auch als vorsorglicher Hinweis an die Behörden und das beteiligte staatliche Forschungszentrum Kalro verstehen, dass sie das gesetzlich vorgesehene Zulassungsverfahren für gv-Pflanzen weiterhin einhalten müssen. Seit das Verbot 2022 aufgehoben wurde, hat Kenia nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters noch keine gv-Pflanzen importiert oder angebaut.

Obwohl sich die LSK noch nicht dazu geäußert hat, ob sie gegen dieses Urteil des Umweltgerichts Berufung einlegen will, berichteten kenianische und internationale Medien bereits, Import und Anbau von gv-Pflanzen seien in Kenia jetzt freigegeben. Dabei steht die Entscheidung in einem zweiten Prozess noch aus: Die Kleinbauernbewegung Kenya Peasants League (KPL) hatte beim High Court geklagt, weil die Aufhebung des Gentechnik-Moratoriums gegen die kenianische Verfassung verstoße. Wie der Infodienst berichtete, hatte High Court-Richterin Mugure Thande deshalb Import und Anbau von gv-Pflanzen Ende 2022 per einstweiliger Verfügung weiterhin für verboten erklärt. Der Versuch der kenianischen Regierung, diese Verfügung zu kippen, scheiterte am 31. März 2023. Für die Entscheidung des High Court in der Hauptsache ist noch kein Termin bekannt. Wie KPL-Koordinator Otieno der „Voice of America“ sagte, rechnet er damit noch in diesem Jahr.

Neben den beiden Prozessen in Kenia beschäftigt das Importverbot auch den Ostafrikanischen Gerichtshof in Tansania (East African Court of Justice). Dort haben Slow Food International und die ungandische Organisation Centre for Food and Adequate Living Rights gegen Präsident Rutos Dekret geklagt. Aus ihrer Sicht verstößt es gegen die Regeln der Ostafrikanischen Gemeinschaft. Diese sieht den freien Warenverkehr zwischen ihren Mitgliedern vor. Doch Uganda und Tansania lehnen gv-Lebensmittel ab. Das Portal „Voice of America“ zitierte einen kenianischen Politikdozenten mit den Worten, Einfuhr und Anbau von gentechnisch veränderten Organismen in der Region gefährde die Handelsbeziehungen zwischen Kenia und seinen Nachbarn, da gentechnikfreie Ware und Felder unbemerkt verunreinigt werden könnten. Der ostafrikanische Gerichtshof wacht über das Gemeinschaftsabkommen und soll deshalb klären, inwieweit ein Mitgliedsland einseitig Import und Anbau von gv-Pflanzen zulassen darf. [lf/vef]

13.10.2023 |

Glyphosat: EU-Staaten stoppen Genehmigung nicht

BUND-Protest gegen Glyphosat vor dem Bundesagrarministerium in Berlin. Foto: BUND/Stefanie Loos BUND-Protest gegen Glyphosat vor dem Bundesagrarministerium in Berlin. Foto: BUND/Stefanie Loos

