13.12.2022 | permalink
Auf den Philippinen wurden dieses Jahr erstmals einige Tonnen gentechnisch veränderter (gv) Reis mit einem erhöhten Gehalt an Beta-Carotin geerntet. Die wegen ihrer Farbe als „goldener Reis“ bezeichnete Pflanze wurde bereits vor 24 Jahren präsentiert. Damals galt sie als gentechnische Lösung, um den Vitamin A-Mangel in Entwicklungsländern zu beheben. Inzwischen geben selbst Befürworter:innen zu, dass andere Methoden schneller helfen.
67 Tonnen „goldener Reis“ (englisch: Golden Rice) seien in diesem Jahr auf 17 Feldern der philippinischen Insel Antique geerntet worden, meldete die Wissenschaftsseite Phys.org. Sie sollen nun an Haushalte mit schwangeren Frauen, stillenden Müttern oder Kindern im Vorschulalter verteilt werden, die durch Vitamin-A-Mangel verursachte Krankheiten erleiden könnten. Das Portal Manila Bulletin gibt die Anbau-Fläche mit 15 Hektar an und erwähnt, dass der gv-Reis auf weiteren 23 Hektar angebaut wurde, um zusätzlich Saatgut zu gewinnen. Denn das philippinische Landwirtschaftsministerium wolle, dass der gelbe Reis 2027 auf zehn Prozent der Reisanbaufläche wächst, was ungefähr 500.000 Hektar entspreche, wie der Leiter des „goldener Reis“-Programms des staatlichen Forschungsinstituts PhilRice dem Blatt mitteilte. Die philippinische Regierung setzt stark auf Gentechnik und hatte vor zwei Monaten auch den Anbau gentechnisch veränderter Bt-Auberginen zugelassen. Sie produzieren ein Bakteriengift gegen Schädlinge.
Die vergangenen zehn Jahre war es vor allem PhilRice und das auf den Philippinen ansässige internationale Reisforschungsinstitut IRRI, die noch am „goldenen Reis“ arbeiteten. Schon 2013 zerstörten wütende Bauern geheimgehaltene Versuchsfelder des IRRI. Der Widerstand hat seither nicht nachgelassen. In einer Stellungnahme schreibt das Netzwerk StopGoldenRice: „Trotz des überwältigenden Widerstands der philippinischen Bevölkerung, ungerechtfertigter Lücken im Genehmigungsverfahren, möglicher Risiken für unsere Umwelt und Gesundheit und des Überflusses an lokal verfügbaren Vitamin-A-reichen Feldfrüchten im Land wird dieser Reis nun auf unseren Feldern angebaut und in unsere Nahrungsmittelsysteme gezwungen.“ Das Netzwerk befürchtet, dass der gv-Reis die widerstandsfähigen traditionellen und von den Landwirten gezüchteten Reissorten dauerhaft verunreinigen könnte.
Seit Jahrzehnten stark in der bäuerlichen Züchtung engagiert ist die Organisation Masipag. Sie hat zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen eine Petition an das Oberste Gericht der Philippinen gerichtet. Die Richter sollen die Genehmigungen für den Anbau von gv-Reis und gv-Auberginen vorläufig auf Eis legen. Damit würden sie die Umwelt schützen und zwei Grundnahrungsmittel des Landes, sagte Masipag-Koordinator Alfie Pulumbarit der Zeitung Philippine Star. Denn es sei nicht erwiesen, dass Beta-Carotin-Reis und Bt-Auberginen für die Umwelt und den menschlichen Verzehr sicher seien.
Womöglich spielt bei den anstehenden Gerichtsverhandlungen die Frage eine Rolle, ob es den gv-Reis überhaupt braucht, um Vitamin A-Mangel (VAD) wirkungsvoll zu bekämpfen. Die Antwort ist nein: In den 90-er Jahren war VAD weltweit bei 23 bis 34 Prozent der verstorbenen Kinder unter fünf Jahren die Todesursache. Bis 2013 sank dieser Anteil auf etwa zwei Prozent. Die Ursachen dafür waren „umfangreiche Impfprogramme gegen Masern, ein besserer Zugang zu sauberem Wasser sowie die Versorgung mit Vitamin A-Tabletten durch kommunale Gesundheitsprogramme“. So steht es in einem Beitrag von 2021 für ein Buch über Reisforschung. Geschrieben haben dieses Kapitel übrigens Befürworter:innen des „goldenen Reises“, die ihn natürlich dennoch loben. [lf]
08.12.2022 | permalink
++ UPDATE ++ Wie erwartet lässt die Europäische Kommission den Unkrautvernichter Glyphosat übergangsweise bis 15.12.2023 zu, um der Lebensmittelbehörde EFSA mehr Zeit zu geben, seine Risiken zu prüfen. Die Aurelia-Stiftung hält die verbreitete Praxis, die Genehmigung von Pestizidwirkstoffen schon vor dem Abschluss der vorgeschriebenen Risikoprüfung zu verlängern, für einen gravierenden Verstoß gegen das europarechtliche Vorsorgeprinzip. Sie plant daher, die aktuelle Glyphosat-Entscheidung der EU-Kommission vom Europäischen Gericht überprüfen zu lassen.
Bei einem Expertengespräch der Anwaltskanzlei [GGSC] verwies Aurelia-Vorstand Thomas Radetzki gestern auf Recherchen der Organisation foodwatch, wonach bei etwa 30 Prozent aller in der Europäischen Union (EU) verwendeten Pestizide die Zulassungen eigentlich abgelaufen seien. Laut foodwatch verlängert die EU die Genehmigungen jedoch regelmäßig – teilweise seit Jahren und ohne vorgeschriebene Sicherheitsprüfung durch die zuständige Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). In den vergangenen zehn Jahren seien Tausende von Spritzmittelzulassungen verlängert worden, weil die Behörden die Risikoprüfung und den Genehmigungsprozess systematisch verzögert hätten, kritisiert Foodwatch. „Glyphosat ist nur die Spitze des Eisbergs.“
Auch Aurelia-Anwalt Achim Willand sieht in den fast routinemäßigen Verlängerungen ein systematisches Problem. So werde den Herstellern auch nach Ablauf der vorgesehenen Fristen immer wieder Gelegenheit gegeben, Datenlücken zu füllen. Dies führe dazu, dass Pestizidwirkstoffe auf dem Markt seien, die nicht über eine Sicherheitsprüfung auf dem aktuellen Stand verfügten. Auch im Fall von Glyphosat rechnet er nicht damit, dass die Prüfungen wirklich bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein werden. Die EFSA plant, ihre Schlussfolgerungen im Sommer 2023 vorzulegen. Dann wären die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedsstaaten wieder am Zug. Letztere könnten dann mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, Glyphosat für mehrere Jahre neu zuzulassen. Die gültige Genehmigung des Totalherbizids läuft am 15.12.2022 nach fünf Jahren aus. Die einjährige Verlängerung tritt laut EU-Verordnung am 12.12.2022 in Kraft.
