27.07.2023 |

Neue Gentechnik: viel Kritik am Kommissionsentwurf im Agrarrat

Agrarminister Cem Özdemir (re.) im Gespräch mit seinem spanischen Amtskollegen Luis Planas.  Foto: BMEL/Mewes  Agrarminister Cem Özdemir (re.) im Gespräch mit seinem spanischen Amtskollegen Luis Planas. Foto: BMEL/Mewes

Der spanische Agrarminister Luis Planas will bis Dezember, dem Ende der spanischen Präsidentschaft, im EU-Agrarrat eine Einigung über die umstrittene EU-Gentechnikverordnung herbeiführen. Das sagte der Sozialist am Dienstag bei einer Sitzung, in der über den „ausgezeichneten Vorschlag“ (Planas) der Europäischen Kommission diskutiert wurde, die Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) zu lockern. Sein deutscher Amtskollege Cem Özdemir (Grüne) plädierte für einen Kompromiss, bei dem Koexistenz und Wahlfreiheit gesichert und die Frage von Patenten auf NGT geregelt werden.
Zunächst lobte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, die den Verordnungsentwurf am 5. Juli präsentiert hatte, erneut NGT-Pflanzen als Wunderwaffe gegen alle Übel dieser Zeit: Sie könnten Dürren und Unwettern besser widerstehen. Sie könnten gleichzeitig höhere Erträge liefern und weniger Dünger und Wasser verbrauchen. Sie seien resistenter gegen Schädlinge, wodurch Pestizide eingespart werden könnten. Belegen würden diese Behauptungen die europäische Lebensmittelbehörde EFSA sowie eine hauseigene Folgenabschätzung. Dass noch an keinem Ort der Welt solche Wunderpflanzen wachsen, schien weder die Kommissarin noch diverse Agrarminister zu stören, die diese Hymnen im Lauf der Sitzung wiederholten.
Dementsprechend drängten Länder wie Frankreich, Portugal, Dänemark und Schweden darauf, solche Pflanzen so schnell wie möglich von den Fesseln strenger Zulassungsverfahren zu befreien, wie es im Entwurf der EU-Kommission für bestimmte NGT-Pflanzen vorgesehen ist. Die EU dürfe der Welt nicht hinterherhinken, hieß es. Zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten sehen aber auch noch deutlichen Diskussionsbedarf. So sprach sich der italienische Agrarstaatssekretär Luigi D’Eramo dagegen aus, NGT-Pflanzen, wie von der EU-Kommission geplant, in zwei Kategorien aufzuteilen. Die wissenschaftlichen Argumente der Aufteilung in gentechnische Veränderungen von mehr oder weniger als 20 Basenpaaren müsse hinterfragt werden. Auch Finnland findet die Einteilung zweifelhaft und Portugal wünscht sich eine präzisere Definition von Kategorie zwei.
Der litauische Agrarminister Kestutis Navickas plädierte dafür, die nahezu unregulierte Kategorie eins nur an NGT-Pflanzen zu vergeben, die nachweisbar positive Wirkungen haben. Für NGT 2-Pflanzen wünscht er sich klarere Kontrollen. Diskussionsbedarf sieht er auch bei der Risikoanalyse. Es sei wichtig für die Mitgliedsstaaten zu wissen, welche Gefahren von einer Pflanze ausgehen, damit sie sie gegebenenfalls auch verbieten könnten. Auch Nachbar Lettland verwies auf das Vorsorgeprinzip und forderte ebenso wie die Slowakei, jede NGT-Pflanze umfassend auf ihre Risiken zu prüfen. Nach dem EU-Entwurf sollen NGT1-Pflanzen weitestgehend so behandelt werden wie konventionell gezüchtete.
Der Vertreter Rumäniens schlug vor, öffentliche Labore einzurichten, die auf NGT-Pflanzen spezialisiert sind. Man müsse möglichst viele Äquivalenztests durchführen, um die Sicherheit der Pflanzen nachzuweisen. Dann gewinne man auch das Vertrauen der Verbraucher:innen. Zugleich müsse ihre Einführung in den Mitgliedsstaaten evaluiert werden, um zu sehen, ob die Behörden die NGT-Pflanzen unterscheiden könnten. Kroatiens Agrarministerin Marija Vučković plädierte dafür, die Forschung zu Biosicherheit auszubauen und bat dafür um finanziellen Unterstützung. Da neue gentechnische Verfahren unerwartete Konsequenzen haben könnten, müsse man vorsichtig sein. Auch Slowenien mangelt es noch an Instrumenten für ein Monitoring, welche Folgen es haben wird, NGT 1-Pflanzen kaum reguliert freizusetzen. Die Folgenabschätzung der EU-Kommission bezeichnete die Vertreterin als fragwürdig. Irland will sich ebenfalls nicht auf die Behauptung der EFSA verlassen, NGT-Pflanzen hätten keine besonderen Risiken. Der Inselstaat will die Einführung von NGT-Pflanzen beispielsweise mit ergebnisorientierten Umweltverfahren flankieren und die biologische Landwirtschaft gezielt unterstützen.
Deutschland, Griechenland, Polen und Österreich verwiesen auf die Gefahr, dass Landwirte durch Patente auf NGT-Pflanzen von den Agrarkonzernen abhängig werden könnten. Diese Frage hat die EU-Kommission in ihrem Entwurf bewusst offengelassen und will erst mal den Markt beobachten. Mehrere Staaten betonten, dass die Existenz von kleinen und mittleren Agrarbetrieben gesichert werden müsse. Das gelte auch für das Nebeneinander von ökologischer und gentechnikfreier konventioneller mit Gentechnik-Landwirtschaft. Deutschland, Österreich, Ungarn, Litauen und Polen haben hier noch Diskussionsbedarf. „Mit über 25 Prozent Biolandwirtschaft geht Österreich bereits jetzt über das Ziel des Green Deal hinaus“, sagte Botschafter Gregor Schusterschitz – als einziges EU-Land. „Diese Errungenschaften dürfen nicht gefährdet werden.“ Daher stehe Österreich NGT ebenso wie dem Vorschlag der EU-Kommission „sehr kritisch“ gegenüber.
Der ungarische Agrarminister István Nagy hob hervor, dass Ungarns Landwirtschaft sogar qua Verfassung gentechnikfrei ist. Ungarn habe 2015 von der europarechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich gegen den Gentechnik-Anbau im eigenen Land zu entscheiden. „Das ist eine Frage der Souveränität für uns“, sagte Nagy. „Aus diesem Grund kann ich das Verbot von Verboten auf Mitgliedsstaatenebene nicht akzeptieren.“ Nach dem Kommissionsentwurf soll ein sogenanntes „Opt out“ einzelner EU-Länder bei NGT-Pflanzen nicht mehr möglich sein. Im Übrigen wisse man noch viel zu wenig, wie solche Pflanzen wirklich zur Nachhaltigkeit beitragen könnten. Wie anderen Staaten, etwa dem traditionell skeptischen Zypern, ist ihm wichtig, dass Verbraucher:innen freie, aufgeklärte Entscheidungen treffen können.
Um all diese Fragen im Detail zu klären und rechtliche Lösungsmöglichkeiten zu finden, hat die spanische Präsidentschaft bis Dezember neun Arbeitsgruppentreffen terminiert, von denen heute bereits das zweite stattfindet. Auch bei den fünf geplanten Sitzungen des Agrarrats kann weiter über strittige Punkte diskutiert werden. Aktuell sind die Fachleute in den EU-Mitgliedsstaaten alle noch dabei, den Entwurf zu prüfen, hieß es im Agrarrat unisono. Ihm sei bewusst, dass der NGT-Vorschlag zusammen mit den geplanten Regelungen zur Pestizidreduktion (SUR) zu sehen sei, da beide Vorschläge sich ergänzen, sagte Ratschef Planas zum Abschluss der Sitzung. Offenbar gilt das von Kommissionsvize Frans Timmermans ausgerufene Verhandlungsjunktim weiter, obwohl Timmermans die europäische Bühne verlassen will, um in seiner holländischen Heimat Politik zu machen. Da die konservative EVP-Fraktion im europäischen Parlament weiter blockiert, wurde das Thema SUR im Agrarausschuss allerdings erst mal auf Oktober vertagt.
Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir, der sich selbst zum Thema NGT bisher nicht klar positionierte, sieht seine Rolle im Verhandlungsprozess offenbar als eine Art Mediator. Er wolle sich für einen ausgewogenen Kompromiss zwischen denjenigen einsetzen, die neue Gentechnik grundsätzlich ablehnen, und denen, für die Technologien wie Crispr/Cas alle Probleme dieser Welt lösen, sagte er vor der Ratssitzung in Brüssel. Und weil es diese Fronten nicht nur in Brüssel gibt, sondern auch in seiner heimischen Ampelkoalition, setzt er darauf, dass ein solcher Kompromiss dann auch die Linie der Bundesregierung werden könnte: neue Gentechnik ja, aber mit existentiellem Schutz für die gentechnikfreie und biologische Landwirtschaft, einer geregelten Patentfrage und einem Lebensmittelangebot nach den Erwartungen der Verbraucher:innen, die bekanntlich keine Gentechnik auf ihren Tellern wollen. In diese Richtung wolle er im Agrarrat verhandeln, sagte der Grünenpolitiker. Sollte er nicht zugleich die zerstrittene Berliner Ampel einigen können, müsste er sich bei der Abstimmung über den Entwurf im Agrarrat am Ende enthalten. [vef]

