21.11.2023 |

EU-Staaten uneins über neue Gentechnik-Verordnung

Die kroatische Agrarministerin Marija Vučković (re.) am Rand des Agrarrats mit ihrer slovenischen Amtskollegin Eva Knez. Foto: Europäische Union Die kroatische Agrarministerin Marija Vučković (re.) am Rand des Agrarrats mit ihrer slovenischen Amtskollegin Eva Knez. Foto: Europäische Union

Trotz zahlreicher Differenzen über die geplante europäische Verordnung zu genomeditierten Pflanzen bleibt es Ziel der spanischen Ratspräsidentschaft, die EU-Mitgliedstaaten bis 11. Dezember zu einem Kompromiss zu führen. Das ließ der designierte spanische Agrarminister gestern dem Agrarrat in Brüssel ausrichten. Damit die EU-Länder sich auf die Herausforderungen der neuen gentechnischen Verfahren (NGT) einstellen können, schlug Kroatien vor, ihnen mindestens sieben Jahre lang zu erlauben, solche Pflanzen national zu verbieten. Fast 140 Verbände forderten die Politik auf, die geplante Verordnung komplett zu stoppen.
Auch einige EU-Staaten bremsten. Polen hielt es gar nicht für nötig, NGT-Pflanzen in einer eigenen Verordnung zu regeln. Nach Ansicht der kroatischen Agrarministerin müssen noch eine ganze Reihe von Problemen für Umwelt, Wirtschaft und menschliche Gesundheit gelöst werden, bevor man über die Verordnung abstimmen kann. Ein Kernpunkt ist dabei die Wahlfreiheit für Verbraucher:innen und Unternehmen, sich für oder gegen gentechnisch veränderte (gv) Produkte zu entscheiden, heißt es in ihrer schriftlichen Vorlage. Um diese sicherzustellen, müssten sämtliche NGT-Pflanzen angemessen gekennzeichnet und überwacht werden. Denn seien sie einmal in die Umwelt freigesetzt, wo sie sich weiter vermehren und ausbreiten, könne das irreversible Schäden verursachen. Kroatien sieht derzeit auch noch technische Grenzen, eine unbeschadete Koexistenz des gentechnikfreien mit dem Anbau von NGT-Pflanzen sicherzustellen.
Wie die Slowakei, Ungarn und Zypern plädierte auch die kroatische Amtskollegin dafür, dass die EU-Staaten weiterhin selbst entscheiden können, ob NGT-Pflanzen auf ihrem Gebiet angebaut werden dürfen oder nicht. Aktuell gibt das europäische Gentechnikrecht diese Möglichkeit. Der jüngste Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft vom 10. November, der dem Infodienst Gentechnik vorliegt, sieht sie aber nicht mehr vor. Staaten wie Frankreich oder Litauen verlangten diese Option im Agrarrat zumindest für NGT-Pflanzen, bei denen eine größere Zahl von Genen verändert wurden (Kategorie 2). Gegner des sogenannten „Opt out“ wie Dänemark oder Tschechien warnten, es würde den Wettbewerb innerhalb der EU verzerren. Einen Eingriff in ihre nationale Souveränität sahen Staaten wie Ungarn und Polen auch darin, dass die EU-Kommission laut Verordnungsentwurf künftig allein regeln darf, welche NGT-Pflanzen in die privilegierte Kategorie 1 fallen und damit von Kennzeichnung und Risikoprüfung ausgenommen werden sollen (sog. delegierter Rechtsakt).
Ein großer Kritikpunkt, den der deutsche Agrarminister Cem Özdemir zumindest vor der Sitzung des Agrarrats unterstützte, ist ferner die ungeregelte Patentfrage. Neun weitere EU-Länder – vom NGT-Befürworter Niederlande bis zum Kritiker Polen – forderten in der Sitzung, die geplante Verordnung müsse sicherstellen, dass Landwirte und Züchterinnen weiterhin Zugang zu Pflanzenmaterial behalten und keine Monopole entstehen. Für Griechenland ist dieser Punkt nicht verhandelbar. Die EU-Kommission, die erneut versicherte, sie würde die Bedenken ernst nehmen, beharrt jedoch darauf, die Marktentwicklung erst einmal zu beobachten. Allenfalls könnte sie ihre geplante Evaluation schon vor 2026 vorlegen, hieß es zuletzt.
Den Einsatz von NGT noch weiter liberalisieren als der spanische Kompromissvorschlag wollen Schweden, Portugal und die Niederlande: Sie wollen es auch Biobauern erlauben, NGT-Pflanzen anzubauen, um ihnen die gleichen „Chancen“ zu geben wie der konventionellen Landwirtschaft. Dem stehen allerdings elf EU-Staaten gegenüber, die vor dem (Deutschland) oder im Agrarausschuss appellierten, den Ökolandbau vor Gentechnik zu schützen. Um es mit den Worten Kroatiens zu sagen: Es sei das „legitime Recht der Bioproduzenten“ und für die Weiterentwicklung des Sektors und das Vertrauen der Konsument:innen unerlässlich, sämtliche NGT-Pflanzen in der Bioproduktion zu verbieten.
Die zuständige EU-Gesundheitskommissarin betonte erneut, wie wichtig neue Verfahren in der Agrogentechnik für die Lebensmittelsicherheit in Europa und die Wettbewerbsfähigkeit in der Welt seien. Eine Risikobewertung nur bei komplexeren Genveränderungen vorzusehen, sei verhältnismäßig und entspreche dem Vorsorgeprinzip, sagte Stella Kyriakides. Sie hoffe, vor den Europawahlen im Juni 2024 zu einer Einigung zu kommen. Die spanische Ratspräsidentschaft will zunächst im Agrarrat am 11.12. eine sogenannte „allgemeine Ausrichtung“ beschließen, bevor im Januar dann Belgien Ratspräsident wird. Eine solche „allgemeine Ausrichtung“ (engl: general approach) dient einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren, indem das Europäische Parlament bereits vor seiner eigenen Entscheidung im Januar die Eckpunkte der zu erwartenden Ratsposition erfährt. Ziel ist, dass sich Rat, Parlament und Kommission im anschließenden Trilog schneller einigen.
Einigen EU-Staaten geht das angesichts des großen Diskussionsbedarfs zu schnell. So verwies Polen im Agrarrat darauf, dass die Beschleunigung des Verfahrens nicht dazu beitrage, die offenen Fragen zu klären. Auch Deutschland und Österreich forderten, auf Qualität statt auf Tempo zu setzen. Mehrere EU-Staaten betonten, wie groß das öffentliche Interesse an der Agrogentechnik sei, unter anderem weil eine große Mehrheit der Menschen laut Umfragen keine Gentechnik auf ihren Tellern will. Gerade gestern hatten Agrar- und Umweltorganisationen den deutschen Agrarminister Özdemir in einem offenen Brief erneut aufgefordert, den Verordnungsvorschlag zur neuen Gentechnik abzulehnen.
Sie bezogen sich dabei auf ein Positionspapier von fast 140 Organisationen und Verbänden aus den unterschiedlichsten Bereichen, die alle ein Ziel eint: Sämtliche NGT-Pflanzen sollen auch in Zukunft umfassend auf ihre Risiken geprüft und gekennzeichnet werden. Verbraucherinnen sollen ihre Wahlfreiheit ebenso behalten wie Hersteller und Landwirte. Wie einige EU-Staaten fordern die Organisationen Nachweisverfahren und ein öffentliches Register für solche Pflanzen. „Bitte sorgen Sie … dafür, dass die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft auch in Zukunft ihren großen Wettbewerbsvorteil einer gentechnikfreien Erzeugung behalten kann, die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen erhalten, das Vorsorgeprinzip gestärkt und die Umwelt geschützt wird“, heißt es im Brief an den deutschen Agrarminister. In der Hoffnung, dass er sich im Dezember auch während der Sitzung des Agrarrats gegen die Verordnung aussprechen wird und nicht nur vor der Tür. [vef]

Korrektur: Der Agrarrat will am 11.12. und nicht am 12.12. über den NGT-Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft abstimmen. Die zweitägige Sitzung beginnt bereits am Sonntag, 10.12.2023.

16.11.2023 |

EU-Kommission wird Glyphosat bis 2033 zulassen

RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, http://bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/) RoundUp von Bayer/Monsanto (Foto: Mike Mozart, bit.ly/2yIfwuQ, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Die Europäische Kommission wird den Herbizid-Wirkstoff Glyphosat im Alleingang für weitere zehn Jahre, also bis Ende 2033, in der EU zulassen. Das teilte sie heute mit, nachdem die 27 EU-Mitgliedstaaten diesen Vorschlag auch im zweiten Versuch nicht mit qualifizierter Mehrheit befürwortet oder abgelehnt hatten. Nun droht der Bundesregierung nach Einschätzung von Rechtsexperten das Problem, dass das ab 1.1.2024 gültige Verbot glyphosathaltiger Spritzmittel in Deutschland kollidiert mit der Zulassung des Wirkstoffs nach europäischem Recht.