Die Chancen der Europäischen Kommission sind gestiegen, dass sie den Unkrautvernichter Glyphosat in der Europäischen Union (EU) bis zum Jahr 2033 zulassen kann. Denn die 27 EU-Mitgliedstaaten haben diesen Vorschlag heute nicht mit der nötigen Mehrheit abgelehnt. Deutschland enthielt sich, weil die Ampelkoalition uneins ist. Sollte sich auch im Berufungsverfahren keine qualifizierte Mehrheit gegen ihren Plan finden, wird die EU-Kommission ihn wohl bis 14. Dezember umsetzen.
Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir hatte im Vorfeld mehrfach dafür plädiert, den weltweit meistverkauften Spritzmittelwirkstoff nicht weiter auf europäische Äcker zu sprühen, da er der ohnehin gefährdeten Biodiversität weiter schade. Davon versuche er auch andere EU-Mitgliedstaaten zu überzeugen, teilte Özdemirs Ministerium (BMEL) nach der letzten Sitzung des zuständigen EU-Ausschusses im September mit. Doch um den Plan der EU-Kommission zu verhindern, müsste der Grünenpolitiker seinen deutschen Koalitionspartner FDP sowie 14 EU-Mitgliedstaaten auf seine Seite bringen. Zusammen müssten die Länder 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Erst dann wäre die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht, um Glyphosat zu stoppen.
Aktuell sieht es nicht so aus, als könne Cem Özdemir die mobilisieren. Wie das Portal agrarheute berichtet, haben nur Österreich, Luxemburg und Kroatien bei der heutigen Sitzung für einen Glyphosat-Stopp gestimmt. Neben Deutschland enthielten sich Bulgarien, Belgien, Malta, die Niederlande und Frankreich. Kritisiert worden seien vor allem fehlende Daten zu den Auswirkungen auf Biodiversität, Böden und Gewässer, informierte das deutsche Agrarministerium. Zwar haben 18 EU-Länder für den Kommissionsvorschlag gestimmt. Sie repräsentierten aber nur 55 Prozent der Bevölkerung, wie agrarheute vorrechnet. Denn bevölkerungsreiche Staaten wie Deutschland oder Frankreich waren nicht darunter.
Der französische Minister für den ökologischen Wandel sagte dem Portal France24, die EU-Kommission sei den französischen Wünschen zwar entgegengekommen, indem sie die Höchstdosis Glyphosat-Spritzmittel pro Hektar in ihrem Vorschlag reduziert habe. Das reiche aber noch nicht für eine Zustimmung. Frankreich erprobt im eigenen Land bereits alternative Spritzmittel und möchte das auch in der EU-Verordnung implementiert sehen. Außerdem will das Land Glyphosat nur bis 2030 zulassen. Es habe intensive Gespräche mit Deutschland gegeben und die Positionen näherten sich an, schreibt France24.
Das Problem bleibt, dass der Agrarminister, der Deutschland in dieser Frage auf EU-Ebene vertritt, nicht kann, wie er will. „Da es aus dem BMDV (dem FDP-geführten Ministerium für Digitales und Verkehr, Anm. d. Red.) Einwände gab, haben wir uns heute in der Abstimmung letztlich enthalten müssen – auch wenn wir es uns anders gewünscht hätten“, schrieb ein Sprecher des BMEL dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Die Grünen und das SPD-geführte Kanzleramt berufen sich auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“ Wobei sie davon ausgehen, dass Deutschland das rechtssicher nur tun kann, wenn der Wirkstoff auch auf EU-Ebene nicht weiter zugelassen wird. Die FDP dagegen pocht auf eine Passage im Ampelvertrag, nach der Pflanzenschutzmittel „nach wissenschaftlichen Kriterien“ zugelassen werden sollen. Und die europäischen Fachbehörden hatten das Pflanzengift im Sommer nach wissenschaftlichen Studien als unbedenklich eingestuft. Ist sich die Ampel damit uneins, muss sich der BMEL-Vertreter nach den Regularien der Bundesregierung im EU-Ausschuss enthalten.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert, die FDP lege den Koalitionsvertrag "sehr fragwürdig" aus. Und: „Wir sind über das Schweigen der SPD zu diesem wichtigen Verbraucherschutz- und Umweltthema enttäuscht“, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Die Ampelkoalition hätte den Kommissionsvorschlag einvernehmlich ablehnen und damit ein wichtiges Signal in Europa für mehr Gesundheit und Artenschutz setzen sollen. Auch beim Umweltinstitut München ist man empört: „Die deutsche Bundesregierung hat es trotz Federführung zweier grüner Ministerien und einem eindeutigen Koalitionsvertrag nicht geschafft, sich klar gegen die Wiederzulassung von Glyphosat zu positionieren”, moniert Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft. “Wir erwarten bei der nächsten Abstimmung ein eindeutiges Statement in Form einer ‘Nein‘-Stimme.“
Das erwartet auch die deutsche Bevölkerung. Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey vergangene Woche ergab, lehnen es 61,9 Prozent der Bundesbürger ab, Glyphosat neu zuzulassen. 57 Prozent der im Auftrag des BUND Befragten sind selbst dann für ein Glyphosatverbot in Deutschland, wenn der Wirkstoff auf EU-Ebene wieder zugelassen werden sollte. Das verlangt auch BUND-Vorsitzender Bandt. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, protestierte heute eine Delegation des BUND vor dem Agrarministerium und übergab 60.000 Unterschriften der Petition „Besser ohne Gift“.
Hausherr Özdemir kritisiert unterdessen die EU-Kommission: „Sie ignoriert mit ihrem Vorschlag das im EU-Recht verankerte Vorsorgeprinzip und schiebt die Verantwortung für die Artenvielfalt sowie den Schutz unserer Gewässer allein auf die Mitgliedstaaten. Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte sie keine Wiedergenehmigung von Glyphosat zulasten der Artenvielfalt durchsetzen." Die EU-Kommission scheint sich ihrer Sache jedoch ziemlich sicher: "Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die vielen Kollegen aus den verschiedenen Staaten enorme Mengen an wissenschaftlichen Daten durchforstet haben, glauben wir, dass wir einen guten Vorschlag haben“, bekräftigte ein Sprecher heute vor Journalisten. Der Berufungsausschuss der EU-Staaten werde in der ersten Novemberhälfte über den unveränderten Verordnungsentwurf abstimmen. [vef]