24.07.2023 |

Glyphosat-Pestizide: Verbände klagen gegen Zulassungen

Gericht Justiz Foto: Morgan4uall / pixabay, CC0 Public Domain

Während die Europäische Kommission auf eine erneute Zulassung von Glyphosat zusteuert, greifen Umweltorganisationen bestehende Zulassungen des Totalherbizids und seiner Produkte mit teils neuen Klagemöglichkeiten für Verbände an. Die Deutsche Umwelthilfe, Foodwatch und die Aurelia-Stiftung haben entsprechende Vorstöße angekündigt. In Frankreich konnte die Organisation Générations Futures (dt. künftige Generationen) bereits einen ersten Erfolg erzielen: Ein Gericht annullierte die Zulassungen von zwei glyphosathaltigen Pestiziden.

Nach dem europäischen Pestizidrecht lässt die Europäische Union (EU) zunächst den Wirkstoff Glyphosat zu. Anschließend müssen die nationalen Behörden noch die Vermarktung der Spritzmittel genehmigen, die aus diesem Wirkstoff und weiteren Hilfsstoffen hergestellt wurden. Nachdem die EU Ende 2017 Glyphosat erneut für fünf Jahre zugelassen hatte, erlaubte die zuständige französische Behörde Anses im September 2020 dem Hersteller Syngenta auch wieder den Vertrieb des glyphosathaltigen Pestizids Touchdown. Im Dezember 2020 klagte die französische Umweltorganisation Générations Futures beim Verwaltungsgericht von Montpellier gegen diese Genehmigung. Sie argumentierte, dass Anses keine Daten zu den Risiken von Glyphosat für Wirbeltiere, Bestäuber und andere Insekten verlangt und damit gegen das europarechtliche Vorsorgeprinzip verstoßen habe.
Die Verwaltungsrichter schlossen sich dieser Argumentation an und bemängelten, dass die Risikobewertung der Anses aufgrund der fehlenden Daten nicht vollständig sei. Sie verwiesen dabei auf die Verordnung 2017/2324, mit der die EU-Kommission Glyphosat im Dezember 2017 zugelassen hatte. Darin forderte sie die EU-Mitgliedstaaten explizit auf, bei ihrer Gesamtbewertung auf die Risiken für Wirbeltiere und die Bedrohung der Insektenvielfalt zu achten. Dem sei Anses nicht nachgekommen. Das Urteil ist inzwischen umgesetzt. Auf der Webseite von Syngenta Frankreich steht Touchdown als nicht mehr zugelassen. Générations Futures feierte das Urteil als Sieg, forderte Anses auf, in ähnlich gelagerten Fällen ebenfalls die Zulassungen zurückzuziehen und will weitere Klagen prüfen.

In Deutschland musste sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) das Recht, gegen Pestizidzulassungen zu klagen, erst vor dem Europäischen Gerichtshof erkämpfen. Das bis dahin geltende deutsche Verbot solcher Verbandsklagen widerspreche EU-Recht und sei nichtig, erklärten die Richter im November 2022. Daraufhin machte sich die DUH zusammen mit der Verbraucherorganisation Foodwatch auf den Weg und legte in einem ersten Schritt Widerspruch gegen fünf Pestizidzulassungen ein, darunter das glyphosathaltige Roundup Powerflex von Bayer. Da das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Zulassung nicht von sich aus zurücknahm, kündigte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch eine Klage gegen Roundup Powerflex noch im Juli an. (Update: Die Klage wurde am 26. Juli eingereicht).

Dieser Klage kommt angesichts der bisherigen Rechtsprechung eine besondere Bedeutung zu. 2019 hatte das Umweltbundesamt für die Zulassung von Totalherbiziden wie Glyphosat strenge Auflagen zum Schutz der Biodiversität verlangt und sich dabei ebenfalls auf die Verordnung 2017/2324 berufen. Zwei Pestizidhersteller klagten dagegen und bekamen vom Verwaltungsgericht Braunschweig recht. Die Urteile „sprechen deutschen Behörden das Recht ab, die tatsächlichen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Umwelt vollumfänglich zu bewerten und Schutzmaßnahmen für die biologische Vielfalt und das Grundwasser vorzusehen“, kommentierte damals das Umweltbundesamt. Es verlangte vom beklagten Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Berufung zu gehen. Doch das erkannte die Urteile an. Mit der neuen Klage könnte die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts Braunschweig revidiert werden.

Eine weitere Glyphosatklage bereitet die Aurelia Stiftung vor. Sie will vom Europäischen Gericht die Ende 2022 von der EU-Kommission beschlossene Verlängerung der Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat um ein Jahr überprüfen lassen. Zuvor hatte die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides eine Einwendung der Stiftung zurückgewiesen und auf den Klageweg verwiesen. Stiftungsvorstand Thomas Radetzki begründete die Klage damit, dass „Glyphosat nicht nur eine Vielzahl von Beikräutern abtötet, sondern auch Bienen, bestäubende Insekten und Amphibien schädigt“. Auch die Aurelia Stiftung betritt juristisches Neuland, da eine entsprechende Klagemöglichkeit für Verbände auf EU-Ebene erst seit 2021 existiert. Bedeutung hat die Klage über Glyphosat hinaus, da es eine gängige Praxis der EU-Kommission ist, Pestizidzulassungen zu verlängern, obwohl die Behörden die Wirkstoffe noch nicht abschließend neu bewertet haben. [lf]