Wie erwartet hat in der heutigen Sitzung des Berufungsausschusses zwar wieder eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten für den Zulassungsvorschlag der Kommission gestimmt. Die 17 Länder repräsentierten jedoch keine qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Bevölkerung der EU. Wie der Europaabgeordnete Martin Häusling twitterte, stimmten die Mitgliedstaaten fast genauso ab wie bei der ersten Sitzung im Oktober, lediglich Italien schwenkte von Zustimmung auf Enthaltung um. Ebenfalls enthalten hatten sich demnach Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Bulgarien, Belgien und Malta. Österreich, Luxemburg und Kroatien lehnten eine erneute Zulassung des Unkrautvernichters ab. Bundesagrarminister Cem Özdemir bedauerte im Anschluss, dass der Dissens in der Koalition ihn zu einer Enthaltung gezwungen habe. „Ich hätte gerne gemäß unserer Koalitionsvereinbarung mit einem klaren ‚Nein‘ gestimmt“, so der grüne Minister. Die Neuzulassung hätte er aber auch damit nicht stoppen können.

Unmittelbar nach dieser Sitzung teilte die EU-Kommission mit: „Auf der Grundlage umfassender Sicherheitsbewertungen, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten durchgeführt wurden, wird die Kommission nun die Zulassung von Glyphosat für einen Zeitraum von zehn Jahren verlängern, wobei bestimmte neue Bedingungen und Einschränkungen gelten“. Konkret nannte sie ein Verbot der Sikkation, also das Abspritzen erntereifer Felder mit Glyphosat, um die Ernte zu erleichtern. Auch will sie maximale Mengen festlegen, wieviel von dem Totalherbizid auf den Feldern ausgebracht werden darf. Dass die Umwelt geschützt und Wildblumen oder kleine Säugetieren wie Wühlmäuse nicht geschädigt werden, dafür sollen die Mitgliedstaaten in ihren Vorschriften für den Spritzmitteleinsatz sorgen, schrieb die EU-Kommission. Die EFSA soll Leitlinien entwickeln, um mögliche indirekte Auswirkungen von Glyphosat auf die Artenvielfalt bewerten zu können.

Dass es an der Stelle Datenlücken gibt, hatte die EFSA im Zulassungsprozess selbst eingeräumt. Auch ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher:innen konnte sie nicht abschließend klären. Dass die EU-Kommission das Pflanzengift trotzdem weiter zulassen will, empört viele Umwelt- und Verbraucherorganisationen. „Zahlreiche unabhängige Studien belegen die verheerenden Konsequenzen von Glyphosat für die Artenvielfalt und auch für die menschliche Gesundheit“, warnt etwa Christine Vogt, Agrarreferentin beim Umweltinstitut München. „Wir erwarten, dass die Kommission nach dem europäischen Vorsorgeprinzip handelt und Glyphosat keine weitere Genehmigung erteilt.“ Corinna Hölzel, Pestizidexpertin beim Umweltverband BUND, fordert ein nationales Glyphosatverbot.

Nach der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung ist es ab 1. Januar 2024 untersagt, Glyphosat weiter anzuwenden. Bereits im Juni hatte ein auf Spritzmittelzulassungen spezialisierter Rechtsanwalt jedoch darauf hingewiesen, dass Deutschland Glyphosat nicht komplett verbieten kann, wenn der Wirkstoff in Brüssel erlaubt ist. Erneuert die EU-Kommission die Glyphosat-Zulassung also wie angekündigt bis 2033, könnte das deutsche Verbot ab 1.1.2024 damit kollidieren. Auch der deutsche Agrarminister hatte bereits eingeräumt, dass das Europarecht ihm beim Verbot des Totalherbizids Grenzen setzt. Zwar schreibt die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten könnten die Verwendung glyphosathaltiger Pestizide „auf nationaler und regionaler Ebene einschränken, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für notwendig erachten, wobei sie insbesondere die Notwendigkeit des Schutzes der biologischen Vielfalt berücksichtigen“. Ein hochrangiger Kommissionsbeamter hatte im Oktober jedoch deutlich gemacht, dass das kaum komplette Verbote rechtfertigen dürfte. Auch Rechtsanwalt Peter Koof schreibt auf seiner Webseite, dass die Bundesregierung schon längst hätte aktiv werden müssen, um die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung zu ändern. Denn es gebe bereits jetzt diverse glyphosathaltige Pestizide, die über den 15.12.2023 hinaus zugelassen sind. Hintergrund ist, dass die EU-Kommission zwar Pestizidwirkstoffe zulassen kann. Die europäischen Mitgliedstaaten regeln aber selbst, welche Spritzmittel mit welchen Wirkstoffen in ihren Hoheitsgebieten erlaubt sind.
Was Glyphosat angeht, sieht Agrarminister Özdemir hier offenbar keinen Zeitdruck: Sein Ministerium werde „nun sehr genau prüfen, …welche nationalen Handlungsmöglichkeiten wir haben, um den Koalitionsvertrag so weit wie möglich umzusetzen“, teilte er heute mit. Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien festgehalten: «Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.» Zur Frage, wie man dabei mit dem Widerspruch zwischen der EU-Zulassung und der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung umzugehen gedenkt, konnte der Infodienst Gentechnik trotz mehrfacher Nachfragen beim BMEL seit Sommer bislang keine Antwort erhalten. Für Rechtsanwalt Peter Koof ist die Sache klar: „Das Anwendungsverbot für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel ab dem 01.01.2024 ist erst recht aufzuheben, wenn die Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat von der Europäischen Kommission über den 15.12.2023 hinaus verlängert wird“, schrieb er schon im Juni.

Bestätigt sieht er seine Auffassung durch ein Urteil des luxemburgischen Verwaltungsgerichtshofs vom März diesen Jahres. Als erstes EU-Mitglied hatte Luxemburg im Januar 2021 Glyphosat landesweit verboten. Das Gericht hob das Verbot jedoch auf, da es keine besonderen ökologischen oder landwirtschaftlichen Merkmale in Luxemburg gebe, die ein nationales Verbot rechtfertigten. Es liegt also auf der Hand, dass auch das Glyphosat-Verbot aus der deutschen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung 2024 vor Gericht landen wird. Doch auch die Gegner des Spritzmittels ziehen vor Gericht. So klagt die Deutsche Umwelthilfe gegen das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, weil es den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup PowerFlex zugelassen habe, ohne die negativen Auswirkungen auf den Artenschutz ausreichend zu berücksichtigen. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch kündigte bereits weitere Klagen gegen glyphosathaltige Pestizide an. In Frankreich hatte eine Umweltorganisation mit einer solchen Klage Erfolg. Wie es aussieht werden also die Gerichte ausbügeln müssen, was die Politik unzureichend geregelt hat. [lf/vef]

15.11.2023 |

Glyphosat: Zulassung trotz Leukämieverdachts?

Glyphosat Herbizid Herbizid im Einsatz (Foto: Chafer Machinery / flickr, Chafer Sentry, Applying Defy at 250l/ha on wheat land in Lincolnshire, bit.ly/29E6Sk4, creativecommons.org/licenses/by/2.0)

+++UPDATE+++ Die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) werden wohl morgen, am 16.11., darüber entscheiden, ob der Unkrautvernichter Glyphosat weitere zehn Jahre auf hiesigen Äckern versprüht werden darf. In einer aktuellen Langzeitstudie mit Ratten haben Herbizide mit diesem Wirkstoff in mehreren Fällen Leukämie ausgelöst. Und zwar in Dosierungen, die bisher von den Genehmigungsbehörden für unbedenklich gehalten wurden. Grund genug, die Notbremse zu ziehen?

