30.06.2022 |

Ukrainekrieg: Argentinien hofft auf Markt für Gentechnik-Weizen

Weizen Foto: Inopinatus, https://bit.ly/3I934EF, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/ Weizen Foto: Inopinatus, https://bit.ly/3I934EF, https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Der angeblich dürretolerante HB4-Weizen des globalen Agrarunternehmens Bioceres darf in seinem Stammland Argentinien nun ohne Einschränkungen angebaut und vermarktet werden. Den Import des herbizidtoleranten Getreides erlauben nach Brasilien jetzt auch Kolumbien, Neuseeland und Australien. Die argentinische Regierung und der Saatguthersteller setzen darauf, dass Ernteausfälle und Transportprobleme durch den Krieg im Weizenexportland Ukraine die Nachfrage nach Gentechnik-Weizen beflügeln könnten.

Das argentinische Landwirtschaftsministerium hat am 11. Mai die bisherigen Einschränkungen für Anbau und Verarbeitung von HB4-Weizen aufgehoben. Es begründete den Schritt damit, dass Brasilien als wichtigster Abnehmer von argentinischem Weizen es erlaubt habe, das mit einem Sonnenblumengen ergänzte Getreide einzuführen. Nun hofft man, dass der weltweit erste Gentechnik-Weizen, den in Argentinien vorerst nur 250 lizensierte Betriebe anpflanzen, auch verkauft werden kann. Nach Kolumbien, Neuseeland und Australien dürfen die Körner seit Neustem ebenfalls importiert und dort verarbeitet werden. Und die US-Lebensmittelbehörde FDA hat laut Bioceres Ende Juni mitgeteilt, dass sie nach Prüfung der Unterlagen keine weiteren Fragen zur Sicherheit von HB4-Weizen habe. Dies sei „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Marktzulassung in den Vereinigten Staaten, die noch vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) erteilt werden muss“, schrieb Bioceres.

Doch das Unternehmen denkt schon weiter: Wie es der Nachrichtenagentur Reuters sagte, plane es in Australien zusammen mit einem Weizenzüchter Feldversuche und wolle dort im kommenden Jahr eine Anbaugenehmigung für seinen HB4-Weizen beantragen. Das vom Klimawandel besonders betroffene Land ist für Bioceres als Markt sehr interessant. In Brasilien hat die staatliche Forschungseinrichtung Embrapa nach Angaben von Reuters bereits im März Feldversuche mit dem Gentechnikgetreide begonnen. Bioceres-Vorstand Federico Trucco sagte Reuters, der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe den Weizen in den Mittelpunkt gerückt und stärke die Argumente für seine gentechnisch veränderten Pflanzen. Die Zeitung La Nuevaer zitierte den argentinischen Landwirtschaftsminister Julián Domínguez, er wolle den Weizenanbau in seinem Land mit Hilfe der Gentechnik ausweiten und die Erträge steigern. Und sein Staatssekretär Matías Lestani ergänzte gegenüber der Tageszeitung taz: „Unser Ziel ist, die Gelegenheit zu nutzen, die sich aus dem internationalen Szenario ergibt, da der Krieg in der Ukraine schon jetzt die gesamte globale Verwertungskette in Schach hält.“

Diese Rechnung hat die Regierung aber offenbar ohne die argentinische Agrarwirtschaft gemacht: Fernando Rivara, Präsident des Verbandes der Getreideerzeuger, hat große Bedenken gegen HB4. „Die Angst vor einer Weizenkontamination behindert den Zugang unserer Produkte zu den anspruchsvollsten Märkten“, zitierte ihn La Nueva. Noch deutlicher drückte sich der Präsident des Getreideexportzentrums CIARA-CEC, Gustavo Idígoras, gegenüber dem Magazin Infobae aus: „Wir werden kein einziges Körnchen HB4-Weizen in Lieferungen akzeptieren, denn das ist eine absolute Absage an jeden Markt“. Um diese Vorbehalte abzubauen, sagte Bioceres zu, die gesamte HB4-Ernte 2022/23 aufzukaufen und das Getreide, das nicht als Saatgut gebraucht werde, in Eigenregie zu verarbeiten. Dazu sei man mit einer Brauerei und einem Futtermittelhersteller im Gespräch. Bioceres hofft, dass die Widerstände schwinden, sobald der HB4-Weizen in weiteren Ländern zugelassen ist. Auch in der Europäischen Union (EU) hat das Unternehmen eine Importzulassung beantragt.

Während die an sich gentechnikfreundlichen Vertreter der Weizenindustrie um ihre Märkte fürchten, stören sich Umweltgruppen vor allem daran, dass der HB4-Weizen gegen das Herbizid Glufosinat-Ammonium resistent ist. Sie fürchten, dass mit einem verstärkten HB4-Anbau auch dieses Pflanzengift deutlich mehr versprüht wird. In der EU ist es seit 2018 verboten, weil es die Gesundheit gefährdet. Dennoch wird es vom deutschen Pestizidhersteller BASF weiter in Länder wie Argentinien exportiert. Die Kritiker verweisen auch auf die bekannten negativen Auswirkungen des Anbaus von Gen-Soja, die sich nun bei Weizen wiederholen könnten: riesige Monokulturen, die aus der Luft mit Herbiziden besprüht werden, zerstörte artenreiche Agrarökosysteme sowie eine zunehmende Konzentration des Reichtums. Und sie wehren sich: Bio-Bauern wollen gegen die unbeschränkte Zulassung von HB4-Weizen klagen, da sie Sorge haben, dass ihre gentechnikfreien Bio-Weizenfelder damit verunreinigt werden. Ein Bundesrichter hatte die Regierung bereits vergangenen November aufgefordert, die Bürger am Zulassungsverfahren zu beteiligen. Der Oberste Gerichtshof Argentiniens muss jetzt über einen Antrag von Bundesanwaltschaft und Betroffenen entscheiden, die Zulassung von HB4 auszusetzen, berichtete die Agentur Tierra Viva. [lf/vef]

