09.05.2021 |

Pilotprojekt: Drei Länder kontrollieren Zuckermaissaat

Mais  Foto: CCO Mais Foto: CCO

Nachdem Ende 2019 eine Partie Zuckermais-Saatgut eines niedersächsischen Händlers gentechnisch verunreinigt war, untersuchten jetzt erstmals drei Bundesländer Zuckermaissaat als Pilotprojekt. Sie fanden nichts, wollen aber auch 2022 wieder testen. Routinemäßig wurden bis März bundesweit zehn Sorten Saat auf Gentechnik kontrolliert. In fünf Proben Futtermais wurde man fündig.
Sweet Wonder hieß die Zuckermais-Sorte aus den USA, die ein niedersächsisches Unternehmen im Winter 2019/20 in Deutschland und Europa vertrieben hatte. Ein ungarisches Labor fand darin etwa 0,1 Prozent der gentechnisch veränderten Maislinien MON88017 und MON89034 der Bayer-Tochter Monsanto. Dies löste im Frühjahr 2020 hektische Suchaktionen aus, denn die verunreinigte Saat wuchs bereits auf den Äckern. Greenpeace, Bioland und die IG Saatgut forderten daraufhin die Bundesländer auf, auch Zuckermais in ihre Routinekontrollen mit aufzunehmen. Denn bisher zogen die Saatgutüberwacher der Bundesländer nur Proben von Futtermais. Zuckermais, im Volksmund auch als Gemüsemais bezeichnet, rutschte durchs Raster.
Die von der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Gentechnik veröffentlichte Tabelle mit den Ergebnissen der Saatgutuntersuchungen von 01.10.2020 bis 31.03.2021 zeigt, dass Niedersachsen, Bayern und Sachsen-Anhalt insgesamt 23 Proben Zuckermais untersucht haben. Es seien, wie beim Saatgutmonitoring üblich, zehn Prozent der nach Sachsen-Anhalt gelieferten Partien analysiert worden, teilte das dortige Umweltministerium auf Anfrage mit. Dabei habe es sich um verschiedene Sorten aus Neuseeland, Australien und den USA gehandelt. Bayern untersuchte sechs verschiedene Sorten aus Ungarn. Niedersachsen beprobte „16 Prozent der bei zwei Großhändlern zum Verkauf stehenden Zuckermaispartien“, schrieb das dortige Umweltministerium. Es habe sich neben Sweet Wonder um sechs weitere Sorten aus den Herkunftsländern Chile, USA und Frankreich gehandelt. Das Pilotprojekt „Probenahme beim Zuckermaissaatgut“ werde auch im Jahr 2022 fortgeführt. Im Anschluss werde dann über eine Aufnahme der Zuckermais-Beprobung in die Routinekontrolle entschieden. Auch Sachsen-Anhalts Umweltministerium will Zuckermais wegen des bestehenden Verunreinigungsrisikos weiter testen, weist aber auf eine wichtige Lücke hin: „Zuckermaissaatgut wird oftmals, mitunter auch in kleinen Mengen, direkt vom Hersteller bezogen“.
Erfolgreich war die bundesweite Routinekontrolle beim Futtermais: In Bayern war eine Partie der Sorte Bayrossa mit der insektenresistenten Maislinie MIR604 von Syngenta verunreinigt. In Baden-Württemberg waren vier Maisproben aus zwei chilenischen Maispartien mit mehreren Gentechnik-Linien kontaminiert, teilte das dortige Agrarministerium auf Anfrage mit. Neben MIR604 fand sich unter anderem jeweils zweimal der herbizidresistente Mais NK-603 von Monsanto sowie der herbizid- und insektenresistente Mais 59122 „Herculex“ von Pioneer. Die zuständigen Behörden hätten umgehend reagiert und die insgesamt 44 Tonnen betroffenen Maissaatguts vor der Aussaat zurückgerufen, so eine Sprecherin des Ministeriums.
Erstmals seit sieben Jahren wurde bei den Routinekontrollen wieder Leinsaat untersucht. Das dürfte damit zu tun haben, dass Ende vergangenen Jahres in Baden-Württemberg eine gentechnische Verunreinigung in geernteten und teils bereits verkauften Leinsamen gefunden worden war. Die Konsequenz, Leinsaat als Risiko einzustufen und zu testen, zogen allerdings nur die Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein mit zusammen zehn Proben. Gentechnisch veränderte Leinsaat fanden sie nicht.
Insgesamt hatten die Bundesländer über den Winter 439 Proben Maissaat, 40 Proben Soja und kleinere Mengen an Zuckerrüben-, Sommerraps-, Senf-, Tomaten- und Zucchinisaatgut untersucht. In den nächsten Wochen werden die Behörden vor allem Winterraps beproben, der im Herbst ausgesät wird. [lf/vef]

04.05.2021 |

Behörde: Cibus-Nachweis nicht gerichtsfest

Hat den Nachweis von Cibus-Raps entwickelt: Dr. John Fagan. Foto: Health Research Institute Hat einen Nachweis für Cibus-Raps entwickelt: Dr. John Fagan. Foto: Health Research Institute