Seit mehreren Jahren arbeitet das italienische Ramazzini Institut zusammen mit mehreren internationalen Forschungseinrichtungen an einer umfassenden Glyphosat-Studie, der Global Glyphosate Study (GGS). Auf einer Tagung präsentierten die Forschenden nun erste Ergebnisse. Sie zeigen, dass glyphosathaltige Unkrautvernichter Leukämie auslösen können – zumindest bei Ratten. Die Tiere erhielten zwei Jahre lang täglich entweder den reinen Wirkstoff oder ein glyphosathaltiges Herbizid. Verwendet wurden dabei das in Europa zugelassene Spritzmittel Roundup BioFlow oder das in den USA eingesetzte Ranger Pro. Verschiedene Tiergruppen erhielten von den Substanzen über das Trinkwasser jeweils 0,5, 5 oder 50 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag. Die Menge von 50 Milligramm entspricht der Konzentration, bei der nach Angaben der EU-Lebensmittelbehörde EFSA in Tierversuchen mit Glyphosat bisher keine negativen Effekte beobachtet wurden. Abgeleitet davon gilt in der EU die Menge von 0,5 Milligramm Glyphosat je Kilogramm Körpergewicht als akzeptable tägliche Aufnahme durch den Menschen.
In der Studie erkrankten in der Versuchsgruppe, die 0,5 Milligramm reines Glyphosat pro Kilo Gewicht erhielt, zwei von 102 Tieren an Leukämie. In den Gruppen mit 5,0 und 50 Milligramm war es jeweils eins von 102 Tieren. Beim Spritzmittel Ranger Pro waren es in den drei Gruppen eins, zwei und vier Tiere; bei Roundup traten in der 50 Milligramm-Gruppe drei Leukämiefälle auf. Als besonders bedenklich bezeichnete es Studienkoordinator Daniele Mandrioli, dass bei der höchsten Dosierung die meisten Fälle schon im ersten Lebensjahr der Tiere auftraten. „Diese Ergebnisse sind von so großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit, dass wir beschlossen haben, sie jetzt … zu präsentieren. Die vollständigen Daten werden in den kommenden Wochen öffentlich zugänglich gemacht und zur Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht“, sagte Mandrioli.

Einfließen könnten diese Ergebnisse in die anstehende Entscheidung über die erneute Zulassung von Glyphosat in der EU. Am 16. November stimmen die EU-Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss über den Vorschlag der EU-Kommission ab, das Totalherbizid für weitere zehn Jahre zu erlauben. Dieser Termin wurde notwendig, weil es im Oktober im zuständigen Ausschuss (ScoPAFF) keine qualifizierte Mehrheit für diesen Vorschlag gab. In einer Zusammenfassung der damaligen Diskussion schreibt die EU-Kommission, die meisten Mitgliedstaaten hätten sich eine Neuzulassung sogar für 15 Jahre gewünscht. Doch eine qualifizierte Mehrheit, bestehend aus 55 Prozent der Mitgliedsstaaten die gleichzeitig 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, kam nicht einmal für den Zehn-Jahres-Vorschlag zustande. Wie berichtet hatten Österreich, Luxemburg und Kroatien dagegen gestimmt; Frankreich und Deutschland sowie Bulgarien, Belgien, Malta und die Niederlande hatten sich enthalten.
Ob diese blockierende Minderheit erhalten bleiben wird, wird wesentlich vom Abstimmungsverhalten Frankreichs abhängen. Das Land hatte seine Enthaltung im Oktober damit begründet, dass Glyphosat nur in Fällen angewendet werden sollte, in denen es keine Alternativen gebe. Diese Regelung dürfe die Kommission nicht auf die Mitgliedstaaten verlagern. Wie topagrar berichtet, soll der Kommissionsvorschlag morgen unverändert abgestimmt werden. In diesem Fall, so sagte der französische Agrarminister heute dem Sender "France info", gebe es für Frankreich auch keinen Grund, anders abzustimmen als beim ersten Mal.
Deutschland wird einer weiteren Zulassung nach Angaben einer Sprecherin wieder nicht zustimmen. Angesichts des anhaltenden Dissenses in der Ampelkoalition zu dem Thema dürfte es also erneut auf eine Enthaltung hinauslaufen. Das trug dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bereits reichlich Kritik ein, zuletzt vom Bio-Dachverband BÖLW. Auf einer Branchentagung vergangene Woche forderte die BÖLW-Vorstandsvorsitzende Tina Andres das Ministerium auf, bei wichtigen Themen wie Glyphosat und Gentechnik auf europäischer Ebene nicht stumm zu bleiben, sondern Haltung zu zeigen.

Da es damit im Berufungsausschuss wohl weder für noch gegen den Plan der EU-Kommission eine qualifizierte Mehrheit geben wird, wird diese Glyphosat voraussichtlich alleine bis 2033 zulassen. Bis zum 15. Dezember muss eine Entscheidung fallen, da dann die geltende Zulassung ausläuft. Das EU-Parlament (EP) kann dazu nur Empfehlungen aussprechen und ist zudem selber uneins. Im Umweltausschuss des EP scheiterten im Oktober sowohl eine Resolution, die die Kommission aufforderte, Glyphosat weiter zu genehmigen, als auch eine, die verlangte, es nicht erneut zuzulassen. Das europäische Pestizidaktionsnetzwerk PAN und andere Umweltorganisationen forderten die EU-Kommission auf, angesichts der vorgelegten Leukämie-Studie ihren Zulassungsvorschlag zurückzuziehen. „Diese qualitativ hochwertige Studie bedarf der vollen Aufmerksamkeit der europäischen Behörden, da sie alarmierende neue Beweise liefert, die frühere Erkenntnisse über die krebserregende Wirkung von Glyphosat im Lymphsystem bestätigen, die in Studien an Mäusen und in epidemiologischen Studien am Menschen festgestellt wurden“, sagte der Toxikologe Peter Clausing für PAN. [lf/vef]

Update: aktuelles Statement Frankreichs

09.11.2023 |

Handelskonzerne gespalten bei neuer Gentechnik

Verbraucher Fleisch Supermarkt Kennzeichnung Stephen Ausmus / USDA, https://www.flickr.com/photos/usdagov/8411827143, creativecommons.org/licenses/by/2.0

Würden die Regeln für Produkte neuer gentechnischer Verfahren (NGT) gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission gelockert, könnten Verbraucher:innen in vielen Fällen nicht mehr feststellen, ob ein Lebensmittel gentechnisch veränderte Zutaten enthält. Das bemängelten die Handelskonzerne ALDI Nord, ALDI Süd und REWE auf Anfragen gentechnikkritischer Organisationen. Mehrheitlich begrüßte der Handelsverband Lebensmittel (BVLH) jedoch die Pläne der EU-Kommission, bestimmte NGT-Pflanzen von den Prüf- und Kennzeichnungsvorschriften des Gentechnikrechts auszunehmen.
Auf Anfrage der Aurelia-Stiftung sprachen sich ALDI Nord und ALDI Süd dafür aus, NGT-Produkte auch weiterhin als solche zu kennzeichnen, um den Kund:innen die Wahl zu lassen, ob sie Lebensmittel mit oder ohne Gentechnik kaufen wollen. Neben einer Transparenz entlang der Lieferkette spreche das Vorsorgeprinzip für eine angemessene Risikobewertung solcher Produkte, so der Discounter. „Dass mit ALDI einer der weltweit größten Discounter für Wahlfreiheit und Risikoprüfung bei Neuer Gentechnik eintritt, ist eine gute Nachricht für Menschen, Artenvielfalt und stabile Ökosysteme“, lobte Bernd Rodekohr von der Aurelia-Stiftung für die Biene. „Denn ohne einzelfallbezogene, wissenschaftsbasierte Risikoprüfung lassen sich schädliche Auswirkungen von NGT-Pflanzen mit neuen Eigenschaften für das Ökosystem nicht sicher ausschließen.“
Ähnlich hatte sich bereits im Oktober eine Vertreterin der REWE Group positioniert: „Es ist aus Sicht der REWE Group auch im Bereich der neuen gentechnischen Verfahren erforderlich, unter Verwendung dieser Techniken hergestellte Produkte einem Zulassungsverfahren einschließlich einer Risikoprüfung zu unterwerfen und die Prinzipien Rückverfolgbarkeit, Vorsorge und Kennzeichnung weiterhin zu berücksichtigen“, sagte Vorstandsmitglied Daniela Büchel anlässlich der Messe Anuga. Rechtssicherheit und Transparenz hätten oberste Priorität für ihr Unternehmen, das sowohl im BVLH auch im Vorstand des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) vertreten ist. Dessen Geschäftsführer Alexander Hissting meint, EU-Kommission und Europaparlament könnten diese wichtigen Signale der drei großen Lebensmittelhandelsunternehmen im Sinne des Verbraucherschutzes nicht ignorieren. Entgegen den Zielen der EU-Kommission im laufenden Gesetzgebungsverfahren müsse diese dafür sorgen, dass auch künftig alle Arten neuer Gentechnik umfassend gekennzeichnet werden. Der VLOG vergibt ein freiwilliges Ohne-Gentechnik-Siegel für tierische Lebensmittel, die ohne gentechnisch verändertes Futter erzeugt wurden – ein Markt mit einem Jahresumsatz von rund 16 Milliarden Euro.
Edeka und die Schwarz Gruppe (Lidl) hätten sich in der Umfrage der Aurelia-Stiftung dagegen ausgesprochen, nur minimal veränderte NGT-Pflanzen verpflichtend zu kennzeichnen und ihre Risiken für Gesundheit und Umwelt zu prüfen, bedauerte Rodekohr. Die Unternehmen beriefen sich dabei auf ein Gentechnik-Positionspapier des Branchenverbandes BVLH, das den EU-Kommissionsvorschlag unterstützt, die Regeln für NGT-Produkte zu lockern. Der Handel befürworte mit großer Mehrheit den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, der die rechtlichen Regeln für NGT-Produkte an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen soll, heißt es in dem Papier von Ende Oktober. Denn die wachsende Weltbevölkerung müsse ernährt werden. Die Verbraucher:innen hätten genug Wahlfreiheit, wenn – wie von der Kommission geplant – nur Produkte mit mehr als 20 gentechnischen Veränderungen gekennzeichnet würden. Skeptisch sieht der Handel jedoch, dass der Entwurf der EU-Kommission erlauben will, weitere Details dieser privilegierten Kategorie in sogenannten „delegierten Rechtsakten“, also ohne das übliche europäische Gesetzgebungsverfahren festzulegen. Das sieht nämlich vor, dass sich – wie es derzeit geschieht - Europäisches Parlament und Rat eine Meinung zu einem Vorschlag bilden, bevor sie sich im Trilog mit EU-Kommission auf eine Regelung einigen.
Kritisch sieht der Handelsverband Lebensmittel ferner den Punkt Koexistenz: Nach dem Entwurf müssen die EU-Mitgliedstaaten regeln, dass NGT-Pflanzen nicht unbeabsichtigt in den ökologischen oder gentechnikfreien konventionellen Anbau geraten. Hier „bedarf es praxistauglicher Regeln zur Koexistenz, damit Unternehmen, die weiterhin gentechnikfrei wirtschaften wollen, hierzu auch künftig in der Lage sind“, so der BVLH. „Ob die hierfür bereits vorgesehenen Regelungselemente ausreichen, muss angezweifelt werden.“ Der Verband vermisst ferner Reglungen zum Patentrecht, die verhindern, dass NGT-Pflanzen patentiert werden können. Anderenfalls könnte „die Vielfalt und Unabhängigkeit durch das Verhalten einzelner Patentrechtsinhaberinnen und -inhaber eingeschränkt werden“. [vef]

