11.02.2022 |

Europäischer Gerichtshof verhandelt über Neue Gentechnik

Gericht EU Foto: Gerichtshof der Europäischen Union

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird sich noch einmal mit der Zulassung neuer gentechnischer Verfahren befassen. 80 europäische Landwirtschafts- und Umweltorganisationen verlangten deshalb von der EU-Kommission, sie solle ihre Pläne, das Gentechnikrecht zu deregulieren, vorerst auf Eis legen und die EuGH-Entscheidung abwarten. EU-Parlamentarier forderten die Kommission parteiübergreifend auf, endlich Risikoforschung und Nachweisverfahren zu neuen gentechnischen Verfahren zu fördern.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich nach seinem Urteil von 2018 erneut mit der Zulassung neuer gentechnischer Verfahren beschäftigen. Das oberste französische Verwaltungsgericht, der Conseil d’Etat, hat im November 2021 dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese zielen darauf ab, offene Punkte aus der Entscheidung von 2018 zu klären. Bereits das damalige Verfahren wurde von Fragen des Conseil d’Etat ausgelöst.

In einem Schreiben wiesen mehr als 80 Organisationen die zuständigen EU-Kommissare auf dieses anstehende Verfahren hin und forderten sie auf, die Kommissionspläne für eine Änderung des Gentechnikrechts zurückzustellen, bis eine Entscheidung des EuGH vorliege. Die vorgelegten Fragen beträfen nicht nur die Anwendung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18, sondern auch Grundprinzipien des EU-Rechts, wie das Vorsorgeprinzip, heißt es in dem Schreiben. Sollte die Kommission vorpreschen, riskiere sie, einen Vorschlag vorzulegen, der nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Deshalb sollte sie „unter Beachtung der Gewaltenteilung“ die Entscheidung des EuGH abwarten und sie anschließend in ihren Vorschlag einbeziehen. Wann der EuGH die Fragen aus Frankreich beantwortet, ist offen. Beim letzten Verfahren dauerte es zwei Jahre.

Konkret geht es laut dem Schreiben in den beiden vorgelegten Fragen darum, ob es ausreicht, nur die gentechnische Veränderung zu betrachten und ansonsten davon auszugehen, dass die veränderte Pflanze sich substanziell nicht von Pflanzen aus traditionellen Züchtungsverfahren unterscheide. So argumentieren Befürworter einer Deregulierung gerne. Oder muss die gesamte gentechnisch veränderte Pflanze betrachtet werden, einschließlich aller ungewollten Veränderungen, die sich aus dem angewandten gentechnischen Verfahren ergeben und Risiken für die Gesundheit, die Umwelt und die landwirtschaftlichen Systeme mit sich bringen könnten. Verbunden damit sehen die Organisationen die Frage, ob sich die Risken neuer gentechnischer Pflanzen ausschließlich mit Laborergebnisssen bewerten lassen oder ob es dafür Freisetzungen unter realistischen Anbaubedingungen brauche.

Wegen der Risikobewertung neuer gentechnischer Verfahren haben sich 31 Abgeordnete aus fünf Fraktionen des Europäischen Parlaments an die EU-Kommission gewandt. Sie kritisierten, dass die EU bislang keine Forschungsprojekte fördere, die sich gezielt mit den Risiken und Nachweisverfahren für die Neue Gentechnik befassen würden. Statt dessen habe die Kommission in vier Jahren 271 Millionen Euro ausgegeben, um die Verfahren und ihre Anwendung voranzutreiben. „Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die EU viele Millionen in die Entwicklung der Neuen Gentechnik steckt, doch keinerlei Forschung zu ihren Risiken für Umwelt und Gesundheit beauftragt“, sagte der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling, der den Vorstoß initiierte. Auch die EU-Mitgliedsländer würden nur 1,6 Prozent ihrer Forschungsbudgets zur neuen Gentechnik in die Bereiche Risikobewertung und Nachweisverfahren stecken, monierte Häusling. Dabei lasse sich mit Verfahren wie CRISPR/Cas das Erbgut von Pflanzen tiefgreifender und schneller modifizieren als das mit konventioneller Züchtung oder den Verfahren der alten Gentechnik möglich sei. [lf]

07.02.2022 |

Crispr/Cas soll das Kükentöten verhindern

Derzeit werden männliche Küken geschreddert oder vergast (Foto:  Timo Klostermeier  / pixelio.de) Derzeit werden männliche Küken geschreddert oder vergast (Foto: Timo Klostermeier / pixelio.de)

Wissenschaftler in Australien und Israel haben eine Methode entwickelt, mit der sich das Geschlecht eines künftigen Hühnerkükens bestimmen lässt, sobald das Ei gelegt wurde. Damit ließe sich verhindern, dass männliche Küken von Legehennen-Linien gleich nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet werden. Doch dazu müssten die Zuchthennen mit Crispr/Cas gentechnisch verändert werden. Ein Beispiel mehr, wie mit Hilfe neuer gentechnischer Verfahren Nutztiere an die Bedingungen der Massentierhaltung angepasst werden sollen.

Bei Hühnern haben Hennen in ihrem Erbgut zwei verschiedene Geschlechtschromosomen, ein weibliches und ein männliches (WZ), die Hähne dagegen zwei männliche (ZZ). Die Wissenschaftler des israelischen Start-Ups EggXYt und der australischen Wissenschaftsorganisation CSIRO hatten unabhängig voneinander die gleiche Idee: Mit Crispr/Cas fügten sie zum männlichen Chromosom der Hennen ein Gen für ein Leuchtprotein hinzu. Bei der Paarung mit einem unveränderten Hahn geben die Hennen ihr leuchtendes Z-Chromosom an den männlichen Nachwuchs weiter. Die Hennen hingegen bekommen vom Hahn ein unverändertes, nicht leuchtendes Z-Chromosom. Damit wären alle männlichen Embryos optisch markiert. Unter UV-Licht ließen sie sich gleich nach dem Legen der Eier erkennen. Die Eier mit männlichem Nachwuchs könnten aussortiert und noch als Lebensmittel verkauft werden; nur die Eier mit weiblichen Küken würden ausgebrütet.

