05.09.2024 | permalink
376 Unternehmen der Lebensmittelbranche aus 16 EU-Ländern haben in einem offenen Brief gefordert, neue Gentechnik über die gesamte Lebensmittelkette hinweg konsequent zu kennzeichnen. Der aktuelle EU-Ratsvorsitzende für Landwirtschaft und Fischerei, Ungarns Landwirtschaftsminister István Nagy, nahm den Brief am Dienstag entgegen und sicherte den Unternehmen zu, ihre Anliegen zu unterstützen. Parallel wurde der Brief an die übrigen EU-Agrarminister:innen versandt.
In dem Schreiben begrüßten die Unternehmen das Votum des Europaparlaments, alle aus NGT-Pflanzen hergestellte Produkte lückenlos zu kennzeichnen. Sie forderten den EU-Agrarministerrat auf, sich dieser Position anzuschließen und sich darüber hinaus für faire Wettbewerbsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzusetzen. Dazu zählen die Unterzeichner:innen neben Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Gentechnik-Produkten auch verlässliche Nachweismethoden, EU-weit verbindliche, national und regional angepasste Koexistenz-Maßnahmen, Haftungsregeln gemäß dem Verursacherprinzip und einen Entschädigungsfonds für unvermeidbare Kontaminationen. Unterschrieben haben diese Forderungen neben namhaften Bio-Unternehmen auch die Rewe-Gruppe und die dm Drogeriemärkte.
Er könne die Bedenken nachvollziehen und stehe voll und ganz hinter den Forderungen, sagte Minister Nagy nach Angaben des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) in einem halbstündigen Gespräch nach der Übergabe. Bereits vergangene Woche hatte der VLOG mitgeteilt, Nagy werde „als Vertreter der ungarischen Ratspräsidentschaft“ am 8. Oktober auf dem „International Non-GMO Summit 2024“ in Frankfurt am Main eine Grußbotschaft sprechen. Dieser Internationale Ohne Gentechnik-Gipfel gilt als wichtigstes Branchentreffen der Ohne Gentechnik-Wirtschaft. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wird daran nicht teilnehmen, sondern lässt sich von seiner Staatssekretärin Silvia Bender vertreten.
Dass Nagy als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender für Landwirtschaft und Fischerei mit seiner Teilnahme klar Position bezieht, stieß beim Nachrichtenportal Euractiv auf Kritik. Nagy stelle damit „seine Neutralität als ‚ehrlicher‘ Vermittler infrage“, hieß es in einem Artikel. Schließlich solle er als Ratsvorsitzender die Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten über die neuen Regeln für neue gentechnische Verfahren (NGT) neutral leiten. Deshalb werde die Teilnahme an der Konferenz wahrscheinlich zu Reibereien innerhalb des Rates führen, mutmaßte Euractiv. Doch die gibt es längst.
Bereits Anfang Juli, mit der Übernahme der Ratspräsidentschaft, listeten die Ungarn in einer inoffiziellen Mitteilung die einzelnen Punkte des NGT-Vorschlags der Kommission auf, die aus Sicht der Ungarn strittig sind, und baten die Mitgliedstaaten, Position zu beziehen. Der Bitte kamen bisher 16 der 27 Staaten nach. Die NGT-Befürworter unter ihnen äußerten teilweise sehr deutlich ihr Unverständnis darüber, dass die Ungarn die Debatte grundsätzlich neu beginnen. Sie wollen mit dem Verhandlungsstand weitermachen, der unter spanischer und belgischer Ratspräsidentschaft bis Februar 2024 erreicht worden war. Damals sprachen sich 17 Mitgliedstaaten für die vorgelegte Ratsposition aus. Doch sie verfehlten die notwendige qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Österreich, Griechenland, Rumänien, Kroatien und die Slowakei stellten sich in ihren Stellungnahmen hinter Ungarn und kritisierten den NGT-Vorschlag grundsätzlich. Deutschland enthielt sich in seinem Schreiben jeder klaren Äußerung.
Angesichts der festgefahrenen Verhältnisse im Rat gilt es als wahrscheinlich, dass sich beim NGT-Vorschlag in diesem Jahr nichts mehr bewegen wird. Eine für 10. September geplante Sitzung der zuständigen Arbeitsgruppe wurde abgesagt, der nächste geplante Termin wäre erst Mitte November. Für den 8. bis 10. September hat Nagy seine Kolleg:innen zu einer informellen Sitzung des Agrarrates nach Budapest eingeladen. Es werden einige Stühle leerbleiben, schrieb agrarheute. Sowohl EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski aus Polen als auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir würden sich durch Beamte vertreten lassen. Der Grund dafür ist allerdings nicht die ungarische Haltung zum NGT-Vorschlag der Kommission, sondern die zahlreichen Alleingänge der ungarischen Ratspräsidentschaft und wiederholte Verstöße der ungarischen Regierung gegen EU-Vorgaben. Offiziell treffen sich die Agrarminister:inen der Mitgliedstaaten das nächste Mal an 23. September in Brüssel. Die Tagesordnung ist noch nicht bekannt. Der NGT-Vorschlag wird voraussichtlich nicht darauf stehen. [lf]
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