31.10.2023 |

Crispr-Hühner: Pandemierisiko statt Gripperesistenz

Huhn Foto: Christoph Aron / pixelio.de

Britische Forschende wollten Legehennen mit Hilfe des neuen gentechnischen Verfahrens Crispr/Cas resistent gegen einen Stamm des Vogelgrippevirus machen, berichteten sie kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications. Doch die Viren überwanden die Resistenz schnell und mutierten so, dass sie perspektivisch auch Menschen gefährlich werden könnten. Für die Studienautoren ist damit klar, dass diese Hühner für die Landwirtschaft nicht geeignet sind. Ein unbeteiligter Wissenschaftler nannte die Versuche eine „akademische Fingerübung“.

Um sich zu vermehren nutzt der Vogelgrippevirus in den Tieren ein Protein mit der Bezeichnung ANP32A. Die Forschenden des Edinburgher Roslin Institute und des Imperial College London änderten mit Crispr/Cas das für die Produktion von ANP32A verantwortliche Gen. Das danach produzierte ANP32A-Protein enthielt zwei andere Aminosäuren und konnte so von den Viren nicht mehr missbraucht werden, um sich zu vermehren. In Versuchen mit diesen Crispr-Hühnern zeigte sich, dass sich bei geringer Viruslast neun von zehn Hühnern nicht infizierten. Wurde die Viruslast des H2N9-Stamms auf das 1000-fache erhöht, erkrankte jedoch die Hälfte der Tiere. Ein Teil der Viren war mutiert und hatte gelernt, die verwandten Proteine ANP32B und ANP32E für ihre Vermehrung zu nutzen. Im Labor stellten die Forschenden zudem fest, dass diese Mutanten sich „unerwartet“ auch in Zellen der menschlichen Atemwege vermehren konnten und dazu die kürzeren menschlichen ANP32-Proteine nutzten.

„Das bedeutet jedoch nicht, dass veränderte Vogelgrippeviren entstanden sind, die eine neue Pandemie auslösen können“, erläuterte die Berichterstatterin der Neue Zürcher Zeitung, die selbst Molekularbiologin ist. „Sollten die veränderten Viren jedoch weiter existieren und sich in der echten Welt verbreiten, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass sie weiter mutieren – und dann irgendwann doch ein Pandemievirus entsteht.“ Auf ähnliche Weise sei vor 100 Jahren die Spanische Grippe entstanden. Den Forschenden sei dieses Risiko bewusst, schrieb NZZ-Autorin Stephanie Lahrtz. Deshalb hätten sie vor Journalisten betont, es sei ausgeschlossen, dass die von ihnen hergestellten Crispr-Hühner je in Agrarbetrieben zum Einsatz kämen.

Um das Pandemierisiko auszuschließen, schufen die Forschenden im nächsten Schritt Hühner, die gar kein ANP32A mehr bildeten, doch das schränkte die mutierten Viren nur geringfügig ein. Schließlich erzeugten sie für Laborversuche Hühnerzellen, denen alle drei ANP32-Proteine fehlten. In diesen Zellen vermehrten sich weder der ursprüngliche Virus noch die Mutationen. Auch sei es zu keinen Durchbruchsinfektionen gekommen, schrieben die Forschenden, räumten aber ein, „dass diese Kombination von Knockouts für die Gesundheit der Tiere schädlich“ sein dürfte und nichts gewonnen wäre, „wenn die erhöhte Resistenz gegen die Vogelgrippe mit einem Verlust an Fitness der Vögel einhergeht“. Um das zu überprüfen, wollen sie nach diesen Zellversuchen nun lebende Hühner ohne ANP32-Proteine entwickeln.

Timm Harder, Vogelgrippe-Experte am staatlichen Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, erläuterte dem Science Media Center die rechtliche Situation, falls solche Gentechnik-Tiere tatsächlich eingesetzt werden sollten: Nach europäischem Recht seien die Hühner, deren Genom mittels Crispr/Cas verändert wurde, als gentechnisch veränderte Organismen zu betrachten. „Ihre Nutzung bedürfte also einer gentechnischen Genehmigung und die Haltung wäre nach aktuellem Recht nur in einer gentechnischen Anlage möglich. Freilandhaltung wäre dann einem Freisetzungsvorhaben gleichzustellen.“ Für eine Massennutzung müssten deshalb die Gesetze entsprechend angepasst werden. Doch zuerst müssten Langzeitversuche aufzeigen, welche Effekte die abgeschalteten Gene auf die Hühner hätten. Abzuwarten bleibe zudem, „wie sich diese Hühner gegenüber den wesentlich aggressiveren, hochpathogenen aviären Influenzaviren wie H5N1 verhalten; diese wurden hier nicht getestet“. H5N1 ist der derzeit grassierende Vogelgrippe-Virus, die britischen Forschende verwendeten die weniger aggressive Variante H2N9.

Der Virologe Stephan Ludwig von der Universität Münster bezeichnete die „elegante Arbeit“ gegenüber dem Science Media Center als „Proof-of-Concept“, also als Machbarkeitsstudie, die gezeigt habe, „dass eine Gene-Editing-Strategie geeignet sein kann, um eine robuste Resistenz gegen Infektion zu erreichen“. Gleichzeitig sei aber die enorme Anpassungsfähigkeit der Viren deutlich geworden, „die bei hohen Viruslasten schon in diesen ersten Experimenten zu Durchbruchsinfektionen geführt hat“. Neben der schnellen Anpassung der Viren sieht Ludwig ebenfalls „rechtliche und ethische Hürden“ sowie das Problem einer mangelnden Akzeptanz. „Insofern ist die Arbeit zunächst einmal eine elegante akademische Fingerübung und noch weit weg von einer tatsächlichen Anwendung“, lautete sein Fazit. [lf]

25.10.2023 |

Europas Volkspartei will Gentechnik im Ökolandbau

Europäisches Parlament Europäisches Parlament / Foto: © European Union 2014 - European Parliament

Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch CDU und CSU gehören, will mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellte Pflanzen im Ökolandbau erlauben. Die EVP geht damit noch über Pläne der Europäischen Kommission hinaus, die zwar die Regeln für NGT insgesamt lockern, sie auf Wunsch der Biobranche für diese aber weiter verbieten will. Bioverbände protestieren gegen den EVP-Vorstoß und fordern die Europaabgeordneten auf, ihn abzulehnen. Unterdessen wird unter enormem Zeitdruck versucht, europäisches Parlament, Rat und Kommission bis Frühjahr 2024 zu einer Einigung über die neuen NGT-Regeln zu führen.