09.10.2023 |

Neue Gentechnik: Politik und Verbände fordern Patentregelung

Protest vor dem Europäischen Patentamt (Foto: Kein Patent auf Saatgut!) Protest vor dem Europäischen Patentamt (Foto: Kein Patent auf Saatgut!)

Pflanzenzüchter und Bauernverbände warnen davor, Pflanzen aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) zu patentieren. Auch einige EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, haben der EU-Kommission deutlich gemacht, dass die geplante NGT-Verordnung die Patentierung mitregeln muss. Denn vom Europäischen Patentamt ist wenig Hilfe zu erwarten: Das hat die Vorgaben zur Patentierung von Pflanzen bisher im Interesse der Antragsteller extrem weit ausgelegt. Daher wurde zum 50. Geburtstag der Behörde vergangene Woche lautstark protestiert.

Derzeit sind Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellt wurden, patentierbar. Grundlage dafür ist die Biotechnik-Richtlinie, die generell erlaubt, gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere patentieren zu lassen. Schon jetzt gibt es zahlreiche Patente auf NGT-Pflanzen, obwohl kaum welche auf dem Markt sind. Aus diesem Grund warnt Jan Plagge, Präsident von Bioland, vor einer „Patentflut, die bäuerliche Betriebe und den Mittelstand in der Pflanzenzucht in noch größere Abhängigkeit zu den großen Agrochemie-Konzernen zwingt“. Seine Forderung: „Das Patentrecht muss überarbeitet werden, bevor das Gentechnikrecht angefasst wird.“
Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir hat bei den aktuellen Beratungen über eine neue NGT-Verordnung in Brüssel deutlich gemacht, dass ein Ausufern von Patenten auf Nutzpflanzen verhindert werden muss. Der Deutsche Bauernverband hält es ebenfalls für „unabdingbar, eine Lösung in der Frage der Patente zu schaffen“. Der Verband der deutschen Pflanzenzüchter (BDP) warnt, NGT-Patente „könnten den Zugang zu neuen Technologien und biologischem Material, welches für die Züchtungsarbeit unverzichtbar ist, einschränken und dadurch den Züchtungsfortschritt massiv gefährden“. Deshalb müsse „eine schnelle, rechtsverbindliche Lösung geschaffen werden, nach der biologisches Material, das auch in der Natur vorkommen oder entstehen könnte, nicht patentiert werden kann“, forderte BDP-Geschäftsführer Carl-Stephan Schäfer.