Die Firma EggXYt erhielt für die Entwicklung ihrer Methode von der EU-Kommission 3,3 Millionen Euro aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon. Denn ein solches Verfahren hätte eine große wirtschaftliche Bedeutung. In der industriellen Hühnerhaltung gibt es zwei Arten von eigens gezüchteten Hochleistungstieren: Legehennen-Linien, bei denen die Hennen 300 Eier im Jahr legen, und Mast-Linien, bei denen die Tiere binnen fünf Wochen zwei Kilo Gewicht zulegen. Für die Mast können Hähne und Hennen verwendet werden. Fürs Eierlegen braucht es nur die Hennen, die Hähne sind wirtschaftlich wertlos, weil sie zuchtbedingt nur sehr langsam Fleisch ansetzen. Deshalb werden sie schon als Küken am ersten Tag aussortiert, getötet und als Tierfutter verkauft. Laut EU-Kommission trifft das jedes Jahr sieben Milliarden Hahnenküken weltweit.

In Deutschland ist diese Praxis seit Anfang 2022 verboten. Statt dessen werden in den Brütereien die Eier angebohrt, etwas Flüssigkeit entnommen und so das Geschlecht bestimmt. Das ist technisch derzeit erst am achten oder neunten Bruttag möglich. Tierschützer kritisieren, dass der Embryo dann schon Schmerzen empfinden kann, wenn er samt Ei verarbeitet wird. Deshalb erlaubt das deutsche Gesetz solche Eingriffe ab Anfang 2024 nur noch vor dem siebten Tag. Bisher gibt es jedoch noch kein Verfahren, das diese frühe Geschlechtsbestimmung im großen Stil ermöglicht. Die gentechnikfreundliche Plattform Transgen.de schreibt über EggXYt: „Das Unternehmen rechnet mit einem marktreifen Produkt bis 2022“ und suggeriert damit, dass diese Crispr-Hennen eine Lösung sein könnten.

Doch dazu müsste das fremde Erbgut für das Leuchtprotein in die Mutterhennen-Linien der großen Geflügelzuchtkonzerne eingebracht werden. Diese modifizierten Hennen müssten anschließend ein Zulassungsverfahren nach EU-Gentechnikrecht durchlaufen. Bisher gab es in der EU noch kein Verfahren für gentechnisch veränderte Nutztiere. Es wäre also Neuland und würde entsprechend lange dauern. Die weiblichen Nachkommen dieser Crispr-Hennen, die dann als Legehennen in den Ställen Eier produzieren, haben das eingefügte Leucht-Gen nicht. Doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es durch den Crispr-Eingriff im Erbgut der Mütter zu unerwünschten Veränderungen kommt. Auf dieses Risiko weisen zahlreiche Studien hin. Diese Veränderungen könnten die Crispr-Hennen dann an ihre weiblichen Nachkommen weitergeben. Das wirft die rechtliche Frage auf, ob diese Nachkommen ebenfalls als gentechnisch veränderter Organismus zu betrachten sind. Nur wenn diese Frage mit „ja“ beantwortet wird, müssten die Eier dieser nachfolgenden Generation nach EU-Recht gekennzeichnet werden.

Jenseits dieser gentechnikrechtlichen Debatte hat diese Crispr-Lösung – ebenso wie andere Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei – ein ethisches Problem. Solche Verfahren zementieren eine extreme Hochleistungszucht, die aus Sicht des Tierschutzes automatisch zu Qualen für die Tiere bei der Haltung führt, bei Legehennen ebenso wie bei Masthühnern. „Die heutigen Legehennen sind hochgezüchtete Eierlegemaschinen innerhalb eines kaputten Systems, die Kükenfrage damit auch eine Systemfrage“, argumentiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Die einzige Methode, die sowohl das Kükentöten verhindern als auch die zuchtbedingten Probleme der Legehennen lösen könne, sei die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn. [lf]

02.02.2022 |

Studie: Pflanzen schützen wichtige Gene vor Mutation

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

Eine neue Studie internationaler Molekularbiologen schürt Zweifel an Darwins Evolutionstheorie. Sie zeigt, dass das Erbgut von Pflanzen nicht zufällig und an jeder Stelle gleichermaßen mutiert. Manche Bereiche schützt die Natur vor ungewollten Änderungen. Mit neuen gentechnischen Verfahren wie Crispr/Cas lassen sich aber auch dort gezielt Gene verändern. Sie wirken also anders als natürliche Mutation. Das Institut Testbiotech fordert daher, dass die Risiken solcher Crispr-Eingriffe genau untersucht werden müssen, bevor entsprechende Pflanzen zugelassen werden.
Befürworter einer Lockerung des Gentechnikrechts behaupten häufig, dass eine durch Crispr/Cas herbeigeführte Änderung im Erbgut auch durch eine zufällige Mutation entstehen könne, also auch nicht mehr Risiken berge als diese. Doch das haben Molekularbiologen unter Führung des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen und der Universität von Kalifornien jetzt in Frage gestellt. Sie bauten im Labor Acker-Schmalwand an, ein weitverbreitetes Wildkraut, das Genetiker gerne als Modellpflanze verwenden. Die Forscher suchten in den Pflanzen nach neu aufgetauchten Mutationen und erwarteten, dass diese zufällig über das ganze Erbgut verteilt wären. Denn die Darwinsche Evolutionstheorie geht davon aus, dass Mutationen rein zufällig entstehen und erst danach die natürliche Auslese bestimmt, ob veränderte Gene sich durchsetzen oder nicht.