In ihrem Entschließungsantrag vom 16. Oktober schlägt die zuständige Berichterstatterin Jessica Polfjärd den Europaabgeordneten vor, NGT-Pflanzen ohne Fremdgene, für die es nach den Plänen der EU-Kommission künftig keine Risikobewertung und Kennzeichnung mehr geben soll, auch für den Ökolandbau zuzulassen. Der Verordnungsentwurf der Kommission sieht dagegen ein Verbot vor, weil die Bio-Branche Gentechnik-Pflanzen einhellig ablehnt. Eine entsprechende Resolution hatten die Delegierten des Bio-Dachverbandes Ifoam Organics Europe im Juni 2023 mit einer Mehrheit von 98 Prozent verabschiedet. Auch nach der geltenden EU-Öko-Verordnung ist Gentechnik in Bioprodukten verboten.

Kippen will die Schwedin Polfjärd auch die Vorgabe der Kommission, dass NGT-Saatgut gekennzeichnet werden muss, um Landwirt:innen die Wahl zu lassen, ob sie es anbauen wollen. Eine solche Kennzeichnung sei „diskriminierend“, heißt es zur Begründung. Schließlich will die Berichterstatterin die Regeln ändern, nach denen geprüft wird, ob es sich um eine NGT-Pflanze handelt, die vom Gentechnikrecht ausgenommen ist. Ziel ist, die Mitsprache der EU-Mitgliedstaaten zu beschränken. Auch soll die Definition von dieser Pflanzen-Kategorie so geändert werden, dass noch mehr NGT-Pflanzen darunterfallen.

Beim Thema Patente sieht die EVP dagegen keinen Handlungsbedarf. Ihr reicht es, wenn die EU-Kommission wie geplant 2026 prüft, ob zusätzliche Regelungen nötig sind. Viele dieser Punkte dürften im Sinne derer sein, die laut Resolutionsentwurf zu diesem beigetragen haben: der deutsche Saatgutkonzern KWS, der Lobbyverband Euroseeds und die schwedische Öko-Kontrollstelle Krav. Der Entwurf wird federführend im Umweltausschuss debattiert und abgestimmt, bevor er im Plenum des Europäischen Parlaments behandelt wird.

Die Biobranche ist empört über den EVP-Vorstoß: Er missachte die Sichtweise einer ganzen Bewegung und eines ganzen Wirtschaftssektors, kommentierte Jan Plagge, Präsident von Ifoam Organics Europe. Der Bio-Sektor stehe geschlossen hinter der Forderung, dass der ökologische Produktionsprozess frei von Gentechnik bleiben müsse und zwar von neuer wie alter. „Denn mit dem Vorsorgeprinzip und den Grundsätzen des ökologischen Landbaus ist diese Hochrisiko-Technologie nicht vereinbar“, sagte Plagge. Tina Andres, Vorsitzende des deutschen Biodachverbandes BÖLW mahnte, im Europaparlament werde über „die Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern, Bauernhöfen und Unternehmen verhandelt, künftig selbst über ihr Essen oder ihre Produktion entscheiden zu können.“
Barbara Riegler, Obfrau des österreichischen Verbandes Bio Austria, sprach von einem „skandalösen Vorhaben“ und einem „Angriff auf die Bio-Landwirtschaft in Europa sowie auf den Grundsatz der Wahlfreiheit“. Alle Verbände fordern die Europaabgeordneten auf, den Vorschlag abzulehnen. Stattdessen sollten die Parlamentarier:innen sicherstellen, dass Bio gentechnikfrei bleibe und Produkte aus NGT weiterhin kontrolliert und gekennzeichnet werden sowie rückverfolgt werden können. Der Biobauer und grüne Europaabgeordnete Martin Häusling geht von harten Verhandlungen aus. Denn es gebe im Parlament keine gentechnikkritische Mehrheit, die den Vorschlag der EU-Kommission in Gänze ablehnen würde.

Parallel zur Diskussion im Parlament versucht der Europäische Rat, also die EU-Mitgliedstaaten, eine gemeinsame Position zu den NGT-Plänen der EU-Kommission zu erarbeiten. Da Befürworter wie Gegner noch zahlreiche Kritikpunkte haben, hat die spanische Ratspräsidentschaft Anfang Oktober einen Kompromissvorschlag für die Reglungspunkte eins bis elf vorgelegt. Dieser hält an einem NGT-Verbot für den Ökolandbau ebenso fest wie an einer Kennzeichnung von Saatgut der privilegierten Kategorie 1. Nur dort, wo geprüft wird, ob eine NGT-Pflanze in diese Kategorie fällt, will die Ratspräsidentschaft das Verfahren vereinfachen - allerdings nicht so weitgehend wie die EVP. Weil die Spanier unbedingt bis zum Ende ihrer Präsidentschaft im Dezember einen Ratsbeschluss erreichen wollen, stressen sie die Mitgliedstaaten mit zahlreichen, eng getakteten Arbeitsgruppensitzungen. Zur nächsten Sitzung der Agrarminister am 20. und 21. November soll auch ein Kompromissvorschlag für den Rest der Verordnung fertig sein.

Im Europaparlament will morgen der Agrarausschuss über den NGT-Entwurf der EU-Kommission debattieren. Berichterstatterin ist die tschechische Abgeordnete Veronika Vrecionová von den Europäischen Konservativen und Reformisten, deren Beschlussvorschlag dem Vernehmen nach aus Zeitgründen noch nicht schriftlich vorliegt und daher mündlich vorgetragen wird. Eine Abstimmung in diesem Ausschuss wird am 11. oder 14. Dezember erwartet. Im federführenden Umweltausschuss wird Polfjärd ihren Resolutionsentwurf voraussichtlich am 7. November vorstellen. Den Abgeordneten soll dann bis zum 15. November Zeit bleiben, Änderungsanträge einzureichen. Zusammen mit den Anmerkungen des Agrarausschusses könnte die Endfassung im Januar 2024 im Umweltausschuss abgestimmt werden. Sofern nichts dazwischen kommt, könnten nach einem Beschluss des Parlamentsplenums dann im Februar die Trilogverhandlungen mit Kommission und Rat starten - wenn letzterer bis dahin eine Position abgestimmt hat. Ziel der Befürworter:innen neuer Gentechnik ist es, die neue Verordnung zu beschließen, bevor im April 2024 der Wahlkampf fürs nächste Europaparlament beginnt. [lf/vef]

20.10.2023 |

Bundesrat bleibt bei Kennzeichnung neuer Gentechnik vage

bundesrat Bundesratsgebäude in Berlin

Die Bundesländer haben heute im Bundesrat den Vorschlag der EU-Kommission zur Regelung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) begrüßt und nur wenig Kritisches angemahnt. Klare Ausschussempfehlungen etwa zur Kennzeichnung oder zur Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten den NGT-Anbau verbieten können, fanden im Plenum keine Mehrheit. Das lässt der Bundesregierung viel Freiheit für ihre Verhandlungen in Brüssel.

Der Bundesrat betonte das Potential von NGT-Pflanzen für Forschung und Pflanzenzüchtung und lobte die EU-Kommission dafür, dass sie eine Regulierung anstrebe, „um die mit der Entwicklung und dem Anbau von NGT-Pflanzen verbundenen Chancen für eine nachhaltige Landwirtschaft auch in der EU nutzen zu können“. Doch werfe der Vorschlag „noch Fragen hinsichtlich Transparenz, Wahlfreiheit, Koexistenz sowie des Vorsorgeprinzips auf“.

In der Beschlussvorlage hatten seine Ausschüsse dem Bundesrat deutliche Worte empfohlen, etwa: „Eine Kennzeichnungspflicht aller NGT-Pflanzen und daraus hergestellten Produkte ist durchgängig auf allen Stufen vom Erzeuger bis zum Verbraucher zu gewährleisten“. Oder: „Die Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher ist nach Auffassung des Bundesrates ein sehr hohes Gut und schafft Vertrauen“. Diese Formulierungen fanden in der Plenarabstimmung keine Mehrheit und verschwinden damit aus dem Text. Ebenso gestrichen wurde die Bitte an die Bundesregierung, „sich dafür einzusetzen, dass es Mitgliedstaaten weiterhin ermöglicht wird, regional begrenzte Opt-Out Regelungen für den Anbau von NGT-Pflanzen zu nutzen“. Eine solche Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten den Anbau von NGT-Pflanzen aus Koexistenzgründen verbieten können, hatte die EU-Kommission in ihrem Vorschlag explizit ausgeschlossen.