Mit dem von einer Verbändeinitiative vergangenen Herbst vorgestellten PCR-Test für Rapslinien der US-amerikanischen Firma Cibus kann dieser genomeditierte Raps nicht gerichtsfest nachgewiesen werden. Die Methode könne damit derzeit nicht in der Lebensmittelüberwachung eingesetzt werden, berichtete das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) vergangene Woche. Der Ansatz sei zwar gut, die Methode könne den Cibus-Raps aber nicht klar von anderen (Raps-)Pflanzen unterscheiden.
Würden sich also in einer Schiffsladung konventioneller Rapssaat die Samen bestimmter Wildrapslinien, von Gemüsekohl oder äthiopischem Senf verstecken, könnte der Test positiv ausfallen. Denn in diesen Pflanzen finde sich die gleiche Genveränderung wie bei den genomeditierten Cibus-Rapslinien, erläuterte das BVL in seinem Untersuchungsbericht. Selbst bei konventionell gezüchteten Rapslinien schlug der Test in den Versuchsreihen des BVL an. Da im Fall einer gentechnischen Verunreinigung die gesamte Rapsladung an den europäischen Grenzen abgewiesen oder gar vernichtet werden müsste, wäre ein solcher Irrtum fatal. Das Problem: Anders als bei der „klassischen“ Gentechnik wird bei den neuen Technologien keine Fremd-DNA mehr übertragen, die mit dem Testverfahren der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in der gentechnisch veränderten Pflanze nachweisbar wären. Bei den sogenannten genomeditierten Pflanzen wurden lediglich die in der Pflanze vorhandenen Gene verändert, teils nur an einzelnen Basenpaaren.
Ähnliche Veränderungen können auch durch natürliche oder chemisch ausgelöste Mutation entstehen. So weist der BVL-Bericht darauf hin, dass die Anwendung von Herbiziden auf dem Acker, etwa beim resistenten Clearfield-Raps, einen Selektionsdruck mit sich bringe und auf diese Weise eine Punktmutation im AHAS-Gen entstehen könne wie beim Cibus-Raps. Wobei nach Angaben des BVL auch beim Cibus-Raps nicht die Gentechnik, also die eingesetzte oligonukleotidgesteuerte Mutagenese, das AHAS-Gen verändert habe, sondern ein chemischer Vorgang in der Petrischale. Die Verbände bezweifeln das, halten die Rapslinien aber selbst dann für Gentech-Pflanzen.
Das Fazit der BVL-Untersuchung: Zwar könnte der vom amerikanischen Laborexperten John Fagan entwickelte PCR-Test grundsätzlich geeignet sein, eine winzige Mutation im Genom nachzuweisen. Die Sensitivität der Methode genüge den Anforderungen, welche das Netzwerk europäischer Labore für solche Tests festgelegt habe. Sie sei aber weder ausreichend spezifisch noch robust genug. Hier sei weitere Forschung nötig, heißt es im Bericht des BVL. Denkbar sei etwa, dass mehrere winzige Mutationen einzelner Basenpaare bei genomeditierten Pflanzen ein spezifisches Muster ergeben könnten, anhand dessen sich die Pflanzen eines Tages rechtssicher identifizieren ließen. Zuständig für die Entwicklung solcher Verfahren ist nach Europarecht das europäische Referenzlabor für Gentechnik. Ließe sich so ein spezifischerer Nachweis entwickeln, könnte er perspektivisch für ein Screening verwendet und durch weitere Identifikationsmethoden ergänzt werden.
„Wir freuen uns, dass sich das BVL so intensiv mit dem Cibus-Test beschäftigt“, kommentierte Alexander Hissting vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) den Bericht. „Sollte noch Weiterentwicklungsbedarf bestehen, müssen sich die Behörden zügig darum bemühen.“ Der VLOG ist einer von neun internationalen, gentechnikkritischen Verbänden, in deren Auftrag das amerikanische Health Research Institute das Nachweisverfahren für Cibus-Raps 2020 entwickelte. Auch das BVL selbst forscht seit längerem an validen, rechtssicheren Nachweisverfahren für genomeditierte Pflanzen – bislang ohne Erfolg. Deshalb hat das Europäische Netzwerk staatlicher Gentechnik-Labore bereits 2020 eingestanden, dass die europäischen Behörden das Importverbot für genomeditierte Pflanzen derzeit nicht durchsetzen können. [vef]

29.04.2021 |

Verbände: unabhängige Risikoprüfung statt Deregulierung

DNA Genom DNA-Modell der Ausstellung "Genome: The Secret of How Life Works" im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

