Interview

November 2011

"Wir brauchen eine aktive Sicherheitsforschung"

Wie verhalten sich GVO-Pflanzen in der Umwelt?
Wie verhalten sich GVO-Pflanzen in der Umwelt?

Um die Einführung der Agro-Gentechnik tobt seit Jahren ein heftiger Streit. Obwohl Industrie und Behörden stets versichern, die Pflanzen seien sicher, lehnen Bürgerinnen und Bürger die Gentechnik auf dem Acker überwiegend ab. Kritiker der Agro-Gentechnik stört unter anderem die laxe Zulassungspraxis gentechnisch veränderter Pflanzen. Einer von ihnen ist Christoph Then vom Verein Testbiotech, der jüngst eine Studie verfasste, die das EU-Zulassungssystem heftig kritisiert. Im Interview mit dem Infodienst erklärt Then, wie eine Risikoforschung seiner Meinung nach aussehen müsste.

Dr. Christoph Then
Dr. Christoph Then

Laut Industrie und Zulassungsbehörden wird schon seit Jahren intensiv mit Gentech-Pflanzen geforscht. Was genau muss passieren, damit Kritiker sich mit der Forschung zufriedengeben?

Wenn man sich die Forschung ansieht, ist es zumeist sogenannte „Sicherheitsforschung“, bei der gezeigt werden soll, dass man die strittigen Produkte als Lebens- und Futtermittel oder Saatgut zulassen kann. Da hat man den Eindruck, dass das Ergebnis manchmal schon feststeht, bevor die Untersuchungen durchgeführt wurden. Für derartige „Sicherheitsforschung“ wurden Millionen von Steuergeldern ausgegeben. Was wir dagegen brauchen, ist eine aktive Risikoforschung, die die spezifischen Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen in den Fokus nimmt, deren Interaktionen mit der Umwelt, die Wechselwirkungen mit anderen gentechnisch veränderten Pflanzen und auch die Langzeitfolgen des Anbaus und des Verzehrs nicht außer Acht lässt. Das ist in der EU gesetzlich vorgeschrieben – wird aber nicht wirklich gemacht.

Statt dessen bemühen sich verschiedene „Sicherheitsforscher“ und die Industrie darum, der Öffentlichkeit einzutrichtern, dass die Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen denen der konventionellen Züchtung gleichzusetzen sind. Der Trick mit einem falschen Vergleich von Risiken ist nicht neu. Diese Strategie hat man von der Tabakindustrie übernommen, die die Risiken des Rauchens u.a. gerne mit denen des Autofahrens oder des Mobilfunks vergleicht, um zu verschleiern, welche spezifischen und langfristigen Risiken das Rauchen selbst hat.

Würden ihre Vorschläge umgesetzt werden, wäre das Zulassungssystem nicht insgesamt für Firmen zu teuer, um überhaupt gentechnisch veränderte Pflanzen zuzulassen? Oder geht es den Gentechnik-Kritikern nicht eigentlich darum, GVO gar nicht zuzulassen?

Generell muss man sich entscheiden: Wenn man diese Produkte in die Umwelt und in die Nahrungskette bringt, müssen sie auf Herz und Nieren geprüft werden. Wenn es möglich ist, Produkte mit geringeren Risiken herzustellen, die dann auch weniger Kosten verursachen, ist das ein normaler Vorgang: Hier entscheiden dann die Mechanismen des Marktes. Sind die Produkte aber unverzichtbar, werden sie auch nicht an den Kosten der Risikobewertung scheitern. Im Moment gehen die Industrie und die Lebensmittelbehörde EFSA aber nach dem Prinzip vor „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Auf dieser Grundlage dürfen keine Zulassungen erteilt werden. Wir schlagen zur Verbesserung der Risikoabschätzung insbesondere eine Art Stresstest für gentechnisch veränderte Pflanzen vor, um ihre genetische Stabilität unter verschiedenen definierten Umweltbedingungen zu testen. Die Kosten für solche Tests sind überschaubar und stellen keine besondere finanzielle Hürde für Konzerne wie Monsanto dar.