18.07.2023 |

Experten: Crispr-Patente zerstören Saatgutmarkt in Europa

Gerd Patente Patente führen Landwirte in die Abhängigkeit

Anders als konventionell gezüchtete dürfen gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen patentiert werden. Wie berichtet plant die EU-Kommission, gv-Pflanzen mit kleineren Veränderungen den konventionell gezüchteten gleichzustellen. Viele befürchten, dass das zu einer Patentierungswelle auf konventionelle Pflanzen führen und Landwirte von großen Agrarkonzernen abhängiger machen könnte. Die Europäische Kommission will erst mal abwarten, was auf dem Agrarmarkt passieren wird, bevor sie die Patentregeln anpasst.
Dabei zeigt ein Blick in die USA bereits, wie die Einführung der Gentechnik und damit verbundener Patente in den vergangenen Jahren zu einer Konzentration auf dem Saatgutmarkt geführt haben. Nach einer Studie der Universität Sussex, die sich auf Zahlen des US-Agrarministeriums aus dem Jahr 2022 beruft, liegen die Rechte an den vier gängigen Gentechnikpflanzen zum größten Teil in der Hand der vier weltweit operierenden Agrarkonzerne Bayer, BASF, Sinochem und Corteva. Besonders hoch ist die Quote bei Raps (97 %) und Mais (95 %). Diese Firmen würden auch davon profitieren, würde die EU-Kommission kleinere gentechnische Veränderungen vom Gentechnikrecht ausnehmen, prophezeite Adrian Ely, Mitautor der Studie, bei einer Veranstaltung der Grünen im Europäischen Parlament. Er sieht die Gefahr, dass "Patentdickichte" und "Patentminenfelder" entstehen, die den europäischen Saatgutsektor in komplexe Rechtsstreitigkeiten, Verhandlungen und gegenseitige Lizenzen zu verwickeln drohen, bis er am Ende aufgekauft werde. Die Biobranche könnte ferner durch Verunreinigungen geschädigt werden, warnte der Wissenschaftler.
Was die Patente auf neue gentechnische Verfahren (NGT) wie Crispr/Cas in Europa angeht, bestätigt sich das Bild: Wie das Münchner Institut Testbiotech recherchierte, sind auch hier die Agrarkonzerne Corteva und Bayer führend: Corteva habe bis Ende 2022 rund 100 solcher Patente beantragt, Bayer gut 60. Doch nach Erkenntnissen von Testbiotech lassen sich manche Firmen nicht nur gentechnische Neuentwicklungen patentieren, sondern etwa auch die Veränderung alter Gentechnikpflanzen mittels neuer gentechnischer Verfahren. Bei dieser „Second Hand-Gentechnik“ würde die Crispr/Cas-Technologie dazu verwendet, Transgene, die mit Hilfe der ‚alten Gentechnik‘ in das Erbgut inseriert wurden, zu entfernen, zu verändern oder mit weiteren Eigenschaften zu kombinieren, erläuterte Testbiotech-Geschäftsführer Christoph Then. So ließen sich Patente noch einmal verlängern, die sonst nach 20 Jahren auslaufen würden.
Besonders kritisch sieht es Then, wenn unter dem Vorwand eines gentechnischen Eingriffs Patente auf winzige Punktmutationen im Erbgut beantragt werden, die auch in natürlichen Exemplaren einer Art vorkommen. So habe etwa der Konzern Syngenta ein Patent auf 5000 solcher Punktmutationen in einer Sojabohne angemeldet, die auch bei wilden Verwandten der Pflanze auftauchen. Auf diese Weise könne im Extremfall verhindert werden, dass andere Züchter mit dieser Pflanze künftig noch arbeiten können, warnte Then. Und schließlich werde zuweilen traditionelle Züchtung als neue Gentechnik „verkauft“, damit die Pflanze patentiert werden kann. Denn wenn die Pflanzen als nicht unterscheidbar gleichbehandelt werden, wer weiß denn dann noch, ob wirklich Gentechnik im Spiel war?
Das ist auch eine große Sorge der Bauern, dass sie überraschend mit kostspieligen Patentansprüchen auf Pflanzen konfrontiert werden, mit denen sie bisher unbehelligt arbeiten konnten. So kam es zu der zwiegespaltenen Positionierung des deutschen Bauernverbandes, der zwar neue Gentechnik begrüßte, aber nur dann, wenn sie nicht mit Patenten verbunden ist. Vor einer „schleichende Enteignung von Bäuerinnen und Bauern“ warnte auch Christoph Fischer von der gentechnikkritischen Initiative Zivilcourage: „Wenn Saatgut nicht mehr als GVO-Saatgut gekennzeichnet ist und GVO-Felder nicht mehr in einem Standortregister stehen, wird Lizenzforderungen von Patenthaltern Tür- und Tor geöffnet. Das können wir in den USA schon seit zwei Jahrzehnten beobachten.“
Die EU-Kommission möchte das jetzt auch in Europa tun. Sie will die Auswirkungen von Patenten auf den Markt und die Züchtungsinnovation einer breiteren Marktanalyse unterziehen. Die soll den Zugang der Züchter zu genetischem Material und Techniken ebenso berücksichtigen wie die Verfügbarkeit von Saatgut für Landwirte und die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der EU-Biotech-Industrie. „Die Kommission wird bis 2026 über ihre Ergebnisse berichten. Die Analyse wird mögliche Herausforderungen in diesem Sektor aufzeigen und als Grundlage für die Entscheidung über mögliche Folgemaßnahmen dienen“, teilte sie Anfang des Monats mit, als sie ihren Entwurf für neue NGT-Regeln vorstellte. Doch der muss jetzt noch mit Europäischem Parlament und Rat abgestimmt werden. Und bei der Veranstaltung der Grünen im EP wurde bereits deutlich, dass er so nicht bleiben kann. [vef]

12.07.2023 |

EFSA erteilt Freifahrtschein für Glyphosat

Glyphosat Herbizid Herbizid im Einsatz (Foto: Chafer Machinery / flickr, Chafer Sentry, Applying Defy at 250l/ha on wheat land in Lincolnshire, bit.ly/29E6Sk4, creativecommons.org/licenses/by/2.0)

Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA hat ihre Bewertung für die Neuzulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat abgeschlossen. Sie sieht keine kritischen Probleme, nur einige Datenlücken. Damit stünde aus Sicht der EFSA einer erneuten Zulassung von Glyphosat nichts im Wege. Umweltverbände fordern, das EU-Zulassungssystem für Pestizide grundlegend zu reformieren.

Die EFSA schrieb, sie habe in ihrer Bewertung des Wirkstoffs Glyphosat „keine kritischen Problembereiche ermittelt, die in Bezug auf das von ihm ausgehende Risiko für Mensch und Tier oder die Umwelt Anlass zu Bedenken geben“. Ein solcher, kritischer Problembereich müsste alle Anwendungen von Glyphosat betreffen und stünde einer Genehmigung oder deren Erneuerung entgegen, erläuterte die Behörde. Im Umkehrschluss heißt das: Glyphosat kann aus Sicht der EFSA erneut genehmigt werden. Die EFSA hatte Glyphosat zuletzt 2016 als unbedenklich bewertet. Deshalb war es nicht überraschend, dass die Behörde bei ihrer positiven Bewertung blieb. Doch ganz abtun konnte sie die zunehmenden Belege für die Schädlichkeit des Totalherbizids in ihrer Mitteilung nicht.

Was die Risiken für Menschen angeht, erklärte die EFSA, sie habe für ihre Risikobewertung die Gefahreneinstufung der Europäischen Chemikalienagentur ECHA „verwendet“. Diese Formulierung lässt offen, ob die EFSA die Bewertung ihrer Schwesterorganisation überprüft oder nur übernommen hat. Die ECHA kam 2022 zu dem umstrittenen Ergebnis, Glyphosat erfülle „die wissenschaftlichen Kriterien für eine Einstufung als karzinogener, mutagener oder reproduktionstoxischer Stoff“ nicht. Im Hinblick auf die Ökotoxikologie, also die Giftigkeit für die Umwelt, räumte die EFSA ein, dass „für 12 von 23 vorgeschlagenen Verwendungen von Glyphosat ein hohes langfristiges Risiko für Säugetiere ermittelt wurde“.

Zu den Auswirkungen auf die Biodiversität hieß es, diese seien komplex und von mehreren Faktoren abhängig. Zudem würden harmonisierte Methoden und einheitliche Schutzziele fehlen. „Insgesamt lassen die verfügbaren Informationen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu diesem Aspekt der Risikobewertung zu, und Risikomanager können Maßnahmen zur Risikominderung in Betracht ziehen“, schrieb die EFSA. Da Risiken zu managen eine ureigene Aufgabe der Politik ist, könnte man das auch als Aufforderung lesen, Glyphosat zu verbieten oder mit strengen Auflagen zu verbinden, um das Risiko für die Artenvielfalt zu minimieren.

Man habe auch Studien berücksichtigt, die über Auswirkungen auf das Mikrobiom berichten, schrieb die Behörde weiter und merkte an, dass es derzeit „keine international vereinbarten Leitlinien für die Risikobewertung des Mikrobioms im Bereich der Pestizide“ gebe und weitere Forschungsarbeiten erforderlich seien. Kurz gesagt: Ohne Leitlinie keine EFSA-Bewertung. Widersprüchlich äußert sich die Behörde zur Neurotoxizität. Einerseits heißt es: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Glyphosat als Wirkstoff ein neurotoxisches Potenzial hat.“ Im nächsten Satz steht dann: „Allerdings zeigen Daten aus der öffentlich zugänglichen Literatur über Formulierungen auf Glyphosatbasis und eine Studie mit einem (in der EU nicht zugelassenen) Glyphosatsalz Auswirkungen auf die Entwicklungsneurotoxizität“.

Die Lobbywächter von Corporate Europe Observatory schließen daraus: „Die EFSA stützt sich, ähnlich wie die ECHA und die nationalen Behörden, bei ihren Bewertungen überwiegend auf Studien der Industrie.“ Das mangelhafte EU-Zulassungssystem für Pestizide vernachlässige eine Fülle unabhängiger und von Fachleuten überprüfter wissenschaftlicher Studien, „die belegen, dass Glyphosat genotoxisch und neurotoxisch ist, das Darmmikrobiom schädigt und schwerwiegende Schäden an Böden, Wasserlebewesen und der biologischen Vielfalt verursacht“. Auch für Daniela Wannemacher vom Umweltverband BUND ist das System dringend reformbedürftig: „Die Empfehlung der EFSA zeigt erneut, dass die europäische Pestizid-Zulassung die Gefahren für Gesundheit und Ökosystem weitgehend ignoriert.“ Der Toxikologe Peter Clausing wertete die Schlussfolgerung der EFSA als einen „Schlag ins Gesicht vieler unabhängiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die seit der Bewertung durch die Krebsagentur IARC im Jahr 2015 zahlreiche Studien veröffentlicht haben, die das Gefahrenpotenzial von Glyphosat belegen“. Er erinnerte auch an den vor fünf Wochen bekanntgewordenen „Pestgate“-Skandal. Mehrere Medien hatten aufgedeckt, dass große Pestizidhersteller bei der EU-Zulassung von Wirkstoffen Studien über deren Neurotoxizität zurückgehalten hatten.