Schon jetzt zeichnet sich für Deutschland ein schwieriger Konflikt ab: Denn Bundesagrarminister Cem Özdemir will ab 1.1.2024 definitiv verbieten, in Deutschland Glyphosat zu versprühen. Das hat er in der Pflanzenschutz- Anwendungsverordnung bereits festgelegt. Spritzmittel dürfen aber eigentlich ein Jahr länger zugelassen werden als der Wirkstoff. Das wäre im Fall von Glyphosat also bis 15.12.2024. Das von Özdemir per Verordnung geplante Anwendungsverbot sei damit in dieser Form kaum zu halten, meint Willand. Denn EU-Mitgliedstaaten könnten die Verwendung von Produkten nicht pauschal verbieten, die in der EU zugelassen sind. Der geplante ‚Ausstieg‘ aus dem Wirkstoff müsse neu geregelt werden mit einer Begründung, die sich maßgeblich auf die Umweltauswirkungen des Breitband-Herbizides stützt, rät der Jurist.
Im zuständigen Agrarministerium brütet man offenbar schon seit Monaten über einer Lösung für das Problem. Denn bereits im September hatte der grüne Agrarminister im Bundestag angekündigt, alle juristischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um das vereinbarte Glyphosatverbot in Deutschland notfalls im Alleingang umzusetzen. Wie das konkret aussehen soll, war bislang aber nicht in Erfahrung zu bringen. Man prüfe noch, hieß es aus dem Ministerium. Der Glyphosatausstieg zum 1.1.2024 habe sich am bisherigen Ende der Wirkstoffgenehmigung auf EU-Ebene orientiert, schrieb eine Sprecherin dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. „Hier ist auch die weitere Entwicklung auf EU-Ebene abzuwarten.“ Deutschland werde sich weiter dafür einsetzen, dass Glyphosat nach Ende der Prüfungen 2023 in Europa nicht erneut zugelassen werde.
Die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung muss nach Ansicht der Behörde aber aktuell nicht angepasst werden. Die darin vorgesehenen Einschränkungen für einen Spritzmitteleinsatz seien mit EU-Recht vereinbar, schrieb die Sprecherin. Die Zulassungen glyphosathaltiger Spritzmittel in Deutschland, deren Ende sich an dem ursprünglichen Ende der Glyphosat-Genehmigung am 15.12.2022 orientiert hatte, werden von Amts wegen um ein Jahr verlängert, da das EU-Recht das so vorsehe. Nach der entsprechenden EU-Verordnung können Spritzmittel übergangsweise weiter zugelassen werden, wenn die Behörden die Chemikalien nicht vor Fristablauf abschließend geprüft und bewertet haben. Foodwatch fordert, solche Pestizide vom Markt zu nehmen und bis 2035 auf eine pestizidfreie EU-Landwirtschaft hinzuarbeiten. Dann wäre auch ein Großteil der Gentechnikpflanzen überflüssig, die nämlich gentechnisch meist verändert wurden, um Spritzmittel zu überleben. [vef]
Update 8.12.: weitere Äußerungen des BMEL eingefügt.
06.12.2022 | permalink
Bereits am kommenden Samstag könnten die EU-Mitgliedsstaaten den Plan der EU-Kommission beerdigen, den Pestizidverbrauch in der Europäischen Union bis 2030 zu halbieren. Davor warnten heute in Brüssel Wissenschaftler, Umweltorganisationen und der Bio-Dachverband Ifoam Organics Europe. Die Kommission versucht nach Angaben des Nachrichtenmagazins Euractiv, das Schlimmste mit einem politischen Tauschhandel zu verhindern: weniger Pestizide, dafür mehr Gentechnik.
Schon seit Monaten laufen Agrarlobby und konservative Politiker Sturm gegen das von der EU-Kommission in ihrer Landwirtschaftsstrategie „Farm to Fork“ festgelegte Ziel, den Pestizidverbrauch in Europa zu halbieren. Als Argument dienen ihnen die steigenden Lebensmittelpreise und die durch den Ukrainekrieg angeblich gefährdete Ernährungssicherheit. Im Juni 2022 schlug die Kommission eine Verordnung für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (SUR) vor: mit dem 50-Prozent-Ziel und einem weitgehenden Anwendungsverbot in Schutzgebieten. Immer mehr Mitgliedsstaaten lehnten in den folgenden Monaten die Pläne ab. Im Ausschuss der Ständigen Vertreter am 16. November beantragten zehn Mitgliedsstaaten, vor allem aus Osteuropa, eine erweiterte Folgenabschätzung. Dies könnte zur Folge haben, dass die SUR-Verordnung nicht mehr rechtzeitig vor dem Ende der Amtsperiode der Kommission beschlossen wird – und damit erst einmal verhindert wäre. Die nächste EU-Kommission, die im Herbst 2024 ihr Amt antreten wird, müsste den Vorschlag neu einbringen.
„Aus den uns vorliegenden internen Protokollen geht hervor, dass eine Mehrheit der Mitgliedstaaten (Österreich, Bulgarien, Estland, Finnland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Lettland, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien) für eine erneute Folgenabschätzung ist“, schrieb die Umweltorganisation Global 2000. Allerdings wollten fünf von ihnen noch weiter mit der Kommission verhandeln. Doch die tschechische Ratspräsidentschaft ist laut Global 2000 entschlossen, den Antrag abstimmen zu lassen. Dies soll am Samstag, den 10.12. im Ausschuss der Ständigen Vertreter geschehen. Deren Votum würde dann nur noch formal von den Agrarministern bestätigt.