27.06.2022 |

Bayer verliert: Oberstes US-Gericht weist Glyphosatklagen ab

RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, http://bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/) RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Wie erwartet ist auch der zweite Versuch des Agrarchemiekonzerns Bayer gescheitert, die Welle Zehntausender Produkthaftungsklagen wegen seines glyphosathaltigen Unkrautvernichters „Round Up“ vom obersten Gericht der USA stoppen zu lassen. Der Supreme Court wies nach Medienberichten heute die Beschwerde des Konzerns gegen einen Schadenersatzanspruch des Rentnerehepaars Pilliod ab. Doch Bayer will es weiter versuchen.
„Wir sind mit der Entscheidung des Supreme Courts nicht einverstanden, sie kommt nach der Ablehnung des Falls Hardeman vor nur einer Woche aber auch nicht überraschend“, teilte Bayer mit. „Es kann künftig weitere Fälle geben – auch zu Roundup – in denen der Supreme Court mit Fragen des Vorrangs von Bundesrecht konfrontiert wird.“ Wie der Konzern bereits vorige Woche ausgeführt hatte, setzt er nun auf das Verfahren des Klägers John Carson aus dem Bundesstaat Georgia, der nach Glyphosatgebrauch an einem bösartigen Weichteiltumor erkrankt war. Hier hatte ein Bundesgericht den Schadenersatzanspruch abgelehnt mit dem Argument, dass Klagen aufgrund fehlender Warnhinweise auf der Gebrauchsanleitung der Spritzmittel in einzelnen Bundesstaaten durch Bundesrecht ausgeschlossen seien.
Weil Bayer hofft, dass der Supreme Court diese Frage ähnlich beantworten und damit den Glyphosatklägern ein wichtiges Argument rauben würde, will der Spritzmittelhersteller unbedingt, dass die obersten Richter über eine der Klagen entscheiden. Auf das Carson-Verfahren setzen die Bayer-Juristen nun auch deshalb ihre Hoffnung, weil hier ein Untergericht anders als bei Hardeman und Pilliod einen Schadenersatzanspruch abgelehnt hat. Und wenn verschiedene Berufungsgerichte unterschiedlich urteilen, könnte das für den Supreme Court ein Grund sein, für eine einheitliche Rechtsauslegung zu sorgen, erläutert der Chemiekonzern auf seiner Webseite. Das habe auch die Regierungsanwältin, die bisher gegen eine Entscheidung des Supreme Court votierte, in ihrer Stellungnahme ausgeführt.
Damit der Carson-Prozess bis zum Supreme Court vordringt, müsste John Carson aber gegen seine Niederlage Rechtsmittel einlegen. Wie eine Anwältin im Interview mit der Wirtschaftswoche aufdeckte, habe der Bayerkonzern Carson Finanzmittel für ein Berufungsverfahren zur Verfügung gestellt. Aimee Wagstaff, die neben Edwin Hardeman zahlreiche weitere Glyphosatgeschädigte vor Gericht vertritt, rechnet trotzdem nicht damit, dass der Supreme Court im Sinne Bayers entscheiden wird. Bayer stecke „in enormen Schwierigkeiten“, meinte Wagstaff, vor allem nachdem ein Bundesgericht kürzlich entschieden habe, dass die US-Umweltbehörde EPA die Risiken von Glyphosat für den Menschen erneut überprüfen muss. Ihre Kanzlei werde jedenfalls weiter prozessieren.
Das Rentnerehepaar Alva und Alberta Pilliod, beide an Lymphdrüsenkrebs erkrankt, ist jetzt jedenfalls um fast 90 Millionen Dollar Schadenersatz reicher. Sie hatten Monsantos (inzwischen Bayers) Unkrautvernichter Round Up jahrelang in ihrem Garten im US-Bundesstaat Kalifornien eingesetzt. [vef]