Doch so schnell wird keine Lösung kommen. Denn dafür müsste die Biotechnik-Richtlinie der EU geändert werden. Dazu gibt es bisher offiziell nur die Zusage der EU-Kommission, ab 2026 über eine Änderung nachzudenken. Sollte in den Jahren nach 2026 die Patentierbarkeit von NGT tatsächlich eingeschränkt werden, würde dies nur für dann neu eingereichte Patentanträge gelten. Alle bis dahin eingegangenen Anträge würden vom Europäischen Patentamt (EPA) noch nach altem Recht entschieden. Und das könnte dazu führen, warnen Verbände, dass sich die großen Saatgutkonzerne zahllose natürlich vorhandene Pflanzeneigenschaften, etwa Krankheitsresistenzen, mit Hilfe von NGT-Patenten unter den Nagel reißen. Denn für ein solches Patent reiche es zu zeigen, dass sich die Eigenschaft mit Hilfe von Crispr/Cas erzielen lässt. Es würde also nichts neu erfunden, sondern lediglich eine bereits in der Natur vorkommende Mutation technisch nachgebaut. Das dafür erteilte Patent würde dann alle Pflanzen dieser Art mit der entsprechenden Eigenschaft umfassen, warnen Kritiker – selbst dann, wenn die mit NGT herbeigeführte Mutation natürlich entstanden ist und diese Pflanzenvariante schon lange existiert. Dies könnte dazu führen, dass Zuchtbetriebe und Landwirt:innen überraschend mit kostspieligen Patentansprüchen auf Pflanzen konfrontiert werden, mit denen sie bisher unbehelligt arbeiten konnten.

Um das zu verhindern, müssten in der Biotechnik-Richtlinie Patente auf NGT-Pflanzen verboten werden. Doch selbst das würde womöglich nicht ausreichend Schutz bieten. Dies zeigt ein Blick auf die derzeitige Patentierungspraxis EPA. Eigentlich ist es der Behörde längst rechtlich verboten, Patente auf Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung zu erteilen. Trotzdem entwickele das EPA immer wieder neue juristische Begründungen, um dieses im europäischen Patentrecht verankerte Verbot zu umgehen, kritisiert das Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“. So hatte die Behörde im September einen konventionell gezüchteten Brokkoli der Bayer-Tochter Semenis patentiert. Das sei kein Einzelfall, so Johanna Eckhardt vom Bündnis: „2023 wurden bereits ein Dutzend weitere Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen erteilt, die Paprika, Melonen, Tomaten, Weizen, Spinat, Gurken, Zuckerrüben und Stevia betreffen.“ In einem im Juli vorgelegten Bericht schildert das Bündnis die dabei angewandten rechtlichen Tricks.

So genügt es für ein Patent bereits, wenn ein Unternehmen herausfindet, welcher Genabschnitt im Erbgut einer Pflanze eine erwünschte Eigenschaft hervorruft. Es meldet diesen als QLT (Quantitative Trait Locus) bezeichneten Abschnitt samt der Markergene, die dabei helfen, ihn im Erbgut zu finden, zum Patent an. Dieses Patent gilt – einmal erteilt – dann für alle Pflanzen einer Art, die diesen QLT enthalten. Beispielhaft erläutert „Keine Patente auf Saatgut!“ das anhand des 2022 erteilten Patents EP3560330 des deutschen Züchtungskonzerns KWS für einen besonders verdaulichen Mais.