Statt einer zufälligen Verteilung fanden die Forscher Abschnitte im Erbgut, in denen Mutationen selten waren, und andere, in denen Mutationen viel häufiger vorkamen. In den Regionen mit wenigen Mutationen kamen gehäuft Gene vor, die in jeder Zelle benötigt werden und somit für das Überleben jeder Pflanze wichtig sind. „Das sind die Regionen des Genoms, die am empfindlichsten auf die schädlichen Auswirkungen neuer Mutationen reagieren“, erklärte Detlef Weigel, wissenschaftlicher Direktor am Max-Planck-Institut für Biologie und Hauptautor der Studie. „Die DNA-Reparatur scheint daher in diesen Regionen besonders effektiv zu sein.“ So minimiere die Evolution das Risiko, dass die wichtigsten Gene geschädigt werden. Auch die Struktur der Chromosomen und der Ort, an dem sich die Gene befinden, beeinflusste bei den Versuchen, wie häufig ein Gen mutiert. „Die Ergebnisse, die jetzt in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurden, haben das Potenzial, unsere Sichtweise der Evolution drastisch zu verändern“, schrieb das Max-Planck-Institut.

Auch für die Diskussion über neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas sind diese Erkenntnisse wichtig: Denn mit Crispr/Cas können auch Gene verändert werden, die durch natürliche Reparaturprozesse besonders gut geschützt sind. Das gentechnische Verfahren verhindere, „dass die Zellen das Erbgut wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzen können“, schrieb das Institut Testbiotech. Auch weitere Schutzmechanismen könnten durch die sogenannte „Gen-Schere“ außer Kraft gesetzt werden. „So spielt es bei ihrem Einsatz kaum eine Rolle, an welcher Stelle im Erbgut Gene, die verändert werden sollen, lokalisiert sind“, erklärte Testbiotech. Mit Crispr/Cas lassen sich also tiefgreifende genetische Veränderungen herbeiführen, die von Natur aus nur selten möglich wären. Derart veränderte Pflanzen „können sich deutlich von den Pflanzen unterscheiden, die aus konventioneller Züchtung stammen“, argumentierte Testbiotech und folgerte daraus: „Ihre Risiken müssen deshalb eingehend geprüft werden.“ [lf]

28.01.2022 |

Südtirol: Nachrede-Klage gegen Pestizidkritiker vom Tisch

FotoProzessUmweltinstitut Angeklagt wegen Pestizidkritik: Karl Bär, Umweltinstitut München, und Autor Alexander Schiebel (rechts, Foto: Jörg Farys, Umweltinstitut München)

Der Vorwurf der üblen Nachrede gegen Karl Bär, damals beim Umweltinstitut München, ist vom Tisch: Vor dem Landgericht Bozen zog der letzte verbliebene Kläger heute seine Anzeige gegen Bär zurück. Das Umweltinstitut will die Pestiziddaten aus dem Prozess nun mit den Südtiroler Obstbauern bei einer Veranstaltung diskutieren. Offen bleibt der Anklagepunkt der Markenfälschung. Das abschließende Urteil wird am 6. Mai 2022 erwartet.

Bär und der Buchautor AlexanderSchiebel hatten 2017 den massiven Pestizideinsatz beim Obstanbau in Südtirol deutlich kritisiert: Schiebel in seinem beim oekom Verlag erschienen Buch „Das Wunder von Mals“, Bär mit einer Kampagne für „Pestizidtirol“, bei der er die Südtiroler Tourismuswerbung aufs Korn nahm. Das brachte beiden Anzeigen des Südtiroler Landesrates für Landwirtschaft, Arnold Schuler, sowie von 1376 Landwirten ein. Schiebel war bereits im Mai 2021 freigesprochen worden. Im Lauf des Jahres zogen der Landesrat und fast alle Landwirte dann ihre Anzeigen gegen Bär zurück. Am heutigen Prozesstag willigte nun auch der letzte Kläger, Tobias Gritsch, ein, seinen Strafantrag zurückzunehmen. „Nach eineinhalb Prozessjahren ist es endlich so weit: Die Südtiroler Obstwirtschaft sucht den Dialog, statt an unhaltbaren Klagen festzuhalten“, kommentierte Karl Bär den Schritt. Damit ermögliche Gritsch eine konstruktive Diskussion außerhalb des Gerichtssaales.

Für diese Diskussion gibt es bereits einen konkreten Plan. Das Umweltinstitut teilte mit, es werte derzeit die Betriebshefte fast aller Obstbäuerinnen und -bauern aus, die ursprünglich Anzeige gegen Karl Bär erstattet hatten. Die Hefte enthalten Angaben darüber, welche und wie viel Pestizide die Landwirte im Jahr 2017 verwendet haben. Die Unterlagen wurden im Prozess dem Umweltinstitut auf Antrag der Staatsanwaltschaft als Beweismittel zur Verfügung gestellt. „Wir planen, die Ergebnisse der Auswertung dieser Daten über Pestizideinsätze auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit Vertreter:innen der Obstwirtschaft in Südtirol zu präsentieren und gemeinsam zu diskutieren“, kündigte Bär an, der aktuell für die Grünen im Bundestag sitzt.

Doch einmal muss Bär noch vor Gericht erscheinen. Denn für die Pestizidtirol-Kampagne hatte er ein Plakat der Südtiroler Tourismuswerbung ironisch verfremdet. Aus dem Schriftzug Südtirol wurde „Pestizidtirol“. Dies trug ihm eine Anzeige wegen Fälschung der geschützten Wort-Bild-Marke „Südtirol“ ein. Noch ist also der Versuch der Südtiroler Landesregierung, Pestizidkritiker mundtot zu machen, nicht endgültig gescheitert. Im Oktober 2020 hatte der Europarat die Klagen gegen Pestizidkritiker in Südtirol als strategische Klage und damit als Angriff auf die Meinungsfreiheit eingestuft. Diese Art der Klagen wird in der Fachwelt als Strategic Litigation against Public Participation (SLAPP) bezeichnet. Die EU-Kommission erarbeitet derzeit eine Anti-SLAPP-Initiative, die Organisationen und Journalisten besser davor schützen soll, mit solchen Klagen mundtot gemacht zu werden. Am 1. Februar wird die Koalition gegen SLAPP in Europa (CASE) 185.000 in den letzten Monaten gesammelte Unterschriften an Vera Jourová, EU-Vizepräsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz übergeben. [lf]