22.06.2022 |

Urteil: US-Umweltbehörde muss Glyphosat-Risiken neu bewerten

Gericht Justiz Foto: Morgan4uall / pixabay, CC0 Public Domain

Schlechte Zeiten für die Bayer AG: Ein amerikanisches Berufungsgericht hat am Freitag eine vorläufige Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat durch die US-Umweltbehörde EPA wegen "gravierender Fehler" teilweise annulliert. Gestern hat das oberste Gericht der USA, der Supreme Court, dann eine Beschwerde des Chemiekonzerns gegen ein Schadenersatzurteil für einen krebskranken Glyphosat-Nutzer abgewiesen. Beides Gift für die Aktien der Monsanto-Mutter, die sich aber noch nicht geschlagen geben will.
Das Bundesberufungsgericht in Kalifornien kam zu dem Ergebnis, die EPA habe schwerwiegende Fehler gemacht, als sie die Risiken von Glyphosat für die menschliche Gesundheit bewertete. Das gelte vor allem für Krebserkrankungen, schrieb Richterin Michelle Friedland im Urteil. Obwohl die EPA selbst festgestellt hatte, dass sich bestimmte Krebsrisiken anhand der ihr vorliegenden Daten nicht abschließend bewerten ließen, hatte die US-Behörde 2020 entschieden, dass Glyphosat „wahrscheinlich nicht krebserregend“ sei. Das sei mit dieser Begründung nicht haltbar, entschieden die insgesamt drei Richter einstimmig. Geklagt hatten das Pestizid-Aktionsnetzwerk Nordamerika und andere Nichtregierungsorganisationen.
Sie hatten ferner moniert, die EPA habe nicht ausreichend untersucht, wie sich das Pflanzengift auf bedrohte Arten auswirke. Hier vermissten die Richter die nach dem Artenschutzrecht vorgeschriebenen Folgenabschätzungen. Wie eine Sprecherin der Nachrichtenagentur dpa sagte, werde die EPA ihre Glyphosat-Entscheidung überprüfen. Sie hat dafür noch bis 1. Oktober 2022 Zeit. Der Bayerkonzern ist nach dpa-Informationen zuversichtlich, dass die EPA wieder genauso entscheiden wird. Für den Chemieriesen ist das auch deshalb bedeutsam, weil er in den USA noch mindestens 30.000 Schadenersatzklagen krebskranker Glyphosatnutzer parieren muss (der Infodienst berichtete). Dabei argumentierten seine Anwälte regelmäßig damit, dass die EPA und andere Behörden das Pflanzengift nicht für krebserregend halten.
Um die Klageflut zu stoppen, will der Bayerkonzern das oberste US-Gericht bewegen, Schadenersatzurteile der unteren Instanzen zu kippen. Deshalb hat er gegen bisher zwei der Glyphosaturteile beim Supreme Court Beschwerde eingereicht. Im Fall des krebskranken Rentners Edwin Hardeman hat es das Gericht gestern abgelehnt, die nach Bayers Argumentation übergeordnete Rechtsfrage zu klären, ob das nationale Recht dem Konzern möglicherweise verbietet, auf seinen Spritzmitteln vor einer Krebsgefahr zu warnen. Hardeman sind seine gut 25 Millionen Dollar Schadenersatz jetzt sicher. Die Entscheidung hatte sich bereits abgezeichnet, da die Anwältin der US-Regierung (Solicitor General) dem obersten Gericht auf Anfrage empfohlen hatte, nicht über die Bayer-Beschwerde zu entscheiden. Damit hatte sich die Regierung Biden deutlich von Vorgänger Trump abgesetzt.
„Wir fühlen uns durch den intensiven Zuspruch von Amtsträgern, Landwirtschaftsverbänden und anderen Interessensgruppen nach der rechtlichen Kehrtwende der US-Regierung bestärkt“, insistierte Bayer nach dem Urteil. Zuvor hatten führende Republikaner aus Repräsentantenhaus und Senat die Regierungsanwältin aufgefordert, ihre Empfehlung zurückzuziehen, berichtete das Portal E&E News. Da das Agrarministerium nicht in die Entscheidung einbezogen gewesen sei, wollte das "House Oversight and Reform Committee", eine Art ständiger Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses, den Vorgang prüfen - offenbar ohne Erfolg. Dass der Supreme Court sich noch mit dem Schadenersatzurteil zugunsten des Ehepaars Pilliod befassen wird, das Bayer ebenfalls eingereicht hat, halten Experten für unwahrscheinlich. Bekanntgegeben wird die Entscheidung voraussichtlich in der kommenden Woche.
Einstweilen verweist der Monsanto-Mutterkonzern darauf, dass er die jüngsten vier Gerichtsprozesse zu seinem glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup™ (Kläger waren Clark, Stephens, Shelton und Johnson) gewonnen hat. Im Übrigen sei das Unternehmen dank seines vor einem Jahr vorgestellten 5-Punkte-Plans auf alle Eventualitäten vorbereitet. So hat Bayer 6,5 Milliarden US-Dollar beiseitegelegt, um sich mit künftigen Klägern außergerichtlich zu einigen, wo das dem Konzern aussichtsreich erscheint. Außerdem will er ab 2023 Privatanwendern, die die große Mehrheit der Klagenden ausmachen, keine Unkrautvernichtungsmittel mit dem Wirkstoff Glyphosat mehr verkaufen. Das boomende Geschäft mit den Landwirten will Bayer sich aber auch künftig nicht entgehen lassen. [vef]

18.06.2022 |

Versuchsanbau von Vitamin D-Tomate in England

Die fünf Tomaten rechts sind mittels Gentechnik mit Vitamin D angereichert. Foto: John Innes Centre Die fünf Tomaten rechts sind mittels Gentechnik mit Vitamin D angereichert. Foto: John Innes Centre

Wissenschaftler des britischen John Innes Centre haben Tomaten mit dem gentechnischen Verfahren Crispr/Cas9 so verändert, dass sie in Früchten und Blättern Vitamin D anreichern. Im Juni starten erste Freilandversuche. Lockern die Briten wie geplant die Regeln für neue Gentechnik, könnten die Tomaten bald auf den Markt kommen. Gentechnikkritiker bezweifeln, dass sie die Menschen wirklich mit Vitamin D versorgen können.

Tomaten enthalten von Natur aus sehr geringe Mengen an 7-Dehydrocholesterin. Die Substanz wird auch Provitamin D3 genannt, weil sich daraus Vitamin D3 entwickelt, wenn sie ultraviolettes Licht bestrahlt. Bei der Erforschung der Stoffwechselvorgänge in der Tomate entdeckten Wissenschaftler, dass ein Enzym das 7-Dehydrocholesterin zu anderen Pflanzenstoffen, den Esculeosiden, umbaut. Sie helfen der Tomate dabei, Schädlinge und Krankheitserreger abzuwehren. Das Team des John Innes Centre (JIC) unter Leitung der Professorin Cathie Martin hat nun mit Hilfe von Crispr/Cas9 das Gen stillgelegt, das dieses Enzym produziert. Daraufhin reicherte sich das 7-Dehydrocholesterin in den Blättern und Früchten der manipulierten Tomatenstauden an – während der Gehalt an Esculeosiden deutlich zurückging.