Joseph Settele, Co-Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) warnte davor, die Kommissionspläne aufzuschieben. Schon jetzt würden die globale Erwärmung und der Verlust der biologischen Vielfalt die Ernteerträge und Lebensgrundlagen weltweit beeinträchtigen. „Das Zeitfenster, in dem wir durch entschlossenes und gezieltes Handeln eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten sichern können, schließt sich schnell“, sagte Settele. Den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide zu verringern sei „unerlässlich, um die natürlichen Ressourcen zu schützen, auf die wir für die Erzeugung unserer Lebensmittel angewiesen sind“, mahnte Jan Plagge, Präsident von Ifoam Organics Europe. Ramona Duminicioiu von der rumänischen Kleinbäuer:innen-Vereinigung Eco Ruralis erinnerte daran, dass weniger Pestizide die Produktionskosten senken würden und „zur Gesundheit der Umwelt, der Verbraucher:innen und der Menschen beitragen, die mit diesen giftigen Stoffen arbeiten oder in direkten Kontakt kommen“. Die österreichische Umweltorganisation Global 2000 rief ihre von den Grünen mitgetragene Regierung auf, ihre „Blockadehaltung sofort zu beenden“. Deutschland dagegen gehört zusammen mit Frankreich und Spanien zu den Ländern, die die Kommissionspläne weiterhin unterstützen und zum 50-Prozent-Ziel stehen. Laut dem Nachrichtenportal topagrar will Agrarminister Cem Özdemir 2023 sein eigenes Pestizidreduktionsprogramm vorlegen.
Die Kommission versuchte in den vergangenen Wochen anscheinend, ihre Pläne mit anderen Mittel zu retten. Sie „setzt offenbar darauf, Kritiker:innen ihrer Pläne zum Abbau von Pestiziden zu beschwichtigen, indem sie eine mögliche Liberalisierung neuer Gentechniken in Aussicht stellt“, schrieb das Nachrichtenportal Euractiv. Es beruft sich dabei auf einen Brief der EU-Kommissarin für Lebensmittelsicherheit und Gesundheit, Stella Kyriakides, an den Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament, Norbert Lins. Lins und seine Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch die CDU gehört, lehnen den SUR-Vorschlag ebenso ab wie die 17 EU-Mitgliedsstaaten. Laut Euractiv betonte Kyriakides in dem Brief, dass der SUR-Vorschlag keine isolierte Maßnahme sei. „Insbesondere erwähnte die Kommissarin dabei einen bevorstehenden Vorschlag der Kommission zum Gentechnik-Rechtsrahmen der EU“, heißt es bei Euractiv. Da dieser Vorschlag noch nicht ausgearbeitet ist, interpretiert Euractiv das als politische Botschaft: Kommen die konservativen Parteien und Regierungen der Kommission bei der Pestizidreduktion entgegen, könnte der Vorschlag zur neuen Gentechnik großzügiger ausfallen. Dass die Kommission grundsätzlich in solchen Zusammenhängen denkt, zeigte sich vor drei Wochen bei einer Anhörung im Europäischen Parlament zur Neuen Gentechnik. Dort hatte eine hohe Beamtin aus Kyriakides Behörde die grüne Abgeordnete Sarah Wiener fast angefleht, die SUR-Pläne der Kommission bei den Mitgliedstaaten mit ihren Argumenten zu unterstützen. Den Gentechnikkritiker:innen müsste sie dafür aber einen anderen Deal anbieten: das strenge EU-Gentechnikrecht auch für neue Technologien beizubehalten. [lf]
02.12.2022 | permalink
Ein Bündnis von 50 Organisationen hat sechs Monate lang europaweit 420.757 Unterschriften dagegen gesammelt, das EU-Gentechnikrecht zu lockern. Die deutschen Vertreter:innen überreichten sie gestern in Berlin an Umweltstaatssekretärin Bettina Hoffmann (Grüne). Die plädierte dafür, mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) entwickelte Pflanzen auch in Zukunft zu kennzeichnen und ihre Risiken für Umwelt und Gesundheit zu prüfen. Ein Anbau solcher Pflanzen, ließ das Bundesagrarministerium wissen, sei in seinem Leitbild einer ökologischen Landwirtschaft nicht vorgesehen.
Die Ministerien entsprechen damit Forderungen der Petition „Kein Freifahrtschein für neue Gentechnik in unserem Essen!“, die mit dem europarechtlichen Vorsorgeprinzip begründet werden. Weiter heißt es darin: Wer NGT-Pflanzen auf den Markt bringt, muss für Risiken und Folgeschäden haften. „Die durchgesickerten Pläne der EU-Kommission sind besorgniserregend“, berichtete Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. „Nach dem Motto: Profite für Konzerne – und Bäuerinnen und Bauern sollen auf den Schäden sitzen bleiben. Nicht mit uns.“ Das Bundesumweltministerium werde sich in Brüssel für eine Risikobewertung einsetzen, bevor mit neuen Technologien wie Crispr/Cas entwickelte Pflanzen auf deutschen Feldern angebaut werden dürfen, versicherte Staatssekretärin Hoffmann und forderte ein neues, ganzheitliches Denken in der Landwirtschaft.