Erhalten blieb die Formulierung, dass der Bundesrat die Auswirkungen des Verordnungsvorschlags auf den Ökolandbau „mit großer Sorge“ betrachte. Er will deshalb erreichen, dass Maßnahmen wie Abstandsregelungen und Mitteilungspflichten gegenüber den Nachbarn für den Anbau von NGT-Pflanzen weiterhin vorgeschrieben werden. Außerdem seien Öko-Erzeuger und -Verarbeiter „bei festgestellter unbeabsichtigter Beimischung oder Verunreinigung von einer Haftung zu befreien“.

Beim Thema Patente blieb es beim ursprünglichen Text. Damit Züchter ungehindert mit NGT-Pflanzen arbeiten können, soll die Bundesregierung die weiteren Verhandlungen im EU-Ministerrat daran koppeln, „dass parallel seitens der Kommission geprüft wird, welche Auswirkungen Patente auf NGT-Pflanzen auf den Saatgutmarkt hätten und ob eine Änderung des Patentrechts erforderlich ist“. Außerdem „sollte klargestellt werden, dass die Verwendung von zufälligen Mutationen und natürlichen Genvarianten im Rahmen der konventionellen Züchtung nicht durch Patente eingeschränkt werden darf“.

Keine Mehrheit gab es in der Länderkammer für die abschließende Bemerkung „Im Übrigen bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich bei den Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, das Vorsorgeprinzip zu wahren, da es sich bei NGT um eine Technologie mit hoher Eingriffstiefe und mangelnder Umkehrbarkeit aus den Öko-Systemen handelt.“ Wie die einzelnen Bundesländer abgestimmt haben, teilt der Bundesrat grundsätzlich nicht mit.

Im Vorfeld hatten Verbände der konventionellen und ökologischen Agrarwirtschaft eindringlich an die Länderkammer appelliert, sich gegen die Pläne der EU-Kommission zu wenden, die Regeln für neue gentechnische Verfahren zu lockern. „Der Gesetzentwurf der EU-Kommission zielt auf eine radikale Abschaffung von Risikoprüfung und Kennzeichnung ab, für fast alle mit neuen Gentechniken entwickelten Pflanzen“, warnte etwa die Vorsitzende des Bundes ökologische Landwirtschaft, Tina Andres. Damit rolle die EU-Kommission „der Konzern-Lobby den roten Teppich aus – obwohl deren absurde Heilsversprechen für NGT-Pflanzen bisher überhaupt nicht belegt sind“. Das stehe im Widerspruch zum „klaren Wunsch einer überwältigenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, der landwirtschaftlichen Betriebe und Lebensmittelunternehmen …, die auch künftig ohne Gentechnik-Zwang produzieren und essen wollen“.

Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisierte, dass der Verordnungsentwurf vor allem Konzerninteressen diene. Die gentechnikfreien Märkte in Deutschland und Europa seien ein Wettbewerbsvorteil, der diesen Interessen nicht geopfert werden dürfe, mahnte AbL-Expertin Annemarie Volling. Sie erinnerte die Ländervertreter:innen daran, dass sie dafür verantwortlich sind, Agrarprodukte auf unzulässige Gentechnikbestandteile zu kontrollieren. „Selbstredend brauchen wir Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Lebensmittelkette, verpflichtende Nachweisverfahren und Referenzmaterial sowie Rückverfolgbarkeit und Rückholbarkeit“, so Volling.

Einige Verbände hatten vorab auch Beschlussempfehlungen an die Mitglieder des Bundesrats versandt. So hatte die Aurelia-Stiftung sich - erfolgreich - dafür eingesetzt, dass der Bundesrat sich für einen Haftungsausschluss ausspricht, wenn fremde Gentechnikpflanzen Honig oder andere Produkte der gentechnikfreien Landwirtschaft unbeabsichtigt verunreinigen. Am liebsten wäre es den Bienenschützern aber gewesen, die Länderkammer hätte den kompletten Verordnungsentwurf abgelehnt. [lf/vef]

18.10.2023 |

Etappensieg Rutos: Gericht in Kenia erlaubt Gentechnikpflanzen

Feldversuch mit Gentech-Mais in Kenia Foto: AATF Feldversuch mit Gentech-Mais in Kenia Foto: AATF

Vor einem Jahr hat Kenias Präsident ein zehnjähriges Moratorium beendet und per Dekret erlaubt, gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen zu importieren und anzubauen. Da diese Entscheidung Umwelt und Gesundheit gefährde und die kenianische Verfassung verletze, klagten Agrar- und Juristenverbände dagegen vor verschiedenen Gerichten. Das Umweltgericht Nairobi gab der Regierung Ruto vergangene Woche recht. Das endgültige Urteil des Hohen Gerichtshofs (High Court) steht aber noch aus.

Bei einem Gericht für Land- und Umweltfragen (Environment and Land Court) hatte die Anwaltsvereinigung LSK (Law Society of Kenya) im Januar Klage gegen den Kabinettsbeschluss vom 3. Oktober 2022 eingereicht, das Verbot des Anbaus und der Einfuhr von gv-Mais aufzuheben. Sie verwies auf die Risiken, die gv-Pflanzen wie herbizidresistenter Mais für Gesundheit und Umwelt darstellen würden. Auch die Ernährungskultur und die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Kenia sah die LSK dadurch in Gefahr, da gentechnisch veränderte Pflanzen sich unbemerkt in heimische Sorten einkreuzen könnten. Aus diesen Gründen hätten vor der Entscheidung, das Gentechnik-Moratorium aufzuheben, ihre ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen abgeschätzt und die Öffentlichkeit beteiligt werden müssen, argumentierte die Vereinigung.

Richter Oscar Angote sah das anders. Ihm sei kein Gesetz genannt worden, das eine öffentliche Beteiligung bei einem solchen Regierungsbeschluss verlangen würde, schrieb er in seinem Urteil. Auch 2012 seien Import und Anbau von gv-Pflanzen verboten worden, ohne dass die Öffentlichkeit gefragt worden sei. Für die behaupteten Gefahren für Umwelt und Gesundheit hätten die Kläger keine Belege vorgelegt. Auch müssten die Menschen in Kenia vor solchen Risiken keine Angst haben. Es gebe „einen rechtlichen und institutionellen Rahmen, der für eine strenge Bewertung von GVO (gentechnisch veränderten Organismen, Anm. d. Red.) geschaffen worden sei“, begründete das Angote.
Die nationale Behörde für biologische Sicherheit sei in der Lage, riskante Lebensmittel zu identifizieren und ihre Sicherheit angemessen zu bewerten. Die Umweltbehörde NEMA prüfe die Umweltauswirkungen von gv-Pflanzen, die freigesetzt werden sollen. Es sei nicht wahr, dass die zuständigen Behörden sich verschworen hätten, um die Bevölkerung den in der Klage erwähnten Katastrophen auszusetzen, heißt es im Urteil. Die betroffenen Kleinbauern sehen das anders: Den Behörden sei nicht zu trauen, sagte Cidy Otieno der „Voice of America“. Der nationale Koordinator des Kleinbauernverbandes Kenya Peasants League erinnerte an ein gv-Produkt aus Südafrika, das länger als ein Jahr ohne Zulassung illegal in Kenia verkauft worden sei. Die Kenianer seien gegen gv-Produkte schlecht geschützt.

Deshalb wollte die Anwaltsvereinigung LSK mit ihrer Klage auch Pläne der Regierung stoppen, tonnenweise gentechnisch veränderten Bt-Mais als Saatgut an Kenias Bauern zu verteilen. LSK argumentierte vor dem Umweltgericht, dass staatliche Stellen dieses Saatgut ohne die notwendigen Risikobewertungen und Zulassungen in Verkehr bringen würden. Dass der Staat das tun wolle, hätten ihm die Kläger aber nicht belegen können, monierte Richter Angote und wies die Klage in diesem Punkt als „verfrüht“ zurück. Diese Passage aus dem Urteil lässt sich auch als vorsorglicher Hinweis an die Behörden und das beteiligte staatliche Forschungszentrum Kalro verstehen, dass sie das gesetzlich vorgesehene Zulassungsverfahren für gv-Pflanzen weiterhin einhalten müssen. Seit das Verbot 2022 aufgehoben wurde, hat Kenia nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters noch keine gv-Pflanzen importiert oder angebaut.