Ein weiterer Trick ist es, Pflanzensamen zuerst einer nicht zielgerichteten Mutagenese zu unterziehen. Bei diesem in der herkömmlichen Züchtung üblichen Verfahren wird das Saatgut mit Chemikalien oder radioaktiver Strahlung behandelt, um viele Mutationen im Erbgut zu erzeugen. Ist darunter eine Mutation, die zu einer erwünschten Eigenschaft führt, reicht die Mutagenese bereits aus, damit ein Unternehmen die Rechte an dieser Pflanze (und alle anderen dieser Art bei denen diese Mutation vorkommt) beanspruchen kann. Denn dem EPA gilt die nicht zielgerichtete Mutagenese als technisches Verfahren, dessen Ergebnisse patentierbar sind. In einem Bericht der Bundesregierung vom September 2022 beschreibt das Bundesjustizministerium dieses Vorgehen des EPA und die Unlust der meisten europäischen Staaten, diesen Tricks einen Riegel vorzuschieben.

Um auf die Gefahren für die Landwirtschaft durch bestehende und künftige Patente aufmerksam zu machen, nutzte „Keine Patente auf Saatgut!“ den 50. Geburtstag des EPA zum Protest. In einem Festakt feierten die EU-Kommissionspräsidentin und der Bundeskanzler das Europäische Patentübereinkommen von 1973 und die Arbeit des EPA. Währenddessen trommelten vor dem Eingang des EPA mehrere große Skulpturen, die patentierte Tomaten, Brokkoli, Braugerste und Mais symbolisierten, auf Kochtöpfen. [lf]

04.10.2023 |

Reis: salztolerant und gentechnikfrei gezüchtet

Reis Flooded paddy field (Photo: Sandy Hartmann)

Ein kanadisches Startup will einen gentechnisch veränderten Reis entwickeln, der im Meer angebaut werden kann. Die Meldungen über dessen erste Versuche verschweigen, dass laufend salztolerante Reissorten ganz ohne Gentechnik gezüchtet und auch angebaut werden.

Weil der Meerespiegel steigt und Flächen falsch bewässert werden, nimmt der Salzgehalt in vielen Böden zu. Das vertragen die meisten Nutzpflanzen nicht; Reis ist dabei besonders empfindlich. In der herkömmlichen Züchtung ist Salztoleranz deshalb seit Jahren ein wichtiges Züchtungsziel, damit auf versalzenen Flächen auch weiterhin Nahrungsmittel angebaut werden können.

Die Gentechnik-Lobbyorganisation ISAAA (International Service for the Acquisition of Agri-biotech Applications ) meldete im September, das kanadische Startup-Unternehmen Alora habe mithilfe der Crispr-Technologie salztoleranten Reis hergestellt, der im Meer wachsen könne. Die kurze Meldung und weitere Artikel zeigen, dass der Reisanbau im Meer zwar das erklärte Ziel des kleinen Unternehmens ist, aber noch in weiter Ferne liegt. Über die genauen Veränderungen, die Alora mit Crispr/Cas an den Reispflanzen vorgenommen hat, finden sich in den Artikeln keine Informationen sondern nur die Anmerkung, dass die Technik zum Patent angemeldet sei. Ein Artikel auf der Plattform Agfundernews.com berichtet von einem Anbauversuch an der Universität Guelph in Kanada, bei dem der Alora-Reis in Wasser mit acht Gramm Salz pro Liter wuchs. Meerwasser enthält die vierfache Menge an Salz, jedoch seien die acht Gramm je Liter mehr als alle anderen Nutzpflanzen bisher geschafft hätten, zitiert der Artikel die Alora-Gründer.
Die EU-Datenbanke SAGE listet eine handvoll wissenschaftlicher Arbeiten auf, die sich mit der Züchtung gentechnisch veränderter und salztoleranter Reissorten befassen, vor allem aus China und Indien. Meist handelt es sich dabei um Konzeptstudien, in denen ein Gen verändert wurde. Doch es handelt sich bei Salztoleranz um komplexe Eigenschaften, an denen mehrere Gene beteiligt sind, so dass die Veränderung eines einzelnen Gens oft nicht zum Erfolg führt.