Wurden die so veränderten Tomaten mit UV-Licht bestrahlt (was im Freiland die Sonne erledigen muss), wandelte sich das 7-Dehydrocholesterin in den Früchten in Vitamin D3 um. Mit einer solchen Tomate würde man ebenso viel Vitamin D zu sich nehmen wie beim Verzehr von zwei Eiern oder 28 Gramm Thunfisch, rechneten die Forschenden des JIC in ihrer in der Fachzeitschrift Nature Plants veröffentlichten Arbeit vor. Darüber hinaus könnte das Vitamin D3 in den Blättern zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet werden. Die Tomate sei also geeignet, eine schlechte Vitamin D-Versorgung auszugleichen, unter der laut der Studie eine Milliarde Menschen litten. Auch bei anderen eng verwandten Pflanzen wie Auberginen, Kartoffeln und Pfeffer, die den gleichen Stoffwechselweg haben, könnte mit dieser Methode bewirkt werden, dass sie Vitamin D anreichern, heißt es in der Presseinformation des JIC. Gerade während der Corona-Pandemie sei deutlich geworden, wie wichtig ein guter Vitamin D-Spiegel für die Gesundheit ist.

Das Abschalten des Gens habe sich nicht negativ auf Wachstum, Entwicklung und Ertrag der Pflanzen ausgewirkt, so die Studienerfahrungen im Gewächshaus. Ob das auch auf dem Acker gilt, wird sich jetzt erweisen müssen. Das Münchner Institut Testbiotech warnt, dass der gentechnische Eingriff in ihren Schutzmechanismus die Tomate anfälliger machen könnte für Krankheiten und Schädlingsbefall. Auch andere Wechselwirkungen mit der Umwelt müssten untersucht werden. Bei den Tomaten selbst wäre zu prüfen, ob der Eingriff Inhaltsstoffe ungewollt verändert oder andere Stoffwechselwege gestört hat. Schließlich gibt Testbiotech zu bedenken, dass die Vitamin D-Konzentration in den Tomaten je nach Sorte und Umweltbedingungen sehr unterschiedlich sein kann. In der Zeitschrift Nature kommentieren Wissenschaftler, dass noch erforscht werden müsse, wie stabil das Vitamin in der Tomate sei, wenn sie gelagert oder verarbeitet wird. Geklärt werden müsse auch, wie gut der menschliche Körper das Vitamin aus den Tomaten aufnehmen kann. Es auf diesem Weg verlässlich zu dosieren sei unmöglich, schreibt Testbiotech.

Um mögliche Gefahren für Gesundheit oder Umwelt frühzeitig zu erkennen, fordert das Institut, die Risiken auch bei diesen genomeditierten Pflanzen eingehend zu prüfen. Liz O'Neill, Geschäftsführerin der gentechnikkritischen Organisation GM Freeze, hält die neue Tomate schlicht für überflüssig: „Die Regale in den Supermärkten sind bereits voll mit ausgezeichneten Vitamin-D-Quellen: von fettem Fisch, Eiern und rotem Fleisch bis hin zu angereicherten Getreidesorten und einer Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln“. Eine „obskure Tomate“ hinzuzufügen werde das Problem des Vitamin-D-Mangels nicht lösen, denn schlechte Ernährung sei eine Folge von Armut und einem kaputten Lebensmittelsystem. „Wir brauchen einen Systemwandel, keinen gentechnisch veränderten Ketchup“, sagte O'Neill. [lf/vef]

14.06.2022 |

Wird EU-Kommission herbizidtolerante Pflanzen ächten?

Herbizid Glyphosat Herbizide Acker Herbizide werden versprüht (Foto: Courtesy of Syngenta)

Um ihre geplanten neuen Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) nachhaltig zu gestalten, erwägt die Europäische Kommission, Herbizidtoleranz bei Pflanzen für unerwünscht zu erklären. Das sagte ein Mitarbeiter der Kommission gestern bei einer Veranstaltung in Brüssel. Es werde in jedem Fall auch künftig ein Zulassungsverfahren für NGT-Produkte geben und sie müssten gekennzeichnet werden.
Die neuen Regeln würden ganz an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2018 angepasst, das Vorsorgeprinzip bleibe das Leitprinzip, sagte Klaus Berend von der Generaldirektion Gesundheit der EU-Kommission. Der EuGH hatte entschieden, dass NGT-Produkte nach den bestehenden Regeln für Gentechnik zu behandeln seien. Die EU-Kommission sagt, diese Regeln würden für die neuen Technologien nicht mehr passen. NGT sollten eingesetzt werden, um die Nachhaltigkeitsziele der „Farm to Fork“-Strategie zu unterstützen. Dafür sollen etwa Pflanzen entwickelt werden, die mit Klimastress besser umgehen können. Bislang stellt die Agrarindustrie mithilfe von Gentechnik aber vor allem herbizidtolerante Pflanzen her, wodurch mehr Pflanzengifte eingesetzt werden.
Die künftigen NGT-Regeln müssten mit dem Ziel der EU-Kommission vereinbar sein, bis 2030 25 Prozent ökologischen Landbau zu erreichen, versicherte Berend. Ein Vertreter des europäischen Öko-Verbands IFOAM betonte, dass Bioprodukte zwingend gentechnikfrei sein müssen. Daher seien ein geschützter Anbau und eine gentechnikfreie Lieferkette unerlässlich. Die EU-Kommission will bis zum Sommer 2023 ein „maßgeschneidertes Regelwerk“ für neue Technologien wie Crispr/Cas vorlegen. Aktuell läuft das offizielle Beteiligungsverfahren für die Öffentlichkeit.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke sieht „keinen Bedarf für eine Neuregulierung“, sagte sie als Gastgeberin der Podiumsveranstaltung zu den Umwelt- und Verbraucheraspekten von NGT. Sollte die Mehrheit der EU-Länder anderer Meinung sein, sei ihr wichtig, dass es weiterhin zwingend eine Risikobewertung von NGT-Produkten gebe und diese auch gekennzeichnet werden. Das Vorsorgeprinzip sei nicht verhandelbar. Die von der EU-Kommission angestrebte Nachhaltigkeit müsse ganzheitlich beurteilt werden, so die Grünenpolitikerin. Es gehe um die gesamte Pflanze, ihr Anbausystem, die Auswirkungen auf Bodengesundheit, Wasserhaushalt und angrenzende Ökosysteme, die Verfügbarkeit von Saatgut für Landwirte und die Konsequenzen für die ökologische Landwirtschaft und verwandte Branchen. „Ich werde jedenfalls darauf hinwirken, dass bei einem etwaigen Nachhaltigkeitsnachweis für NGT-Pflanzen all diese Kriterien betrachtet werden“, kündigte Lemke an.
Die norwegische Wissenschaftlerin Sarah Agapito verwies auf neue Studien, dass auch vermeintlich präzise Verfahren wie die sogenannte „Genschere“ das Genom einer Pflanze stark verändern können. Da in Südamerika jetzt die ersten NGT-Pflanzen ohne Kennzeichnung angepflanzt würden, müsse sich die EU auch mit der Frage befassen, welche gentechnischen Prozesse diese Pflanzen in ihrer Umwelt anstoßen. Nach Ansicht der Verbraucherzentrale müssen NGT-Produkte schon deshalb rückverfolgbar sein, um feststellen zu können, wer für mögliche Schäden hafte. Im Übrigen müssten die Verbraucher*innen, die mehrheitlich gentechnikkritisch sind, frei wählen können, was sie kaufen und essen wollen, sagte ihre Vertreterin in Brüssel. Ein neues Gesetz brauche man dafür nicht. [vef]