Das federführende Bundesagrarministerium (BMEL) ging auf Anfrage des Infodienst Gentechnik noch einen Schritt weiter: „Für das BMEL ist der Ökolandbau das Leitbild einer nachhaltigen Landwirtschaft“, schrieb eine Sprecherin des grünen Ministers Cem Özdemir. „Der Einsatz von Agro-Gentechnik ist dabei nicht vorgesehen. Das BMEL setzt vielmehr auf ökologische und konventionelle Züchtung, um einen nachhaltigen Umbau der Landwirtschaft voranzubringen.“ Das Zulassungsverfahren für NGT-Pflanzen in der Europäischen Union müsse genauso streng bleiben wie für die Produkte der alten Gentechnik. Das Ministerium werde den für 2023 geplanten Regelungsvorschlag der EU-Kommission daraufhin prüfen, ob „das Sicherheitsniveau und die Transparenz in Zukunft unverändert erhalten bleiben. Das heißt insbesondere, dass wir an einem Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung im Einzelfall, an der stringenten Kennzeichnungspflicht und der Nachverfolgbarkeit festhalten“, schrieb die Sprecherin dem Infodienst. „Es muss sichergestellt sein, dass die Wahlfreiheit für Verbraucher:innen, Landwirt:innen sowie die Lebensmittelwirtschaft und damit auch die Koexistenz gewährleistet bleiben.“
Wozu also noch die Petition? Zum einen besteht die deutsche Ampelkoalition ja aus drei Partnern. Zwar teilt auch die SPD bei der Gentechnik die Position des BMEL. Die FDP versteht sich jedoch als Verfechterin von Innovation, will das EU-Gentechnikrecht liberalisiert sehen. Und weil sie die Forschungsministerin stellt, hat sie beim Thema neue Gentechnik ein Wörtchen mitzureden. In einem Interview mit der Agrarzeitung verwies deren Staatssekretärin heute auf „viele Vorteile, Chancen und Potenziale“ der „fortschrittlichen neuen Züchtungstechnologien“ wie Crispr/Cas. Wird Deutschland sich also wegen dieses Konflikts in der Koalition bei der Abstimmung über den erwarteten EU-Vorschlag 2023 enthalten müssen? „Es wird nun die gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten sein, hier zu einem guten Kompromiss zu kommen“, sagte Staatssekretärin Judith Pirscher der Agrarzeitung. „Die Ressorts arbeiten … bereits jetzt intensiv zusammen, um sich in den Prozess der laufenden Initiative der Kommission konstruktiv einzubringen“, heißt es auch vom BMEL.
2023 werden die EU-Mitgliedsstaaten sich mit einer qualifizierten Mehrheit zum Regelungsvorschlag der EU-Kommission für neue Gentechnik in der Landwirtschaft positionieren müssen. Und auf europäischer Ebene ist für die 50 Petitions-Organisationen aus Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Land- und Lebensmittelwirtschaft noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten. Wie der Infodienst berichtete, hatten bei der Konferenz der EU-Agrarminister im September 18 von 27 Minister:innen dafür plädiert, die Rechtsvorschriften für neue gentechnische Verfahren zu lockern. Darunter waren mit Frankreich, Italien und Spanien drei der größten Staaten der Union. Deshalb soll die Petition noch in weiteren EU-Mitgliedsstaaten an Regierungsverteter:innen überreicht werden. [lf/vef]
Korrektur: Die angekündigte Übergabe an EU-Gesundheitskommissarin Kyriakides wurde zwischenzeitlich aufs kommende Jahr verschoben.
29.11.2022 | permalink
Die Denkfehler der Gentechnik standen gestern im Mittelpunkt einer Anhörung im Deutschen Bundestag zu „neuen genomischen Techniken“ auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Den wechselnden Wetterkatastrophen, die die aktuellen Veränderungen unseres Klimas mit sich brächten, könne man nicht erfolgreich entgegentreten, indem man einzelne Gene von Pflanzen ändere, klärte eine Expertin für ökologische Agrarwissenschaft auf. Entscheidend sei das vielfältige Zusammenspiel von Pflanzen, Mikroorganismen und Ackerboden.
„Es sind fruchtbare Böden, die rasch Wasser aufnehmen und speichern können, die darüber entscheiden, ob Trockenphasen durchgehalten werden und Starkregenereignisse nicht zu Überflutungen führen“, schreibt Maria Finckh von der Uni Kassel in ihrer Stellungnahme. Das hätten die Antragsteller der Oppositionsfraktion nicht verstanden, wenn sie in ihrem Antrag behaupteten, dass sich bei plötzlichen Auswirkungen des Klimawandels mithilfe neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas (NGT) „deutlich kurzfristiger eine angepasste Pflanzensorte züchten“ ließe. CDU und CSU fordern darin die Bundesregierung auf, sich für eine Reform des EU-Gentechnikrechts einzusetzen. NGT sollten außerhalb des Gentechnikrechts geregelt werden, wenn die erzielten Pflanzenmerkmale auch mit konventionellen Methoden erreicht werden könnten.
Paradoxerweise stellen sich die Unionsparteien damit gegen große Teile der Lebensmittelwirtschaft. Die Regeln für NGT „aufzuweichen, wäre nicht nur ein Risiko für Umwelt und Gesundheit, sondern würde auch die Bio- und konventionelle ,Ohne Gentechnik‘-Lebensmittelwirtschaft existenziell gefährden, die zusammen in Deutschland für fast 30 Milliarden Euro Umsatz stehen“, warnte der Geschäftsführer des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik, Alexander Hissting. Auch beim europäischen Schwesterverband ENGA ist man besorgt: Nahezu der gesamte EU-Lebensmittelsektor habe sich bei einer Befragung der EU-Kommission zu NGT dafür ausgesprochen, die geltende Risikobewertung beizubehalten und Gentechnikbestandteile im Endprodukt mit einem Label zu kennzeichnen.
Auf einen weiteren wirtschaftlichen Aspekt wies die freiberufliche Gutachterin Eva Gelinsky hin: Für NGT-Entwicklungen würden Unmengen von Patenten beantragt und vergeben – unter Vorwand auch auf konventionell gezüchtete Pflanzen, für die das eigentlich verboten sei. Diese Patente führten bei den Züchtern zu Rechtsunsicherheit, obwohl aktuell nichts wichtiger wäre als viele neue Sorten. Stattdessen verstärkten die Patente die bereits vorhandene Konzentration der Großkonzerne auf dem Saatgutmarkt. Ein Potential für klimaangepasste Sorten sieht Gelinsky in den Entwicklungspipelines der Großkonzerne derzeit nicht. Erste NGT-Pflanzen hätten sich bereits als „Flop“ erwiesen.