Diskutieren ja, Gentechnikrecht aufweichen nein, so lassen sich die Reaktionen von Verbänden und Institutionen aus dem Umwelt-, Agrar- und Lebensmittelbereich auf einen aktuellen Bericht der Europäischen Kommission zu neuen gentechnischen Verfahren zusammenfassen. Neue Gentechnik müsse Gentechnik bleiben, so die Verbände. Aber andere Vorschläge für eine Gesetzesreform hatten sie schon.
„Wir sind bereit für einen offenen und breit angelegten Diskussionsprozess“, so Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Doch dann müssten alle Positionen von Betroffenen und Wissenschaftsdisziplinen gleichermaßen berücksichtigt werden, forderte die Gentechnikexpertin. Am aktuellen Kommissionbericht war kritisiert worden, dass im Vorfeld überwiegend Befürworter einer Deregulierung neuer Gentechnik gehört worden waren. Volling verwies auf das in vielen Meinungsumfragen zum Ausdruck gebrachte klare Votum der Verbraucher*innen gegen Gentechnik auf ihren Tellern. „Bäuerinnen und Bauern wollen keine Risikoprodukte auf dem Acker und im Futter. Wir wollen garantiert erzeugen können, was ein Großteil der Verbraucher*innen will: gentechnikfreie Lebensmittel. Dazu ist eine Regulierung auch der neuen Verfahren nach dem geltenden Gentechnikgesetz zwingend notwendig. Vorsorge, Wahlfreiheit, Transparenz und Haftung müssen sichergestellt werden. Im angekündigten Konsultationsprozess muss sich die Bundesregierung klar für diese Grundprinzipien einsetzen.“
„Die eigentliche Frage ist doch, wie man zu einer Landwirtschaft und Ernährung kommt, die im Einklang mit den planetaren Grenzen genügend gesundes Essen für alle produziert“, ergänzte der Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V., Felix Prinz zu Löwenstein. Die Antwort dafür liege nur zu einem sehr kleinen Teil im Genom der Pflanzen. Entscheidend sei das ganze System von Pflanze, Boden, Tieren und menschlicher Ernährung. Dass es dafür einen tiefgreifenden Umbau brauche, sei mit Blick auf die Zerstörung von Artenvielfalt und die Klimakrise sowie die grassierende Fehlernährung wissenschaftlich unstrittig. „Technologien, die das aktuelle System zementieren, verhindern die Transformation“, so der BÖLW-Vorsitzende.
Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) konzentriert sich darauf, mit einem Ohne Gentechnik-Siegel den konventionellen Markt für gentechnikfreie Lebensmittel zu bedienen. „Wenn tatsächlich eine Gentechnik-Deregulierung käme, würde sie den erfolgreichen ‚Ohne Gentechnik‘-Wirtschaftssektor massiv gefährden, der allein in Deutschland inzwischen für über 12 Milliarden Euro Umsatz im Einzelhandel und über 5 Prozent Marktanteil bei Lebensmitteln steht“, so VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. „Verbraucherinnen und Verbraucher legen hohen Wert auf Gentechnikfreiheit. Damit meinen sie ausdrücklich auch neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR.“ Die EU-Kommission hatte in ihrem Bericht den Gedanken aufgeworfen, bestimmte Produkte neuer gentechnischer Verfahren von der Pflicht zur Risikoprüfung und Kennzeichnung auszunehmen.
Große Zweifel äußerten die Verbände an den Prämissen, die diesem Vorschlag zugrunde liegen. „Die aktuelle Veröffentlichung der Kommission beschreibt wortreich mögliche Vorteile der neuen Techniken, die es in der Praxis nicht gibt“, kritisierte etwa Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft und Gentechnik am Umweltinstitut München. Gentechnisch veränderte Pflanzen seien gerade nicht nachhaltig, würden unklare Risiken für Mensch und Umwelt bergen. „Dass die zuständige Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz die Versprechungen aus den Broschüren der Agrarindustrie nachbetet, ist ein schlechtes Zeichen für eine ökologischere, klima-angepasste Land- und Lebensmittelwirtschaft in Europa als Teil der Farm-to-fork-Strategie“, kommentierte Daniela Wannemacher vom Bund für Umwelt- und Naturschutz den Kommissionsbericht. „Kein einziges Gentechnik-Versprechen wie die Bekämpfung von Hunger oder der Klimakrise wurde eingelöst“, erinnerte Felix Prinz zu Löwenstein.
Was nach Ansicht der Verbände bei einer Gesetzesreform geregelt werden müsste, ist eine unabhängige Prüfung der Gentechnik-Pflanzen. „Es darf in Zukunft nicht mehr den Gentechnik-Herstellern überlassen bleiben, die für die Zulassung erforderlichen Sicherheitsprüfungen selbst in Auftrag zu geben und dann auszuwählen, welche davon sie vorlegen wollen“, so Felix Prinz zu Löwenstein. „Vielmehr muss die Europäische Zulassungsbehörde selbst die Studien in Auftrag geben.“ Und Sophia Guttenberger hält es für dringend geboten „endlich den Import von gentechnisch veränderten Futtermitteln zu unterbinden.“ Für den VLOG ist es "höchste Zeit", Nachweisverfahren für die neue Technik zu etablieren.
„Die Kommission hat den Ball nun an die Mitgliedsstaaten und das Parlament zurückgespielt und will einen offenen Dialog über die künftige Politik führen“, so Daniela Wannemacher. „Wir erwarten, dass die Forderungen des BUND und vieler weiterer Organisationen nach Wahlfreiheit, Risikoprüfung und Zulassung, sowie Transparenz und Kennzeichnung dabei gehört werden. Die Zukunft der Landwirtschaft ist gentechnikfrei." [vef]

29.04.2021 |

EU-Kommission will Regeln für neue Gentechnik diskutieren

Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296 Der Sitz der EU-Kommission in Brüssel. Foto: EmDee - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=91781296

Die Europäische Kommission hat heute ihre lange erwartete Untersuchung über neue gentechnische Verfahren vorgelegt. Sie macht darin deutlich, dass sie das EU-Gentechnikrecht zugunsten bestimmter gentechnischer Eingriffe überarbeiten will. Konkrete Vorschläge legte die Kommission jedoch ebensowenig vor wie einen Zeitplan für die nächsten Schritte.

In ihrem Bericht stellt die Kommission zwar die Argumente und Standpunkte von Befürwortern und Gegnern neuer gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft dar. In ihrer Abwägung spielen jedoch vor allem zwei Punkte eine Rolle: Sie glaubt der Behauptung von Befürwortern, dass neue gentechnische Pflanzen gut für Klimaschutz und Nachhhaltigkeit seien. Die neuen Techniken hätten das Potential, „im Rahmen der Ziele des europäischen Grünen Deals und der Strategie 'Vom Hof auf den Tisch' zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beizutragen“, heißt es in der Presseinformation. Zum zweiten sieht die EU-Kommission offenbar keine größeren Risiken: Eingriffe ins Erbgut, bei denen Punktmutationen erzeugt oder nur Gene einer Art übertragen werden, seien ebenso sicher wie herkömmliche Züchtung. Dabei beruft sich die Kommission auf ein entsprechendes Gutachten der EU-Lebensmittelbehörde EFSA.