12.06.2022 |

Deutsche kaufen immer mehr Lebensmittel ohne Gentechnik

Die Nachfrage nach Lebensmitteln ohne Gentechnik boomt. Foto: VLOG Die Nachfrage nach Lebensmitteln ohne Gentechnik boomt. Foto: VLOG

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr rund 13,2 Milliarden Euro für Lebensmittel ausgegeben, die das „Ohne Gentechnik“-Siegel tragen. Das seien 4,3 Prozent mehr als 2020, teilte der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) diese Woche mit. Er forderte die Bundesregierung auf, sich bei der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, dass auch Produkte neuer gentechnischer Verfahren streng reguliert bleiben.
9,3 Milliarden Euro bezahlten die Verbraucher*innen nach Angaben des Verbandes 2021 allein für Milch und Milchprodukte, die die grüne VLOG-Raute auf der Packung tragen. Das sind 70 Prozent der Gesamtausgaben für Produkte „Ohne Gentechnik“. Mit Geflügelfleischprodukten wurden 2,3 Milliarden Euro (17 Prozent), mit Eiern 1,1 Milliarden Euro (8 Prozent) und mit sonstigen Produkten 0,5 Milliarden Euro (4 Prozent) erzielt. „Die Zahlen belegen, dass ,Ohne Gentechnik‘-Produkte bei Verbraucherinnen und Verbrauchern nach wie vor hoch im Kurs stehen“, freute sich VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. Großes Wachstumspotenzial gebe es noch bei Rind- und Schweinefleisch.
Wie Hissting weiter mitteilte, beruhen seine Zahlen auf Auskünften der knapp 500 Lizenznehmer des „Ohne Gentechnik“-Siegels über ihre erwarteten Umsätze, zu denen dann noch pauschale Handelsspannen und Mehrwertsteuer addiert werden. Nach dieser Berechnung soll sich der „Ohne Gentechnik“-Umsatz 2022 erneut erhöhen und zwar um 4,2 Prozent. Das Problem: Die erwarteten Umsätze wurden im Januar und Februar 2022 abgefragt, also bevor Russland die Ukraine angriff. Inzwischen seien die Auswirkungen dieses schon fast vier Monate andauernden Krieges auf den Lebensmittelmarkt „unkalkulierbar“.
Zugleich warnte der VLOG erneut vor „unnötig geschürten Verunsicherungen“ durch Falschinformation. Es sei weiterhin ausreichend gentechnikfreies Eiweißfutter für die „Ohne Gentechnik“-Produktion auf dem Markt erhältlich. „Niemand muss aus dem System aussteigen“, versicherte Hissting. Wie berichtet hatten Vertreter von Agrarverbänden und Molkereien bereits mehrfach gewarnt, gentechnikfreie Soja und Raps könnten knapp werden, weil Anbau in und Export aus der Ukraine kriegsbedingt erschwert sind. Die einschlägigen Institutionen prognostizieren für den europäischen Markt für 2022 jedoch eine gute Versorgung mit Eiweißfutter. [vef]

08.06.2022 |

Großbritannien: Supermärkte haben Vorbehalte gegen Gentechnik-Gemüse

Gemüse im Supermarkt  Foto: CC0 Gemüse im Supermarkt Foto: CC0

Die britische Regierung hat einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, mit dem sie die Zulassung von Produkten beschleunigen will, die mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt wurden. Gelten soll er vorerst nur für England. Denn Schottland und Wales wollen am bisherigen Gentechnikrecht festhalten, das dem der Europäischen Union entspricht. Auch die großen britischen Supermarktketten reagierten reserviert bis ablehnend auf den Entwurf.