Die EFSA teilte mit, dass sie die ausführlichen Schlussfolgerungen aus ihrer Risikobewertung der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten übersandt habe. Sie sollen „voraussichtlich vor Ende Juli 2023 und die Hintergrunddokumente, die mehrere Tausend Seiten umfassen, voraussichtlich zwischen Ende August und Mitte Oktober 2023 veröffentlicht“ werden, schrieb die Behörde. Die Verzögerung begründete sie damit, dass die Glyphosathersteller erst noch die Möglichkeit hätten, für personenbezogene Daten oder sensible Geschäftsinformationen Vertraulichkeit zu beantragen. Auf Grundlage der EFSA-Bewertung wird die EU-Kommission nach der Sommerpause den Mitgliedstaaten einen Vorschlag machen, ob die am 15. Dezember 2023 auslaufende Zulassung für Glyphosat erneuert werden soll und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, Greenpeace, das Pestizid Aktions-Netzwerk und andere Organisationen forderten die Bundesregierung und alle EU-Mitgliedstaaten auf, dagegen zu stimmen. [lf]

08.07.2023 |

Verbände: EU-Entwurf gefährdet gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft

Gentechnikkritische Verbände präsentieren am BMEL der Staatssekretärin Silvia Bender (links vom Banner) ihre Forderungen zur Regulierung neuer Gentechnik. Foto: Paul Jovis Wagner/Greenpeace Gentechnikkritische Verbände präsentieren am BMEL der Staatssekretärin Silvia Bender (links vom Banner) ihre Forderungen zur Regulierung neuer Gentechnik. Foto: Paul Jovis Wagner/Greenpeace

Nachdem die Europäische Kommission am Mittwoch in Brüssel ihren Plan veröffentlicht hat, bestimmte Produkte neuer gentechnischer Verfahren wie konventionell gezüchtete zu behandeln, fürchten gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft und Züchter in der Europäischen Union (EU) um ihre Existenz. Betroffen sind konventionelle wie ökologische Betriebe. Letztere setzen in der EU mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr allein mit Biolebensmitteln um. Agrar-, Umwelt- und Verbraucherverbände warnen, dass Gentechnik-Pflanzen künftig unerkannt in Umwelt und Lebensmittel gelangen könnten.
„Würde der Entwurf der EU-Kommission Gesetz, wäre das das Ende der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in Europa“, prognostizierte Heike Moldenhauer vom europäischen Industrieverband ENGA vorgestern bei einer Veranstaltung der Grünen im Europäischen Parlament (EP). „Es wäre das Ende der Wahlfreiheit für Verbraucher:innen und Wirtschaftsbeteiligte.“ Nach ihrer Einschätzung gäbe es damit für 95 Prozent aller mit neuer Gentechnik (NGT) veränderter Pflanzen keine Risikobewertung mehr; Lebensmittel, die sie enthalten, würden nicht mehr gekennzeichnet. ENGA vereint konventionelle Lebens- und Futtermittelunternehmen, die sich freiwillig zu einem Ohne-Gentechnik-Siegel verpflichten.
Gesetzliche Pflicht ist die gentechnikfreie Produktion für Biobetriebe. Die Branche ist zwar froh, dass NGT-Pflanzen für Bioprodukte verboten bleiben sollen. Diesen Wunsch habe die EU-Kommission im Entwurf berücksichtigt, sagte Eric Gall, stellvertretender Direktor des europäischen Bioverbands Ifoam im EP. Doch um die gentechnikfreie Bioproduktion weiterhin sicherstellen zu können, müssten alle NGT-Pflanzen entlang der gesamten Produktionskette gekennzeichnet werden. Außerdem sei bislang völlig ungeklärt, wie Äcker mit Biopflanzen vor gentechnischen Verunreinigungen aus der Nachbarschaft geschützt werden sollen, kritisierte der Verband. Risiken und Lasten müssten gerecht verteilt, also Informations- und Haftungsfragen geregelt werden. Bislang will die EU-Kommission beides den EU-Mitgliedstaaten überlassen.
Doch nicht nur die Produktion, auch das „europäische Innovationsmodell der Züchtung“ sieht Ifoam bedroht. Nach dem vorgelegten Entwurf „wären eine gentechnikfreie Züchtung und Saatgutarbeit, ob konventionell oder ökologisch, langfristig nicht mehr möglich“, warnt die IG Saatgut, die Pflanzenzüchter:innen und Saatguterzeuger:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vertritt. Gelockerte Regeln für NGT-Pflanzen würden zu einer „Flut von patentiertem Saatgut“ und einem „Patentdickicht“ führen, was vor allem kleine und mittelständische Züchtungsunternehmen vom Markt verdrängen würde. Profitieren würden, da sind sich alle Kritiker:innen einig, vor allem die großen Agrarkonzerne, von denen aktuell vier den Großteil des weltweiten Saatgutmarktes beherrschen.
Die EU-Kommission hält alle Probleme für lösbar – durch die Biobranche. Wahlfreiheit? Sei gegeben, denn die Menschen könnten sich darauf verlassen, dass Bioprodukte gentechnikfrei seien, sagte eine Mitarbeiterin der zuständigen Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission vorgestern bei einer Überzeugungstour durch EP-Ausschüsse und Veranstaltungen. Schließlich seien die Biobetriebe gesetzlich verpflichtet, das sicherzustellen, und das Saatgut werde ja gekennzeichnet, so Generaldirektorin Claire Bury. Koexistenzregeln? Das hätten die Biobauern selbst in der Hand, indem sie sich mit ihren Nachbarn über Anbaumodalitäten verständigten. Im Übrigen gehe sie davon aus, dass nur ein kleiner Teil der NGT-Pflanzen unter die Kategorie 1 im EU-Entwurf falle, die wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen behandelt werden soll. Patente? Das wolle man bis 2026 beobachten, ob es da wirklich Probleme gebe. Die müsse die Branche erst mal beweisen. Bei Bedarf könnten die Gesetze dann auch wieder geändert oder anders ausgelegt werden.
Dazu will es eine breite Koalition von Verbänden aber gar nicht erst kommen lassen. Sie fordern die Abgeordneten des EP sowie die EU-Mitgliedstaaten auf dafür zu sorgen, dass auch künftig die Risiken aller NGT-Pflanzen in einem Zulassungsverfahren bewertet und gekennzeichnet werden, damit alle Landwirte und Verbraucherinnen frei wählen können. Denn EP und Ministerrat müssen dem Entwurf der Kommission zustimmen, bevor er in Kraft treten kann. Und damit kommt auch der deutsche Agrarminister ins Spiel, dem eine Reihe von Agrar- und Umweltverbänden vorgestern einen Besuch abstattete. Wie berichtet hat Cem Özdemir zwar bereits kritisiert, dass in dem EU-Entwurf die Koexistenz- und Patentfragen nicht zufriedenstellend geregelt seien. Den Wegfall von Risikoprüfung und Kennzeichnung bei NGT 1-Pflanzen monierte er jedoch nicht.
„Cem Özdemir muss sich auf EU-Ebene für eine konsequente Regulierung neuer Gentechnik einsetzen, denn er hat keine Möglichkeit dann im Nachhinein in Deutschland nationale Verbote für einzelne Pflanzen zu erlassen“, erinnerte Christiane Huxdorff von Greenpeace, dass der EU-Entwurf kein Opt Out der Mitgliedsstaaten für NGT-Pflanzen vorsieht. „Gentechnik-Pflanzen mit Herbizidtoleranz könnten dann in Deutschland eingesetzt werden. Das würde den Pestizideinsatz und die Umweltbelastung steigern.“ Zwar hatte Özdemir, wie meist beim Thema Gentechnik, seine Staatssekretärin vorgeschickt. Doch mit seinem Konterfei auf ihrem Transparent machten die Demonstrant:innen deutlich, wer gemeint ist mit ihrer Forderung: Gentechnikfreie Landwirtschaft retten, vom Saatgut bis zum Essen. [vef]

05.07.2023 |

EU-Kommission will Genfood ohne Kennzeichnung auf den Tisch bringen

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

Jetzt ist es amtlich: Die Europäische Kommission schlägt vor, die meisten mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellten Pflanzen ungeprüft und ohne Kennzeichnung auf den Markt zu lassen. Darunter dürfen jetzt auch herbizidtolerante Pflanzen sein. Damit hat die Kommission ihren Verordnungsentwurf kurzfristig noch einmal verändert – zur Freude der Gentech-Konzerne, die solche Pflanzen schon in der Pipeline haben.

