Dossier

Debatte um Nulltoleranz bei Lebensmitteln

Bundesministerin Aigner war bei Futtermitteln gegen Nulltoleranz - bei Lebensmitteln ist sie nun dafür
Bundesministerin Aigner war bei Futtermitteln gegen Nulltoleranz - bei Lebensmitteln ist sie nun dafür

In der Debatte um die Pläne der EU-Kommission, die Nulltoleranz für nichtzugelassene Gentechnikpflanzen in Lebensmitteln aufzuheben, hat sich Bundesagrarministerin Ilse Aigner im Juni 2012 nach langem Zögern gegen eine solche Lockerung ausgesprochen.

Nach der bisherigen Gesetzeslage sind Lebensmittel, die Spuren gentechnisch veränderter Organismen ohne Zulassung enthalten, in der EU verboten. Die EU-Kommission möchte diese Sicherheitsmaßnahme aufweichen und die Regeln für Lebensmittel denen für Futtermittel anpassen, wo bereits eine Grenze von 0,1 Prozent für Bestandteile aus nicht zugelassenen Gentechnik-Pflanzen gilt.

 Infodienst: Aigner will Nulltoleranz bei Lebensmitteln beibehalten

 Brief an Aigner: Verbände fordern Beibehaltung der Nulltoleranz (24.05.2012)

Nulltoleranz bei Futtermitteln aufgehoben

Der Protest war vergebens: Auf der BioFach wurden Verbraucherministerin Ilse Aigner Unterschriften gegen die Aufhebung der Null-Toleranz übergeben.
Der Protest war vergebens: Auf der BioFach wurden Verbraucherministerin Ilse Aigner Unterschriften gegen die Aufhebung der Null-Toleranz übergeben.

Ein Expertengremium der EU-Kommission stimmte Anfang 2011 mehrheitlich für die Aufhebung der Null-Toleranz in Futtermitteln. Zuvor war die Entscheidung verschoben worden, weil einige Mitgliedsländer Bedenken hatten. Frankreich und Ungarn haben erreicht, dass noch einige ihrer Forderungen in die Regelung mit aufgenommen wurden. Demnach muss der gentechnisch veränderte Organismus in einem Drittland bereits zugelassen sein und der Antrag auf Zulassung in der EU schon mindestens drei Monate laufen. Darüber hinaus muss die Lebensmittelbehörde EFSA bestätigt haben, dass von einer Verunreinigung von 0,1% im Futtermittel keine Gefahr ausgeht - die Urteile der EFSA sind jedoch stets umstritten.

 EU-Amtsblatt: Verordnung (EU) Nr. 619/2011 der Kommission

 Abl: Bauern, Verbraucher und Handel setzen auf gentechnikfreie Erzeugung
 Naturland: Politik handelt gegen Verbraucherwillen
 Die Grünen: Legal, illegal, sch...egal
 BÖLW: Bundesregierung opfert Verbraucherschutz den Interessen der Futtermittelindustrie

BUND: Aufweichung der Null-Toleranz verstößt gegen EU-Recht

Ein neues Rechtsgutachten des BUND zeigt, dass das von der EU-Kommission vorgeschlagene Verfahren zur Grenzwert-Einführung gegen EU-Recht verstößt. Wenn Deutschland für den Vorschlag stimmt, würde Bundesagrarministerin Aigner damit der Argumentation einer Futtermittelindustrie folgen, die in Deutschland gerade den Doxin-Skandal verursacht hat. Selbst die USA, die in der Sache enormen Druck auf die EU ausüben, lassen keine GVO ins Land, die dort nicht zugelassen sind.

 BUND-Rechtsgutachten belegt Verstoß gegen EU-Recht

EuGH-Generalanwalt bestätigt Null-Toleranz von GVO

In dem Rechtsstreit mehrerer Imker gegen den Freistaat Bayern folgte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Wesentlichen der Argumentation der klagenden Imker. Demnach ist Honig, der mit gentechnisch veränderten Pollen verunreinigt ist, nicht verkehrsfähig, wenn er nach der EU-Verordnung 1829/2003 keine Zulassung als gentechnisch verändertes Lebensmittel hat. Es reiche nicht, dass der Gentechnik-Mais MON 810 eine Zulassung zum Anbau habe. Auch ungewollte und geringste Mengen führen dazu, dass der Honig nicht mehr verkauft werden darf. Dies entspricht dem Prinzip der Null-Toleranz, das im Moment von der EU-Kommission in Frage gestellt wird und worüber die Mitgliedsstaaten nun noch keine Einigung erlangt haben.
 Pressemitteilung des EuGH (09.02.11)
 Hintergrundinfo des Imker-Anwälte GGSC (09.02.11)

Recherche-Ergebnis: Futtermittel sind gesichert

Müssen diese Kühe wirklich um ihr Futter bangen?
Müssen diese Kühe wirklich um ihr Futter bangen?