Das Genetic Technology (Precision Breeding) Bill genannte Gesetz (dt. etwa Gesetz zur gentechnischen Präzisionszüchtung) sieht vor, dass diejenigen Pflanzen und Tiere keine Zulassung mehr brauchen, die mit neuen gentechnischen Verfahren so verändert wurden, wie es auch durch Züchtung oder Mutation geschehen könnte. Es genügt eine Anmeldung beim Umweltministerium, dessen beratender Ausschuss binnen 90 Tagen prüft, ob es sich um Präzisionszüchtung im Sinne dieses Gesetzes handelt. Wenn ja, wird der gentechnisch veränderte Organismus (GVO) in ein Register eingetragen und kann angebaut oder vermehrt werden. Lebens- und Futtermittel, die aus solchen GVO hergestellt werden, müssen in einem zweiten Schritt für die Vermarktung zugelassen werden. Das Gesetz ermächtigt das Umweltministerium, Verordnungen zu erlassen, die den Gesundheitsschutz oder die Rückverfolgbarkeit solcher Produkte regeln können. Wie diese Verordnungen aussehen sollen, steht im Gesetz nicht. Es sieht lediglich vor, dass die zugelassenen Produkte in ein weiteres Register eingetragen werden, das von der Lebensmittelbehörde FSA (Food Standard Agency) geführt werden soll.

Der britische Umweltminister George Eustice geht davon aus, dass das Parlament seinen Gesetzentwurf noch in diesem Jahr annehmen wird. Voraussichtlich 2023 könnten die Briten dann erste genomeditierte Lebensmittel kaufen, sagte Eustice dem Magazin inews. Dabei verwies er auf bereits in den USA oder Japan angebaute Pflanzen wie nicht-bräunende Pilze oder angeblich blutdrucksenkende Tomaten. Diese könnten dann nach ihrer Registrierung auch in England angebaut werden. Bis größere Mengen dort entwickelter Pflanzen auf den Markt kämen, werde es noch drei bis fünf Jahre dauern, zitierte inews den Minister. Die Änderungen sind auf England beschränkt, da die anderen Länder des Vereinigten Königreichs sie ablehnen.

So wies Schottland die offizielle Anfrage von Minister Eustice zurück, sich dem Gesetzesvorhaben anzuschließen. „Die schottische Regierung ist nach wie vor strikt gegen die Einführung des Gesetzes“, zitierte das Magazin Holyrood einen Regierungssprecher. Schottland werde sich die geplante Änderung der Definition von GVO nicht aufzwingen lassen, ergänzte der Sprecher. Er spielte damit auf das britische Binnenmarktgesetz an, demzufolge ein in England zugelassenes Lebensmittel auch in den anderen Ländern Großbritanniens verkauft werden darf. Auch Wales wies Eustices Ansinnen zurück. Das Gentechnikrecht ist im Vereinigten Königreich Sache der Länder England, Schottland, Wales und Nordirland.

„Die größten Supermärkte des Vereinigten Königreichs haben kühl auf die Idee reagiert, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu verkaufen“, schrieb die Zeitschrift New Scientist. Sie hatte die elf größten Supermarktketten des Landes befragt, ob sie nach Inkrafttreten des Gesetzes genmanipulierte Lebensmittel in ihr Sortiment aufnehmen würden. Sieben antworteten gar nicht und verwiesen auf den Branchenverband BRC. Darunter waren auch die in Großbritannien aktiven Handelskonzerne Aldi und Lidl. Lediglich die Handelskette Waitrose erklärte, sie habe derzeit „keine Pläne, diese Technologie zu verwenden.“ Der Branchenverband BRC (British Retail Consortium) teilte der Zeitschrift mit, dass man zwar die Technologie und ihr Potenzial unterstütze, doch der Schlüssel zur kommerziellen Einführung sei die Unterstützung der Öffentlichkeit. „Sie wird von der Akzeptanz der Technologie durch die Kunden und einem gründlichen Verständnis der wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen abhängen", zitierte New Scientist den BRC-Sprecher Andrew Opie.

In einer Konsultation der Regierung im vergangenen Jahr sprachen sich 88 Prozent der Privatpersonen und 64 Prozent der Unternehmen gegen die geplante Gesetzesänderung aus. „Es gibt eine überwältigende Unterstützung für einen angemessenen öffentlichen Schutz, einschließlich einer klaren Kennzeichnung von Lebensmitteln, die sowohl mit alten als auch mit neueren Gentechniken hergestellt wurden“, sagte Liz O'Neill, Geschäftsführerin der gentechnikkritischen Organisationen GM Freeze. Um dies deutlich zu machen, starteten GM Freeze und Beyond GM eine Petition, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel auch künftig gekennzeichnet werden sollen. Derweil nimmt die parlamentarische Beratung ihren Lauf. Kommenden Dienstag (14. Juni) werden die Abgeordneten des Unterhauses den Gesetzentwurf erstmals diskutieren. [lf]

03.06.2022 |

EU-Behörde bleibt dabei: Glyphosat ist nicht krebserregend

RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, http://bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/) RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Der Ausschuss für Risikobewertung (RAC) der europäischen Chemikalienagentur ECHA hat Glyphosat nicht als krebserregende, mutagene oder reproduktionstoxische Substanz eingestuft. Damit bestätigte der Ausschuss seine Beurteilung von 2017 und berief sich dabei auf die „verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse“. Die europaweite zivilgesellschaftliche Koalition Ban Glyphosate warf dem RAC „Verleugnung der Wissenschaft und Missachtung des EU-Rechts“ vor.