Obwohl sich die LSK noch nicht dazu geäußert hat, ob sie gegen dieses Urteil des Umweltgerichts Berufung einlegen will, berichteten kenianische und internationale Medien bereits, Import und Anbau von gv-Pflanzen seien in Kenia jetzt freigegeben. Dabei steht die Entscheidung in einem zweiten Prozess noch aus: Die Kleinbauernbewegung Kenya Peasants League (KPL) hatte beim High Court geklagt, weil die Aufhebung des Gentechnik-Moratoriums gegen die kenianische Verfassung verstoße. Wie der Infodienst berichtete, hatte High Court-Richterin Mugure Thande deshalb Import und Anbau von gv-Pflanzen Ende 2022 per einstweiliger Verfügung weiterhin für verboten erklärt. Der Versuch der kenianischen Regierung, diese Verfügung zu kippen, scheiterte am 31. März 2023. Für die Entscheidung des High Court in der Hauptsache ist noch kein Termin bekannt. Wie KPL-Koordinator Otieno der „Voice of America“ sagte, rechnet er damit noch in diesem Jahr.

Neben den beiden Prozessen in Kenia beschäftigt das Importverbot auch den Ostafrikanischen Gerichtshof in Tansania (East African Court of Justice). Dort haben Slow Food International und die ungandische Organisation Centre for Food and Adequate Living Rights gegen Präsident Rutos Dekret geklagt. Aus ihrer Sicht verstößt es gegen die Regeln der Ostafrikanischen Gemeinschaft. Diese sieht den freien Warenverkehr zwischen ihren Mitgliedern vor. Doch Uganda und Tansania lehnen gv-Lebensmittel ab. Das Portal „Voice of America“ zitierte einen kenianischen Politikdozenten mit den Worten, Einfuhr und Anbau von gentechnisch veränderten Organismen in der Region gefährde die Handelsbeziehungen zwischen Kenia und seinen Nachbarn, da gentechnikfreie Ware und Felder unbemerkt verunreinigt werden könnten. Der ostafrikanische Gerichtshof wacht über das Gemeinschaftsabkommen und soll deshalb klären, inwieweit ein Mitgliedsland einseitig Import und Anbau von gv-Pflanzen zulassen darf. [lf/vef]

13.10.2023 |

Glyphosat: EU-Staaten stoppen Genehmigung nicht

BUND-Protest gegen Glyphosat vor dem Bundesagrarministerium in Berlin. Foto: BUND/Stefanie Loos BUND-Protest gegen Glyphosat vor dem Bundesagrarministerium in Berlin. Foto: BUND/Stefanie Loos

Die Chancen der Europäischen Kommission sind gestiegen, dass sie den Unkrautvernichter Glyphosat in der Europäischen Union (EU) bis zum Jahr 2033 zulassen kann. Denn die 27 EU-Mitgliedstaaten haben diesen Vorschlag heute nicht mit der nötigen Mehrheit abgelehnt. Deutschland enthielt sich, weil die Ampelkoalition uneins ist. Sollte sich auch im Berufungsverfahren keine qualifizierte Mehrheit gegen ihren Plan finden, wird die EU-Kommission ihn wohl bis 14. Dezember umsetzen.
Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir hatte im Vorfeld mehrfach dafür plädiert, den weltweit meistverkauften Spritzmittelwirkstoff nicht weiter auf europäische Äcker zu sprühen, da er der ohnehin gefährdeten Biodiversität weiter schade. Davon versuche er auch andere EU-Mitgliedstaaten zu überzeugen, teilte Özdemirs Ministerium (BMEL) nach der letzten Sitzung des zuständigen EU-Ausschusses im September mit. Doch um den Plan der EU-Kommission zu verhindern, müsste der Grünenpolitiker seinen deutschen Koalitionspartner FDP sowie 14 EU-Mitgliedstaaten auf seine Seite bringen. Zusammen müssten die Länder 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Erst dann wäre die nötige qualifizierte Mehrheit erreicht, um Glyphosat zu stoppen.
Aktuell sieht es nicht so aus, als könne Cem Özdemir die mobilisieren. Wie das Portal agrarheute berichtet, haben nur Österreich, Luxemburg und Kroatien bei der heutigen Sitzung für einen Glyphosat-Stopp gestimmt. Neben Deutschland enthielten sich Bulgarien, Belgien, Malta, die Niederlande und Frankreich. Kritisiert worden seien vor allem fehlende Daten zu den Auswirkungen auf Biodiversität, Böden und Gewässer, informierte das deutsche Agrarministerium. Zwar haben 18 EU-Länder für den Kommissionsvorschlag gestimmt. Sie repräsentierten aber nur 55 Prozent der Bevölkerung, wie agrarheute vorrechnet. Denn bevölkerungsreiche Staaten wie Deutschland oder Frankreich waren nicht darunter.
Der französische Minister für den ökologischen Wandel sagte dem Portal France24, die EU-Kommission sei den französischen Wünschen zwar entgegengekommen, indem sie die Höchstdosis Glyphosat-Spritzmittel pro Hektar in ihrem Vorschlag reduziert habe. Das reiche aber noch nicht für eine Zustimmung. Frankreich erprobt im eigenen Land bereits alternative Spritzmittel und möchte das auch in der EU-Verordnung implementiert sehen. Außerdem will das Land Glyphosat nur bis 2030 zulassen. Es habe intensive Gespräche mit Deutschland gegeben und die Positionen näherten sich an, schreibt France24.
Das Problem bleibt, dass der Agrarminister, der Deutschland in dieser Frage auf EU-Ebene vertritt, nicht kann, wie er will. „Da es aus dem BMDV (dem FDP-geführten Ministerium für Digitales und Verkehr, Anm. d. Red.) Einwände gab, haben wir uns heute in der Abstimmung letztlich enthalten müssen – auch wenn wir es uns anders gewünscht hätten“, schrieb ein Sprecher des BMEL dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage. Die Grünen und das SPD-geführte Kanzleramt berufen sich auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“ Wobei sie davon ausgehen, dass Deutschland das rechtssicher nur tun kann, wenn der Wirkstoff auch auf EU-Ebene nicht weiter zugelassen wird. Die FDP dagegen pocht auf eine Passage im Ampelvertrag, nach der Pflanzenschutzmittel „nach wissenschaftlichen Kriterien“ zugelassen werden sollen. Und die europäischen Fachbehörden hatten das Pflanzengift im Sommer nach wissenschaftlichen Studien als unbedenklich eingestuft. Ist sich die Ampel damit uneins, muss sich der BMEL-Vertreter nach den Regularien der Bundesregierung im EU-Ausschuss enthalten.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisiert, die FDP lege den Koalitionsvertrag "sehr fragwürdig" aus. Und: „Wir sind über das Schweigen der SPD zu diesem wichtigen Verbraucherschutz- und Umweltthema enttäuscht“, so der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt. Die Ampelkoalition hätte den Kommissionsvorschlag einvernehmlich ablehnen und damit ein wichtiges Signal in Europa für mehr Gesundheit und Artenschutz setzen sollen. Auch beim Umweltinstitut München ist man empört: „Die deutsche Bundesregierung hat es trotz Federführung zweier grüner Ministerien und einem eindeutigen Koalitionsvertrag nicht geschafft, sich klar gegen die Wiederzulassung von Glyphosat zu positionieren”, moniert Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft. “Wir erwarten bei der nächsten Abstimmung ein eindeutiges Statement in Form einer ‘Nein‘-Stimme.“
Das erwartet auch die deutsche Bevölkerung. Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey vergangene Woche ergab, lehnen es 61,9 Prozent der Bundesbürger ab, Glyphosat neu zuzulassen. 57 Prozent der im Auftrag des BUND Befragten sind selbst dann für ein Glyphosatverbot in Deutschland, wenn der Wirkstoff auf EU-Ebene wieder zugelassen werden sollte. Das verlangt auch BUND-Vorsitzender Bandt. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, protestierte heute eine Delegation des BUND vor dem Agrarministerium und übergab 60.000 Unterschriften der Petition „Besser ohne Gift“.
Hausherr Özdemir kritisiert unterdessen die EU-Kommission: „Sie ignoriert mit ihrem Vorschlag das im EU-Recht verankerte Vorsorgeprinzip und schiebt die Verantwortung für die Artenvielfalt sowie den Schutz unserer Gewässer allein auf die Mitgliedstaaten. Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte sie keine Wiedergenehmigung von Glyphosat zulasten der Artenvielfalt durchsetzen." Die EU-Kommission scheint sich ihrer Sache jedoch ziemlich sicher: "Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die vielen Kollegen aus den verschiedenen Staaten enorme Mengen an wissenschaftlichen Daten durchforstet haben, glauben wir, dass wir einen guten Vorschlag haben“, bekräftigte ein Sprecher heute vor Journalisten. Der Berufungsausschuss der EU-Staaten werde in der ersten Novemberhälfte über den unveränderten Verordnungsentwurf abstimmen. [vef]

09.10.2023 |

Neue Gentechnik: Politik und Verbände fordern Patentregelung

Protest vor dem Europäischen Patentamt (Foto: Kein Patent auf Saatgut!) Protest vor dem Europäischen Patentamt (Foto: Kein Patent auf Saatgut!)