Dass die neuen Technologien für kleinere Züchter nur dann kostengünstig sind, wenn die Patentlizenzen erschwinglich sind, räumte auch Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung ein. In seinen Augen überwiegen die Vorteile der NGT jedoch mögliche Nachteile. „Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, über NGT erzeugte Pflanzen anders zu bewerten als solche, die über spontane oder ungerichtet induzierte Mutagenese erzeugt wurden“, so von Wirén. Und letztere werde im europäischen Gentechnikrecht als sicher betrachtet. Dementsprechend plädierte der Rechtsexperte Hans-Georg Dederer von der Uni Passau dafür, Produkte neuer Gentechnik per Gesetz nicht als gentechnisch veränderte Organismen zu definieren, sofern nur eine solche Kombination von genetischem Material vorliegt, die sich ebenso auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtungsverfahren ergeben könnte. Und damit das nicht einzelne (etwa ampelregierte?) EU-Mitgliedsstaaten wieder aushebeln können, müsse das europarechtlich ebenfalls ausgeschlossen werden.
Die Kanzlerpartei SPD zeigte sich davon wenig beeindruckt. Die Anhörung habe den Kurs der SPD-Bundestagsfraktion im Umgang mit neuen Gentechniken bestätigt, verkündete die Berichterstatterin Rita Hagel-Kehl im Anschluss. „Als SPD-Fraktion stehen wir dafür ein, dass die Regelungen der EU-Freisetzungsrichtlinie weiterhin ohne Ausnahme für neue Gentechniken gelten.“ Sie plädierte für eine umfassende Technikfolgenabschätzung, die neben den Risiken und Potenzialen einzelner Anwendungen auch die ökologischen, sozioökonomischen und gesundheitlichen Gesamtzusammenhänge und die möglichen Alternativen betrachtet. Die Europäische Kommission will 2023 einen Vorschlag vorlegen, wie NGT in Europa künftig geregelt werden sollen. ]vef]
22.11.2022 | permalink
Die Überwachungsbehörden der deutschen Bundesländer haben erstmals seit mehr als zehn Jahren in keiner der untersuchten Saatgutpartien gentechnisch veränderte Organismen nachgewiesen. Greenpeace, Bioland und die IG Saatgut forderten die Länder auf, ihre Saatgutkontrollen zu verstärken und Saatgut auch auf Verunreinigungen mit neuer Gentechnik zu überprüfen. Die Bundesregierung solle sich außerdem dafür einsetzen, dass neue Gentechnik-Verfahren wie Crispr/Cas unter dem EU-Gentechnikrecht reguliert bleiben.
776 Proben hatten die Länderbehörden von 01.10.2021 bis 30.09.2022 analysiert. Davon entfielen 471 auf Mais und 190 auf Winterraps. Daneben analysierten die Länder Sojabohnen (46 Proben), Zuckerrüben (21), Leinsaat (16 Proben), Zuckermais (15) und Sommerraps (10) sowie einzelne Proben von Luzerne, Rote Rüben, Senf, Tomaten und Zucchini. Die Länderbehörden ziehen für ihr Monitoring Proben von inländisch erzeugtem sowie von importiertem Saatgut. „Mindestens zehn Prozent der in Deutschland zur Anerkennung vorgestellten Saatgutpartien sollen untersucht werden“, erläuterte dazu das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
Leinsaat und Zuckermais werden nach wie vor als Pilotprojekt untersucht. Der Anlass dafür waren Funde von verunreinigtem Zuckermaissaatgut durch ungarische Behörden in 2020 sowie Funde von nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Leinsamen in Ernteproben, ebenfalls 2020. Obwohl die Verunreinigungen damals in Baden-Württemberg auftauchten, beteiligt sich das Bundesland nicht an dem Leinsaat-Projekt.
Greenpeace, Bioland und die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut) kommentierten die Ergebnisse des Monitorings als „erfreuliche Entwicklung“. Sie forderten die Bundesländer auf, ihre Saatgutkontrollen weiter zu verstärken und Saatgut auch auf Verunreinigungen mit neuer Gentechnik zu überprüfen. „Saatgutkontrollen auf Verunreinigungen mit Gentechnik funktionieren nur, wenn auch nach allen bekannten Gentechnik-Pflanzen gezielt gesucht wird. Hier gibt es Lücken“, sagte Bioland-Präsident Jan Plagge. Das gilt insbesondere für herbizidresistenten Raps der US-Firma Cibus, der in den USA und Kanada angebaut wird. Für ihn existiert ein Nachweisverfahren, das etwa der Verband Lebensmittel Ohne Gentechnik bei seinen Kontrollen einsetzt. „Vorliegende Nachweisverfahren müssen in die nationalen Kontrollen integriert werden“, forderte Plagge deshalb. Zudem seien die Behörden in der Pflicht, „weitere Nachweismethoden für neue Konstrukte zu entwickeln und diese auch anzuwenden“.
Die Bundesregierung müsse sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die neue Gentechnik unter dem geltenden Gentechnikrecht reguliert bleibt, sagte Eva Gelinsky von der IG Saatgut. Denn ohne Regulierung „wäre die gentechnische Veränderung von Saatgut nicht mehr kennzeichnungspflichtig“. Dann könnten Verunreinigungen weiträumig um sich greifen und wären nicht mehr kontrollierbar. Neue Gentechnik-Pflanzen dürften nicht ungeprüft und unreguliert auf die europäischen Äcker und Teller kommen, sagte Christiane Huxdorff, Landwirtschaftsexpertin von Greenpeace. „Die Wahlfreiheit muss an jeder Stelle gewährleistet sein, egal ob bei Bäuer:innen oder Verbraucher:innen!“ [lf]
18.11.2022 | permalink
In Kanada kommen mit neuen gentechnischen Verfahren veränderte Pflanzen (NGT) bereits ohne Kennzeichnung auf den Markt, berichtete eine Vertreterin des kanadischen Biohandelsverbandes bei der zehnten Konferenz der gentechnikfreien Regionen Europas gestern in Brüssel. Das führe zu großen Problemen für die ökologische Lebensmittelwirtschaft. Und viele befürchten, dass Ähnliches auch in Europa drohen könnte, sollte die EU-Kommission 2023 die rechtlichen Regeln für Produkte neuer gentechnischer Verfahren lockern.