Ob gentechnisch veränderte Organismen aber grundsätzlich zugelassen werden sollen, müssen Gesellschaft und Politik auf anderem Weg entscheiden. Hier spielt die Risikobewertung nicht die entscheidende Rolle. Da steht eher die Frage im Vordergrund, welche Landwirtschaft wir in Zukunft haben wollen – darüber darf keine Behörde entscheiden. Das steht auch genau so in den EU-Gesetzen, die ausdrücklich feststellen, dass die Politik bei der Frage der Zulassung auch andere Gesichtspunkte in Betracht ziehen muss, wie wirtschaftliche Auswirkungen und ethische Fragen.

Sie haben jüngst ihre Studie „Risiken mit amtlichem Siegel“ veröffentlicht, die Mängel bei der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen aufzeigt. Ihre Studie wurde auf dem Internet-Portal biosicherheit.de als „Studie mit Wissenslücken“ dargestellt. Was halten Sie von diesen Vorwürfen?

Das ist ein interessanter Vorgang. Zunächst einmal findet man auf biosicherheit.de einige sehr zweifelhafte oder zumindest strittige Aussagen, insbesondere wenn es um Risiken der insektengiftigen Bt-Toxine geht. Genauer bewerten kann man das aber nur, wenn die Quellen und Publikationen genannt werden – diese Informationen fehlen aber.

Darüber hinaus aber sieht man an diesem Beispiel, wie dieses Portal funktioniert, das jahrelang mit Steuergeldern finanziert wurde: Es wird gar nicht erst versucht, eine offene Diskussion über Risiken und die Anforderungen an die Risikoprüfung zu führen, sondern das Ziel ist es, zu suggerieren, dass alles sicher ist. Zu diesem Zweck werden einige Zitate aus dem Zusammenhang der Studie gerissen und diesen irgendwelche Forschungsergebnisse gegenüber gestellt, ohne anzugeben, ob und wo diese Ergebnisse publiziert wurden und ohne einen direkten Bezug zu den Prüfkriterien der EFSA herzustellen. Dieser Bezug zur EFSA wäre aber entscheidend: Die Studie „Risiken mit amtlichem Siegel“ befasst sich ja nicht damit, was irgendwann von irgendwem untersucht wurde, sondern kritisiert  vor allem die Prüfkriterien der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft wird so Politik gemacht, die Menschen hinter biosicherheit.de versuchen die Diskussion in eine Richtung zu lenken, die ihnen in den Kram passt, ohne auf die wirklichen Probleme einzugehen. Gleichzeitig spricht man den Kritikern jede Wissenschaftlichkeit ab.

Dass Agro-Gentechnik an sich problematisch ist, weil gentechnisch veränderte Organismen nicht mehr rückholbar sind, ist mittlerweile in der Öffentlichkeit angekommen. Sie weisen jedoch immer wieder auf die Gefahr hin, dass die natürliche Genregulation bei der Gentechnik gestört wird. Was hat es damit auf sich?

Das mit der Rückholbarkeit würde ich gerne noch etwas vertiefen: Man kann in Europa gentechnisch veränderten Mais ja sehr wohl wieder aus der Umwelt zurückholen. Zumindest was den Mais als vermehrungsfähige Pflanze betrifft. Man kann ihn dann nicht mehr zurückholen, wenn man ihn in Mittelamerika anbaut, wo die Pflanzen und ihre Verwandten heimisch sind, in die sich der gentechnisch veränderte Mais auskreuzen kann. Das geht auch bei Pflanzenarten wie Raps oder Pappeln nicht, wenn man diese erst einmal großflächig anbaut. Wir sollten uns klar machen, dass es trotz der bekannten Probleme und der neuen Risiken bisher auf der ganzen Welt kein Gesetz gibt, dass vorschreibt, das Freisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen nur dann erfolgen können, wenn ich deren Verbreitung räumlich und zeitlich kontrollieren kann. Diese gesetzlichen Regelungen sollten meiner Ansicht nach eine hohe Priorität haben. Auch die Befürworter der Gentechnik sollten solche Gesetze befürworten – weil sie helfen, ihre Haftung und Verantwortung zu begrenzen.