26.01.2022 |

Großbritannien erleichtert Versuchsanbau von Crispr-Pflanzen

weizen 3 freilandversuch genehmigt Freilandversuch mit Gentechnik-Weizen genehmigt (Foto: Wilhelmine Wulff / pixelio.de)

Die britische Regierung will Feldversuche mit genomeditierten Pflanzen erleichtern. Das teilte das Agrarministerium vergangene Woche mit. „Vorerst“ müssten solche Pflanzen aber weiter als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zugelassen werden, wenn sie auf den Markt gebracht werden sollen. Die Organisation GMWatch kritisierte Feldversuche ohne Risikoprüfung als 'Wilden Westen' für GVO-Entwickler zum Nachteil von Umwelt und Gesundheit.
„Die heute erlassenen Rechtsvorschriften sind der erste Schritt auf dem Weg zu einem wissenschaftlicheren und verhältnismäßigeren Ansatz für die Regulierung der Gentechnologien, der es uns ermöglichen wird, Innovationen mit diesen Technologien weiter zu erschließen“, heißt es in der sehr ausführlichen Presseinformation des Ministeriums für Umwelt und Landwirtschaft sowie der Ministerin für Agrarinnovation und Klimaanpassung, Jo Churchill. „Neue Gentechnologien könnten uns helfen, einige der größten Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen – in Bezug auf Ernährungssicherheit, Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt“, wird diese darin zitiert. Der Austritt aus der Europäischen Union gebe die Freiheit, diese Themen jetzt unbürokratisch zu regeln. „Die neue Gesetzgebung wird auch das Bestreben des Vereinigten Königreichs vorantreiben, bis 2030 eine globale Wissenschaftssupermacht zu werden.“
Ein Grund für diese Überzeugungsoffensive ist wohl, dass die Briten sich bei einer öffentlichen Konsultation im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen hatten, die Regeln für genomeditierte Pflanzen zu lockern. Kein Wunder, dass der Pressetext dann auch vor allem darüber informiert, was sich nicht ändert: Wissenschaftler, die mit Gentechnologien forschen, müssen das Ministerium weiterhin über alle Forschungsversuche informieren. Die Sicherheit sei nicht beeinträchtigt. Erleichtert würde auch nur die Forschung an Pflanzen, „bei denen die Genomeditierung verwendet wird, um neue Sorten zu schaffen, die denen ähneln, die durch traditionelle Züchtungsverfahren langsamer hätten produziert werden können“. Gemeint sind damit Produkte neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas, bei denen keine fremde DNA in die Pflanze eingeführt wird.
Auf Nachfrage des Portals Newscientist sagte ein wissenschaftlicher Regierungsberater, die Neuregelung sei eher symbolisch: Es werde zwei Monate weniger Zeit brauchen, bis Versuche genehmigt würden. Und die Forscher sparten pro Versuch rund 10.000 Pfund an Kosten. Die neuen Regeln sollen offenbar zunächst nur für England gelten. Man wolle damit das Signal geben, dass der erste Schritt gemacht sei, so Gideon Henderson. Der nächste sei dann, dass geneditierte Lebensmittel kommerziell angebaut und verkauft werden können. Und nach den Pflanzen komme das Vieh. Wann entsprechende Gesetze kommen sollen, ließ er offen. Er wies jedoch darauf hin, dass es mindestens fünf Jahre dauern werde, bis Lebensmittel aus den Feldversuchen auf den Markt kommen könnten.
Erst bei der gentechnikkritischen Organisation GMWatch lesen wir dann, dass die Gentechnikforscher künftig nicht mehr verpflichtet sein sollen, vor ihren Feldversuchen eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzulegen. Die Gefahr, dass Teile gentechnisch veränderter Pflanzen das Versuchsgelände verlassen könnten, muss demnach nicht mehr untersucht werden. Das Ministerium müsse zwar noch informiert werden, die Versuche jedoch nicht mehr ausdrücklich genehmigen, so GMWatch. "Die Regierung ist immer noch wild entschlossen, den Schutz für Gesundheit und Umwelt aufzugeben, um der GVO-Industrie in England freie Hand zu lassen“, kritisiert GMWatch-Expertin Claire Robinson. Denn es gebe keine Beweise dafür, dass die durch moderne Gentechnik hervorgerufenen Veränderungen in einer Pflanze auf natürliche Weise hätten entstehen können, diese Pflanzen also konventionell gezüchteten ähnlich wären. „Tatsächlich gibt es viele Beweise dafür, dass Gen-Editing genetisches Chaos verursacht“, so Robinson. Deshalb müssten geneditierte Pflanzen genau untersucht werden, welche unbeabsichtigten Veränderungen durch den Eingriff entstanden sind, die Gesundheit oder Umwelt schädigen könnten. [vef]

20.01.2022 |

Monsanto beschäftigt Gerichte weltweit

Monsanto Kreativer Protest gegen Agro-Gentechnik (Foto: Joe Brusky / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0)-+-