Darauf aufbauend argumentiert die Kommission, dass die strikten Anforderungen, die das EU-Gentechnikrecht an die Risikoabschätzung stelle, für diese Produkte neuer Gentechnik nicht gerechtfertigt seien. Das Recht müsse an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden. Deshalb plane die Kommission politische Maßnahmen für Pflanzen einzuleiten, die durch gezielte Mutagenese und Cisgenese erzeugt wurden, erläuterte eine Mitarbeiterin. Diese Maßnahmen, sprich Rechtsänderungen, sollten ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt aufrechterhalten, es aber auch möglich machen, die Vorteile von Innovationen zu nutzen. Inhaltlich konkreter wurde die Vertreterin der Kommission auf Nachfrage nicht. Sie sagte lediglich, dass keine Generalüberholung des EU-Gentechnikrechts geplant sei.
Auch beim Zeitplan blieb die Kommission vage. Als nächsten Schritt will sie in einer Folgenabschätzung mit öffentlicher Konsultation erst einmal mögliche politische Optionen prüfen sowie die Bedenken, die während der Konsultation zur Studie geäußert wurden. Auf Nachfrage wollte sich die Kommissionvertreterin nicht auf einen Zeitpunkt festlegen, zu dem konkrete Änderungsvorschläge vorliegen sollen. Überhaupt soll erst einmal die Studie breit diskutiert werden. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, „einen offenen Dialog mit den Bürgern, den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament zu führen, um gemeinsam über das weitere Vorgehen beim Einsatz dieser genetchnischen Verfahren in der EU zu entscheiden", sagte Stella Kyriakides, die Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Ihre Behörde hat die Untersuchung durchgeführt, nachdem die EU-Mitgliedsstaaten sie im November 2019 beauftragt hatten. Anlass war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Sommer 2018, der neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas rechtlich als Gentechnik eingeordnet hatte. Die Kommission sollte sich mit den Konsequenzen befassen. Dabei stützte sie sich auf Expertenmeinungen sowie auf Beiträge der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und von mehr als 100 Interessenträgern auf EU-Ebene.
Die Regierung des Mitgliedsstaates Deutschland reagierte zweistimmig auf die Studie. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) begrüßte es, „dass die EU-Kommission mit der heute vorgestellten Studie die überfällige Modernisierung des europäischen Rechtsrahmens für neue molekularbiologische Techniken (NMT) anstößt“. Sie will mit der Kommission „Regelungen schaffen, die mit wissenschaftlichen Erkenntnissen Schritt halten und eine differenzierte Risikobewertung ermöglichen“. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprach sich dagegen aus, das Gentechnikrecht aufzuweichen. Die bestehende Freisetzungsrichtlinie der EU stelle den richtigen Rahmen für Vorsorgeprinzip und Wahlfreiheit dar, „denn sie ermöglicht die Zulassung von Produkten, die mit Neuer Gentechnik hergestellt wurden, wenn ihre Sicherheit für Mensch und Umwelt geprüft und erwiesen ist“. [lf/vef]

28.04.2021 |

Schulze: neue Gentechnik streng regulieren

Bundesumweltministerin Svenja Schulze.  Foto: BMU/Sascha Hilgers Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Foto: BMU/Sascha Hilgers

Risikoforschung, Nachweisverfahren, Kennzeichnungspflichten: Das ist aus Sicht von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) unabdingbar, um die Risiken neuer Gentechnik in der Landwirtschaft für Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit einzudämmen. Das geltende europäische Gentechnik-Recht erfasse auch neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas, betonte sie gestern. Wie das entsprechende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt werden kann, darauf erwartet sie Antworten von einer für morgen angekündigten Studie der EU-Kommission.
Würden Pflanzen oder Tiere mit neuer Gentechnik (NGT) verändert, könnten die langfristigen Folgen für Umwelt und Gesundheit bisher nicht abgeschätzt werden, so Schulze. Monokulturen und Hochleistungspflanzen machten die Landwirtschaft zudem anfällig für Schädlinge. Deshalb will sie das europarechtliche Vorsorgeprinzip wahren und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen sichern. In einem Positionspapier „Gentechnik in der Landwirtschaft: Für Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip“ listet ihr Ministerium auf, was „dringend … angegangen werden müsste“. „Die Bundesregierung wird sich hier künftig auf nationaler und europäischer Ebene besser aufstellen müssen“, so die SPD-Ministerin. Und warum tat sie es bisher nicht?
Federführend bei der Gentechnikgesetzgebung für die Landwirtschaft sei Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), erklärte Schulze. Und die sieht das alles anders: Klöckner spricht von „neuen molekularbiologischen Techniken“ statt von Gentechnik, stellt dem Vorsorge- ein Innovationsprinzip gegenüber und ermahnt die ehemalige NRW-Wissenschaftsministerin Schulze, sie möge „wissenschaftliche Fakten in ihr Stimmungsbild miteinbeziehen“. Auch Klöckner wünscht sich „klare Regeln“ für die neue Technik, welche bleibt offen. Ein deutsches Gesetz zur europäischen Opt-Out-Richtlinie scheint es jedenfalls nicht zu sein. Ein umstrittener Entwurf ruht seit langem in Bundestagsausschüssen. Schulze sähe ihn gerne verabschiedet, so stehe es schließlich im Koalitionsvertrag. Doch die Legislaturperiode ist fast zu Ende und die Koalitionäre wechseln allmählich vom Regierungs- in den Wahlkampfmodus.
Um die unabhängige Risikobewertung von NGT zu fördern, habe man aber schon einen ersten Schritt getan, berichtete Schulze. Auf Initiative des SPD-Abgeordneten Matthias Miersch habe die Koalition 3,5 Millionen Euro im Bundeshaushalt eingestellt, um die ökologischen Auswirkungen von NGT zu erforschen, bestätigte eine Ministeriumssprecherin. Davon können 250.000 Euro noch in diesem Jahr ausgegeben werden, der Rest bis 2024. Dass man NGT nachweisen könne, hätten Verbände für Cibus-Raps vorgemacht, so die Ministerin. Hier müssten nun zügig weitere Nachweisverfahren entwickelt werden. Und schließlich brauche es ein europaweites System zur Herkunftskennzeichnung beim Import von Schüttgut in die Europäische Union, insbesondere von Getreide, Soja und Raps. Auch für Produkte von Tieren, die gentechnisch verändertes Futter bekamen, müsse es eine Kennzeichnungspflicht geben. Bisher existiert ein freiwilliges Ohne Gentechnik-Siegel.
Umweltverbände begrüßten Schulzes klare Position. Der Vorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz, Olaf Bandt, forderte die Bundesregierung auf, „sich auch auf europäischer Ebene für vielfältige und widerstandsfähige Anbausysteme und eine ökologischere Landwirtschaft einzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Gentechnik wie bisher reguliert bleiben." Auch Greenpeace warnte eindringlich vor den Risiken der neuen gentechnischen Verfahren. „Möglicherweise verschlimmern sie die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft sogar, jedenfalls machen sie Mensch und Natur zu einem gigantischen Gentechnik-Experiment mit unbekannten und potenziell unwiderruflichen Folgen“, schrieb Greenpeace Österreich in der Presseinformation zu einem neuen Positionspapier „Danger ahead“ (dt.: Gefahr voraus).
Und schließlich sehen viele Landwirte die neuen Entwicklungen in der Gentechnik mit Sorge. Dass deutsche Bauern die große Nachfrage nach gentechnikfreien Lebensmitteln bislang zuverlässig befriedigen können, sei ein großer Wettbewerbsvorteil auf dem internationalen Markt, erläuterte Milchbäuerin Elisabeth Waizenegger von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Deshalb müssten auch NGT-Produkte gekennzeichnet werden, um eine Verunreinigung konventioneller Agrarprodukte zu vermeiden. Außerdem brauche man Haftungsregelungen, damit die Bauern nicht auf möglichen Kontaminationsschäden sitzen blieben. Für die AbL haben 12 Autor*innen unterschiedlicher Fachgebiete ihre gentechnikkritische Sicht auf die aktuelle Diskussion in einer 80seitigen Broschüre „Neue Gentechnik: Regulierung oder Freifahrtschein?“ zusammengefasst. [vef]