Der RAC der ECHA entscheidet über die Gefahreneinstufung von Chemikalien, die dann in Form von Warnsymbolen und Gefahrensätzen auf den Produktverpackungen angegeben werden muss (CLH, classification and labelling of hazardous substances). Glyphosat ist nach Meinung der RAC-Mitglieder eine Substanz, die schwere Augenschäden verursachen kann und für Wasserlebewesen giftig ist. Die Kriterien „für eine Einstufung von Glyphosat als toxisch für spezifische Organe oder als krebserregende, mutagene oder reproduktionstoxische Substanz“ seien nicht erfüllt worden, hieß es in der Mitteilung der ECHA. Grundlage für diese Entscheidung sei der Bericht der Bewertungsgruppe für Glyphosat – Behörden aus Schweden, Frankreich, den Niederlanden und Ungarn – gewesen. Diese hätten „sorgfältig die verfügbaren Daten und alle relevanten und geeigneten Informationen in die Vorbereitung ihres Dossiers einbezogen“. Zudem habe der RAC bei der Ausarbeitung seiner Stellungnahme eine Vielzahl wissenschaftlicher Daten berücksichtigt sowie viele hundert Kommentare, die bei öffentlichen Konsultationen eingegangen waren. Die Stellungnahme selbst werde noch finalisiert, dann bis Mitte August auf der Website der ECHA veröffentlicht und an die Europäische Kommission sowie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) übermittelt.

Die zivilgesellschaftliche Koalition Ban Glyphosate wies die Schlussfolgerung der ECHA zurück. In ihrem Namen warf der Toxikologe Peter Clausing der ECHA „wissenschaftliches Fehlverhalten“ vor. „Um zu ihrer Schlussfolgerung zu kommen, musste die ECHA die Tumorbefunde aus fünf Mäuse- und sieben Ratten-Kanzerogenitätsstudien verwerfen“, sagte Clausing. Zudem habe die Behörde eine große Zahl von Belegen aus einer Vielzahl neuer und bereits vorhandener, von Fachleuten überprüfter Veröffentlichungen zurückgewiesen oder ignoriert. Dazu gehörten Laborstudien, die den krebserregenden Mechanismus von Glyphosat beschreiben, sowie epidemiologische Studien, die über ein erhöhtes Risiko von DNA-Schäden und Krebs bei Menschen berichten, die Glyphosat ausgesetzt waren. „Damit verstieß die ECHA nicht nur gegen die gute wissenschaftliche Praxis, sondern auch gegen ihre eigenen Leitlinien und sogar gegen europäische Vorschriften“, kritisierte Clausing.

Nun liegt der Ball bei der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA. Sie hatte erst vor zwei Wochen ihren Zeitplan um ein Jahr verschoben und will ihre Schlussfolgerungen im Juli 2023 fertigstellen. Darin werde sie „alle möglichen Risiken bewerten, die eine Exposition gegenüber Glyphosat für Menschen, Tiere und die Umwelt mit sich bringen könnte“, schrieb die Behörde Mitte Mai. Die Koalition Ban Glyphosate appellierte an die EFSA, dieses zusätzliche Jahr „zu nutzen, um eine gründliche Bewertung aller relevanten Studien nach guter wissenschaftlicher Praxis und im Einklang mit den geltenden Leitlinien durchzuführen“.

Die Zuständigkeiten von ECHA (Chemikaliensicherheit) und EFSA (Lebensmittelsicherheit und Pestizidzulassungen) sind unterschiedlich. Dennoch hat die Entscheidung der ECHA große Bedeutung für das weitere Verfahren. Auch bei der letzten Zulassungsdebatte um Glyphosat in den Jahren 2016 und 2017 war es zuerst die ECHA, die grünes Licht gab und dann die EFSA, die die ECHA-Entscheidung als Beleg für ihre eigene anführte. Darüber hinaus ermöglicht es die ECHA-Entscheidung der EU-Kommission, die im Dezember 2022 auslaufende Zulassung von Glyphosat bis zum Abschluss des Verfahrens zu verlängern. Bei einer Einstufung des Herbizids als krebserregend, mutagen oder reproduktionstoxisch wäre dies kaum möglich gewesen. [lf]

Update 8.6.: Letzter Absatz zur Bedeutung der ECHA-Entscheidung neu formuliert.

31.05.2022 |

Appell: 300.000 Menschen gegen Gene Drives

Mareike Imken (li.) von der Kampagne "Stop Gene Drives" übergibt symbolisch fast 300.000 Unterschriften an Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Foto: Fabian Melber  Mareike Imken (li.) von der Kampagne "Stop Gene Drives" übergibt symbolisch fast 300.000 Unterschriften an Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Foto: Fabian Melber