Für den Agrarchemiekonzern Bayer begann das neue Jahr, wie das alte aufgehört hat: mit einer juristischen Niederlage, eingebrockt vom 2018 erworbenen Tochterunternehmen Monsanto. Von Steuernachforderungen über Schadenersatz wegen gefährlichem Pestizideinsatz bis hin zu Investoren, die sich bei der Megaübernahme getäuscht sehen, reicht die Palette der Prozesse. 2022 könnten richtungweisende Entscheidungen fallen.
In der Schweiz hat Monsanto 34 Millionen Schweizer Franken Steuerschulden, stellte das Schweizer Bundesgericht Ende Dezember fest. Wie Schweizer Medien übereinstimmend berichteten, hatte der Kanton Waadt dem Unternehmen zehn Jahre lang sämtliche Steuern erlassen, nachdem es 2004 dort einen Standort eingerichtet hatte. Dafür verpflichtete sich der damals noch amerikanische Konzern, 20 Jahre zu bleiben. 2020 gab die neue Mutter Bayer den Standort jedoch vorzeitig auf und das Bundesgericht bestätigte jetzt, dass Bayer damit die Steuern nachzahlen muss.
Drei Jahre Haft auf Bewährung verhängte Anfang Januar ein Bezirksgericht auf Hawaii wegen 31 Umweltvergehen mit Agrarchemikalien: Monsanto habe sich schuldig bekannt, sie falsch gelagert, verwendet und Mitarbeitende unzureichend vor gesundheitlichen Gefahren gewarnt und geschützt zu haben, berichtete das Portal Hawaii News Now. Wie die kalifornische Staatsanwaltschaft informierte, erklärte sich die Bayer-Tochter ferner bereit, insgesamt 22 Millionen US-Dollar zu zahlen, die sich etwa hälftig aus Geldstrafen und Zahlungen an gemeinnützige hawaiianische Einrichtungen zusammensetzen. Außerdem wird der Konzern für weitere drei Jahre ein umfassendes Umwelt-Compliance-Programm fortsetzen, das von einem externen Prüfer begleitet wird. Wie der Infodienst berichtete, laufen ferner Schadenersatzklagen schwer erkrankter Anwohner von Monsanto-Feldern auf Hawaii.
Nach Unternehmensangaben sind in den USA noch rund 29.000 Klagen von Bürgern offen, die Erkrankungen wie ein Non-Hodgkin-Lymphom auf regelmäßigen Kontakt mit Bayers Unkrautvernichter Glyphosat zurückführen. Hier hofft der Chemiekonzern, dass das oberste US-Gericht, der Supreme Court, sich mit der Frage befassen wird, ob Bayer vor den Gefahren des Totalherbizids hätte warnen müssen, oder ob das Bundesrecht in den USA das ausschließt. Mit einer Entscheidung, ob der Supreme Court sich zu dieser Rechtsfrage äußern wird, rechnen Experten im Frühsommer. Wie er sie beantwortet, wird die Welt wohl erst 2023 erfahren. Zunächst wurde die US-Regierung gebeten, Stellung zu nehmen. Die Vergleichsverhandlungen mit den Klägern lässt Bayer einstweilen ruhen.
Einen längeren Atem brauchen wohl auch 320 Investoren, die bis zum Ende der Verjährungsfrist am 31. Dezember beim Landgericht Köln Klage gegen die Bayer AG eingereicht haben. Dazu gehören nach Angaben der Kanzlei Tilp Rechtsanwälte mittlerweile 288 Institutionen wie Banken, Versicherungen und Pensionsfonds aus mehreren Ländern sowie zahlreiche Privatanleger. Dabei gehe es um eine Schadensumme von insgesamt 2,2 Milliarden Euro, teilte die auf solche Musterverfahren spezialisierte Kanzlei mit. Der Aktiengesellschaft wird vorgeworfen, im Zuge der Übernahme des US-Saatgutgiganten Monsanto ihre Anleger in den Jahren 2016 bis 2019 nicht ausreichend über die damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken informiert zu haben. In der Folge des Megadeals zum Preis von 66 Milliarden US-Dollar, der 2016 angekündigt wurde, brach der Aktienkurs von Bayer vor allem aufgrund der hohen Klagewelle in den USA massiv ein. Bayer wies die Vorwürfe stets zurück. Die Kanzlei Tilp geht davon aus, dass der Prozess in Köln im Lauf des Jahres starten wird. [vef]

17.01.2022 |

Neue Studie: Glyphosat schädigt Spermien

Notfellchen, gerettete Laborratte, https://bit.ly/3ntMB4X, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de Notfellchen, gerettete Laborratte, https://bit.ly/3ntMB4X, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de

Der Herbizidwirkstoff Glyphosat beeinträchtigt im Langzeitversuch die Spermien männlicher Ratten. Das ergab eine Studie chinesischer Wissenschaftler. Sie verabreichten den Tieren Glyphosat in Konzentrationen, die weit unter denen früherer Versuche lagen. Deshalb sind die Ergebnisse relevant für die laufende Sicherheitsbewertung des Herbizids.

Die Forscher fütterten die Ratten vier Monate lang mit Glyphosat. Eine Gruppe bekam 2 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht (mg/kg KG), die andere 50, die Kontrollgruppe blieb glyphosatfrei. Nach vier Monaten ließ sich in beiden Glyphosatgruppen das Herbizid im Hoden der Ratten nachweisen. Die Spermien waren langsamer, weniger beweglich und geschädigt. Die Effekte zeigten sich in beiden Gruppen, waren aber in der 50 Milligramm-Gruppe deutlich ausgeprägter, also dosisabhängig. Schon in älteren Arbeiten finden sich Belege dafür, dass Glyphosat Spermien schädigt und die männliche Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Die Forscher konnten mit ihren Versuchen auch zeigen, wie dies passiert. Sie wiesen nach, durch welche molekularen Reaktionen Glyphosat die Schranke zwischen Blutversorgung und Hoden überwindet und durch oxidativen Stress dann die Spermien schädigt. Dabei habe Glyphosat „potenzielle Eigenschaften eines endokrinen Disruptoren gezeigt“, also einer hormonaktiven Substanz, heißt es in der Arbeit. Verwundert waren die Forscher darüber nicht. „Eine wachsende Zahl von Belegen weist darauf hin, dass Glyphosat und seine Formulierungen potentiell endokrine Disruptoren sein können“, schreiben sie.