Ansonsten unterscheidet sich der heute vorgelegte Regelungsentwurf nur in Details von der Fassung, die Medien Mitte Juni vorab zugespielt wurde. Er gilt nur für Pflanzen, die mit gezielter Mutagenese oder Cisgenese gentechnisch verändert wurden, also mit Genmaterial von kreuzbaren Pflanzen. Nur diese sind NGT-Pflanzen im Sinne des Entwurfs. Für Pflanzen, denen mit neuen gentechnischen Verfahren fremde Gene eingefügt wurden, sollen nach dem Willen der EU-Kommission weiter die bisherigen Regeln gelten. Die so definierten NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel teilt der Entwurf in zwei Kategorien ein. Pflanzen der Kategorie 1 sollen nicht mehr unter das bisherige Gentechnikrecht fallen. Damit gäbe es für sie keinerlei Risikoabschätzung mehr. Es würde nur noch das Saatgut gekennzeichnet, keine Lebens- oder Futtermittel aus diesen Pflanzen. Die EU-Kommission begründet dies damit, dass ihre gentechnischen Veränderungen theoretisch auch durch natürliche Mutation erzielt oder herkömmlich gezüchtet werden könnten.

Bei einer NGT 1-Pflanze erlaubt der Kommissionsentwurf den Gentechnikern maximal 20 genetische Veränderungen. Das heißt, sie dürfen bis zu 20 kleine Erbgut-Bausteine, die Nukleotide, einfügen oder ersetzen. Sie können dabei aber auch beliebig viele Gene an- oder abschalten sowie Genkonstrukte hinzufügen oder austauschen, die von Arten stammen, die natürlich oder mit biotechnologischer Hilfe mit der Pflanze gekreuzt werden können. Auf den Punkt gebracht: Für die EU-Kommission sind 20 derartige gentechnische Eingriffe noch keine Gentechnik.

Noch Mitte Juni hatte die EU-Kommission herbizidtolerante Pflanzen explizit aus der privilegierten Kategorie NGT 1 ausgeschlossen. Das sollte ihrem Ziel dienen, die neue Gentechnik für nachhaltige Zwecke einzusetzen, etwa um Pestizide zu reduzieren. Diesen Passus hat sie jetzt gestrichen. Zur Begründung schrieb sie auf Nachfrage: „Die möglichen Risiken eines potenziellen Anstiegs des Pestizideinsatzes durch herbizidtolerante Sorten müssen für alle Pflanzen angegangen werden, unabhängig davon, ob sie durch etablierte genomische Techniken, NGTs oder konventionelle Methoden gewonnen wurden.“ Sie habe daher in einem Regelungsentwurf für sämtliche Arten von Saatgut bestimmt, dass „die Mitgliedstaaten spezifische Anbaubedingungen für herbizidtolerante Sorten festlegen, um unerwünschte Auswirkungen aufgrund unangemessener landwirtschaftlicher Praktiken zu vermeiden“. Denn die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass mit dem großflächigen Anbau herbizidtoleranter Pflanzen mehr Pestizide eingesetzt werden – das Gegenteil von dem was die Kommission eigentlich anstrebt. Agrarkonzerne freuen sich, dass solche Pflanzen künftig in der Kategorie NGT 1 erleichtert zugelassen werden sollen. Das Gemeinsame Forschungszentrum der EU-Kommission (JCR) hatte 2021 deren Forschungspipelines untersucht und dabei sechs genomeditierte herbizidtolerante Pflanzen gefunden, die vor der Markteinführung standen.

Mit den jetzt freigegebenen Eingriffen können die Molekularbiologen in vielen Bereichen weit tiefer in das Erbgut von Pflanzen eingreifen als mit den streng regulierten alten gentechnischen Verfahren. Ein Beispiel dafür ist die in Japan entwickelte GABA-Tomate. Ihre Entwickler haben darin einige Gene abgeschaltet und erreicht, dass die reifen Früchte große Mengen des Botenstoffes Gamma-Aminobuttersäure (GABA) enthalten. Dieser soll den Blutdruck senken und den Schlaf fördern. Nach den neuen Regeln der EU-Kommission könnte die GABA-Tomate als NGT 1-Pflanze ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen. Niemand wüsste mehr, ob er mit dem Verzehr einer Tomate oder einer Flasche Ketchup seinen Blutdruck beeinflusst.
Für die Biolandwirtschaft bleiben NGT 1-Pflanzen als Gentechnik verboten. Da das Saatgut gekennzeichnet werden muss, können Bio-Landwirt:innen weiterhin gentechnikfreies Saatgut wählen. Doch sie können sich kaum noch dagegen wehren, dass NGT 1-Pflanzen ihre Erzeugnisse verunreinigen. Weil es für diese Pflanzen kein Standortregister mehr geben soll, wissen die Bio-Landwirt:innen nicht, was die Nachbarn anbauen – sofern sie es nicht selbst herausfinden. Es sollen keine Sicherheitsabstände oder sonstige Schutzmechanismen mehr gelten, wie sie das geltende Gentechnikrecht vorschreibt - auch nicht für Feldversuche. Die Haftungsregelungen, wie sie für klassische Gentechnik gelten, will die Kommission ebenfalls streichen. Und anders als bisher hätten gentechnikkritische Mitgliedsstaaten auch keine Möglichkeit, den Anbau von NGT 1-Pflanzen auf ihrem Gebiet zu verbieten.
Die zweite Kategorie im Kommissionsentwurf sind die NGT 2-Pflanzen. Darunter fallen diejenigen, bei denen mehr als 20 gentechnische Eingriffe vorgenommen, aber kein transgenes, also artfremdes Erbgut eingeführt wurde. Für sie gelten kurze Fristen für eine Zulassung und das Risiko soll fallbezogen bewertet werden. Die Details dazu will die Kommission später regeln. NGT 2-Pflanzen müssten die Hersteller und Verarbeiter weiter kennzeichnen, dürften aber dazu schreiben, wie nachhaltig sie angeblich sind. Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten verpflichten, für diese Pflanzen Koexistenz und Haftung zu regeln. Ob der Europäische Rat diesen Schwarzen Peter akzeptieren wird, wird sich im Rahmen der Trilogverhandlungen zeigen.
Die Österreichische Regierung hat heute bereits angekündigt, den NGT-Entwurf als Ganzes zurückzuweisen: „Dass die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten zwingt, den unkontrollierten Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zu erlauben, ist inakzeptabel”, verkündeten drei Minister:innen unisono. „Wir werden das nicht zulassen, uns daher mit aller Kraft in Brüssel dafür einsetzen, dass auch weiterhin strenge Regeln für gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel gelten.“ Das verlange das Vorsorgeprinzip, die Wahlfreiheit der Konsument:innen und Produzent:innen sowie der Schutz der österreichischen Landwirtschaft, so die Ressortchef:innen für Umwelt, Verbraucher und Landwirtschaft.
Die deutsche Ampelkoalition ist sich noch uneins. Klar gegen eine Deregulierung von NGT sprechen sich Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) aus. „Da es nahezu unmöglich ist, einmal freigesetzte gentechnisch veränderte Pflanzen wieder aus der Umwelt zu entfernen, brauchen wir eine Sicherheitsprüfung“, fordert Lemke. „Auch die neuen gentechnischen Methoden ermöglichen tiefgreifende Veränderungen am Erbmaterial von Pflanzen. Ich werde mich im nun folgenden europäischen Prozess dafür einsetzen, dass das Vorsorgeprinzip, die Wahlfreiheit und die Transparenz gewahrt bleiben." Für eine Lockerung der Regeln für neue Gentechnik, wie die EU-Kommission sie plant, trommelt seit Tagen Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). Das grün geführte Agrarministerium ist in sich selbst gespalten: Während Staatssekretärin Silvia Bender bereits mehrfach dafür plädiert hat, die geltenden, strengen Regeln für alle gentechnischen Verfahren beizubehalten, hatte sich ihr Amtschef Cem Özdemir dazu bislang nicht positioniert. Heute nun kritisierte er am EU-Entwurf, dass er weder das Nebeneinander von gentechnischer und gentechnikfreier Landwirtschaft noch die Frage der Patentierung von NGT-Pflanzen ausreichend regele. Zu den Erleichterungen für die neuen Pflanzenkategorien NGT 1 und 2 schwieg er beredt. Im weiteren Verfahren werde sein Ministerium „sich konstruktiv einbringen, um die gentechnikfreie Agrarwirtschaft sicherzustellen und für eine gemeinsame Linie der Bundesregierung werben", kündigte der Minister an.
Nun müssen das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Ministerrat jeweils einen Standpunkt zu diesem Kommissionsvorschlag erarbeiten. Die soeben gestartete spanische Präsidentschaft hat bereits angekündigt, das Thema energisch voranzutreiben. Sollte sich die Bundesregierung nicht einig werden, wird sie sich im Ministerrat enthalten müssen. Danach suchen beide EU-Gremien zusammen mit der EU-Kommission nach einem abschließenden Kompromiss. Dieser muss schließlich noch einmal formell von Parlament und Rat bestätigt werden. Die Zeit dafür wird knapp. Denn im Juni 2024 wird das Europäische Parlament neu gewählt. Werden bis dahin keine NGT-Regeln verabschiedet, ist ihr Schicksal in der neuen Legislaturperiode wieder ungewiss. [lf/vef]