27.04.2021 |

Monsanto-Klagen: Bayer gibt Rekordverlust bekannt

Die AbL protestiert vor dem Bayerkonzern in Leverkusen. Foto: AbL Die AbL protestiert vor dem Bayerkonzern in Leverkusen. Foto: AbL

Die Bayer AG verzeichnete 2020 mit 10,5 Milliarden Euro den höchsten Verlust der Firmengeschichte. Der Grund dafür sind die zu teure Übernahme von Monsanto und die hohen Kosten, um die damit übernommenen Klagen beizulegen. Doch die meisten Großaktionäre stützten Vorstandschef Werner Baumann. Zahlreiche Organisationen protestierten anlässlich der virtuellen Hauptversammlung gegen die Geschäfte des Konzerns.

Im Jahr 2020 hat die Bayer AG weltweit 41,4 Milliarden Euro umgesetzt, ein Rückgang von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Als Konzenergebnis musste Bayer einen Verlust von 10,5 Milliarden Euro verbuchen. Wesentlich dazu beigetragen hatten die Rückstellungen für Prozessvergleiche mit 13,3 Milliarden Euro, von denen 9,6 Milliarden auf die Glyphosat-Klagen entfielen. Zudem musste der Konzern Wertminderungen im Bereich Crop Science von neun Milliarden Euro verbuchen. „In den vergangenen drei Jahren sind das tatsächliche Marktwachstum und die Geschäftsentwicklung hinter unseren Annahmen zurückgeblieben“, begründete der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann diesen Schritt. Hätte der Verkauf der Sparte Tierarzneimittel nicht fünf Milliarden Euro eingebracht, wäre der Verlust noch dramatischer ausgefallen.

Ingo Speich vom Fondshaus Deka der Sparkassen interpretierte die Zahlen gegenüber der Wirtschaftswoche so: „Das Jahr 2020 hat eindrucksvoll gezeigt, dass der Kauf von Monsanto eine Fehlentscheidung war“. Er kündigte schon im Vorfeld der Hauptversammlung an, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern. 2019 schloss sich die Mehrheit der Aktionäre dieser Forderung an. Heuer stand die Deka damit vor der Versammlung bei den Großaktionären weitgehend alleine da. Lediglich die DWS, Fondsgesellschaft der Deutschen Bank, hatte angekündigt, sich zu enthalten. Der Vorstand wurde nach langer Debatte mit einer Mehrheit von 90 Prozent entlastet.

Baumann hatte schon vor der Versammlung auf das Ergebnis eingestimmt. „Wir haben Ihre Erwartungen im vergangenen Jahr nicht erfüllt“, sagte er in seiner vorab veröffentlichten Rede. Dafür trage der Vorstand die Verantwortung. Gleichzeitig gelobte der Vorstandsvorsitzende Besserung und sprach von einem „stabilen Geschäft“ jenseits der Sondereinflüsse. Zum Glyphosatvergleich sagte Baumann lediglich, Bayer habe „den weitaus überwiegenden Teil dieser Klagen verglichen“. Der neue Vorschlag für den Umgang mit zukünftigen Fällen werde am 19. Mai mit dem zuständigen US-Bundesrichter besprochen. Wie die Zeitschrift Capital berichtete, erstatte Bayer einem Kläger die Anwaltskosten, damit er weiter gegen Bayer klage – weil der Konzern in diesem Verfahren für sich eine bessere Chance auf ein positives höchstrichterliches Urteil sehe, das sich auch auf andere Fälle übertragen lässt.

In Stellungnahmen auf der Hauptversammlung, in Mitteilungen und Berichten sowie analogen und digitalen Protestaktionen kritisierten zivilgesellschaftliche Organisationen diverse Aspekte der Geschäftspolitik des Konzerns. Dessen mangelndes Engagement beim Klimaschutz kam dabei ebenso zur Sprache wie Steuervermeidungsstrategien. Die Coordination gegen Bayer-Gefahren forderte den Konzern auf, den Wirkstoff Glyphosat vom Markt zu nehmen und startete einen entsprechenden öffentlichen Aufruf. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (gfbv) schilderte in einem Report, wie sich der Export von Bayer-Pestiziden in Brasilien auf indigene Völker auswirkt. Sie seien Leidtragende der großflächigen Vergiftung mit Wirkstoffen, die in der EU teilweise verboten seien. Viele Indigene „leben in unmittelbarer Nähe zu großflächigen Anbaugebieten von pestizidintensiven Agrarprodukten. Flugzeuge, die Pestizide versprühen, tragen die Giftstoffe buchstäblich bis vor ihre Tür“, berichtete gfbv-Expertin Regina Sonk. Das entwicklungspolitische Netzwerk Inkota veröffentlichte zusammen mit Pan Germany und der Rosa-Luxemburg-Siftung einen Bericht über den Export in der EU verbotener Pestizide durch Bayer und BASF nach Brasilien, Mexiko und Südafrika. „Es ist ein Skandal, dass Pestizidwirkstoffe, die in der EU aus gutem Grund verboten sind, in Deutschland produziert und in Drittländer exportiert werden dürfen“, sagte Wiebke Beushausen von Inkota und forderte einen sofortigen Exportstopp. [lf]