Die Wissenschaftler wiesen darauf hin, dass bisher für Fruchtbarkeitsschädigungen durch Glyphosat im Tierversuch ein NOAEL-Level von 1000 mg/kg Köpergewicht (KG) angenommen wurde, aufgestellt in einer mehr als 20 Jahre alten Studie. NOAEL steht für 'No observed adverse effect level’ und meint die Dosis, bei der in Tierversuchen noch kein toxischer Effekt auftritt. Nun hat sich gezeigt, dass Glyphosat bereits bei einer Konzentration von 2 mg/kg KG die Fortpflanzung der Tiere beeinträchtigte. Zur Einordnung nennen die Foscher noch eine Zahl: Die US-Umweltbehörde EPA hält es für unbedenklich, wenn ein Mensch über die Nahrung täglich 1,75 mg/kg KG Glyphosat aufnimmt. In der Europäischen Union liegt dieser sogenannte ADI-Wert (accetable dayly intake) bei 0,5 mg/kg KG. Die Behörden berechnen ADI-Werte üblicherweise, indem sie den NOAEL-Wert aus dem Tierversuch durch 100 teilen, um auf der sicheren Seite zu sein. Beeinträchtigen also schon 2 mg/kg KG die Fruchtbarkeit männlicher Ratten, liegt der NOAEL noch darunter und der ADI-Wert beim Menschen müsste auf jeden Fall deutlich kleiner sein als 0,02 mg/kg KG.
Relevant sind solche Überlegungen, weil die europäische Lebensmittelbehörde EFSA derzeit die Neuzulassung von Glyphosat bearbeitet. Die aktuelle Genehmigung läuft am 15.12.2022 aus. Sollte die EFSA bis dahin vorschlagen, den Einsatz des Totalherbizids darüber hinaus zu erlauben, muss sie auch einen ADI-Wert festlegen und begründen. [lf]

11.01.2022 |

China will Gentech-Mais anbauen

China Fleisch In China steigt der Fleischkonsum rasant - dafür sind enorme Mengen Futtermittel nötig, auch aus Gentechnik-Produktion (Foto: Chelsea Marie Hicks / www.flickr.com/photos/seafaringwoman/6635085253/, CC BY 2.0)

Bisher beschränkte sich der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in China auf Baumwolle und Pappeln. Nun will die Regierung drei Sorten Gentech-Mais für den Anbau zulassen. Beobachter erwarten weitere Zulassungen für Mais und Soja. Sie sollen die Ernährung der Chinesen sichern und das Land unabhängiger von Importen machen. Gleichzeitig forscht China intensiv mit neuen gentechnischen Verfahren.

Die Nachrichtenagentur Reuters meldete Ende 2021, dass das chinesische Landwirtschaftsministerium drei gentechnisch veränderten Maissorten die Zulassung für den Anbau erteilen will. Die Unterlagen dafür lägen bis 17. Januar zur Kommentierung aus. Weitere Zulassungen seien geplant. Bei den drei Sorten handelt es sich um herbizid- und insektenresistenten Mais, der von chinesischen Unternehmen entwickelt wurde. Es sei noch unklar, wann die neuen Sorten für einen Markteintritt bereit stünden, schrieb Reuters.
Bereits Mitte November hatte das Ministerium neue Regeln veröffentlicht, um solche Zulassungsverfahren zu vereinfachen. Dies zeige den Saatgutherstellern einen klaren Weg für die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen auf, schrieb Reuters damals. Durch die vorgeschlagenen Änderungen könnten bereits auf ihre Sicherheit hin überprüfte gentechnisch veränderte Merkmale, die von chinesischen Unternehmen entwickelt wurden, in einem Jahr marktreif sein.

Die chinesische Global Times berichtete im Dezember, dass Ende des Jahres oder Anfang 2022 eine weitere Serie von Sicherheitszertifikaten für gentechnisch verändertes Saatgut ausgestellt würde. Dies wäre eine Voraussetzung für weitere Zulassungen, vor allem von Mais und Soja-Sorten. Zudem habe die Regierung ein überarbeitetes Saatgutgesetz verabschiedet, das am 1. März 2022 in Kraft treten werde. Es solle den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums stärken, schrieb Global Times. Offensichtlich hat die chinesische Regierung erkannt, dass solche Regelungen notwendig sind, damit chinesische Biotech-Unternehmen zu den großen Gentechnikkonzernen aufschließen können.

Bereits seit Jahren investiert China stark in gentechnische Pflanzenforschung. Doch bisher hielt sich die Regierung beim Anbau zurück. Gleichzeitig importierte sie große Mengen an gentechnisch verändertem Mais und Soja als Futtermittel für die riesigen Schweine- und Hühnerbestände des Landes. Beobachter vermuten, dass der nun offensichtliche Kurswechsel vor allem dazu dient, die Ernährung der 1,4 Milliarden Chinesen sicherzustellen. Bereits im vergangenen Jahr hatte China große Maismengen aufgekauft und gleichzeitig Büros geschlossen, die Markt- und Anbauzahlen aus China veröffentlichten. „Verschleiert China das wahre Ausmaß seiner Rohstoffknappheit?“, fragte damals agrarheute.com.

Die Hongkonger South China Morning Post berichtete, dass Chinas oberste Führung das Saatgut und den Ertrag pro Einheit verbessern wolle, um die heimische Getreideversorgung zu sichern und die Selbstversorgung zu stärken. China sei der weltweit größte Abnehmer von Agrarerzeugnissen, von Sojabohnen und Mais bis hin zu Raps und Palmöl. „Die Anfälligkeit des Landes ist angesichts der Handelsspannungen mit wichtigen Lieferanten wie den USA und des weltweiten Anstiegs der Agrarrohstoffpreise deutlich geworden“, analysierte die Zeitung. Agrarheute.com wies in seiner Analyse darauf hin, dass Staatspräsident Xi Jinping bei einer Agrarkonferenz persönlich die herausragende strategische Bedeutung eines gesicherten Angebots an Lebensmitteln betont habe.