04.07.2023 |

Kontrollorgan: gravierende Mängel an Gentechnik-Plänen der EU-Kommission

Weizenpflanzen des Pilton-Projekts im Gewächshaus. Foto: Alexander Schlichter Weizenpflanzen des Pilton-Projekts im Gewächshaus. Foto: Alexander Schlichter

Am morgigen Mittwoch will die europäische Kommission einen Vorschlag vorlegen, wie sie neue gentechnische Verfahren (NGT) künftig regeln will. Dabei hat ein internes Kontrollgremium den Plänen noch Ende April „gravierende Mängel“ bescheinigt, die auch im geleakten Entwurf Mitte Juni nicht beseitigt waren. Außerdem haben Umweltverbände die Europäische Ombudsstelle eingeschaltet, weil sie die vorausgehende Folgenabschätzung der EU-Kommission als voreingenommen und unfair im Verfahren kritisieren.

Wie berichtet plant die EU-Kommission, die Regeln für NGT-Pflanzen zu lockern. So sollen Pflanzen, bei denen im Erbgut nur wenig verändert wurde, künftig nicht mehr auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Im Sommer und Herbst 2022 befragte die EU-Kommission erst die gesamte Öffentlichkeit und danach ausgesuchte Interessengruppen, welche Folgen verschiedene Regelungsvarianten für Wirtschaft und Gesellschaft haben könnten. In beiden Fällen kritisierte ein Teil der Konsultierten die Fragen als einseitig und voreingenommen.

Ungeachtet dieser Kritik legte die Kommission im Februar 2023 eine erste Fassung ihrer Folgenabschätzung ihrem Ausschuss für Regulierungskontrolle vor. Dieser wies das Papier Mitte März wegen gravierender Mängel zurück. „In dem Bericht werden die Auswirkungen auf das Vertrauen der Verbraucher, den Biosektor, die Umwelt und die Gesundheit nicht ausreichend bewertet“, kritisierten die Kontrolleure. Sie forderten die Kommission explizit auf, in Bezug auf Gesundheit und Umwelt „eine ausgewogenere Analyse“ zu liefern. Auch sollte sie „die Analyse der Auswirkungen auf den Öko-Sektor weiter ausbauen und die Kosten für diesen Sektor quantifizieren“. Fünf Wochen später, am 25. April, präsentierte die Kommission dem Ausschuss eine überarbeitete Fassung. Auch hier monierten die Kontrolleure noch „erhebliche Mängel“ und verlangten weitere Nachbesserungen. Die Kommission müsse ausführlicher die Kriterien darstellen, nach denen entschieden werden soll, ob eine NGT-Pflanze in der Natur vorkomme oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden könne. Insbesondere müssten die wissenschaftlichen Grundlagen und die Umsetzung in der Praxis ausführlicher beschrieben werden, hieß es in der Stellungnahme. Denn diese Kriterien werden möglicherweise künftig darüber entscheiden, ob eine NGT-Pflanze reguliert wird oder nicht.

Das Portal Arc2020.eu hat Mitte Juni neben dem Bericht des Regulierungsausschusses auch die überarbeitete Folgenabschätzung veröffentlicht. Darin heißt es zu den angeforderten wissenschaftlichen Grundlagen lediglich: „Die Kriterien beruhen auf einer wissenschaftlichen Literaturanalyse und berücksichtigen die Arbeit der GFS und der EFSA sowie die Rückmeldungen, die im Rahmen der Konsultation zu dieser Folgenabschätzung eingegangen sind“. GFS steht für die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission und EFSA für deren Lebensmittelbehörde. Auch im jüngst geleakten Verordnungsvorschlag hat die EU-Kommission wenig geändert: Die genannten Kriterien sind weitgehend identisch mit denen in der angegriffenen Folgenabschätzung.

Auch bei den anderen bemängelten Punkten blieb die Folgenabschätzung unverändert knapp. Zum erhöhten Aufwand in der Qualitätssicherung für gentechnikfrei wirtschaftende Ökobetriebe heißt es lediglich: „Dies wird zusätzliche Kosten und Belastungen für die ökologischen Unternehmer mit sich bringen, die die Kosten für die Trennung der Erzeugnisse tragen werden. Es liegen jedoch keine quantitativen Schätzungen vor.“ Tatsächlich gibt es seit den Koexistenzdebatten um den Anbau klassischer Gentech-Pflanzen mehrere Studien zu möglichen Koexistenzkosten, die die Kommission hätte heranziehen können. Stattdessen hat sie bereits wissen lassen, dass sich um Koexistenzregelungen die Mitgliedsstaaten kümmern sollen.

Auch bei möglichen Nachfragerückgängen schiebt die EU-Kommission der Biobranche den schwarzen Peter zu: In ihrem Bericht räumt sie zwar ein, dass eine Freigabe von NGT-Pflanzen das Vertrauen der Verbraucher:innen beeinträchtigen könnte, dass ökologische Produkte nicht gentechnisch verunreinigt sind. Zu möglichen Folgen eines solchen Vertrauensverlusts für die Betriebe schweigt sie aber. Sie verweist nur darauf, dass das gesetzliche Verbot von NGT-Pflanzen im Ökolandbau den Verbraucher:innen die Gewissheit gebe, „dass alle Maßnahmen getroffen werden, um das Vorhandensein von NGTs zu vermeiden“. Da sind dann wieder die Biobetriebe in der Pflicht.

Zum Informationsrecht der Verbraucher:innen heißt es in der Folgenabschätzung: Eine Gentechnikkennzeichnung für NGT-Pflanzen, die keiner Risikobewertung und keiner Zulassung unterliegen, könnte „zu Verwirrung über die Eigenschaften und das Sicherheitsprofil des Produkts führen“. Schließlich könnten solche Pflanze nach der Argumentation der Kommission ja auch in der Natur vorkommen oder konventionell gezüchtet werden. „In jedem Fall könnten sich Verbraucher, die NGTs aktiv vermeiden wollen, auf das Bio-Logo verlassen“, fügt die Kommission noch hinzu.

Die knappen Antworten auf Kritikpunkte und die seitenlangen Auflistungen möglicher Vorteile von NGT in der Folgenabschätzung belegen die voreingenommene Haltung der Kommission. Ihre eigenen Richtlinien hingegen schreiben vor, dass eine Folgenabschätzung „transparent, objektiv und ausgewogen“ sein soll. Zwei Umweltorganisationen haben sich deshalb bei der Europäischen Ombudstelle über die EU-Kommission beschwert. Bis zum 24. Juli hat die Kommission nun Zeit, der Ombudstelle eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten. Ombudsfrau Emily O'Reilly will unter anderem wissen, wie die Kommission bei ihrer Analyse der Vorteile von NGTs zwischen Meinungen von Interessengruppen und empirischer wissenschaftlicher Forschung unterschieden hat. Auch soll die Kommission darlegen, wie sie ein kritisches Gutachten des deutschen Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zu den Umweltrisiken von NGT berücksichtigt hat. Liegt die Antwort vor, wird die Ombudstelle entscheiden, ob sie den Vorgang vertieft untersuchen wird. [lf/vef]

01.07.2023 |

Kehrtwende: Italien erlaubt Feldversuche mit neuer Gentechnik

Sitzungssaal des italienischen Parlaments Foto:  Quirinale.it, Attribution, via Wikimedia Commons Sitzungssaal des italienischen Parlaments Foto: Quirinale.it, Attribution, via Wikimedia Commons

180 Grad-Wende in der italienischen Gentechnik-Politik: Die rechtspopulistische Regierungsmehrheit erlaubt Feldversuche mit Pflanzen, die durch neue gentechnische Verfahren erzeugt wurden. Bei der Zulassung der Versuche müssen bestimmte Risiken nicht mehr bewertet werden. 20 Jahre lang waren Feldversuche mit Gentechnik-Pflanzen in Italien komplett verboten. Die gentechnikkritischen Organisationen äußerten sich entsetzt – auch über das Schweigen der Opposition im Parlament.