Die Futtermittelindustrie warnt seit längerem davor, dass die Versorgung mit Futtermitteln in der EU knapp wird, weil hierzulande die Nulltoleranz für nicht zugelassene gentechnisch veränderte Organismen gilt. Verunreinigte Lieferungen werden daher zurückgewiesen. Daher wird ein Schwellenwert für Verunreinigungen sowie schnellere Zulassungen von Gentechnik-Soja, die in den USA bereits zugelassen sind, gefordert. Umweltverbände kritisieren, dass die europäische Gesetzgebung durch die Einführung von Schwellenwerten unterwandert wird und Export-Staaten, die Ihre Warenströme nicht ordentlich trennen, für ihre unsaubere Praxis belohnt würden.

Ob die Lage auf dem Futtermittelmarkt tatsächlich so dramatisch aussieht, wie immer dargestellt wird, bezweifelt u.a. der BUND und die Grünen. Aus Antworten der Bundesregierung auf zwei Kleine Anfragen der Grünen geht hervor, dass es in den letzten fünf Jahren lediglich 46 Fälle von Futtermittel-Ladungen gab, die mit nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen verunreinigt waren. Fast einziges Ursprungsland sind die USA. Maximal 66.000 Tonnen sind von den Verunreinigungen betroffen. Das heißt, Lieferungen aus den anderen Hauptanbauländern für Gentechnik, Brasilien und Argentinien, sind frei von Verunreinigungen mit in der EU nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen. Die EU importiert jedes Jahr 32 Millionen Tonnen Soja. Die betroffenen 66.000 Tonnen erscheinen dagegen marginal.

 Verbände: Hintergrundpapier zu Nulltoleranz (30.11.09)
 AbL, BUND: Keine faulen Kompromisse bei der Gentechnik (14.12.09)
 Antwort der Bundesrgierung auf die Kleine Anfrage der Grünen zu Fällen von Verunreinigung mit nicht zugelassenen GVOs der letzten fünf Jahre (Fragen Nr. 7/266 und 7/267 vom 06.08.09)
 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen zu Mengen der Futtermittelimporte nach Europa sowie nach den Events, Zwecken und Exportländern der verunreinigten und zurückgewiesenen Futtermitteln (Fragen Nr. 8/155 und 8/156 vom 31.08.09)

Heftige Kritik an der drohenden Aufhebung der Null-Toleranz

Bereits 2008 stellten die Grünen eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Bereits damals zeigte sich, dass die Versorgung mit Futtermitteln weit weniger dramatisch aussieht, als gern dargestellt wird. So werden in den für die EU wichtigen Sojaimportländern Argentinien und Brasilien überhaupt nur Gentech-Sorten angebaut, die bereits in der EU zugelassen sind.
Eine Aufhebung der Nulltoleranz ist auch deshalb absurd, weil die Gentech-Pflanzen überhaupt nicht auf ihre Risiken hin geprüft wurden. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, ruft Landwirtschaftsminister Seehofer dazu auf, "das Vorsorgeprinzip durchsetzen, anstatt solche Unternehmen noch zu belohnen, die nicht in der Lage sind, ihre Gen-Konstrukte unter Kontrolle zu halten."

 Kleine Anfrage der Grünen, Drucksache 16/9882

 Antwort der Bundesregierung (11.07.08)

 Grüne: Pressemitteilung (16.07.08)

 BÖLW: Pressemitteilung (11.07.08)

Es geht auch anders...

Verbände für Null-Toleranz

Mitte Juli haben mehrere Umwelt- und Bioverbände in einem offenen Brief an die Abgeordneten des Bundestages dargelegt, warum die hohen Futtermittelkosten nichts mit der Null-Toleranz von nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen zu tun haben. Sie fordern die Abgeordneten auf, sich für ein Fortbestehen der Nulltoleranz und eine substanzielle Verbesserung der Zulassungsverfahren einzusetzen.
 Offener Verbände-Brief zur Nulltoleranz (17.07.08)
 Hintergrundpapier der Verbände zur Null-Toleranz (09.07.08)

EU-Abgeordnete für Null-Toleranz

Am 3. Juli haben mehrer EU-Abgeordnete der Kommission ihre Besorgnis über die Diskussionen zur Aufhebung der Nulltoleranz mitgeteilt.

 Europäisches Parlament: EU GMO legislation and animal feed imports to the EU

Empfehlungen an die EU

Friends of the earth Europe, Greenpeace und die European Farmers Coordination haben ein Infoblatt erstellt, dass sich eingehender mit dem Thema Futtermittelimporte und GVO-Regelungen der EU beschäftigt und sich an politische Entscheidungsträger und die EU-Kommission richtet.