Die nun anstehenden Anbauzulassungen beschränken sich anscheinend noch auf Sorten, die mit alter Gentechnik hergestellt wurden. Doch auch bei neuen gentechnischen Verfahren ist China Weltspitze. Rund 75 Prozent der weltweiten Patente für Genome Editing in der Landwirtschaft kämen aus China, zitierte die Zeitschrift Fortune Erik Fyrwald, Vorstand des Gentechnikkonzerns Syngenta, der dem chinesischen Staatsunternehmen ChemChina gehört. „China ist nicht nur ein Akteur in diesem Bereich, sondern hat sich zu einem klaren Marktführer entwickelt“, sagte Frywald laut Fortune. (lf)

21.12.2021 |

Lemke: Koalitionsvertrag sieht keine Änderung des EU-Gentechnikrechts vor

EU Rat Ministerrat Foto: The Council of the European Union

Die neue Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat klargestellt, dass die Koalition das bestehende EU-Gentechnikrecht nicht ändern will. Auf einer Sitzung der Umweltminister der EU-Staaten betonte Lemke, dass der Koalitionsvertrag eine solche Änderung nicht vorsehe. Bezüglich der fachlichen Bewertung der Crispr/Cas-Verfahren gelte die bekannte Position des Ministeriums, teilte Lemkes Pressesprecher mit. Friends of the Earth Europe und Global 2000 thematisierten zum Umweltministerrat die Lobby-Aktivitäten der Gentechnikkonzerne bei der EU-Kommission.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung kommt das Wort Gentechnik nicht vor. Daraus schließt die Bundesumweltministerin, dass die Bundesregierung das EU-Gentechnikrecht nicht ändern will – sonst stünde das ja als Vorhaben im Vertrag. Damit hat Steffi Lemke die erste Gelegenheit genutzt, um dem Regierungshandeln beim Thema Gentechnik eine klare Richtung zu geben.

Die Gelegenheit dazu bot der gestrige Umweltministerrat, zu dem sich die Umweltminister der EU-Staaten in Brüssel trafen. Die österreichische Delegation hatte ein kurzes Positionspapier zu der von der EU-Kommission geplanten Änderung des Gentechnikrechts eingereicht. Unterstützt von Zypern, Luxemburg und Ungarn betonte Österreich die Bedeutung des Vorsorgeprinzips gerade bei neuen Techniken, bei denen noch keine oder nur wenige Erfahrungen mit möglichen Gesundheits- oder Umweltauswirkungen vorlägen. Es sei von „äußerster Wichtigkeit“, dass das hohe Sicherheitsniveau und die Wahlfreiheit der Verbraucher auch für mit neuer Gentechnik hergestellte Pflanzen erhalten bleibe, heißt es in dem Papier.

Zwar stand das Positionspapier ganz am Ende der Tagesordnung und es gab auch nur eine kurze Aussprache dazu. Doch es war das erste Mal, dass sich die Umweltminister der EU-Länder mit der geplanten Änderung des Gentechnikrechts befassten. Bisher hatten sich nur die Agrarminister mit dem Thema beschäftigt. In ihrem Statement vor den EU-Kollegen bedankte sich Ministerin Lemke bei Österreich für diesen Vorstoß, den sie unterstütze. „Der Koalitionsvertrag, auf dem die neue deutsche Bundesregierung basiert, sieht keine Notwendigkeit einer Novellierung der jetzt gültigen Regulierung“, sagte Lemke. Aus Umweltsicht sei es zwingend, das Vorsorgeprinzip auch im Zulassungsverfahren zu wahren und eine Risikobewertung ohne Abstriche vorzusehen. Zudem sollten die Risiko- und Nachweisforschung ausgebaut werden. Auch müsse die Koexistenz unterschiedlicher Anbauformen gewahrt bleiben. Auf keinen Fall dürften agrarökologische Wachstumsbranchen gefährdet werden. Mit diesem klaren Statement kam die Minsterin einer im Vorfeld von mehreren Umweltorganisationen geäußerten Bitte nach, das Wort für eine strenge Regulierung zu ergreifen.

Zur Ratssitzung veröffentlichten Friends of the Earth Europe und Global 2000 eine Recherche, die aufzeigt, wie sich große Agrarkonzerne über das Patentrecht den Zugriff auf neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas sicherten. So verfüge der Konzern Corteva, hervorgegangen aus den Agrarsparten von Dow und DuPont/Pioneer, über einen Pool von rund 50 Patenten. Wer die Crispr-Technologie kommerziell nutzen wolle, müsse teure Vermarktungslizenzen beantragen, schreibt Global 2000. Die Recherche schildert auch die Lobby-Anstrengungen der Konzerne für eine Deregulierung des Gentechnikrechts. Sie hätten dafür seit 2018 mindestens 36 Millionen Euro aufgewendet. Zudem habe es seit 2018 182 Treffen von Gentechnik-Lobbyisten mit EU-Kommissaren, ihren Kabinetten und Generaldirektoren gegeben, heißt es in der Recherche. Die Deregulierungspläne der Kommission seien ein deutliches Beispiel dafür, wie stark große Agrar- und Biotechnologiekonzerne auf politische Entscheidungsprozesse einwirken würden. Brigitte Reisenberger, Gentechniksprecherin von Global 2000, appellierte deshalb an den Ministerrat: „Die Umweltminister:innen haben die Möglichkeit aufzustehen, und die strenge Regulierung der Gentechnik zu verteidigen, zum Wohle der Natur und der Ökosysteme.“ In ihren Statements taten das neben Lemke die Minister aus Rumänien, Ungarn, Luxemburg, Zypern, Frankreich und der Slowakei. Die Vertreter von Estland, Dänemark, Tschechien und den Niederlanden stellten sich hinter die Pläne der EU-Kommission. [lf]

14.12.2021 |

Schweiz: Ständerat will Moratorium aufweichen

Schweiz Gentechnikfrei Foto: Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG)

Der Ständerat, die zweite Kammer des Schweizer Parlaments, will das Schweizer Anbaumoratorium für gentechnisch veränderte Pflanzen abändern. Künftig sollen gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas nur noch unter das Moratorium fallen, wenn durch sie fremdes Erbgut eingefügt wird. Nachdem der Nationalrat, die erste Kammer, das Moratorium ohne Änderung verlängern wollte, müssen beide Kammern nun einen Kompromiss finden.