Bundesumweltministerin Steffi Lemke will sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass bei der Regelung von Gene drives das Vorsorgeprinzip beachtet wird. „Ich glaube, dass sich die Menschheit und auch die Wissenschaft mit Gene Drives überschätzen würde“, sagte Lemke heute bei der Übergabe von Unterschriften für ein Gene Drive-Moratorium in Berlin. Fast 300.000 Bürger*innen der Europäischen Union (EU) haben den Appell der Kampagne „Stop Gene Drives“ an Länderministerien und EU-Kommission bisher unterschrieben.
Die auch als „Vererbungsturbo“ umschriebenen Gene Drives werden mit Hilfe des neuen Gentechnikverfahrens Crispr/Cas hergestellt. Sie können ganze Populationen von Tieren und Pflanzen in der Natur gentechnisch verändern oder ausrotten, indem sie Grundprinzipien der Evolution außer Kraft setzen und die Vererbung einer genetischen Eigenschaft an sämtliche Nachkommen erzwingen. Ziel ist, krankheitsübertragende Insekten, invasive Arten oder so genannte Ernteschädlinge in der industriellen Landwirtschaft zu bekämpfen. Die Unterschriftenaktion fordert, das mit einem globalen Moratorium zu unterbinden, um die Artenvielfalt zu schützen.
Wie die Kampagne in ihrer Presseinformation weiter schreibt, stehe der mögliche Einsatz von Gene Drives auf der Tagesordnung der 15. Vertragsstaatenkonferenz der Vereinten Nationen zum Schutz der Artenvielfalt, die nach aktuellem Planungsstand im August in China stattfinden soll. Die Umweltminister*innen der Europäischen Union, darunter auch die Grüne Steffi Lemke, legen ihre gemeinsame Position dazu im Juni fest. „Gene-Drive-Organismen kennen grundsätzlich keine Grenzen und können sich weltweit ausbreiten“, erläutert die Koordinatorin der Stop-Gene-Drive-Kampagne der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Mareike Imken. „Bisher verfügt die Weltgemeinschaft weder über ausreichendes Wissen noch über verbindliche internationale Vereinbarungen, nach denen ein derart fundamentaler, unumkehrbarer Eingriff in die Natur geregelt werden kann.“ So sei völlig unklar, welche Gremien wie über einen möglichen Einsatz des Vererbungsturbos entscheiden sollen, da er sich nicht auf bestimmte Staaten begrenzen lässt.
„Eine durch Gene Drive Organismen ausgelöste gentechnische Kettenreaktion könnte ganze Ökosysteme destabilisieren und im Extremfall kollabieren lassen“, warnt Bernd Rodekohr, Projektleiter „Schützt die Biene vor Gentechnik“ bei der Aurelia Stiftung. „Jede Gene Drive Freisetzung - und sei es ‚nur‘ zu Versuchszwecken - kann unabsehbare und irreversible Folgen für die durch Klimawandel und Insektensterben geschwächten Bestäuber- und Nahrungsnetze haben.“ Und Sophia Guttenberger vom Umweltinstitut München fordert: „Anstatt durch die gentechnische Veränderung wildlebender Arten russisches Roulette mit der Evolution zu spielen, müssen wir das bereits jetzt rasende Artensterben endlich stoppen, indem wir die Widerstandfähigkeit unserer Ökosysteme stärken und aufhören, sie überall auf der Erde zu zerstören.“ Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft/SOS ist mit der Aurelia Stiftung und dem Umweltinstitut München in der europäischen Stop-Gene-Drive-Kampagne verbunden. [vef]

28.05.2022 |

Europaweite Petition für ein striktes Gentechnikrecht gestartet

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

Bislang 45 Organisationen rufen europaweit zu einer Petition auf, die sich gegen die Pläne der EU-Kommission wendet, die rechtlichen Regeln für bestimmte Verfahren der neuen Gentechnik zu lockern. Auch in Deutschland sind in dieser Woche die ersten Webseiten online gegangen, um Unterschriften zu sammeln. Weitere sollen folgen.

„Nicht hinter unserem Rücken: Kein Freifahrtschein für neue Gentechnik in unserem Essen!“ lautet der Titel der Petition. Wer sie unterzeichnet, fordert „die Verantwortlichen in der Politik, insbesondere Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesumweltministerin Steffi Lemke auf, sich für die Beibehaltung der Regulierung auch der neuen Gentechniken einzusetzen“. Neue gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sollen laut Petitionstext weiterhin entsprechend dem EU-Vorsorgeprinzip auf Risiken geprüft und bewertet werden. Die neuen GVO müssen weiterhin rückverfolgbar sein und so gekennzeichnet werden, „dass Verbraucher*innen, Bäuer*innen, Züchtung, Handel und Verarbeitung sie jederzeit erkennen und vermeiden können“.
Bisher kann man in Deutschland etwa auf den Webseiten von Slowfood, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und Save Our Seeds unterschreiben. Weitere Verbände werden in den nächsten Tagen mit ihren Webseiten folgen. Auf europäischer Ebene zählen die Bauernorganisation Via Campesino, Slowfood International und die Lobbywächter von Corporate Europe Observatory zu den Unterstützenden.

Bereits im April hatten 95 Verbände und Organisationen, vom Deutschen Tierschutzbund über Misereor bis zu den Berufsimkern ihre Position in einem gemeinsamen Papier dargelegt. Darin argumentieren sie, neue Gentechniken wie Crisp/Cas „können tief in das Erbgut lebender Organismen eingreifen und dieses grundlegend verändern“. Mit dieser neuen Dimension der Eingriffstiefe ins Genom seien große Risiken für Mensch, Tier und Umwelt verbunden. Deshalb müssten diese Verfahren, gemäß dem EU-rechtlich verankerten Vorsorgeprinzip strikt reguliert werden. So wie das der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden hat.

Mit Papier und Petition wollen die gentechnikkritischen Organisationen auf ein Gesetzgebungsverfahren in der Europäischen Union zur neuen Gentechnik einwirken, das im Spätsommer 2021 begonnen hat. In dessen Verlauf hatten sich im Herbst 2021 70.000 EU-Bürger*innen an einer Konsultation der EU-Kommission beteiligt und sich gegen deren Fahrplan für eine Aufweichung des Gentechnikrechts ausgesprochen. Davon unbeeindruckt hat die EU-Kommission einen Fragebogen ins Netz gestellt, mit dem sie bis 22. Juli erfahren will, was Bürger*innen und Organisationen von ihren Plänen halten. Wirtschafts- und Umweltverbände halten diese Konsultation für einseitig, haben aber zur Teilnahme aufgerufen. Parallel dazu soll die Petition deutlich machen, dass die EU-Bürger*innen keine Ausnahmen für neue gentechnische Verfahren wollen. Dass dem so ist, zeigen immer wieder Umfragen. Im September 2021 befragte das Institut Forsa im Auftrag des Umweltinstituts München gut 1000 Menschen. 83 Prozent von ihnen antworteten, dass alle Gentechnikmethoden - alte und neue - genau auf ihre Risiken hin überprüft werden sollten. Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik ließ zu Ostern 2022 das Meinungsforschungsunternehmen Civey nach einer konkreten Anwendung der Neuen Gentechnik bei Eiern fragen. 85 Prozent der Befragten verlangten, dass Eier gentechnisch veränderter Legehennen gekennzeichnet werden müssen. [lf]

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