 EU animal feed imports and GMO policy (May 2008)

"Die Versorgung mit GVO-freien Eiweißfuttermitteln sichern"

Auf der Agrarministerkonferenz am 11. April 2008 gaben die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen und Hamburg folgendes zu Protokoll:

"Die Länder bitten darüber hinaus die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, durch Beratung und Forschung den Anbau konventioneller Sorten zu fördern sowie durch langfristige Liefervereinbarung die Versorgung mit GVO-freien Eiweißfuttermitteln zu sichern. Darüber hinaus bitten sie die Bundesregierung, sich ggf. um zusätzliche Marktpartner zu bemühen."

 Ergebnisprotokoll der Agrarministerkonferenz, TOP 288 (11.04.08)

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Gentechnikfreie Futtermittel aus Brasilien

Das Zertifizierungsunternehmen Cert ID stellt seine jährlichen Zahlen für Non-GMO-zertifiziertes Soja zur Verfügung.

 Cert ID: Volumes available from South America (Februar 2013)

Weitere Nachrichten

 Infodienst: „Jede Verunreinigung mit Gentechnik bedeutet Risiken“ - Raps 2013 gentechnikfrei, Mais kaum belastet (17.09.14)

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 3sat: Gentechnik soll weiter draußen bleiben (VIDEO, 03.06.12)

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 top agrar: Dalli befürwortet neue GVO-Schwellenwerte für Lebensmittel (14.05.12)

 Infodienst: Bundesregierung schweigt zur Gentechnik-Nulltoleranz (27.04.12)

 Infodienst: Kommission will GVO-Verunreinigungen in Lebensmitteln tolerieren (04.04.12)

 agrarheute: Technische Lösung für Futtermittelimporte ab Mitte Juli (27.06.11)

 Infodienst: Imker-Klage: EuGH-Generalanwalt bestätigt Null-Toleranz von GVO (10.02.11)

 agrarheute: EP will Spuren verbotener GVO bei Importen zulassen (01.02.11)

 reuters: EU-Staaten wollen Gentechnik-Spuren im Essen zulassen (22.01.11)

 topagrar: Entscheidung über Neubewertung der Nulltoleranz verzögert sich (22.11.10)
 agrarheute: EU-Mitgliedsstaaten offen für technische Lösung (18.11.10)

 Infodienst: EU-Kommission will Null-Toleranz kippen (28.10.10)

 reuters: New GM Feed import rules (20.09.10)

 agrarheute: EU-Kommission: Nulltoleranz soll weichen (17.09.10)

 topagrar: EU hält an Nulltoleranz für nicht zugelassene GVO fest (20.09.10)

 Infodienst: Bauernverband für Gentechnik-Importe (14.12.09)

 agrarheute: Verbände warnen vor faulen Kompromissen (15.12.09)

 fr-online: Bluff der US-Agrarindustrie (11.12.09)

 Unnütze Zulassung von Gentechnik-Verunreinigungen (01.12.09)

 Keine neuen Gentechnik-Pflanzen braucht das Land! (19.10.09)

 Futtermittelindustrie macht weiter druck wegen GVO-Nulltoleranz (24.09.09)

 Gentechnik-Mais voraussichtlich ohne Mehrheit im EU-Ministerrat (22.09.09)

 Länder für Abschaffung der Nulltoleranz-Regelung (21.09.09)

 finanznachrichten.de: EU hält vorerst an Nulltoleranz bei Gentechimporten fest (30.9.2008)

Keine Kontaminationen!

Das Hintergrundpapier verschiedener gentechnikkritischer Verbände erklärt, warum die Null-Toleranz für nicht zugelassene GVO nicht aufgehoben werden darf, und welche Strategien Gentechnik-Unternehmen haben, um ihre Gentechpflanzen durchzusetzen.
 Gid (August 2008): Keine Kontaminationen!

Region liefert wirksamen Ersatz für Gen-Soja

Rapskuchen aus der Ölmühle bei Mühlhausen bürgt bei dem Roßthaler Josef Schneider für Spitzenergebnisse.
 Neumarker Nachrichten (31.07.08)

Friends of the Earth-Kampagne

Diese englische Seite von Friends of the Earth Europe gibt Anweisungen und Argumente, sich für die Beibhaltung der Null-Toleranz einzusetzen.
 FoE - ACT NOW

ZITATE

Ulrike Höfken, Die Grünen:
"Besonders absurd: Die von Seehofer, Futtermittelverbänden und Bauernverband geforderte Aufhebung der Nulltoleranz für nicht zugelassene Gentech-Produkte gibt es laut Bundesregierung noch nicht einmal in den USA."

Thomas Dosch, Bioland:
"Ökonomischer Druck ist der schlechteste Ratgeber, wenn es um sicherheitsrelevante Entscheidungen geht."

Hubert Weiger, BUND:
"Ursachen der steigenden Preise sind der weltweit wachsende Bedarf an Agrarrohstoffen und die unseligen Spekulationen auf dem Markt für Lebens- und Futtermittel"

Null-Toleranz