Der Ständerat besteht aus 46 Vertretern der Kantone und gilt als wirtschaftsfreundlich und konservativ. Das Gremium beschloss, die von der Schweizer Regierung, dem Bundesrat, vorgeschlagene Verlängerung des Ende 2021 auslaufenden Moratoriums abzuändern: Gentechnisch veränderte Organismen, denen kein transgenes Erbmaterial eingefügt wurde, sollen von der Verlängerung des Gentech-Moratoriums bis Ende 2025 ausgenommen werden. Nachdem die Abstimmung ein Patt ergab, entschied im Stichentscheid die Stimme von Ständeratspräsident Thomas Hefti. Das gleiche Patt hatte es bereits zwei Wochen zuvor in der Wissenschaftskommission des Ständerats gegeben. In seinem Beschluss beauftragte der Ständerat zudem die Regierung, im Laufe des Jahres 2022 einen Bericht zu erarbeiten. Er soll die rechtlichen Möglichkeiten aufzeigen, die genannten gentechnischen Verfahren vom Gentech-Moratorium auszunehmen.

Im Schweizer Parlament sind beide Kammern gleichberechtigt. Die Angelegenheit geht nun zurück in den Nationalrat, der sich laut der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in der kommenden Frühlingssession mit dem Votum des Ständerats befassen wird. Dreimal können beide Kammern die Angelegenheit hin- und herschieben, dann tritt eine Einigungskonferenz aus beiden Kammern zusammen, die einen Kompromiss finden muss, der dann beide Kammern bindet. Dass das geltende Moratorium Ende 2021 ausläuft, sei kein Problem – es würden einfach bis zur Bereinigung des Gesetzes keine Versuchsprojekte bewilligt, heißt es in der Bauernzeitung.

Paul Scherer, Geschäftsführer der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG) bestätigte im Gespräch mit dem Infodienst, dass der Bundesrat mitgeteilt habe, eventuelle Zulassungsanträge für den Anbau zu sistieren, also auf Eis zu legen, bis das Gesetz beschlossen sei. Scherer rechnet mit einer endgültigen Entscheidung über das Moratorium inklusive einer möglichen Einigungskonferenz noch im Frühjahr 2022.

Die SAG und die Kleinbauern-Vereinigung bedauerten die vom Ständerat beschlossene Abschwächung. Sie führe zu „einer immensen Rechtsunsicherheit für Produzent:innen sowie Konsument:innen“ Der Beschluss gefährde die Existenz aller Branchen, die auf gentechnikfreie Produktion fokussieren ebenso wie die gentechnikfreie Produktion als Alleinstellungsmerkmal der Schweizer Qualitätsproduktion. Um dies zu vermeiden, appellierten SAG und Kleinbauern-Vereinigung an den Nationalrat, seinen Beschluss aufrecht zu erhalten und nicht dem Ständerat zu folgen.

Der Schweizer Bauernverband wertete die Entscheidung des Ständerats als „Schuss ins Abseits“. Bevor die neuen Züchtungsmethoden ausgenommen werden könnten, brauche es eine saubere Klärung, wie diese künftig sinnvoll reguliert werden könnten, schrieb der Verband. Damit schließt die größere der beiden Schweizer Bauernvereinigungen eine Deregulierung nicht völlig aus. Denn wichtige Erzeugerverbände wie der Schweizer Obstverband, der Verband Schweizer Gemüseproduzenten oder die Schweizer Kartoffelproduzenten setzen auf neue gentechnische Verfahren. Sie haben sich mit den größten Einzelhändlern der Schweiz – Migros, Coop und Denner – sowie dem Konsumentenverband im Verein Sorten für morgen zusamengeschlossen. Er will genau jene gentechnischen Verfahren voranbringen, bei denen kein artfremdes Erbgut in einen Organismus eingefügt wird. Der Verein wertete den Beschluss des Ständerats als „einen Schritt in die richtige Richtung“. Der Verein erwartet nun vom Bundesrat, „dass er verschiedene Regelungsansätze aufzeigt, die danach in der Gesellschaft breit und faktenbasiert zu diskutieren sind.“ Das bloße Verlängern des Moratoriums um weitere vier Jahre stelle keine Zukunftsstrategie dar. [lf]

Gehe zu Seite: ... 13 14 15 16 17 18 19 20 21 ...

*** Unterstützen Sie unsere Arbeit ***

Alle Informationen auf dieser Seite sind für Sie kostenlos, kosten aber trotzdem etwas. Unterstützen Sie den Infodienst - damit es auch weiterhin kritische Informationen zum Thema Gentechnik für alle gibt!
 Spenden-Infos hier

Newsletter bestellen

Schule und Gentechnik

Unterrichtsportal zum Thema Agro-Gentechnik: Einführung, Arbeitsblätter, Videos und mehr...

Eine Lehrerin hält ein Schild mit der Aufschrift Lehrer. Hier gibt es Informationen und Material zur Gentechnik für den Unterricht.
Ein Schüler hält ein Schild mit der Aufschrift Schüler. Hier gibt es Informationen, ein Quiz, Videos und mehr zum Thema Gentechnik für Schülerinnen und Schüler.

Infodienst-Material

Postkarten zum Thema Gentechnik. Ein Mädchen nascht von einer Torte und sagt Gutes Essen braucht keine Gentechnik.
Ein Landwirt hält Maiskolben im Arm und sagt Gen-Mais schmeckt mir nicht.

Hier bekommen Sie kostenloses Infomaterial zum Thema: Flyer, Postkarten, Newsletter, Newsticker...
 Bestellung

Nachrichten