Save our Seeds, das Berliner Büro der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, und der europäische Bio-Dachverband Ifoam EU haben deshalb die Tagung organisiert, um im Europäischen Parlament (EP) Unterstützung für ihr Anliegen zu suchen, auch neue Gentechnik weiter streng zu regulieren. Gastgeber war die grüne EP-Fraktion. Schon die Einladung machte klar, dass sich „gentechnikfreie Regionen, Züchter, Landwirte, Händler, Einzelhändler und Verbraucher darauf vorbereiten sollten, gemeinsam eine große Herausforderung für den Umwelt- und Verbraucherschutz im Bereich der Neuen Gentechnik anzugehen“. Für Biolandwirte ist es beispielsweise existenziell, dass sie ihre Ware frei von Gentechnik halten. Anderenfalls verlieren sie ihr Biosiegel.
Wissenschaftlichen Input gaben bei der Konferenz Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz, Eva Gelinsky, Mitglied der Schweizer Ethikkommission für Biotechnologie, und Testbiotech-Geschäftsführer Christoph Then. Engelhard und Then machten deutlich, dass es für die Risikobewertung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) und ihrer Produkte unerheblich sei, ob es sich um pflanzeneigene Genveränderungen oder eingefügte pflanzenfremde Gene handle. „Es gibt keine Möglichkeit, das Risiko vorherzusagen“, sagte Engelhard. Man müsse es in jedem Einzelfall gründlich prüfen. Laut Then würden die Kommissionspläne dazu führen, „dass GVO mit unbeabsichtigten Effekten ungeprüft auf den Markt kommen“.
Eva Gelinsky setzte sich mit dem Versprechen klimaangepasster Pflanzen auseinander. Sie betonte, dass Stress- und Trockentoleranz komplexe und multidimensionale Eigenschaften seien, die sich nicht herstellen ließen, indem man einzelne Gene verändere. „Es wird nicht funktionieren, die derzeitigen Hochertragssorten einfach mit einer Trockentoleranz auszustatten“, lautete ihr Fazit. Auch ein von Gelinsky mit verfasster Bericht der Schweizer Ethikkommission für Biotechnologie kam zu dem Ergebnis, dass der Klimanutzen der neuen Gentechnik überschätzt werde (der Infodienst berichtete).
Für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft sprach Heike Moldenhauer von deren europäischem Verband ENGA. Sie sagte, dass der Nahrungsmittelsektor klar gegen die Deregulierung neuer Gentechnik sei und verwies auf eine Resolution der großen europäischen Lebensmittelhändler. Diese warnen darin, dass Händler ungeprüfte und nicht gekennzeichnete GVO verkaufen würden, wenn das Gentechnikrecht in Europa gelockert würde. „Dies ist für uns inakzeptabel! Als Einzelhändler sind wir voll verantwortlich und haften für die Sicherheit aller Produkte, die wir verkaufen“, heißt es in dieser Resolution. Jan Plagge, als Präsident von Ifoam EU quasi oberster Bio-Bauer der EU, warnte vor weitreichenden Konsequenzen für den Biolandbau und den Biomarkt in Europa. Der Kommission warf er vor, auf einen riesigen Zielkonflikt zuzusteuern: „Sie will den Biolandbau auf 25 Prozent ausbauen und gleichzeitig eine Deregulierung beschließen, die diesem Biolandbau den Boden unter den Füßen wegzieht."
Bestätigt wurden seine Befürchtungen von Tia Loftsgard vom kanadischen Biohandelsverband COTA. Sie verwies darauf, dass in Kanada in großem Umfang GVO angebaut werden. Das belaste die Ökolandwirte nicht nur wegen kostspieliger Kontrollen der eigenen Ernte. Selbst wenn verunreinigte konventionelle Ware gefunden werde, schlage das auf ihre Einnahmen durch. Als Beispiel nannte sie Funde gentechnischer Verunreinigungen in konventioneller kanadischer Leinsaat. Obwohl die Bio-Leinsaat sauber war, sanken die Erlöse dafür auf ein Fünftel. Als 2018 infolge von gentechnisch verunreinigtem Weizen die Exporte nach Asien wegfielen, seien Biobauern von den Sperren ebenso betroffen gewesen. „Wir hoffen, dass Sie erfolgreich sind und die EU als Schutzbastion für den Biolandbau erhalten“, ermutigte Loftsgard die anwesenden Abgeordneten. Jörg Rohwedder von der Verbraucherorganisation Foodwatch unterstrich, dass Rückverfolgbarkeit, Vorsorgeprinzip und Wahlfreiheit grundlegend für den Verbraucherschutz seien. „Wir wollen volle Transparenz, denn nur sie ermöglicht Wahlfreiheit“, sagte er.
Claire Bury, Generaldirektorin der für das Gentechnikrecht zuständigen DG Sante der EU-Kommission, räumte ein, dass es für den Biosektor entscheidend sei, GVO identifizieren zu können. „Vielfalt zeichnet Europa aus; Bioanbau und Biotechnologie sind ein Teil dieser Vielfalt“, sagte Bury. Sie betonte, dass sich die EU-Kommission bei der Risikobewertung nach der besten verfügbaren Wissenschaft richte und meinte damit die Stellungnahmen der EU-Lebensmittelbehörde EFSA. Sie gestand ein, dass Menschen Informationen bräuchten, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig nannte sie die Kennzeichnung neuer Gentechnik ein schwieriges Problem.
In der Abschlussdiskussion platzte Mute Schimpf von Friends oft the Earth Europe deshalb der Kragen: Sie habe mehrere Konsultationen, Petitionen und Gespräche mit EU-Kommissar:innen hinter sich. Von der Kommission sei „nichts gekommen, Null, gar nichts!“, kritisierte Schimpf. Das von der Kommission vorgeschlagene Nachhaltigkeitslabel sei völlig absurd. „Ich habe kein Vertrauen mehr, dass wir von der Kommission noch irgendetwas Brauchbares bekommen. Wir setzen auf das Parlament und wir brauchen vom Parlament ein klares Signal“, so die Campaignerin.