Ein großes, bisher noch gentechnikfreies Züchtungsprogramm für salztoleranten Reis läuft seit Jahren am Qingdao Saline-Alkali Tolerant Rice Research and Development Centre in China. Im Oktober 2022 berichtete die chinesische Global Times von einer Rekordernte von 11,5 Tonnen Reis je Hektar. Die konventionell gezüchteten Hybridsorten wuchsen dabei in einem salzigen und alkalischen Boden und wurden mit Wasser gegossen, das vier Gramm Salz pro Liter enthielt. Die South China Morning Post berichtete, dass der salztolerante Reis in acht bis zehn Jahren auf sieben Millionen Hektar wachsen könnte. Bei der weiteren Entwicklung wollen die chinesischen Forschenden auch mit gentechnisch veränderten Reislinien arbeiten, schrieben sie in einem Artikel in der Fachzeitschrift Plant Breeding. Darin erwähnten sie auch, dass die ersten salztoleranten Reissorten bereits vor 70 Jahren gezüchtet wurden, beschreiben die bisher gentechnikfreie Züchtungsarbeit in verschiedenen Ländern und nennen die daraus entstandenen Sorten.

So hat etwa Indien systematisch salztolerante Linien in seine beliebtesten Reissorten eingekreuzt und so 13 salztolerante Sorten konventionell gezüchtet. Sie würden inzwischen jedes Jahr auf 1,2 Millionene Hektar Fläche angebaut, heißt es in einer Übersichtsarbeit. Auf den Philippinen züchten Kleinbäuer:innen und Wissenschaftler:innen in der Organisation Masipag gemeinsam Reissorten, die an die jeweiligen lokalen Verhältnise angepasst sind. Im Rahmen dieser Arbeit entstanden in den letzten Jahren 20 salztolerante Sorten. Von 2016 bis 2019 züchtete das EU-finanzierte Neurice-Projekt salztolerante Reissorten für die kommerzielle Nutzung in Europa. Das ostafrikanische Tansania entwickelte 2016 eine salztolerante Reissorte. Basis für deren Züchtung waren Reissorten, die in Japan die Überschwemmungen durch den Tsunami 2011 gut überstanden hatten.

Während die Landwirt:innen bei Masipag ganz traditionell züchten, nutzen die Forschenden etwa in China, Indien oder der Europäischen Union biotechnologische Methoden wie Markergene, um die Züchtung zu beschleunigen. Das EU-Projekt Neurice schaffte es damit in drei Jahren, anbauwürdige Sorten zu entwickeln, die ihre Salztoleranz von der ersten salztoleranten Reisorte Pokkali geerbt haben, die 1939 in Sri Lanka gezüchtet worden war. [lf]