26.04.2021 |

Neue Studien entlarven Gentechnik-Mythen

Mais  Foto: CCO Mais Foto: CCO

Ein herbizidresistenter Mais ist die erste mit neuer Gentechnik veränderte Pflanze, für die in der Europäischen Union (EU) die Zulassung beantragt wurde. Darauf wiesen mehrere gentechnikkritische Organisationen heute bei der Vorstellung einer Studie zu „Produkten und Profiteuren“ neuer Verfahren wie Crispr/Cas hin. Diese und eine weitere internationale Studie stellen gängige Behauptungen über angeblichen Nutzen des sogenannten Genome Editing wissenschaftlich begründet in Frage.
Der Mais DP915635, der auch ein Gift des Baumfarns gegen den Schädling Maiswurzelbohrer produzieren kann, wurde vom amerikanischen Saatgutunternehmen Corteva entwickelt. Wie die Organisation Testbiotech bereits kürzlich erläuterte, kombinierte Corteva dabei alte und neue Gentechnik (Crispr/Cas). „Das mehrstufige Verfahren kann viele ungewollte Veränderungen im Erbgut auslösen, die mit Risiken einhergehen“, warnte Geschäftsführer Christoph Then. „Die Eigenschaften der Gentechnik-Pflanzen bringen keine echten Vorteile für die Umwelt.“
Ähnlich ist auch ein Fazit der Studie „Neue Gentechnik: Produkte und Profiteure, Leere Versprechen für eine bäuerliche Landwirtschaft und das Klima“ der österreichischen Organisation Global 2000 und der deutschen Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut). Herbizidresistenz sei immer noch ein Hauptziel des Genome Editing. „Das Versprechen der Unternehmen: ‚weniger Pestizideinsatz dank neuer Gentechnik‘ lässt sich damit nicht erreichen“, konstatierte Studienautorin Eva Gelinsky. „Auch beim Kampf gegen die Klimakrise helfen solche Pflanzen nicht.“ Zwar habe Corteva im Labor einen trockenheitstoleranten Mais entwickelt. Wie der sich aber in der Umwelt verhalte, sei bislang nicht bekannt. „Viele angekündigte Pflanzen verschwinden wieder“, so die Erfahrung der Agrarwissenschaftlerin, die die Entwicklung genomeditierte Pflanzen seit 2016 beobachtet. Sie rechnet nicht damit, dass in den nächsten Jahren klimaresistente Exemplare auf den Markt kommen werden. „Wir brauchen eine große Reform des Agrarsystems und nicht punktuelle technische Lösungen“, pflichtete ihr die Biobäuerin Maria Vogt bei.
Widerlegt sieht die Studie die Behauptung, die Crispr-Technologie mache die Pflanzenzüchtung preiswerter und ermögliche sie damit auch mittelständischen Unternehmen. Denn allein Corteva habe einen Patentpool von 48 grundlegenden, teils unentbehrlichen Patenten erworben, für die jeder Nutzer eine Lizenz kaufen müsse. „Das Unternehmen kann den Pool nutzen, um Wettbewerber zu kontrollieren und die eigene marktbeherrschende Stellung abzusichern“, heißt in der Studie. Allein die hohe Anzahl von insgesamt mehreren Hundert Grundlagenpatenten zeige, „dass die mittelständischen Züchter bereits in diesem frühen Stadium der Technologieentwicklung weitgehend abgehängt sind.“ Im Blick auf aktuelle Deregulierungsdiskussionen in der EU verlangten die Studienautorinnen von der Politik, dass alle gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa auch künftig auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden müssten.
Die geltenden EU-Regeln nicht nur beizubehalten, sondern sogar zu verschärfen, fordert eine neue Studie des europäischen Wissenschaftlernetzwerks Ensser im Auftrag der grünen Fraktion im Europaparlament. Sie wendet sich gegen eine Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die vom European Academies Science Advisory Council (EASAC) unterstützt worden war. Die Leopoldina hatte die europäische Politik im Dezember 2019 aufgefordert, genomeditierte Organismen vom Gentechnikrecht auszunehmen, wenn „keine artfremde genetische Information ins Genom eingefügt ist und/oder eine Kombination von genetischer Information vorliegt, die sich ebenso auf natürliche Weise oder mittels konventioneller Züchtungsverfahren ergeben kann“. Wie die Ensser-Studie kritisiert, habe die Leopoldina dabei nur eine begrenzte Zahl von Publikationen berücksichtigt, und die Ergebnisse von mindestens 200 hochrelevanten veröffentlichten wissenschaftlichen Studien außer Acht gelassen. Diese belegten, dass sich die durch Genome Editing verursachten genetischen Veränderungen, anders als von der Leopoldina behauptet, grundlegend von natürlich vorkommenden Mutationen unterschieden. Dass Pflanzen mittels Gentechnik präziser und damit sicherer verändert werden könnten, sei wissenschaftlich nicht evident - auch nicht bei neuen gentechnischen Verfahren. Und schließlich gebe es keine Belege dafür, dass die Gentechnik die Erträge als solche erhöht oder gar den Hunger reduziert habe. [vef]

21.04.2021 |

Verbände: EU-Gentechnikregeln nicht aufweichen

Europaflagge, Foto: Greg Montani https://pixabay.com/de/photos/europa-flagge-sterne-fahne-1395913/ Europaflagge, Foto: Greg Montani https://pixabay.com/de/photos/europa-flagge-sterne-fahne-1395913/