Zuletzt hatte eine große Mehrheit der EP- Abgeordneten im Oktober 2021 in einer Stellungnahme zur Farm to Fork-Strategie der Kommission das Vorsorgeprinzip betont „und die Notwendigkeit, Transparenz und Wahlfreiheit für Landwirte, Verarbeitungsbetriebe und Verbraucher sicherzustellen“. Doch wie Nina Holland von Corporate Europe Observatory dem Infodienst kürzlich im Gespräch sagte: „Es gibt derzeit eine Lawine von Lobbyveranstaltungen, die auf die Abgeordneten des Europäischen Parlaments abzielen, damit sie die Deregulierung des Gentechnikrechts unterstützen.“ Diese Konferenz war ein Gegengewicht dazu. Allerdings stellte die grüne Abgeordneten Sarah Wiener enttäuscht fest, dass kein Mitglied einer konservativen Fraktion des Parlaments daran teilgenommen hatte. [lf]
15.11.2022 | permalink
Die Europäische Kommission wird den Unkrautvernichter Glyphosat bis 15.12.2023 zulassen. Das teilte eine Sprecherin dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage mit. Die gültige Genehmigung, die am 15.12.2022 enden wird, werde rechtzeitig vorher verlängert. Die Kommission zeigte sich enttäuscht, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) heute wieder nicht mit der erforderlichen Mehrheit dafür gestimmt hatten, den zuständigen Behörden ein weiteres Jahr zur Prüfung des Herbizidwirkstoffs zu gewähren.
„Die Kommission nimmt mit Besorgnis zur Kenntnis, dass die Neubewertung von Glyphosat durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erst im Juli 2023 vorliegen wird“, schrieb die Sprecherin. Es werde jedoch zusätzliche Zeit benötigt, damit die EFSA alle während der öffentlichen Konsultation vorgebrachten und bei den Antragstellern angeforderten Kommentare und Informationen vollständig prüfen und bei der abschließenden Sicherheitsbewertung berücksichtigen könne. In diesem Fall sei die EU-Kommission verpflichtet, die Zulassung des umstrittenen Totalherbizids befristet zu verlängern. Der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling hofft, dass die EFSA diese Zeit gut nutzen wird, um wirklich alle kritischen Punkte zu begutachten, etwa ob Glyphosat krebserregend ist und ob seine Umweltauswirkungen nicht weitaus größer sind als bisher gedacht.
Wie die österreichische „Kleine Zeitung“ aus Teilnehmerkreisen erfuhr, stimmten die 27 EU-Mitgliedstaaten zwar mehrheitlich dafür, Glyphosat ein Jahr länger zuzulassen. Es fehlten aber „ein paar Zehntelprozent" für eine qualifizierte Mehrheit von 65 Prozent der EU-Bevölkerung. Wie bei der Abstimmung vor vier Wochen habe sich Deutschland enthalten, bestätigte eine Sprecherin des Agrarministeriums dem Infodienst Gentechnik. Zusammen mit Frankreich, Slowenien, Kroatien, Luxemburg und Malta repräsentierten Enthaltungen und Gegenstimmen nach Berechnungen des Portals proplanta.de damals 35,27 % der EU-Bevölkerung. Wie die Mitgliedstaaten diesmal abstimmten, war nicht in Erfahrung zu bringen. Im Herbst 2023 werden sie dann entscheiden, ob Glyphosat auch längerfristig weiter eingesetzt werden darf.
Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir hat sich - wie berichtet - bereits festgelegt, dass hierzulande ab 2024 kein Glyphosat mehr versprüht werden darf und das auch gesetzlich schon so geregelt. Sein Ministerium prüft jedoch noch, wie er das auch in dem Fall durchsetzen kann, dass die EU den Spritzmittelwirkstoff über 2023 hinaus weiter zulässt. Sein österreichischer Amtskollege vertrat bislang die Ansicht, dass das Europarecht einen Alleingang des Alpenlandes beim Thema Glyphosat verhindert. Doch Özdemir will alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, das vereinbarte Verbot in Deutschland umzusetzen.
Umwelt- und Verbraucherorganisationen geht das alles noch nicht schnell genug. „Warum ist Glyphosat eigentlich nicht schon längst verboten?“, fragte Foodwatch auf Twitter. Bei Sicherheitsbedenken müsse ein Spritzmittel nach dem europarechtlichen Vorsorgeprinzip schon vorbeugend aus dem Verkehr gezogen werden. Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz forderte: „Wir müssen raus aus Glyphosat und zwar schnellstmöglich.“ Der Chemiekonzern Bayer, Hersteller des glyphosathaltigen Kassenschlagers RoundUp, arbeitet nach einem Bericht des Handelsblattes unterdessen bereits an der nächsten Spritzmittelgeneration: Er kaufte ein Potsdamer Biotech-Start-up, das bis Ende des Jahrzehnts nach eigenen Angaben das erste komplett neue Herbizid im Ackerbau seit 30 Jahren auf den Markt bringen will – gegen glyphosatresistentes Unkraut. ]vef]
11.11.2022 | permalink
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat die EU-Kommission aufgefordert, an der europäischen Gentechnikregulierung und dem europäischen Vorsorgeprinzip festzuhalten. Dabei argumentierte der Verband mit den durch Umfragen belegten Haltungen der Verbraucher:innen und mit einem Gutachten, das er beim Institut Testbiotech in Auftrag gegeben hatte.
Die Ergebnisse des Gutachtens fasste vzbv-Vorständin Ramona Pop so zusammen: „Neue technische Verfahren zur Veränderung des Erbguts an Pflanzen und Tieren bergen noch nicht vollkommen erforschte Risiken für Mensch und Umwelt“. Deshalb sollte die Europäische Kommission für neue Gentechnikverfahren keine Ausnahmen schaffen, sondern auf das bewährte Vorsorgeprinzip setzen, sagte Pop. „Dazu gehören Kennzeichnungspflichten, strenge Risikoprüfungen und eine umfangreiche Technikfolgenabschätzung, die auch sozio-ökonomische Kosten und Alternativen in den Blick nimmt.“ Nachhaltigkeitsversprechen der Anbieter dürften kein Grund sein, Sicherheits- und Kennzeichnungsstandards aufzuweichen.