Die andere Frage betrifft den Vergleich zwischen Gentechnik und Züchtung: Da gibt es grundlegende Unterschiede. Beim Eingriff in das Erbgut mit den Mitteln der Gentechnik wird die natürliche Genregulation ausgetrickst, die Aktivität der Gene wird künstlich erzwungen. Zugleich wird DNA über die Arten hinweg übertragen, zum Teil werden die Gene sogar künstlich synthetisiert. Diese Manipulation bleibt nicht ohne Folgen: Oft werden ungewollt auch die Aktivität pflanzeneigener Gene und der Stoffwechsel der Pflanzen verändert. Diese Effekte müsste man in Experimenten systematisch überprüfen, um herauszufinden, welche Reaktionen unter verschiedenen Umweltbedingungen tatsächlich auftreten. Es gibt verschiedene Publikationen, die zeigen, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen, wenn sie unter Stress geraten, ganz anders verhalten als Pflanzen aus konventioneller Züchtung. Konventionell gezüchtete Pflanzen können sich auf extreme Umweltreize oft besser anpassen, weil ihre natürliche Genregulation nicht gestört ist. Testbiotech schlägt für die Abklärung dieser Risiken zu einem frühen Zeitpunkt der Risikoprüfung den bereits erwähnten „Stresstest“ vor, der zum Beispiel in Klimakammern durchgeführt werden kann.

Ist die Gefahr bei der Mutationszüchtung nicht gegeben?

Bei der Mutationszüchtung hängt der Erfolg der Züchtung ganz wesentlich von den Wechselwirkungen der Mutationen mit anderen Genen der Pflanze und vom System der Genregulierung insgesamt ab. Mutationszüchtung beruht also auf den allgemeinen Mechanismen der Evolution – das ist bei Gentechnik nicht der Fall. Deswegen sind auch die Risiken grundsätzlich verschieden.

Gentech-Pflanzen werden u.a. kritisiert, weil mit ihnen ein hoher Verbrauch von Pestiziden einhergeht. Aber ist dies nicht das Problem der Zulassung des Pestizids und weniger der Pflanzen selbst?

Die Gentechnik führt dazu, dass ganz bestimmte Spritzmittel oder Insektizide in viel höheren Mengen in die Nahrungskette und auf den Acker kommen, als das früher der Fall war. Als eine Ursache muss man die herbizidresistenten Pflanzen nennen, deren großflächiger Anbau zu einer starken Ausbreitung resistenter Unkrautarten beigetragen hat. Gleichzeitig führen Insektengift produzierende Pflanzen zu Resistenzen bei den Schädlingen und auch zum Auftreten neuer Schädlinge, weil diese ihrer Konkurrenten beraubt wurden. In der Folge kommt es zu einem regelrechten „Wettrüsten“ auf dem Acker: Die neueste Kreation der Konzerne ist „SmartStax“, ein Mais, der sechs verschiedene Insektengifte produziert und gegenüber zwei Unkrautvernichtungsmitteln resistent gemacht wurde.

Diese permanente Exposition mit bestimmten Stoffen, deren Metaboliten und den jeweiligen Mischungen ist spezifisch für die Gentechnik. Sie werden zu einem beständigen Bestandteil von Futter- und Lebensmitteln, wenn diese aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden. Dies muss dazu führen, dass die Pestizidprüfung und die Risikoabschätzung gentechnisch veränderter Pflanzen neu aufeinander abgestimmt und eng miteinander verzahnt werden. Das wird von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA aber weitgehend ignoriert.

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Studie

BÖLW-Studie "Risiken mit amtlichem Siegel: Mängel bei der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen", Autor: Dr. Christoph Then, Testbiotech e.V. - Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, September 2009
 Studie, PDF

Dossier

Infodienst-Dossier zur Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA), die für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zuständig ist.
 EFSA-Dossier

Interview mit Christoph Then