Mehr als 100 Verbände und Institutionen in Deutschland und Österreich haben ihre Regierungen aufgefordert, sich bei der Europäischen Kommission dafür einzusetzen, dass Produkte neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas auch künftig auf Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Anlass ist eine Studie der EU-Kommission zur Regulierung neuer Gentechnik in der Landwirtschaft, die am 30. April vorgestellt werden soll. Die Verbände befürchten, dass Kommission und EU-Mitgliedsstaaten die geltenden strengen Regeln aufweichen wollen.
„Seit Jahren lobbyieren Industrie und gentechnikfreundliche Politiker*innen dafür, neue Gentechnikverfahren wie Crispr/Cas von der Gentechnik-Gesetzgebung auszunehmen“, schreiben 94 deutsche Verbände und Organisationen in einem Positionspapier, das heute veröffentlicht wurde. Ziel sei, die derzeitige Definition von Gentechnik aufzuweichen, die zuletzt vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Sommer 2018 präzisiert worden war. „Das gefährdet die Wahlfreiheit und die Sicherheit von Mensch und Umwelt“, warnen die Organisationen aus vielfältigen Gesellschaftsbereichen, von Land- und Lebensmittelwirtschaft über Umwelt- und Klimaschutz bis zu Kirche und Entwicklungspolitik. Und alle sind sich einig: „Wir fordern die Bundesregierung auf, in Deutschland und auf europäischer Ebene alle vorhandenen wie künftigen Gentechnikmethoden und die daraus entstehenden gentechnisch veränderten Organismen (GVO) weiterhin unter dem bestehenden EU-Gentechnikrecht zu regulieren und zu kennzeichnen.“
Zur Begründung verweisen sie auf das erhöhte Risikopotential der neuen Techniken, die schneller und tiefer in das Erbgut von Pflanzen und Tieren eingreifen als die alte Gentechnik. Diese Risiken müssten nach dem europarechtlichen Vorsorgeprinzip auch künftig geprüft und bewertet werden, bevor solche Produkte auf den Markt kommen. Und weil die Mehrheit der Verbraucher*innen sie nicht auf dem Teller haben wolle, müssten sie wie bisher gekennzeichnet werden, heißt es in dem Papier. Die Betriebe der Land- und Lebensmittelwirtschaft, die diesen Mark bedienten - sei es ökologisch oder konventionell -, hätten ein „Recht auf gentechnikfreie Erzeugung“. „Diejenigen, die Gentechnik nutzen wollen, müssen haften, wenn Saatgut, Ernten, die Futter- oder Lebensmittelkette verunreinigt werden oder es zu Rückrufaktionen kommt“, sagt etwa Elisabeth Waizenegger, Vorstandsmitglied bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Um Pflanzen, Tiere und Umwelt zu schützen, sollten gentechnisch veränderte herbizidtolerante und Insektizid-produzierende Pflanzen verboten werden, fordern die 94 Organisationen, ebenso Gentechnik in der Tierzucht. Um illegale GVO in Europa aufspüren zu können, brauche es schnell ein globales, öffentlich zugängliches Register, das transparente Informationen über alle GVO enthält, die freigesetzt, angebaut oder vermarktet werden. Auf dieser Basis müssten zügig Nachweisverfahren für neue Gentechnik entwickelt werden, mit denen sich Importe konsequent auf gentechnisch veränderte Pflanzen, Tiere und Produkte kontrollieren lassen.
Ähnlich appellierten kürzlich 18 österreichische Umwelt-, Agrar- und Verbraucherorganisationen an ihre Bundesregierung, „sich in der europäischen Debatte zur Neuen Gentechnik konsequent für die Beibehaltung des etablierten EU-Gentechnikrechts gemäß EuGH-Urteil vom Juli 2018 stark zu machen“. Dazu gehören laut der Allianz strenge Zulassungsverfahren mit Risikobewertung, Nachweisbarkeit, Rückverfolgbarkeit und die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte. Sie riefen ihre Gesundheits-, Umwelt- und Landwirtschaftsminister dazu auf, sich in den europäischen Gremien dafür einzusetzen, diese Regeln beizubehalten. Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober hatte sich in der Vergangenheit wiederholt dafür ausgesprochen, das Vorsorgeprinzip einzuhalten und das EuGH-Urteil vom Juli 2018 zur neuen Gentechnik umzusetzen. Der 64jährige ist jedoch kürzlich aus Gründen der Arbeitsüberlastung durch die Corona-Pandemie zurückgetreten. [vef]

21.04.2021 |

Gentechnikfreie Lebensmittel sind gefragt und gefährdet

Die Nachfrage nach Lebensmitteln ohne Gentechnik boomt. Foto: VLOG Die Nachfrage nach Lebensmitteln ohne Gentechnik boomt. Foto: VLOG

Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) meldete für 2020 stark steigende Umsatzzahlen für zertifiziert gentechnikfreie Produkte. Gleichzeitig warnte er die Politik davor, das EU-Gentechnikrecht aufzuweichen. Das würde die bisherigen Erfolge gefährden.

In 2020 kauften die Menschen in Deutschland für 12,6 Milliarden Euro Lebensmittel mit dem Ohne Gentechnik-Siegel ein. Gegenüber 2019 bedeutet das eine Steigerung von über zwölf Prozent, deutlich mehr als der VLOG, der Träger dieses Siegels, vor einem Jahr erwartet hatte. Er bezifferte den Marktanteil von Ohne Gentechnik bei Lebensmitteln auf rund 5,4 Prozent. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Siegel vor allem von Herstellern und Händlern tierischer Lebensmittel benutzt wird, um den Verbraucher*innen zu signalisieren, dass die Tiere keine gentechnisch veränderten Futtermittel bekommen haben. So entfielen 8,8 Milliarden Euro und damit 70 Prozent des Ohne Gentechnik-Umsatzes auf Milchprodukte. Es folgten Geflügelfleisch mit 2,2 Milliarden und Eier mit 1,1 Milliarden Euro Umsatz.

„Ohne Gentechnik-Produkte haben sich in den letzten zehn Jahren einen festen Platz in den Regalen und Einkaufskörben erobert“, sagte VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting. „Verbraucherinnen und Verbraucher legen hohen Wert auf Gentechnikfreiheit. Damit meinen sie ausdrücklich auch neue Gentechnik-Verfahren wie Crispr, wie aktuelle Umfragen zeigen.“ Deshalb sei es „essenziell, dass in der EU auch Gene Editing, Crispr und Co. ausnahmslos weiterhin als Gentechnik gelten“, mahnte Hissting. Sonst gäbe es keine Transparenz mehr und die Kennzeichnung würde nahezu unmöglich.