Die umstrittene Regelung kam durch die Hintertür ins Parlament. Dieses sollte ein Regierungsdekret mit Maßnahmen zur Dürrekatastrophe in ein Gesetz umwandeln. Dabei fügten Abgeordnete der Regierungsparteien einen zusätzlichen Artikel ein. Er erlaubt Feldversuche mit Pflanzen, deren Erbgut durch neue gentechnische Verfahren (NGT) verändert wurde. Beschränkt sind die Eingriffe auf zielgerichtete Mutationen und Cisgenese, also Erbgutveränderungen, die innerhalb einer Art vorkommen. Als Fachbehörde soll die zentrale italienische Umweltbehörde ISPRA die Anträge bewerten. Für das gesamte Zulassungsverfahren addieren sich die im Artikel genannten Fristen auf gut zwei Monate. Damit es so schnell gehen kann, streicht der Artikel die in einem Gesetz von 2003 verlangten Risikobewertungen für die Artenvielfalt, das landwirtschaftliche System und die Lebensmittelkette. Die neue Regelung gilt vorerst bis Ende 2024, danach soll das Parlament über das weitere Vorgehen entscheiden. Sowohl der Senat als auch die Abgeordnetenkammer stimmten dem derart ergänzten Gesetz zu.

Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida sprach von einer Vorreiterrolle Italiens und schwärmte von Pflanzen, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit und klimatische Veränderungen seien. „Deshalb ist es notwendig, ohne Ideologien und Vorurteile zu investieren und sich bewusst zu machen, dass es sich nicht um GVO handelt“, zitierte ihn die Zeitung La Stampa. Deshalb hat die neue Gentechnik in Italien von der Regierung einen eigenen Namen bekommen. Sie spricht von „Unterstützten Evolutionstechniken“ (italienisch: Tecniche di Evoluzione Assistita - TEA).

„Italien gibt damit seine seit 20 Jahren verfolgte Linie einer strikt GVO-freien Landwirtschaft auf“, kommentierte die aus 37 Organisationen bestehende Koalition GVO-freies Italien und verspricht: „Unsere Verbände werden nicht tatenlos zusehen.“ Man werde den Bürger:innen mitteilen, welche Einzelpersonen und Parteien „Vorschriften aufheben, die der Mehrheit der italienischen Bürger, die gegen GVO sind, am Herzen liegen“. Das zielt nicht nur gegen die regierende Rechte. „Mit Ausnahme der Fraktion der Grünen und Linken (Alleanza Verdi-Sinistra) hätten alle Oppositionsparteien geschwiegen, ärgert sich das Bündnis. Seine Hoffnung setzt es auf die Präsidenten der italienischen Regionen, die sich fast alle vor Jahren als gentechnikfrei erklärt hatten. „In dieser Frage, die die Agrarsysteme der einzelnen Regionen betrifft, haben die lokalen Behörden das Recht, das Verfassungsgebot bezüglich ihrer Befugnisse in der Agrarpolitik zu verteidigen“, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses.
Aus dessen Sicht sind dürreresistente Pflanzen nur ein vorgeschobenes Argument. In Wahrheit solle das Gesetz „die Kontrolle der Lieferketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft durch multinationale Konzerne und mächtige Agrarunternehmen stärken, zum Nachteil der Landwirte, die nun zu bloßen Funktionsarbeitern für die enormen Profite einer Minderheit degradiert werden“. Dass dürreresistente NGT-Pflanzen in Italien nicht so schnell zu erwarten sind, bestätigte Luigi Cattivelli vom italienischen Agrarforschungszentruminstitut Crea. Die italienische Ausgabe von Wired zitiert den gentechnikbegeisterten Forscher mit den Worten: „Bei der Trockenheit ist es komplizierter, denn es handelt sich um ein sehr schwieriges Merkmal, bei dem nicht nur ein einziges Gen im Spiel ist.“ Im Moment gebe es erst einige Hinweise und es sei noch viel Arbeit zu leisten. [lf]

25.06.2023 |

Gentech-Reisnudeln: Behörden warnen die Deutschen nicht

Reisnudeln mit Tamari-Ingwer-Dressing Foto: Marco Verch, https://t1p.de/dkfum, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/ Reisnudeln mit Tamari-Ingwer-Dressing Foto: Marco Verch, https://t1p.de/dkfum, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Zweimal fanden deutsche Behörden in den vergangenen zwölf Monaten Nudeln aus illegalem, gentechnisch verändertem Reis. Sie informierten die europäischen Kolleg:innen, doch die deutschen Verbraucher:innen erfuhren nichts von den Funden und es gab auch keine öffentlichen Rückrufe. Alles sei korrekt gelaufen, sagen die Behörden.

Mit dem europäischen Schnellmeldesystem RASFF informieren sich die Überwachungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten gegenseitig über problematische Funde in Lebensmitteln. Dort finden sich Hinweise auf Salmonellen in Gemüse, Metallteile im Rahmspinat, nicht erlaubte Pestizide im Paprika oder nicht ausgelobte Allergene. Am 11. Januar 2023 meldete Deutschland im RASFF: „Nicht zugelassene, gentechnisch veränderte Organismen in Reisnudeln aus Thailand, via die Niederlande“. Zuvor hatte es bereits am 12. September 2022 eine deutsche Meldung gegeben: „Nicht zugelassene gentechnisch veränderte Reisnudeln aus Vietnam“. In beiden Fällen stammten die Funde von der Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg. Sie gingen zurück auf Proben, die am 27. September 2022 und am 12. Mai 2022 genommen worden waren. Es lagen also jeweils vier Monate zwischen der Probenahme und der Mitteilung, dass dabei nicht zugelassene, gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gefunden worden waren. In beiden Fällen wurde die Öffentlichkeit nicht über das dafür vorgesehene Portal lebensmittelwarnung.de informiert. Auch sind keine Hinweise über andere Portale bekannt.

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bestätigte auf Nachfrage, Lebensmittel mit einem nicht zugelassenen GVO seien nicht verkehrsfähig. Sie dürfen also nicht angeboten und verkauft werden. Allerdings liege „die Verantwortung zur Kontrolle des zulässigen Inverkehrbringens und die Durchsetzung geeigneter Maßnahmen bei Nichteinhaltung“ bei den zuständigen Behörden der einzelnen Bundesländer, schrieb das BVL. Die Frage, ob es für den Fall eines Fundes von nicht zugelassenen GVO in Lebensmitteln ein mit den Länderbehörden abgesprochenes einheitliches Vorgehensschema gebe, beantwortete die Behörde nicht.

Das für die Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg zuständige Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) antwortete, die RASFF-Meldungen resultierten „jeweils aus einer Probenahme im Restaurant/Einzelhandel. Dort war kein Warenbestand mehr vorhanden bzw. wurde aus dem Verkauf genommen. Weitere Maßnahmen waren daher unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit (konkreter Sachverhalt, Lieferdatum, Liefermenge …) nicht anzeigt.“

Nun könnte eine Behörde davon ausgehen, dass der entdeckte illegale GVO auch in anderen Nudeln der gleichen Produktionscharge vorkommt und diese womöglich über gleichartige Verkaufsstätten im eigenen Land und im ganzen Bundesgebiet vertrieben werden und auch monatelang in Vorratsschränken von Verbraucher:innen lagern. Es könnte also durchaus ein öffentliches Interesse an einer Warnung bestehen. Man habe mittels RASFF-System „alle notwendigen Informationen an die für den Importeuer/Großhändler zuständige Behörde in den Niederlanden weitergeleitet, damit von dort weitere Maßnahmen veranlasst werden konnten“, antwortete das MLR. Tatsächlich findet sich im RASFF in Bezug auf die thailändischen Reisnudeln der Hinweis, dass sie außer in Deutschland auch in den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Frankreich, Ungarn, Italien, Belgien, Rumänien und Irland vertrieben wurden. Einige dieser Länder informierten über ergriffene Maßnahmen. In Deutschland passierte laut RASFF nichts mehr.