29.09.2023 |

Gutachten: Klage gegen europäische NGT-Pläne aussichtsreich

Gericht Justiz Foto: Morgan4uall / pixabay, CC0 Public Domain

Die geplante Verordnung der Europäischen Kommission, nach der neue Gentechnik (NGT) in der Landwirtschaft weitestgehend unreguliert eingesetzt werden könnte, könnte wegen zahlreicher Rechtsfehler erfolgreich vor einem europäischen Gericht angegriffen werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein juristisches Gutachten im Auftrag der Fraktion Bündnis ‘90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Als „deutliches Stoppschild für die EU-Kommission“ bewertet der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik die Expertise und warnt vor großer Rechtsunsicherheit für Lebensmittelbranche und Verbraucher:innen.
Der europäische Verordnungsentwurf verstoße gegen das in den EU-Verträgen verankerte Vorsorgeprinzip, bringt der grüne Bundestagsabgeordnete Karl Bär das Gutachten auf den Punkt. „Vorsorgeprinzip heißt, dass Risiken bewertet und gemanagt werden“, erklärt der agrarpolitische Sprecher der Fraktion. Doch die EU-Kommission wolle die Gefahren von NGT-Pflanzen für Umwelt und Gesundheit künftig nicht mehr prüfen. Mehr als 90 Prozent der NGT-Pflanzen sollen nach ihren Plänen wie konventionell gezüchtete Gewächse ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung bis hin zu den fertigen Lebensmitteln auf den Markt kommen.
Gutachter Georg Buchholz von der Anwaltskanzlei GGSC führt aus, dass NGT-Pflanzen allein aufgrund von Art und Zahl der Änderungen der DNA-Sequenz von der Verordnung privilegiert werden sollen. Ob die Pflanzen nützliche oder gefährliche Eigenschaften hätten, spiele keine Rolle. „Eine solche Privilegierung von NGT-Pflanzen gegenüber sonstigen GVO ist nicht gerechtfertigt, weil sowohl nach den Feststellungen des EuGH (Europäischer Gerichtshof, Anm. d. Red.) als auch nach eigener Aussage der Kommission von NGT-Pflanzen vergleichbare Risiken ausgehen können wie von sonstigen GVO“, erläutert das Gutachten. Der EuGH habe bereits mehrfach geurteilt, dass Produkte neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas nur dann vom Gentechnikrecht ausgenommen werden können, wenn sie erfahrungsgemäß sicher sind – was für NGT-Pflanzen bislang wissenschaftlich nicht belegt sei. Daher verlange das im Vertrag von Lissabon vereinbarte Vorsorgeprinzip, dass die Risiken solcher Pflanzen für Gesundheit und Umwelt zunächst geprüft werden, so die juristische Bewertung. Da der EU-Vorschlag das nicht vorsehe, wäre eine solche Verordnung „null und nichtig“, sagte Buchholz jüngst bei einer Konferenz in Brüssel.
Um das Problem anschaulich zu mache, nennt er ein Beispiel: Ein durch NGT für industrielle Zwecke optimierter Raps, der für Menschen und Tiere giftig ist, könnte uneingeschränkt angebaut und verkauft werden, ohne dass er vorher geprüft werden müsste. Würde ein solcher NGT-Raps beim Anbau auf benachbarte Rapsfelder auskreuzen und dieser Raps zu Lebens- oder Futtermitteln verarbeitet werden, könnte das zu Vergiftungen führen. Womit sich die Frage stellt, wer dafür haftet. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) verweist auf die Warnung des Gutachters, die geplante NGT-Verordnung führe sowohl für die Unternehmen des Lebensmittelsektors wie für die Gentechnik-Hersteller selbst zu großer Rechtsunsicherheit: Wären Gentechnik-Hersteller für Schäden verantwortlich oder alle, die die Produkte wissentlich oder unwissentlich verwenden? Müssten jedenfalls wegen der zivilrechtlichen Produkthaftung die Risiken der NGT-Pflanzen geprüft werden? Welche Versicherungen würden welche Schäden ersetzen? VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting appelliert an den Agrarminister: „Wenn Cem Özdemir es ernst meint mit dem Schutz von Koexistenz und ‚Ohne Gentechnik‘-Sektor, sollte er sich in Brüssel für einen kompletten Neustart statt für faule Kompromisse einsetzen.“
Auch die österreichischen Grünen sind entsetzt: Das Gutachten zeige, dass der Kommissionsvorschlag in der Praxis einer Abschaffung des bisherigen Gentechnikrechts gleichkäme, so Clemens Stammler, Landwirtschaftssprecher im dortigen Parlament. Damit falle für NGT-Pflanzen auch das nationale Anbauverbot, mahnt der grüne Agrarexperte. Mangels passender Maßnahmen ließe sich die Koexistenz von gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft künftig nicht mehr sichern. „Es wird also der Bio-Landwirtschaft überlassen sich zu überlegen, wie sie weiterhin die Gentechnikfreiheit gewährleisten kann“, kritisiert Stammler. „Am Ende bleibt der Eindruck, dass die EU-Kommission hier in Windeseile den Forderungen der Agrarindustrie nachgegeben hat. Wir müssen nun gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament alles daransetzen, die Umsetzung dieses Vorschlags zu verhindern.“ [vef]

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