Pflanzenzüchter und Bauernverbände warnen davor, Pflanzen aus neuen gentechnischen Verfahren (NGT) zu patentieren. Auch einige EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, haben der EU-Kommission deutlich gemacht, dass die geplante NGT-Verordnung die Patentierung mitregeln muss. Denn vom Europäischen Patentamt ist wenig Hilfe zu erwarten: Das hat die Vorgaben zur Patentierung von Pflanzen bisher im Interesse der Antragsteller extrem weit ausgelegt. Daher wurde zum 50. Geburtstag der Behörde vergangene Woche lautstark protestiert.

Derzeit sind Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellt wurden, patentierbar. Grundlage dafür ist die Biotechnik-Richtlinie, die generell erlaubt, gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere patentieren zu lassen. Schon jetzt gibt es zahlreiche Patente auf NGT-Pflanzen, obwohl kaum welche auf dem Markt sind. Aus diesem Grund warnt Jan Plagge, Präsident von Bioland, vor einer „Patentflut, die bäuerliche Betriebe und den Mittelstand in der Pflanzenzucht in noch größere Abhängigkeit zu den großen Agrochemie-Konzernen zwingt“. Seine Forderung: „Das Patentrecht muss überarbeitet werden, bevor das Gentechnikrecht angefasst wird.“
Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir hat bei den aktuellen Beratungen über eine neue NGT-Verordnung in Brüssel deutlich gemacht, dass ein Ausufern von Patenten auf Nutzpflanzen verhindert werden muss. Der Deutsche Bauernverband hält es ebenfalls für „unabdingbar, eine Lösung in der Frage der Patente zu schaffen“. Der Verband der deutschen Pflanzenzüchter (BDP) warnt, NGT-Patente „könnten den Zugang zu neuen Technologien und biologischem Material, welches für die Züchtungsarbeit unverzichtbar ist, einschränken und dadurch den Züchtungsfortschritt massiv gefährden“. Deshalb müsse „eine schnelle, rechtsverbindliche Lösung geschaffen werden, nach der biologisches Material, das auch in der Natur vorkommen oder entstehen könnte, nicht patentiert werden kann“, forderte BDP-Geschäftsführer Carl-Stephan Schäfer.

Doch so schnell wird keine Lösung kommen. Denn dafür müsste die Biotechnik-Richtlinie der EU geändert werden. Dazu gibt es bisher offiziell nur die Zusage der EU-Kommission, ab 2026 über eine Änderung nachzudenken. Sollte in den Jahren nach 2026 die Patentierbarkeit von NGT tatsächlich eingeschränkt werden, würde dies nur für dann neu eingereichte Patentanträge gelten. Alle bis dahin eingegangenen Anträge würden vom Europäischen Patentamt (EPA) noch nach altem Recht entschieden. Und das könnte dazu führen, warnen Verbände, dass sich die großen Saatgutkonzerne zahllose natürlich vorhandene Pflanzeneigenschaften, etwa Krankheitsresistenzen, mit Hilfe von NGT-Patenten unter den Nagel reißen. Denn für ein solches Patent reiche es zu zeigen, dass sich die Eigenschaft mit Hilfe von Crispr/Cas erzielen lässt. Es würde also nichts neu erfunden, sondern lediglich eine bereits in der Natur vorkommende Mutation technisch nachgebaut. Das dafür erteilte Patent würde dann alle Pflanzen dieser Art mit der entsprechenden Eigenschaft umfassen, warnen Kritiker – selbst dann, wenn die mit NGT herbeigeführte Mutation natürlich entstanden ist und diese Pflanzenvariante schon lange existiert. Dies könnte dazu führen, dass Zuchtbetriebe und Landwirt:innen überraschend mit kostspieligen Patentansprüchen auf Pflanzen konfrontiert werden, mit denen sie bisher unbehelligt arbeiten konnten.

Um das zu verhindern, müssten in der Biotechnik-Richtlinie Patente auf NGT-Pflanzen verboten werden. Doch selbst das würde womöglich nicht ausreichend Schutz bieten. Dies zeigt ein Blick auf die derzeitige Patentierungspraxis EPA. Eigentlich ist es der Behörde längst rechtlich verboten, Patente auf Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung zu erteilen. Trotzdem entwickele das EPA immer wieder neue juristische Begründungen, um dieses im europäischen Patentrecht verankerte Verbot zu umgehen, kritisiert das Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“. So hatte die Behörde im September einen konventionell gezüchteten Brokkoli der Bayer-Tochter Semenis patentiert. Das sei kein Einzelfall, so Johanna Eckhardt vom Bündnis: „2023 wurden bereits ein Dutzend weitere Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen erteilt, die Paprika, Melonen, Tomaten, Weizen, Spinat, Gurken, Zuckerrüben und Stevia betreffen.“ In einem im Juli vorgelegten Bericht schildert das Bündnis die dabei angewandten rechtlichen Tricks.

So genügt es für ein Patent bereits, wenn ein Unternehmen herausfindet, welcher Genabschnitt im Erbgut einer Pflanze eine erwünschte Eigenschaft hervorruft. Es meldet diesen als QLT (Quantitative Trait Locus) bezeichneten Abschnitt samt der Markergene, die dabei helfen, ihn im Erbgut zu finden, zum Patent an. Dieses Patent gilt – einmal erteilt – dann für alle Pflanzen einer Art, die diesen QLT enthalten. Beispielhaft erläutert „Keine Patente auf Saatgut!“ das anhand des 2022 erteilten Patents EP3560330 des deutschen Züchtungskonzerns KWS für einen besonders verdaulichen Mais.

Ein weiterer Trick ist es, Pflanzensamen zuerst einer nicht zielgerichteten Mutagenese zu unterziehen. Bei diesem in der herkömmlichen Züchtung üblichen Verfahren wird das Saatgut mit Chemikalien oder radioaktiver Strahlung behandelt, um viele Mutationen im Erbgut zu erzeugen. Ist darunter eine Mutation, die zu einer erwünschten Eigenschaft führt, reicht die Mutagenese bereits aus, damit ein Unternehmen die Rechte an dieser Pflanze (und alle anderen dieser Art bei denen diese Mutation vorkommt) beanspruchen kann. Denn dem EPA gilt die nicht zielgerichtete Mutagenese als technisches Verfahren, dessen Ergebnisse patentierbar sind. In einem Bericht der Bundesregierung vom September 2022 beschreibt das Bundesjustizministerium dieses Vorgehen des EPA und die Unlust der meisten europäischen Staaten, diesen Tricks einen Riegel vorzuschieben.

Um auf die Gefahren für die Landwirtschaft durch bestehende und künftige Patente aufmerksam zu machen, nutzte „Keine Patente auf Saatgut!“ den 50. Geburtstag des EPA zum Protest. In einem Festakt feierten die EU-Kommissionspräsidentin und der Bundeskanzler das Europäische Patentübereinkommen von 1973 und die Arbeit des EPA. Währenddessen trommelten vor dem Eingang des EPA mehrere große Skulpturen, die patentierte Tomaten, Brokkoli, Braugerste und Mais symbolisierten, auf Kochtöpfen. [lf]

Gehe zu Seite: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 ...

*** Unterstützen Sie unsere Arbeit ***

Alle Informationen auf dieser Seite sind für Sie kostenlos, kosten aber trotzdem etwas. Unterstützen Sie den Infodienst - damit es auch weiterhin kritische Informationen zum Thema Gentechnik für alle gibt!
 Spenden-Infos hier

Newsletter bestellen

Schule und Gentechnik

Unterrichtsportal zum Thema Agro-Gentechnik: Einführung, Arbeitsblätter, Videos und mehr...

Eine Lehrerin hält ein Schild mit der Aufschrift Lehrer. Hier gibt es Informationen und Material zur Gentechnik für den Unterricht.
Ein Schüler hält ein Schild mit der Aufschrift Schüler. Hier gibt es Informationen, ein Quiz, Videos und mehr zum Thema Gentechnik für Schülerinnen und Schüler.

Infodienst-Material

Postkarten zum Thema Gentechnik. Ein Mädchen nascht von einer Torte und sagt Gutes Essen braucht keine Gentechnik.
Ein Landwirt hält Maiskolben im Arm und sagt Gen-Mais schmeckt mir nicht.

Hier bekommen Sie kostenloses Infomaterial zum Thema: Flyer, Postkarten, Newsletter, Newsticker...
 Bestellung

Nachrichten