Ende April wird die EU-Kommission ihre Studie zur Regulierung neuer gentechnischer Verfahren vorlegen. Dies dürfte die Diskussion um eine Deregulierung des EU-Gentechnikrechts verschärfen. Hissting erinnerte daran, dass es die Aufgabe der Behörden sei, die bestehende Rechtslage durchzusetzen und illegale Gentechnik-Importe auszuschließen. Dazu müssten sie endlich Nachweisverfahren entwickeln und einsetzen. Dass dies möglich ist, hatte der VLOG zusammen mit anderen Organisationen 2020 gezeigt und einen Test vorgestellt, mit dem sich Verunreinigungen mit gentechnisch verändertem Cibus-Raps nachweisen lassen.

Die Zahlen des VLOG beruhen auf Auskünften der Lizenznehmer des Ohne Gentechnik-Siegels. Dadurch werden die Umsätze auf Herstellerebene genau erfasst. Um zu Verbraucherpreisen zu gelangen, rechnet der VLOG eine pauschale Handelsspanne und die Mehrwertsteuer dazu. Aufgrund der Prognosen der bisherigen Lizenznehmer schätzt der Verband, dass sich der Ohne Gentechnik-Umsatz 2021 mindestens um weitere 3,5 Prozent erhöhen wird. Das Siegel wird fast nur von konventionellen Herstellern benutzt, die sich mit Gentechnikfreiheit von Mitbewerbern abheben wollen. Bio-Hersteller verwenden das Siegel kaum, da die gesamte ökologische Lebensmittelwirtschaft durch die EU-Öko-Verordnung sowieso dazu verpflichtet ist, ohne Gentechnik zu produzieren. Auch der Bio-Umsatz von 15 Milliarden Euro in 2020 ist also garantiert gentechnikfrei – und ebenso durch eine Deregulierung gefährdet. [lf]

20.04.2021 |

Studie: trotz Gentechnik mehr Gift auf US-Feldern

Pestizide Aqua Mechanical, www.flickr.com/photos/aquamech-utah/24443679794/, creativecommons.org/licenses/by/2.0-+-

Wissenschaftler der Universität Koblenz-Landau haben nachgewiesen, dass die in der US-Landwirtschaft ausgebrachten Pestizide für Pflanzen und Insekten deutlich giftiger sind als früher. Anders als die Agrarchemieindustrie meist argumentiert, galt das laut Studie auch dort, wo gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut wurden.

Das Team um Ralf Schulz vom Institut für Umweltwissenschaften wertete Daten von 381 Pestiziden aus. Sie erfassten die jeweilige Giftigkeit der einzelnen Wirkstoffe gegenüber acht Nicht-Zielorganismen und deren Anwendungsmengen in den USA in den Jahren 1992 bis 2016. „Wir haben die eingesetzten Pestizidmengen in Bezug zu ihrer Giftigkeit gesetzt und somit eine ‚ausgebrachte Toxizität‘ berechnet“, erklärte Ralf Schulz. „Dadurch erhalten wir einen ganz neuen Blick auf die möglichen Risiken für Umwelt und Biodiversität, die von der Ausbringung von Pestiziden ausgehen.“

Bei den Herbiziden nahmen im untersuchten Zeitraum sowohl die Toxizität der Wirkstoffe als auch die eingesetzten Mengen zu. Dieser Anstieg zeige sich auch bei genetisch veränderten Nutzpflanzen, heißt es in der Mitteilung der Universität. In der Studie erwähnen die Wissenschaftler explizit den Anbau herbizidresistenter Sojabohnen ab 2010. Der Grund dafür ist bekannt: Da immer mehr Unkräuter gegen Glyphosat resistent wurden, brachten die Gentechnik-Konzerne neue Soja-Linien auf den Markt, die auch gegen ältere und giftigere Herbizide wie 2,4-D resistent waren. Diese wurden von den Landwirten daraufhin vermehrt eingesetzt.

Bei den Insektiziden hat die Menge der Wirkstoffe zwischen 1992 und 2016 um 40 Prozent abgenommen. Davon hätten Säugetiere, Fische und Vögel profitiert, schreiben die Wissenschaftler. Denn diese Abnahme ging auf bestimmte Insektizidklassen wie Organophosphate und Carbamate zurück, die für diese Gruppen besonders giftig waren. Auf den Markt kamen dafür andere, zielgerichtetere Insektizide. Diese allerdings waren trotz der geringeren Mengen für wirbellose Wasserorganismen wie Flohkrebse und Libellenlarven sowie für Insekten - besonders für Bestäuber wie Bienen - doppelt so giftig. Für Wirbellose in Gewässern gehe dieser Anstieg auf die in sehr geringen Konzentrationen wirksamen Pyrethroide zurück, für Bestäuber auf die in den USA stark gestiegene Anwendung von Neonikotinoiden, erläuterten die Wissenschaftler. Diesen Effekt konnten sie auch für den Anbau von gentechnisch verändertem insektenresistentem Bt-Mais nachweisen.

Die Landauer Umweltwissenschaftler wiesen darauf hin, dass ihre Resultate auf andere Regionen mit intensiver Landwirtschaft übertragbar seien. „Unsere Ergebnisse stellen die Aussage einer über die Zeit sinkenden Auswirkung von Pestiziden auf die Umwelt für konventionelle und genetisch veränderte Kulturen in Frage und belegen den Bedarf für eine globale Reduktion der ausgebrachten Toxizität von Pestiziden“, sagte Ralf Schulz.

Die zunehmende Toxizität macht indirekt auch den größeren Tieren in der Agrarlandschaft zu schaffen. Denn der Rückgang von Wasserorganismen, Insekten und Ackerbegleitpflanzen gefährdet die Nahrungsgrundlage von Vögeln, Fischen und Kleinsäugern. Die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit veröffentlichten Zahlen zum Pestizidabsatz in Deutschland zeigen übrigens, dass sich hierzulande die ausgebrachte Wirkstoffmenge im Zeitraum von 1992 bis 2016 nicht verringert hat, sondern konstant bei etwas über 30.000 Tonnen lag. [lf]

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