Sollte die EU-Kommission dennoch neue, gesonderte Zulassungsbestimmungen für neue Gentechnikverfahren einführen wollen, müssten diese „aus einer verpflichtenden Risikoprüfung und einer umfassenden und vorausschauenden Technikfolgenabschätzung bestehen“, heißt es in einem Papier des vzbv. Bei dieser Abschätzung sollten „in Übereinstimmung mit dem Vorsorgeprinzip der tatsächliche Bedarf sowie mögliche, weniger riskanteAlternativen im Detail geprüft werden“. Ziel sollte es sein, „die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen möglichst zu begrenzen, um potenzielle Kipppunkte, die zu irreversiblen Schäden an Ökosystemen oder zu langfristigen Effekten auf die menschliche Gesundheit führen, zu vermeiden“.
Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA müsste damit beauftragt werden, „eine umfassende Risikoanalyse neuer gentechnischer Verfahren vorzulegen, bei der auch die unbeabsichtigten Effekte systematisch erfasst werden“, schreibt der vzbv. Denn eine solche Analyse, die es laut Gutachten bisher nicht gibt, ist aus Sicht der Verbraucherschützer:innen „die Voraussetzung, um über etwaige gesetzliche Anpassungen zu entscheiden“.
Der vzbv verwies in seiner Mitteilung auf zwei Umfragen, die belegen, dass sich Verbraucher:innen bei Gentechnik Wahlfreiheit und ein hohes Schutzniveau wünschen. In einer Umfrage des Umweltinstituts München aus dem Jahr 2021 gaben 84 Prozent der Befragten an, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden sollten. 83 Prozent wollten, dass Produkte alter und neuer Gentechnik einer umfassenden Risikobewertung unterzogen werden. In der Naturbewusstseinsstudie des Bundesamtes für Naturschutz aus dem Jahr 2019 waren 95 Prozent der Befragten der Meinung, dass mögliche Auswirkungen auf die Natur immer untersucht werden sollten, wenn Pflanzen mit neuen Verfahren gentechnisch verändert werden. 81 Prozent sprachen sich damals für ein Verbot des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft aus. [lf]
07.11.2022 | permalink
Das indische Umweltministerium hat den Versuchsanbau von gentechnisch verändertem Senf erlaubt. Doch das oberste Gericht des Landes, der Supreme Court, hat diese Erlaubnis vorläufig einkassiert. Erst will es über die Eingabe einer Umwelt-Aktivistin entscheiden. Diese hatte den gv-Senf schon einmal ausgebremst.
Die indische Verfassung gewährt einfachen Bürger*innen das Recht, Entscheidungen der Regierung direkt vor dem Obersten Gericht anzufechten, ohne sie vorher auf den Weg durch die Gerichtsinstanzen zu schicken. Die Umweltaktivistin Aruna Rodrigues hat dieses Recht zweimal erfolgreich genutzt – was sie zum Alptraum der indischen Gentech-Befürworter:innen gemacht hat. Schon 2005 reichte Rodrigues ihre erste Petition beim Supreme Court ein. Sie verhinderte damit den Anbau von gv-Auberginen und erreichte schließlich 2013 ein weitreichendes Moratorium für den Anbau gentechnisch veränderter Nahrungspflanzen. 2017 stoppte sie über den Supreme Court den Versuch, einen von der Universität Delhi entwickelten gentechnisch veränderten (gv) Senf auf den Acker zu bringen. Nur einige Feldversuche gab es seitdem.
Doch am 25 Oktober erteilte das indische Umweltministerium die Erlaubnis, diesen gv-Senf anzubauen. Der Anbau sollte es möglich machen, das Saatgut zu vermehren und weitere Versuche unter verschiedenen klimatischen Bedingungen durchzuführen – als Voraussetzung für einen kommerziellen Anbau. Nach Angaben des Magazins Counterview sollte der Versuchsanbau an über 100 Plätzen in vier Bundesstaaten stattfinden. Mit seiner Entscheidung folgte das Ministerium einer Empfehlung der ihm unterstellten Gentechnikbehörde GEAC. Daraufhin rief Aruna Rodrigues wieder direkt das Oberste Gericht an, um die erneute Zulassung zu stoppen. Am 3. November verbot das Gericht in einer einstweiligen Verfügung vorerst jeglichen Anbau und hat nun für 10. November einen ersten Termin angesetzt, um Rodrigues Petition zu verhandeln.
Zuvor war die Entscheidung des Umweltministeriums bereits von Umweltgruppen scharf kritisiert worden. „Die Zulassung könnte zur Verbreitung unsicherer, nicht benötigter und unerwünschter Gentech-Pflanzen im Land führen“, schrieb die Koalition für ein gentechnikfreies Indien dem Umweltminister. Sie argumentierte, dass der Senf gegen das gefährliche Herbizid Glufosinat resistent sei, dessen Anwendung dadurch steigen würde. Auch seien die Behauptungen nicht belegt, der gv-Senf würde höhere Erträge bringen. Auch der Kleinbauernverband All India Kisan Sabha und die den nationalistischen Hindus nahestehende Bauernbewegung Swadeshi Jagran Manch (SJM) protestierten gegen die Zulassung. SJM kritisierte auch die Behauptung der Entwickler, ihr gv-Senf sei „swadeshi“, also rein indisch. „Komplett unwahr“ sei dies, zitierte das Magazin Firstpost den SJM-Mitbegründer Ashwani Mahajan. Denn die in den Senf eingebaute Resistenz stammt von Bayer, wurde schon vor 25 Jahren für gv-Raps verwendet und würde dem Konzern Lizenzgelder einbringen, sollte der gv-Senf in Indien kommerzialisiert werden, wie das Magazin Counterview schrieb.
Da der Supreme Court sich schon früher sehr gentechnikkritisch gezeigt hatte, dürfte er auch in diesem Verfahren gründlich zu Werke gehen und damit die Anbaupläne für den gv-Senf weit nach hinten schieben. Denn Senfkörner und Senföl gehören (ebenso wie die früher verhandelten Auberginen) zu den Basics der indischen Küche. Entsprechend groß sind in der Bevölkerung die Vorbehalte gegen gv-Senf. Es bleibt also vorerst dabei, dass Bt-Baumwolle die einzige gv-Pflanze ist, die in Indien angebaut werden darf. [lf]
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