Geregelt ist die Information der Öffentlichkeit in Paragraf 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs. Demnach soll die Öffentlichkeit informiert werden, wenn gegen Vorschriften verstoßen wurde „die dem Schutz der Endverbraucher vor Gesundheitsgefährdungen dienen“. Die Meldungen im RASFF waren als „potentielles Risiko“ eingestuft, also ebenso hoch wie nicht deklarierte Allergene oder Rückstände unerlaubter Pestizide, die in der Regel zu Rückrufen führen. Zudem heißt es in Paragraf 40 Absatz 1a, dass zu informieren ist, wenn im Lebensmittel ein nicht zugelassener oder verbotener Stoff vorhanden ist. Das MLR erklärte dazu, dass für solche Mitteilungen in Baden-Württemberg Landkreise und Städte zuständig seien und nicht die Länderbehörden. Außerdem seien nach Auffassung des Ministeriums GVO kein „Stoff“ im Sinne dieser Norm.

Das gentechnikkritische französische Portal Inf'OGM hatte sich bei einem thailändischen Biologen erkundigt und von diesem die Information bekommen, dass es in Thailand keine Feldversuche mit gentechnisch verändertem Reis gebe und auch kein illegaler Anbau bekannt sei. Er vermutete, dass für die Nudeln importiertes Reismehl verwendet worden sei. Reismehl aus Indien etwa war in Europa bereits 2021 wegen gentechnischer Verunreinigungen aufgefallen und hatte zu einem länderübergreifenden Rückruf von Schokolinsen geführt (der Infodienst berichtete). Im Mai 2023 meldete der spanische Zoll, dass man 48 Tonnen indische Reismehlproteine, die als Futtermittel deklariert waren, aus dem Verkehr gezogen habe, da sie einen nicht zugelassenen GVO enthielten. Nach Recherchen von Inf’OGM bestritten die indischen Behörden ihre Verantwortung und reagierten auch nicht auf offizielle Anfragen der Europäischen Kommission, die die Hersteller der Reisprodukte ermitteln wollte. [lf]

18.06.2023 |

Vorschlag geleakt: So will die EU-Kommission das Gentechnikrecht aufweichen

Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296 Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296

Die EU-Kommission will Anfang Juli ihren Verordnungvorschlag zugunsten neuer gentechnischer Verfahren (NGT) offiziell vorstellen. Im Vorfeld wurde ein als „sensitiv“ eingestufter Entwurf, den die Generaldirektion Gesundheit von EU-Kommissarin Stella Kyriakides erarbeitet hat, samt Folgenabschätzung Medien zugespielt. Beschlösse die Kommission in ihrer Sitzung am 5. Juli diesen Vorschlag, würden die meisten NGT-Lebensmittel ungekennzeichnet auf europäischen Tellern landen. Entsprechend deutlich ist die Kritik.

Das Portal arc2020.eu hat den vorgeschlagenen Verordnungstext, die Folgenabschätzung sowie zwei Stellungnahmen des kommissionsinternen Regulierungsausschusses veröffentlicht. Die geplante Verordnung würde NGT-Pflanzen und daraus hergestellte Lebens- und Futtermittel in zwei Kategorien einteilen. Kategorie 1 wären alle NGT-Pflanzen, in deren Erbgut beliebig viele Gene an- oder abgeschaltet wurden. Auch dürfen beliebige Genkonstrukte hinzugefügt werden, solange sie von Arten stammen, die natürlich oder mit biotechnologischer Hilfe mit der Pflanze gekreuzt werden können. Bei jeder Pflanze sind bis zu 20 Eingriffe erlaubt, bei denen kleine Erbgut-Sequenzen eingefügt oder entfernt werden.

Alle so entstandenen Pflanzen würden nicht mehr unter das Gentechnikrecht fallen. Für sie gäbe es keinerlei Risikoabschätzung und keine Kennzeichnung mehr. Wollte ein Hersteller Feldversuche mit einer Pflanze der Kategorie 1 durchführen, würde er das der zuständigen nationalen Gentechnikbehörde melden. Diese soll innerhalb eines Monats ihre Entscheidung treffen und diese den Mitgliedsstaaten und der Kommission zur Kommentierung zukommen lassen. Gibt es von diesen innerhalb von 30 Tagen keine Einwände, gilt die Entscheidung der nationalen Behörde über die Einordnung als NGT 1-Pflanze - auch für deren spätere Vermarktung. Gibt es Einwände, soll die EU-Lebensmittelbehörde EFSA binnen eines Monats ein Gutachten erstellen, auf dessen Basis dann die EU-Kommmission entscheidet. Ohne vorgeschaltete Feldversuche wären direkt EFSA und Kommission mit den gleichen Fristen zuständig. Für NGT 1-Pflanzen sieht die Verordnung ein EU-weites Register vor und das Saatgut muss gekennzeichnet sein, damit Anbauende wählen können. Eine weitere Kennzeichnung innerhalb der Lebensmittelkette sieht der Vorschlag nicht vor.

In die Kategorie 2 würden nur Pflanzen fallen, denen größere Erbgut-Sequenzen eingefügt werden. Auch NGT-Pflanzen mit eingebauter Herbizidresistenz würden in Kategorie 2 fallen. NGT 2-Pflanzen müssten die Hersteller und Verarbeiter weiter kennzeichnen, dürfen sie aber zusätzlich mit Nachhaltigkeitsbehauptungen versehen. Für die Pflanzen soll es eine fallspezifische Risikobewertung geben, deren Details die EU-Kommission gerne selbst festlegen würde. Für die Bewertung und Zulassung von NGT 2-Pflanzen für Feldversuche oder die kommerzielle Vermarktung gelten vergleichbare Regeln wie für NGT 1-Pflanzen. Maßnahmen, um eine Kontamination der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft zu verhindern, überlässt der Vorschlag den einzelnen Mitgliedsstaaten. Allerdings verbietet er ihnen, dafür den freien Warenverkehr von NGT 1-Pflanzen und deren Anbau einzuschränken.

„Kommt der Vorschlag durch, würde das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip ausgehebelt“, kommentierte Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, den Entwurf. „Die Gentechnik-Konzerne bekämen einen Blankocheck, sie könnten ihre Gentechnik-Pflanzen ungeprüft, intransparent und unkontrolliert in unser Saatgut, auf unsere Äcker und Futtertröge bringen und sich ihre Profite sichern“, sagte Volling. „Der Entwurf der EU-Kommission ist unterm Strich desaströs für die mehr als 80 Prozent der Verbraucher*innen, die keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen“, resümierte Olaf Bandt, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND. Der Vorschlag sei auch desaströs für die europäische Landwirtschaft, „denn die Bezeichnung ‚ohne Gentechnik‘ und die Unabhängigkeit von patentiertem Saatgut war für sie bisher ein Wettbewerbsvorteil“. Tina Andres, Vorsitzende des Bio-Dachverbandes BÖLW, sagte: „Der Gentechnik-Gesetzentwurf ist eine Ohrfeige für Verbraucherschutz und Wahlfreiheit und treibt Bauern durch Patente in die Abhängigkeit von Gentechnikkonzernen.“ Die Kriterien, mit denen zwischen den zwei Kategorien unterschieden werde, seien nicht wissenschaftsbasiert sondern „völlig willkürlich gewählt“, kritisierte Andres. Bernd Rodekohr von der Aurelia-Stuftung verwies darauf, dass sich die großen Agrarkonzerne „bereits heute in großem Stil Gensequenzen, die in der Natur vorkommen, als 'Crispr'-Pflanzen patentieren“ ließen. Nicht die Gentechnik, sondern der Ökolandbau sei das einzig funktionierende System für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft sagte Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren.

Die Ampel-Parteien zeigten sich uneins. Der grüne Abgeordnete Kar Bär warnte im ZDF vor dem „Ende der ökologischen Landwirtschaft“. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte auf proplanta.de: „Das macht die SPD nicht mit“. Das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium hingegen habe hingegen „grundsätzliche Unterstützung signalisiert“, meldete das ZDF.

Arc2020.eu schrieb zur Veröffentlichung des Entwurfs, dieser befände sich nun „in der sogenannten dienststellenübergreifenden Konsultation innerhalb der Generaldirektionen der Kommission und soll am 5. Juli vom Kollegium der Kommission angenommen werden“. In diesem Prozess könne sich der Text „in den nächsten Wochen noch ändern“. Die Kommission beschließt solche Vorlagen üblicherweise im Konsent. Besondere Bedeutung kommt dabei Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans zu. Er hat in den vergangenen Wochen mehrfach betont, dass es eine NGT-Regelung nur gebe, wenn Europaparlament und Ministerrat auch den beiden EU-Vorschlägen zustimmen, die Pestizide reduzieren und die Natur wiederherstellen sollen. [lf]

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